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BEITRÄGE:

  • AutorenbildChristoph Lorenz

VNV Nation - Noire (2018)


Genre: Electro / Alternative

Release: 12.10.2018

Label: Anachron Sounds (Soulfood)

Spielzeit: 74 Minuten

Pressetext:

"Eine dunkle und intensive Energie, die sich nicht zurückhält" – so beschrieb Ronan Harris das neue Album von VNV Nation, das 2018 an den Start geht. Passenderweise wählte das englisch-irische Future-Pop-Projekt den Titel "Noire". Es handelt sich dabei um das zehnte Album von VNV Nation, aber das erste reguläre Studioalbum seit fünf Jahren nach "Transnational" (2013). "Noire" ist neben der Standard-CD auch als Doppel-LP erhältlich.

Kritik:

"It's a beautiful dream, it's a beautiful life

It's just a reflection, a world that must survive

We're children of the past, who look beyond today

Designing the present, so when is the future?"

„VNV Nation“, oder auch „Victory Not Vengeance“, was für so viel wie „Sieg, nicht Rache“ steht, wurde im Jahr 1990 von Ronan Harris in London gegründet und ist eine englisch-irische Band, deren weitreichendes Schaffen zu unterschiedlich großen Anteilen dem Techno, Trance, Electronica, EBM und Future Pop zuzuordnen ist. Über allem steht dabei das futuristisch inspirierte Konzept und die damit verbundene Philosophie, die sich sowohl in der Visualisierung als auch den Texten wiederfindet. Am Anfang stand das innovative Vorhaben, orchestrale Klänge mit elektronischen Sounds verbinden zu wollen, erste Schritte gelangen mit den in Eigenregie produzierten Frühwerken „Body Pulse“ und „Strength Of Youth“. So erregte man vielerorts erstes Aufsehen, unter anderem bei den Szene-Vorreitern von „Nitzer Ebb“, die das ambitionierte Projekt prompt als Support auf ihre Tournee einluden. Danach kehrte Harris nach Europa zurück und unterschrieb seinen ersten Plattenvertrag beim Label Discordia, unter dem nur wenig später das Debüt „Advance & Follow“ publiziert wurde. Etwa zur gleichen Zeit stieß auch Mark Jackson dazu, der fortan insbesondere die nun immer besser besuchten Live-Gigs als Schlagzeuger unterstützte und auch bei den Studioarbeiten steigenden Einfluss nahm. 1998 wechselte das frisch zusammengeschlossene Duo für den Nachfolger „Praise The Fallen“ dann zum deutschen Vertrieb Off-Beat, der später zu den bis heute bekannten Dependent Records wurde. Das dritte Werk „Empires“ erreichte den ersten Platz in den DAC-Charts und markierte den endgültigen Durchbruch... „VNV Nation“ waren endlich angekommen, der Rest ist eine (Erfolgs-)Geschichte aus einem Höchstmaß an Kreativität, gar wegweisenden Ideen und vor allem harter Arbeit. So machte man sich mit weiteren Releases, wie beispielsweise „Futureperfect“ oder „Of Faith, Power And Glory“ und viel umjubelten Shows sowohl im breit gefächerten Electro-Sektor als auch in der schwarzen Szene einen bekannten Namen, bis 