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BEITRÄGE:

  • AutorenbildChristoph Lorenz

Nightwish - Human. :II: Nature. (2020)


Genre: Metal / Alternative

Release: 10.04.2020

Label: Nuclear Blast (Warner)

Spielzeit: 82 Minuten

Pressetext:

Die Höhle, in der die Musik geboren wurde - NIGHTWISH führen uns in der Einleitung ihres 9. Studioalbums "HUMAN. :II: NATURE." an diesen Ort, zu dieser Zeit, als aus Klopfen und Stimmen erstmals Rhythmen und Harmonien wuchsen. Im Verlauf der Jahrtausende führte die Evolution dieses wunderbaren Kulturguts schließlich über Bach und Beethoven zu Blues, Rock und Heavy Metal - was die Finnen in ihrem Song "Music" im Zeitraffer nachvollziehen. Bereits in diesem ersten Track bringen NIGHTWISH all die Elemente ins Spiel, die sie im Verlauf ihrer Entwicklung, seit der Gründung im Jahr 1996 in der karelischen Kleinstadt Kitee, zu ihrem eigenen, unverkennbaren Sound verschmolzen haben. Das Keyboard, welches für Bandkopf, Hauptkomponist und Lyriker Tuomas Holopainen am Anfang der Entstehung jedes seiner Alben steht, kommt ebenso zum Einsatz wie die Uilleann Pipes des nordenglischen Multiinstrumentalisten Troy Donockley. Dessen traditionelle Klangfarben und Stimme stellen seit dem Album „Dark Passion Play“ (2007) und mit Troys Aufnahme als festes Bandmitglied im Jahr 2013 gewissermaßen die letzte, große Bereicherung des Sounds der Finnen dar. Natürlich drückt auch Gitarrist Emppu Vuorinen „Music“ mit einem rockenden Solo seinen metallischen Stempel auf - ebenso wie Ausnahme-Schlagzeuger Kai Hahto, der seit den Aufnahmen zu „Endless Forms Most Beautiful“ (2015) bei den Finnen sein vielseitiges und ebenso hochpräzises wie gefühlvolles Trommelspiel einsetzt. Das pointierte, warme Bass-Spiel des finnischen Rock-Veteranen Marko Hietala, der außerdem seine markante Stimme beiträgt, stützt als zweiter Rhythmus-Grundpfeiler das komplexe Klanggewölbe, dessen imposanter Überbaubau von grandiosen Chören und Streichern veredelt wird.

So wohlklingend die Männerstimmen von Marko und Troy auch sind, denen Tuomas auf diesem Album mit "Harvest" und "Endlessness" jeweils einen herausragenden Song auf deren stimmliche Klangkörper geschrieben hat - die gesangliche Führungsrolle liegt eindeutig bei Floor Jansen. Um den vollen Werdegang der Niederländerin zu erfassen, die im Oktober 2012 zunächst aushilfsweise und zwölf Monate später als festes Mitglied bei NIGHTWISH an Bord ging, braucht es ein Buch. Bereits bei den im Jahr 1995 gegründeten und im Jahr 2009 aufgelösten Symphonic-Metallern AFTER FOREVER machte Floor mit ihrer starken Bühnenpräsenz und ihrem kraftvollen, stilistisch vielseitigen Gesang auf sich aufmerksam. In ihren Anfangstagen fällt schon auf, wie hart und zielstrebig die charismatische Frontfrau an sich arbeitet. Ihr unbedingte Wille, die eigenen Grenzen stets zu erweitern, offenbart sich erneut auf "HUMAN. :II: NATURE.". Bereits auf dem Vorgängeralbum, „Endless Forms Most Beautiful“ aus dem Jahr 2015, lieferte Floor eine Weltklasseleitung ab, die NIGHTWISHs Orchester-Arrangeur Pip Williams, einem Musikdozenten mit absolutem Gehör, zu der berufenen Aussage brachte, dass „Floor die beste Sängerin für NIGHTWISH ist, da sie alle Stile perfekt beherrscht.“ Auf "HUMAN. :II: NATURE." demonstriert die Niederländerin erneut auf beeindruckende Weise, wie sie technisch höchst anspruchsvolle Passagen mit scheinbarer Leichtigkeit meistert und obendrein mit erstaunlich emotionalem Tiefgang zum Leben erweckt.

Floor steht stellvertretend für ein Charakteristikum der Finnen: Tuomas und NIGHTWISH streben stets nach dem Besten für ihre Musik. Nur allzu oft scheinen Folk-Metaller ihre Instrumentalisten im Pub um die Ecke zu rekrutieren. NIGHTWISH hingegen haben sich mit Troy Donockley einen der derzeit besten Uilleann Piper in die Band geholt. Auch arbeiten Rocker heutzutage gerne mit Orchestern und dabei ist der Preis für viele das entscheidende Kriterium. NIGHTWISH jedoch veredeln ihren Sound mit The London Session Orchestra, die neben Hans Zimmers Orchester in Hollywood an der Spitze ihres Genres stehen. Wie ein Sternekoch, so verfügt auch Tuomas über die Genialität, kompositorisch mit diesen feinsten Zutaten entsprechend virtuos umgehen zu können. Seine potenziert gewachsene Beherrschung der Möglichkeiten des orchestralen Klangkörpers - auch durch die mittlerweile nahtlose Zusammenarbeit mit Pip Williams - findet ihren bislang stärksten Ausdruck im instrumentalen zweiten Teil des Albums, welcher auf einer eigenen CD veröffentlicht wird. Die acht zusammenhängenden, aber weit gespannten Bewegungen des faszinierenden „All The Works Of Nature Which Adorn The World” sollten als Tuomas‘ „Liebesbrief an diese Welt“ verstanden werden. Diesesmusikalische Epos der finnischen Geschichtenerzähler ähnelt in seinem künstlerischen Ansatz beispielsweise den filmischen Betrachtungen irdischer Schönheit des britischen Naturfilmers Sir David Attenborough und können wie diese vielleicht auch zum Nachdenken über den Zustand unserer Erde anregen. Tuomas will NIGHTWISH aber explizit nicht als politische Band verstanden wissen.

Die Themenfelder „Mensch“, „Natur“ und „Technik“, „Kunst“ und „Musik“ ziehen sich als roter Faden durch "HUMAN. :II: NATURE.", das aber ausdrücklich kein Konzeptalbum ist. Auch die erste Single „Noise“ und das dazugehörige atemberaubende Video greifen auf selbstironische Weise das Thema des digitalisierten Menschen auf. Letzlich ist "HUMAN. :II: NATURE." eine musikalische Wundertüte, die von Rock bis Metal, von Folk Rock bis Neoklassik und einer immensen stilistischen Spannweite voller magischer Gänsehautmomente steckt, neue Pfade erforscht und dabei doch zu jeder Sekunde 100% NIGHTWISH bleibt. Als Dreingabe verspricht ein unfassbarer Detailreichtum spannende Entdeckungsreisen, die selbst nach Jahren des intensiven Hörens noch verborgene Geheimnisse finden lassen. Es braucht keine prophetische Gabe, um vorherzusagen, dass die Finnen ihrer Sammlung von 25 Platin- und 20 Goldauszeichnung mit diesem garantierten Klassiker in naher Zukunft noch weiteres Edelmetall hinzufügen werden.