2011 mit „Automatic“, das erfolgreich den achten Platz in den Media Control Charts für sich einnahm, der bisherige Höhepunkt in der eigenen Karriere erreicht werden konnte. Bereits zwei Jahre später rückte „Transnational“, das letzte reguläre Fulltime-Album, nach. Dazwischen tat sich jedoch eine exklusive Event-Reihe als ganz besonders einschneidendes Erlebnis für den in Hamburg lebenden Iren hervor: „Gothic meets Klassik“ - Eine mehrtägige Veranstaltung mit Festival-Charakter in Leipzig, unter dessen Banner die dort auftretenden Künstler zwei Cases spielen: Einmal in gewohnter Manier im Haus Auensee, das andere Mal mit aufwändig umarrangierten Versionen ausgewählter Songs und unter der Zuhilfenahme eines ganzen Orchesters. Für Ronan Harris nur die logische Zusammenführung zweier gar nicht so unähnlicher Welten und zudem die persönliche Erfüllung eines langgehegten Traumes, wie er mir im vergangenen Jahr bei einem persönlichen Interview verriet: „Es waren schon immer orchestrale Eindrücke in meiner Musik. Weil ich privat eine Menge klassische Musik höre. Egal ob es jetzt ein großes Orchester, ein kleines Quartett, Quintett oder Ensemble, welches experimentelle Musik spielt, ist. Sie alle hatten schon immer ihren Einfluss auf meine Songs und die Musik, die ich schreibe. In ihnen ist etwas Großes, Ausladendes. Es ist ein symphonischer Ansatz, der nicht sich nicht zwingend im Klang eines Orchesters äußert. Zum Beispiel die große Leadline bei „Perpetual“. Es ist etwas Symphonisches, etwas Bombastisches darin. Ich liebe es, dieses Gefühl in der Musik zu haben, aber es war mir trotzdem nie genug. Als ich damals die Anfrage bekommen habe, an „Gothic meets Klassik“ teilzunehmen, bin ich wortwörtlich aufgesprungen. Ich glaube, ich habe keine zwei Sekunden überlegt, um „Ja“ zu sagen. Ich habe diese ganze Erfahrung vom Anfang bis zum Ende hin geliebt. Auch den Arrangeur, er und ich sind gute Freunde und hatten beim Musik machen eine wundervolle Zeit.“. Dass der prägende Ausflug in symphonische Welten auch bei einem Großteil der Anhängerschaft auf ebenso viel Gegenliebe stieß, freut den Mastermind deutlich hörbar: „Du lernst Leute kennen und fühlst, dass es auch für sie ein absoluter Traum ist, dass „VNV“ mit einem Orchester zusammen spielen und dann gibt es wiederum auch einige Menschen, die einfach nicht verstehen, was „VNV“ eigentlich mit einem Orchester zutun hat.“, erklärt er und verweist anschließend nochmals verstärkt auf die einstigen Ursprünge: „Ich führe ihnen dann eine Auflistung vor Augen und sage, „Dieser Track, dieser Track, dieser Track und dieser Track… Alle davon sind orchestral inspirierte Lieder!“. Es gibt so viel orchestralen Einfluss, weil ich eine Menge dieser Art von Musik höre. Zum Beispiel klassische Musik, Modern Avantgarde… Das ist in etwa die gleiche Formel und alles davon beeinflusst mich.“.