Kritik:

"Noise from the sunless world

Your mirror is black, only a copy stares back

At a slave of brave new world

Noise to decoy the human voice

Brain insomniac, paranoiac

Endless noise"

Ein glasklares, klirrendes Geräusch durchströmt in scheinbar naturbelassen getakteter Regelmäßigkeit als nun fortwährender Widerhall die einstige Stille... Ganz so, als würde Stein auf Stein geschlagen werden. Ein natürlicher Schall, wie ein messerscharf-metallisches Echo, sendet sein ureigenes Signal instinktiv in die gefühlte Weite aus und verhallt langsam wieder dröhnend in der endlosen Leere seiner selbst. Irgendwo in der Ferne ertönt ein nebulöses Horn, flächendeckend voluminös und zugleich doch auch vorsichtig zurückhaltend von atmosphärisch dichten, sphärisch behafteten Ambient-Klängen grundiert. Undefinierbare, ja, vielleicht animalische Laute dringen jetzt zu Gehör und gehen dann in ein archaisch-schamanisches Trommel-Ritual über, das sich ekstatisch getrieben immer weiter in neue Höhen steigert, auf seinem gefühlten Höhepunkt unversehens abebbt und sich in temporärer Stille ergibt. Das hier bewusst simultan angelegte Intro findet seinen baldigen Übergang in den hauchfein umherschwirrenden, erhellend wabernden Keyboard-Flächen von Tuomas Holopainen, die den aufmerksamen Rezipienten als kleines, flackerndes Irrlicht auf seiner neuerlichen Reise durch die Finsternis zu begleiten scheinen, welche vorzeitig in einem ungemein berührend strömenden Bombast-Schwall aus majestätisch erhabenen, heroisch aufstrebenden Chören gipfelt. Jene vereinen sich plötzlich, als omnipräsentes Bindeglied zur Moderne, nahtlos mit der zurückhaltenden, leicht futuristisch geprägten Elektronik und implodieren sodann in schier überwältigender Erhabenheit aus zahllosen Streichern des London Session Orchestras zu einer emotional ergreifenden Essenz der Neo-Klassik - Was für ein mächtiger Auftakt! Erst nach den rund drei Minuten dieser sorgsamen Vorbereitung, dringt die unvergleichliche, zarte Stimme von Sängerin Floor Janssen durch. Gar untrennbar von sehnsüchtig klagenden Uillean Pipes und einer harmonisch beschwingten, verträumt tänzelnden Pioano-Tupfern begleitet, die alle Schatten mit ihrem gnadenlosen Anmut zu vertreiben wissen, um den charakteristischen, von cineastischen Motiven gestärkten Erzähl-Part zauberhaft zu unterstreichen. Jetzt nimmt das gesamte Arrangement durch das hintergründig dezent taktierende Schlagzeug allmählich und fast schon unbemerkt an Fahrt auf und gibt schließlich den kraftvoll überbordenden Startschuss in den signifikanten und melodiös powernden Refrain. Direkt von einem nur kurz angerissenen Solo-Part durch Gitarrist Emppu Vuorinen eingeholt, wird hier fließend der weitere Verlauf der Strophen vom fordernden Chor unterstützt, bevor jener dann wieder in den von aggressiv treibenden Riffs dominierten Part zurückschießt. Zusätzlich durch experimentell besetzte, wilde Klavier-Eskapaden untermauert, findet diese beeindruckende Manifestation in einem sinfonisch getragenen Hochgenuss endgültig ihre Gnade. Es geht um die schier unergründliche Mystik und den unerklärlichen Zauber einer seit jeher bedeutsamen Kunstform, welche die Menschheit schon seit Anbeginn der Zeit allerorts umgibt und untrennbar miteinander verbindet. Nach dem spektakulären Finale des vorherigen Meisterwerks „Endless Forms Most Beautiful“ aus dem Jahr 2015, dem über zwanzig Minuten langen Epos „The Greatest Show On Earth“, das thematisch die Evolutionstheorie des Naturforschers Charles Darwin aufgriff, orientieren sich die sechs Finnen dieses Mal also an der faszinierenden Entwicklung des Menschen selbst und zudem an den eng damit verknüpften, wesentlichen Ankerpunkten und Facetten seiner zugrundeliegenden Kultur. Es geht viele Millionen von Jahren zurück zu den ersten Gehversuchen, Lauten der Verständigung und improvisierten Rhythmen von Percussion und gemeinsamem Singen im Kollektiv, über die allseits prägenden Epochen der Klassik von Bach, Beethoven und Mozart, bis hin zu Jazz oder Blues und dann jeder nur erdenklichen Richtung, die sich daraus gesplittet zu eigenen Strömungen entwickelte und somit zu dem wurde, was noch bis zum heutigen Tage in diversen Arten existiert und wir bis zu unserem Ende hin begreifen werden. Egal, woher wir kommen und ganz gleich, wohin wir auch gehen: „Music“. Der folgende Song ist darüber hinaus auch die erste Single-Auskopplung des neuen Studioalbums, nämlich „Noise“. Mit dieser kraftvollen Up-Tempo-Nummer spielen „Nightwish“ ihre ganze Stärke aus und verweben abermals zeitgemäßen Metal mit symphonisch inspirierter Klassik: So findet sich der Hörer schnell in einem aufbrausend tosenden Orkan aus ungezähmt umherwirbelnden Streichern und dramatisch in Szene gesetzten Chorälen wieder, welche jetzt harsch auf treibendes Stakkato-Drumming und hart einschneidende Gitarren-Riffs prallen. Unterdessen lässt Jansens extrem wandelbares Organ verblüffend fließende Übergänge von sopranhafter Grazie bis erprobter Rock-Röhre zu, die nur allzu behände über die energetisch beeinflussten Strophen gleiten und sich schlussendlich in einem fürwahr sirenalen Gewitter der Elemente wiederfinden, gegen das sich die erfahrene Niederländerin mit scheinbarer Leichtigkeit und Variation behaupten kann, wie sie im komplexen und dennoch eingängigen Refrain fraglos unter Beweis stellt. Es ist die Musik gewordene Kritik an der Menschheit, die in ihrer schier gewissenlosen Dekadenz endgültig verlernt zu haben scheint, miteinander und nicht zuletzt auch dem eigenen Lebensraum richtig umzugehen. Ja, sich stattdessen lieber der steten Zerstörung und Ausbeutung ihrer Umwelt und der eigenen Spezies hingibt. Längst schon taub, stumm und blind durch den gedankenlosen Missbrauch von Medikamenten und anderen Rauschmitteln geworden, sich im komatösen Zustand aus unreflektierter Hörigkeit, blindem Vertrauen und der von diversen Abhängigkeiten geprägten Sucht nach multimedialer Präsenz befindlich. Es ist kein weltfremder Aufruf gegen den ohnehin unaufhaltsamen Fortschritt, jedoch die mehr als dringliche Forderung danach, jenem endlich mit dem notwendigen Verständnis und einer gesunden Reflexion zu begegnen, um diesen richtig nutzen und so für eine bessere Welt einsetzen zu können. Es ist fraglos essenziell geworden, all die natürlichen Entwicklungen und deren Prozesse bescheiden und offen anzunehmen, doch sollten wir dabei unsere Instinkte, Werte und Moral nicht allzu bequem an fremde Automatismen abtreten und dadurch das Menschsein selbst verkümmert zurückzulassen, sondern viel mehr begreifen, dass das echte Leben in seiner bunten Vielfalt und Pracht nicht virtuell, dafür aber vor unseren Augen liegt... Wir müssen dieses große Geschenk nur wieder annehmen lernen wollen.