So ist es eigentlich nur selbsterklärend, dass man jenes Schlüsselerlebnis zum Anlass nahm, entsprechende Versionen nochmals im Studio aufzunehmen und somit für die Ewigkeit festzuhalten. Das Ergebnis erschien im Mai 2015 unter dem Titel „Resonance“ und wurde von einer Konzertreihe mit dem Babelsberger Filmorchester in erlesenen Venues begleitet. Fortan wurde es, zumindest veröffentlichungstechnisch, still um „VNV Nation“, was die Band jedoch nicht davon abhielt, fleißig um den gesamten Globus zu touren. Als einer der wohl beeindruckendsten Auftritte geht dabei wohl das Amphi Festival vor rund 12.000 begeisterten Fans in der Lanxess Arena ein, bei welchem auch das sogenannte „Compendium“ angekündigt wurde. Ein von langer Hand geplantes Box-Set, mit einer Zusammenstellung aller bisher erschienenen Releases und rarem Bonusmaterial, das jedoch bis heute nicht das Licht der Welt erblickte. Auf meine Nachfrage nahm Harris wie folgt Stellung dazu: „Das ist etwas, was ich über das deutsche Gesetz gelernt habe. Was das „Compendium“ aufgehalten hat, war, dass es da einige Vorschriften gibt, von denen ich zuvor gar nichts gewusst habe. Von denen eigentlich niemand sonst im Rest der Welt glaubt, dass es sie überhaupt gibt… Ich brauchte noch gewisse Elemente für diese Zusammenstellung. Das Problem war, dass es so viel Zeit gekostet hat, all das überhaupt erst zusammenzutragen. Die Skizzen, die Box, der Vertrieb muss dem Ganzen zustimmen. Alles benötigt seine Zeit. Nun habe ich alle Rechte für jedes Element auf dem „Compendium“. Ich muss rechtlich gesehen eine schriftliche Genehmigung von den Musikern und jedem, der einmal in irgendeiner Form daran beteiligt war, vorweisen. Selbst als sie zu mir persönlich sofort, „Ja, absolut kein Problem!“, gesagt haben, reichte das einfach nicht, sie müssen etwas schreiben. Und jede einzelne dieser Personen ausfindig zu machen, hat Monate gedauert. Dazwischen war ich auf Tournee oder habe ganz andere Sachen gemacht, also es war wirklich nicht einfach. Ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass irgendjemand gedacht hätte, dass ich dazu erst all diese Sachen brauchen würde. Als ich das Box-Set angekündigt habe, war das gesamte Design bereits komplett und danach hat es sehr lange gedauert, um tatsächlich alles einzufädeln. Also es wird noch kommen! Der Entwurf ist fertig, aber es muss auch in den Zeitplan passen, weil ich nicht ein Box-Set und dafür kein neues Album herausbringen will. Wenn ich wählen müsste, wäre es natürlich das „VNV“-Album, das hat Priorität. Das war alles zu dem „Compendium“, es wird definitiv kommen!“. Das, was sich im Folgenden trotz dessen anschloss, waren die ausgedehnten Feierlichkeiten zum zwanzigjährigen Jubiläum vor nationalem und internationalem Publikum, die mit ihren dreistündigen Sets ein umfassendes Potpourri aus zwei Dekaden bereithielten. Auch mit den sich anschließenden „Automatic Empire“-Konzerten zollte man der Vergangenheit livehaftig ihren verdienten Tribut und wagte eine Zeitreise in die prägende Frühphase und aktuelle Ära, bei der man es sich zur Freude der anwesenden Fans nicht nehmen ließ, ein komplett neues Album anzukündigen. Im November 2017 dann der Schock, als Quasi-Gründungsmitglied Mark Jackson völlig überraschend seinen Ausstieg bekannt gab. Ein endgültiges Aus sollte es aber nicht geben, aber würde es jetzt mit „VNV Nation“ weitergehen? Ronan Harris ließ seine Hörer nicht im Unklaren und hielt sie stattdessen über den weiteren Verlauf der immer weiter voranschreitenden Produktion via Social Media auf dem Laufenden. Auf dem eigenen Open Air „Unter Dem Himmel“ im Harzer Bergtheater zu Thale gab es mit der Live-Premiere von „Armour“ vorab eine erste Kostprobe, bis Anfang September dann die endgültige Ankündigung zusammen mit dem Veröffentlichungsdatum fiel. „Was lange währt, wird endlich gut?“...Am 12.10.2018 erscheint „Noire“ über Anachron Sounds.

Der bezeichnende Begriff des titelgebenden „Noire“ stammt aus dem Französischen und bedeutet frei übersetzt so viel wie „schwarz“. Weiterhin schließt sich hier die Definition zum klassischen Genre des sogenannten „Film Noir“ an, US-amerikanische Kriminalfilme der 40er und 50er Jahre mit zynischer Weltanschauung als handlungsorientierte Basis. Äußerst passend also, dass der offizielle Pressetext das neue Werk zudem als „dunkle und intensive Energie, die sich nicht zurückhält“ beschreibt. Ein Versprechen, dem bereits gleich zu Anfang ausdrucksstark nachgekommen werden soll... Ein abgründig tiefes Dröhnen gräbt sich aus dem Nichts beständig an die Oberfläche, schwillt bedrohlich vibrierend weiter an, vermischt sich mit schrillem Heulen und gellenden Echos, wie von tausend verlorenen Seelen. Es nimmt ein, gefangen und beängstigend riesige Gestalt an, den Hörer in dystopischer Leere und bedrückender Hoffnungslosigkeit zu isolieren, die jetzt wie zum Greifen nahe ist, bis das atmosphärische, auditive Unheil jäh von Ronan Harris Stimme aufgebrochen wird, welche sich ruhig, zögernd, fast schon ängstlich zitternd und bebend ihren Weg durch die tonnenschwere Schattendichte sucht: „A Million“. Plötzlich verdichten sich die Energien, nehmen an Kraft zu und vereinen sich mit einem drückenden Presslufthammer-Bass, danach in geisterhaft tänzelnden, hypnotischen Trance-Ryhthmen zu zerfließen. Immerzu angereichert von wohl dosiert eingestreuten, experimentellen Sound-Bruchstücken, um anschließend, den Mut gegen die Dunkelheit anzutreten scheinbar wiedergefunden, endgültig im kraftvollen Chorus, einem heroischen Befreiungsschlag gleichend, zu implodieren. Lasst uns in unserer eigenen Finsternis versinken, doch verliert euch dabei nicht! Der Kontrast folgt sogleich im Anschluss: Eine süßlich blubbernde Melodieführung, unterstrichen von Rhythmen im mittleren Tempo, mündet in eher gemächlich arrangierten Strophen, die zunächst weitestgehend vom ausdrucksstarken Gesang getragen werden und dann in einem emotionalen Chorus münden. „Armour“ ist in all seiner Gesamtheit ein lupenreiner Future-Pop-Song, wie er im Buche steht, was zuletzt nicht nur darin begründet ist, dass hier altbewährte und bestens bekannte Elemente des klassischen „VNV“-Sounds aufgegriffen werden. So könnte der kurzweilige Song ebenso gut der jüngsten „Automatic“- oder „Transnational“-Ära entstammen. Gerade dadurch wirkt dieser zwar schnell familiär und eingängig, jedoch auch genauso wenig überraschend und irgendwie gewöhnlich, was selbstverständlich dennoch nicht an dessen hoher Qualität zweifeln lässt. Jeder Mensch braucht in den nicht selten kräftezehrenden Kämpfen des grauen Alltags jemand Anderen, als starkes Schutzschild und emotionale Rüstung - „Let your amour cover me!“. Für wenige Sekunden breitet sich ein friedlicher Klangteppich aus, um sodann von einem reduzierten Motiv und angenehm leicht pochenden Beat abgelöst zu werden. „God Of All“ besticht durch seinen minimalistischen Drive mit bewusster Reminiszenz an die 80er und pendelt so verwirrend, wie ausgewogen zwischen leicht stampfendem Soft-EBM und fast schon fröhlich hüpfend instrumentiertem Synthie-Pop. Dass dem Track ein gewisser Retro-Charme innewohnt, der zuweilen etwas an typische „Welle:Erdball“-Gassenhauer erinnert, ist nicht zu leugnen. Unberechenbar, nicht klar zu kategorisieren und doch flüssig, groovt die launige Mid-Tempo-Nummer dennoch mit jedem neuen Durchgang mehr, den es aber auch zweifelsohne