Das nächste Stück ist danach dem Astronomen Eugene „Shoemaker“ gewidmet und wird zunächst von einer träumerisch-friedvollen Vorlage aus Zither und Klavier eingeleitet, bis sich dann die kräftige Gitarren-Power in Vordergrund spielt und die Komposition zu einer vereinnahmenden Mid-Tempo-Ballade anwachsen lässt. In ihrem weiteren Verlauf manifestiert sich dabei ein gesanglicher Wettstreit zwischen Multiinstrumentalist Troy Donockley und Floor Jansen, wobei insbesondre Letzterer erfreulich ausreichend Raum gelassen wird, ihre stimmliche Vielfalt nahezu im gesamten Umfang der klassischen Ausbildung variieren und sich somit fast schon zu operettenhaften Tonlagen aufschwingen zu lassen. Ein wahnsinnig dynamisches Folk-Duett allererste Güte, welches, trotz seiner geerdeten Belassenheit in Thematik und musikalischer Ausrichtung, gegen Ende nicht nur vollmundig von ausladenden Orchester-Parts und einer narrativen Spoken-Word-Passage gerahmt wird, sondern sich zudem gipfelnd in einem epochalen Abschluss ergießt. Das sich lückenlos anschließende „Harvest“ baut den folkigen Ansatz des vorherigen Songs nochmals um einige Nuancen weiter aus und transportiert mit seiner von jeglichem Pathos befreiten, aber dafür wunderbar natürlichen Machart die keltisch inspirierten, weiten Landschaften sofort an das innere Auge des Hörers, wie das breitgefächerte Instrumentarium aus allerhand Flöten und Sackpfeifen pointiert unterstreicht. Diese tragen maßgeblich zur stimmungsvollen Mitgestaltung bei und sind damit so viel mehr, als nur ein reines Stilmittel. Anfangs noch von rhythmischer Percussion getrieben, hat Donockley hier vor allem in gesanglicher Hinsicht seinen großen Auftritt, übernimmt er dieses Mal doch die gesamten Main-Vocals. Von einem hellen Piano und akustischer Gitarre atmosphärisch passend flankiert, unterstützen Bassist Marco Hietala und Jansen später im harmonisch vereinenden Chorus, welcher den ewigen Kreislauf aus Werden, Sein und Vergehen näher bringt und maßgeblich verdeutlicht, dass wir alle in dieser Welt nicht viel mehr sind, als ein einzelnes Sandkorn im Wind, ein kleines Rädchen im Getriebe. Wir kommen und wir gehen wieder, am Ende sind wir alle gleich. Der Text erdet und treibt den Hörer unvermittelt aus eingefahrenen Bahnen, strikten Hierarchien und digitalen Fantasien auf die Felder hinaus... Zurück zu den Wurzeln, zurück zum Ursprung, zurück zum Sein. Der überdeutlich fokussierte Keyboard-Einsatz seitens Holopainen setzt jetzt ein feinsinnig perlendes Glockenspiel frei und gemahnt sogleich in klassischer Manier an die frühen Tage der Band. Das entsprechende Muster wird jedoch alsbald von der typischen Wand aus druckvoll hämmerndem Schlagzeug und der stark prügelnden Gitarren-Front niedergerungen: „Pan“. Als sich die aufbrausende Wucht langsam wieder zu legen scheint, steigt Floor Jansen mit ihrer engelsgleichen, zarten Stimme ein und navigiert sodann durch die symphonische Schönheit der infernalischen Streicher und elektronisch quirligen Magie. Es soll nicht mehr lange dauern, bis jene wiederum äußerst konträr von den brutal schreddernden Saiten-Attacken gesprengt wird, welche daraufhin im puren Gigantismus aus flächendeckenden Soli-Einlagen und Chor-Intermezzi münden. Ein organisches Pochen, das in seinem gleichmäßigen Takt rhythmisch pulsierenden Herzschlägen gleichkommt, leitet danach „How‘s The Heart?“ ein, das einen merklich folkigeren Ansatz verfolgt. Sehnsüchtig tönende Flöten geben abermals das mittlere Tempo vor und festigen schwelgerische Gelassenheit für die Strophen, welche den Gesang immerzu gekonnt nach vorne spielen und folglich mit kleineren Keyboard-Einschüben etappenweise ein extrem eingängiges, angenehm poppiges Grundgerüst etablieren, das hauptsächlich von seiner glückseligen, leidenschaftlichen Note und Jansens starker Präsenz lebt. Zwar lässt die relativ glatt arrangierte Struktur die vielschichtig gelagerte Tiefe der vorherigen Stücke und eine einzigartige Denkwürdigkeit vergleichsweise weitestgehend vermissen, doch trotzdem erschaffen die Finnen hiermit eine wundervolle Power-Ballade, die sich in all ihrer erstaunlichen Leichtigkeit durchaus gut hören lässt. Ein synthetisch erzeugter, nervös flirrender Electro-Loop kreiselt stetig elegant umher und kreiert zusammen mit zaghaft angedeuteten Streichern, sowie den melancholischen, beflügelt schwingenden Klängen eines Klaviers die anmutig getragene Fläche als sichere Basis für „Procession“. Zusammen mit der ungemein anrührenden Interpretation von Jansen, lassen sich „Nightwish“ hier wieder erfreulich viel Zeit für einen sehr ausgewogenen Aufbau, der durch seine feinfühlig gediegene, aber dennoch durchweg abwechslungsreich gehaltene Ader den allgemeinen Spannungsbogen aufrechterhält, was demnach weder zu einseitig, noch zu überladen wirkt. Sacht von sehnsüchtig klagenden Flöten und einem sich immer mehr verdichtenden Piano erlöst, driftet der Song mit einem Mal zu seinem trügerischem Ruhepol, bis sich dann schließlich doch noch Schlagzeug und Gitarren jener Strömung hingeben, zugleich aber vorsichtig bis zum Ende zurückgehalten werden.