braucht. Mit dem mystisch betitelten „Nocturne No. 7“ gibt es danach eine echte Überraschung, die in dieser Form wohl nur die Wenigsten erwartet hätten. Dass die aufwändigen Arbeiten an „Resonance“ ihre Spuren im Sound der Band hinterlassen würden, war zumindest für Harris selbst jedoch von vornherein klar, wie er 2017 persönlich zu Protokoll gab: „Wir haben bereits vier komplett neue Arrangements geschrieben und gerade schreibe ich tatsächlich auch schon fürs nächste Jahr, weil es 2018 ein neues „VNV“-Album geben wird. Ich möchte aber auch gerne ein zweites „Resonance“-Album machen. Bei dieser Sache ist aber der Punkt, dass ich die neuen Songs speziell auf das Orchester zugeschnitten schreibe. Es gibt also keine elektronischen Versionen davon. Das war genau das, was ich von Anfang an wollte, weil ich denke, dass es zwar schön ist, Orchester-Versionen der Originale zu haben, aber es ist gleichermaßen auch eine echte Herausforderung und eine wundervolle Sache, wenn du etwas einzig und allein für das Orchester schreibst.“, schwärmt er und führt weiter aus. „Es gibt zwei Lieblingsstücke von mir auf „Resonance“. „Sentinel“ und „Resolution“, welches einfach atemberaubend ist! Aber das ist dann wirklich eine Menge Arbeit zusammen mit dem Arrangeur. Bei „Sentinel“ hingegen habe ich das Arrangement geschrieben und die Stimmung geschaffen, in der es spielt, weil ich meine ganz eigene Vorstellung davon hatte, wie dieses Stück zusammen mit einem Orchester klingen soll. Ich wollte, dass der Text hier auf eine gänzlich andere Weise interpretiert wird, dass, wenn du die Musik in einem anderen Gewand hörst, sie eine komplett neue Sichtweise auf den jeweiligen Song ermöglicht. Das zu machen, war wirklich eine wundervolle Sache!“. Bei all der deutlich hörbaren Passion für klassische Musik, ist die konzeptionelle Einbindung eines solistischen Klavierstücks mehr als nur nachvollziehbar. „Ich wollte auch immer schon ein Largo. Ein Largo eine Taktvorgabe, eine Art zu spielen. Weil es in dieser Musik keinen Takt pro Minute gibt. Da gibt es verschiedene Wege, wie etwa Andante oder Adagio, um etwas zu spielen. Das schönste Largo aller Zeiten ist für mich persönlich aus der Oper „Xerxes“, eines der schönsten Musikstücke überhaupt. Ich wollte das unbedingt machen und schon immer mal einen Stil wie diesen auf einem meiner Alben haben. Als ich an „Nova - Largo“ gearbeitet habe, war das ein großer Wunsch von mir. Das war ich, der gesagt hat, „Bitte, komponiere es für mich. Hilf mir, eines zu schreiben.“. Daraufhin haben der Klavierspieler und der Arrangeur mit mir zusammengearbeitet und etwas Wunderschönes geschaffen. Das ist Nichts, was du mal so eben nebenbei machst oder einfach wäre. Das ist meine Leidenschaft und in meinem Herzen, ich will das einfach machen. Also ja, davon wird es mehr geben, mach dir darum keine Sorgen.“, so Harris. Das reine Instrumental, mit Simon Jakubow am Piano, kann seine inspirative Herkunft nicht verleugnen und besticht in den folgenden sechs Minuten durch eine hauchzarte, fein perlende Tonabfolge, als geistige Verbeugung vor Erik Satie. Tatsächlich dürften Freunde von Komponisten wie Chopin oder Liszt hier ihre helle Freude haben, ist der Titel doch äußerst geschmeidig und höchstprofessionell eingespielt. Allerdings ist jener nach dem steten, flüssigen Aufbau der ersten drei Songs aber viel zu plötzlich gesetzt und bremst deren Flow viel zu hart aus, weswegen es an dieser Stelle deplatzierter wohl kaum wirken könnte.

Ebenfalls im weitesten Sinne von symphonischem Charakter geprägt, wenngleich auch viel eher in orchestral inspirierter denn rein kammermusikalischer Hinsicht, ist „Collide“. Bewusst reduziert breitet sich ein sphärischer Klangteppich als instrumentale Basis aus, die gänzlich auf den Gesang fokussiert und sendet in regelmäßigen Abschnitten pointiert Bass-Impulse. So mutet das Arrangement besonders eindringlich und fast schon sakral an, spätestens dann, als noch synthetische Chöre einsetzen. In ihrem Aufbau ruft die Ballade entfernt Erinnerungen an „Nova“ wach, wenn zum großen Finale die hochemotionale Dramaturgie mit futuristischem Übergang schlagartig angehoben wird, sich fortan in neue Höhen schraubt und in einem erhabenen, majestätischen Bombast mündet. Ein ergreifendes und trauriges Klagelied an die Menschheit und jedes einzelne Individuum, welches mit Nachdruck daran erinnert, dass auf Erden nichts ewig währt. „One day we will realise, that all worlds must collide.“. Das folgende „Wonders“ bietet beschwingt-schwelgerische Harmonien mit fancy 60‘s Sounds. Eine melancholische Synthie-Pop-Nummer in Reinform, die durch ihre angedeutete Retro-Note sehr ohrwurmig und teils dezent schlageresk daherkommt. Ein druckvoll pochender Bass leitet danach das aggressive „Immersed“ ein, das sich zunächst eher gemächlich stampfend im besten Style Oldschool-EBM gibt und vergleichsweise mit nur wenigen Sound-Komponenten auskommt. Erst bewusst grobschlächtig und sperrig gehalten, später dann noch mit verqueren Beat-Einschüben angereichert, bis dann ein martialisch prügelndes Electro-Massker losbricht und der Wut ihren freien Lauf lässt: „Give me peace or give me war!“. Eine schrille Sirene schlägt mehrmals heftig Alarm und wird danach mehrmals von scharf sägenden Synth-Spitzen erschüttert. Unterschwellig pulsiert und brodelt hier der Bass, wird noch kurz zurückgehalten, nur um dann unter finster flirrenden Rhythmen loszubrechen: „Lights Go Out“. Dunkel gestimmte Flächen untermauern die Lyrics von Harris und deren, in einen stark sarkastisch gehüllten Duktus, apokalyptisches Weltbild vor der thematisch bebilderten Kulisse einer nimmermüden Großstadt. Im Refrain zieht Tempo wieder gewaltig an und prescht in druckvoller Manier dringlich nach vorn, verzerrte Effekte und Endzeit-Attitüde inklusive. Wir sehen das nahende Ende auf uns zu rasen, tanzen gefährlich nahe und doch unbekümmert am Abgrund. Die Gedanken stets frei und sorglos, die Augen fest verschlossen... Wann werden die Lichter für uns endgültig ausgehen? „Guiding“ präsentiert sich anschließend als ein weiteres Instrumental, dass sich an dieser Position allerdings nun deutlich besser und vor allem stimmungsvoller einfügt, als noch der vierte Track. Das ist vor allem auch darin begründet, dass der allgemeine Stilbruch hier nicht ganz so frappierend stark ausfällt und insbesondere nach den beiden eher härteren Songs einen sehr gelungenen Ruhepol setzt. Das atmosphärische Interludium entfaltet sich langsam als perfektionistisch arrangierter Hybrid, aus abermals orchestral innewohnendem Spirit und leichten Electro-Zusätzen. Die sanfte Ausgestaltung gemahnt zeitweise gar etwas an typische Film-Soundtracks, wenn hauchdünne Soundflächen ruhig in den Äther schweben und sich in der scheinbaren Unendlichkeit wieder verlieren. Gegen Ende vereinen sich noch mächtige Streicher und eine eindrucksvolle Percussion miteinander, bauen sich zunehmend auf und leiten schließlich zum anfänglichen Fiepen der aktuellen Single „When Is The Future?“ über, das sich schon bald in treibende Rhythmen und technoide Melodien verkehrt. Ein unverkennbarer Club-Hit im Mid-Tempo, der die Waage zwischen kühl und maschinell, aber auch hoffnungsfroh und visionär stilsicher hält und zugleich eine Hymne an das Leben, Technologie Menschlichkeit und nicht zuletzt auch die titelgebende Zukunft ist. „Only Satellites“ knüpft genau dort an und treibt die entsprechende Thematik mit verträumten Vibes weiter voran. Auch wenn hier mit Sicherheit alles andere als ein schlechter Track vorliegt, muss man sich doch eingestehen, dass das extrem poppige, catchy Konstrukt im „Automatic“-Style hier etwas zu unspektakulär, berechenbar und vor allem belanglos geraten ist... Definitiv einer der schwächeren Songs auf „Noire“. Das dritte und somit letzte Zwischenspiel nennt sich „Requiem For Wires“ und beansprucht ebenfalls eine eher unpassende Position in der Tracklist für sich, war die ursprüngliche Intention wohl ein letztes Aufbäumen vor dem großen Finale. Doch dafür fehlt es dem gänzlich zurückhaltenden Stück, welches mit seinen elegisch-technisierten Quasi-Walgesängen noch am ehesten dem Ambient zuzuordnen wäre, einfach zu sehr an einer klar erkennbaren Struktur. Der endgültige Closer „All Our Sins“ entschädigt dafür umso mehr und reaktiviert zum Abschluss nochmal das gesamte Potential der Band. Durchgehend episch instrumentiert, begeben wir uns mit gewaltigem Pathos und von Weltschmerz geprägten Lyrics auf einen letzten Marsch, der uns eindringlich mit all unseren Sünden konfrontiert... Doch ist es für Sühne vielleicht längst zu spät?