„Tribal“ ist fraglos der härteste Song der gesamten Tracklist und in seiner Grundausrichtung schon vom exotisch inspirierten Beginn an ungemein heavy, wenn sich alsbald apokalyptische Chöre mit brutalen Stakkato-Riffs und einem rhythmisch donnernden Drumming vereinen, die zur Vorlage für ein aggressiv besetztes Duett zwischen Hietala und Jansen werden. Ganz besonders sticht hier jedoch der stimmungsvolle Mittelpart voll ritueller Gesänge und der titelgebenden Trommel-Session hervor, welcher die wilden und ungezähmten Ursprünge der Menschheit kennzeichnet und sich dann in einen ekstatischen Reigen steigert. Leider geht die mangelnde Struktur später deutlich zulasten eines flüssigen Hörerlebnisses und macht erst mehrere Durchgänge notwendig, um einigermaßen einen Zugang finden zu können. Das große Finale der ersten CD wird danach vom ungleich spektakulär arrangierten Closer „Endlessness“ konstruiert, das seinen schwelgerischen Einstieg zunächst durch das kräftige Schlagzeug und hymnische Gitarren in traditioneller Manier erschafft, bis schließlich das dezent grundierende Keyboard atmosphärisch entzerrend einsetzt und dann zusammen mit Hietala im stampfenden Mid-Tempo voranschreitet. In der ganz hervorragend arrangierten Bridge vereinen sich jene beiden Elemente nochmals schlüssig mit der Stimme von Jansen zu einem ganz und gar grandiosen, sehnsuchtsvollen Refrain zu purer und herzzerreißender Leidenschaft. Die somit erzeugte Stimmung soll daraufhin noch in einem stürmischen Battle aus symphonischer Macht und kernigem Metal gipfeln, vor dessem Hintergrund sich die begnadete Sängerin zum letzten Mal bis zur Perfektion mit dem gesamten Spektrum ihrer schieren Stimmgewalt einbringen kann, ehe der durchweg emotionale Abgesang seitens der klassischen Note so anrührend, wie friedlich ausklingt. Die zweite Hälfte des Konzeptalbums namens „Nature“ geht im direkten Vergleich zu „Human“ musikalisch einen gänzlich differenzierten Weg und beinhaltet anstelle der Bekannten Kreuzung aus Metal und Klassik eine ausladende Suite in acht verschiedenen Teilen: Unter dem zusammenfassenden Titel „All The Works Of Nature Which Adorn The World“ verbirgt sich ein wahres Epos mit einer monströsen Spielzeit von insgesamt achtundzwanzig Minuten und dem Charakter eines stimmungsvollen Blockbuster-Soundtracks. Hier offenbaren sich die kompositorischen Qualitäten von Arrangeur Tuomas Holopainen, der jene zweite CD als einen „Liebesbrief an diese Welt“ bezeichnet, welche er auf diese Art schon mit dem anno 2014 veröffentlichten „The Life And Times Of Scrooge“ unter Beweis stellte. Das rein instrumentale und von einem echten Orchester eingespielte Magnum Opus wird von einem erzählerischen Part zu Beginn und am Ende eingerahmt, wobei sich jedes Stück einer bestimmten Facette der Natur widmet, die allesamt die pure Schönheit unserer Umwelt ausmachen. So stehen „Vista“, „The Blue“, „The Green“, „Moors“, „Aurorae“, „Quiet As The Snow“, „Anthropocene“ und „Ad Astra“ beispielsweise stellvertretend für Wälder und Wiesen, Flüsse, Bäche, Seen und das Meer, verschiedene Witterungsverhältnisse, die Sterne und das Firmament. Passend dazu erstreckt sich die Musik hier von aufwühlender Dramaturgie durch epische Chöre und Streicher-Passagen, bis hin zu ruhigen und friedlichen Momenten aus Flöte, Cello, Harfe, Klavier und atmosphärischen Geräuschkulissen. Das breite Spektrum nutzt die wechselnde Vielfalt seiner jeweiligen Elemente dazu, sich gegenseitig immer wieder abzulösen und somit über weite Strecken gekonnt an Spannung aufzubauen oder diese dann wieder gediegen abflachen zu lassen, was dem Hörer zwar oftmals eine schier atemberaubende, musikalische Pracht eröffnet, einen gewissen Kitsch-Faktor aber nicht verleugnen kann und in seinen fadesten Momenten sogar zu sehr und vor allem zu lange in seichte Verläufe verfällt, in denen leider nicht wirklich viel passiert. Besonders hervorzuheben ist bei alledem der rote Faden, der überdeutlich erkennbar und stellvertretend für den Gesang durch das Konzept führt, um die Fantasie des Hörers auf dieser Reise anzuregen. So ist „Nature“ ein inhaltlich passendes, wenngleich auch sehr unterschiedliches Gegenstück zur ersten CD, welches definitiv nichts zum oberflächlichen Konsum nebenbei ist, wohl aber zum aufmerksamen Genießen.