Tracklist: 01. A Million

02. Armour

03. God Of All

04. Nocturne No. 7

05. Collide

06. Wonders

07. Immersed

08. Lights Go Out

09. Guiding

10. When Is The Future?

11. Only Satellites

12. Requiem For Wires

13. All Our Sins

Fazit:

Etwa fünf Jahre sind seit dem letzten Studioalbum „Transnational“ vergangen, dementsprechend hoch sind die Erwartungen der Fans an einen Nachfolger gewesen. Und exakt mit jenen spielt das aktuelle Epos nur allzu gern... Wichtig: In erster Linie ist „Noire“ als ein in sich geschlossenes Konzeptwerk zu betrachten und sollte im optimalen Fall, wie vom Interpreten selbst beabsichtigt, in einem kompletten Durchlauf genossen werden, damit es erst seine volle Wirkung entfalten kann. Tatsächlich sind die insgesamt dreizehn, thematisch fest miteinander verknüpften Songs ein wahrer Best-Of-Schmelztiegel, der die bezeichnendsten Tugenden des bekannten Projekts um Ronan Harris miteinander vereint. Angefangen von lupenreinem Synthie-Pop mit „Armour“ und „God Of All“, über sanfte Balladen wie „Collide“, stampfende EBM-Ausflüge und finstere Dark-Electro-Auswüchse durch „Immersed“ oder „Lights Go Out“, bis hin zum unumgänglichen Club-Hit „When Is The Future?“, deckt die umfassende Palette wahrlich viele der verschiedenen Spielarten des vielschichtigen Genres ab. Allerdings ist die größte Stärke, der schiere Facettenreichtum, zugleich auch die markanteste Schwäche des neuen Albums. So wird der rote Faden zwar lyrisch, nicht aber instrumental konsequent genug durchgesetzt, sodass die gewünschte Essenz leider streckenweise an Intensität verliert. Auch ist fraglich, ob es bei der doch recht geringen Anzahl an Songs wirklich notwendig war, gleich drei Instrumentalstücke einzubinden, zumal gleich zwei der Interludien durch ihre recht harten Stilbrüche eher aus der Immersion herausreißen, als das sie diese vertiefen. Doch ist dabei keineswegs abzustreiten, dass Harris hier abermals ein Händchen für perfekt ausgefeilte Texte, durchdachte Arrangements und große Melodien beweist, die in ihrer bloßen Qualität ein weiteres Mal ihres Gleichen suchen werden. Vielleicht ist „Noire“ nicht der direkt zündende Überflieger, den sich manche Fans so sehr erhofft haben, aber eventuell wirkt es gerade darum auch an vielen Stellen so überraschend, frisch und unverbraucht. Es ist ein schwarzer Rohdiamant mit seinen Ecken und Kanten, der sich dem Hörer nicht sofort in Gänze erschließt und definitiv erst seine Zeit braucht, bevor er dann umso mehr in die Schwärze mitzureißen weiß. Und so macht das 2018er Studioalbum seiner eingangs rezitierten Umschreibung am Ende doch noch alle Ehre: „Eine dunkle und intensive Energie, die sich nicht zurückhält“.

Informationen:

http://www.anachronsounds.de

https://www.facebook.com/VNVNation/

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