Tracklist:

CD 1

01. Music

02. Noise

03. Shoemaker

04. Harvest

05. Pan

06. How’s the Heart?

07. Procession

08. Tribal

09. Endlessness

CD 2

01. Vista

02. The Blue

03. The Green

04. Moors

05. Aurorae

06. Quiet as the Snow

07. Anthropocene

09. Ad Astra

Fazit:

Nach insgesamt fünf Jahren feiert die weltbekannte Symphonic-Metal-Legende „Nightwish“ endlich ihre langersehnte Rückkehr in die aktuelle Musikwelt und hat die insgesamt siebzehn Lieder ihres nunmehr neuntes Studioalbum „Human. :||: Nature.“ in die beeindruckende Form eines thematisch und stilistisch zweigeteilten Konzeptalbums gegossen. Bis auf wenige Ausnahmen mit den vorab veröffentlichten Singles „Noise“ und „Harvest“ oder auch „How‘s The Heart?“ und „Endlessness“ im weiteren Verlauf, benötigen allerdings beide Seiten erst ausreichend viel Zeit und Raum, um beim Hörer genügend wachsen und daraufhin ihr volles Potential entfalten zu können. Dieser Umstand ist nicht zuletzt auch darin begründet, dass dieses Mal deutlich weniger des klassischen Sounds, der die unangefochtene Speerspitze des symphonischen Metal einst so sehr bekannt machte, geboten wird und wenn, dann in einer deutlich anders verlagerten Gewichtung. Wenngleich es natürlich auch beim aktuellen Release wieder genügend charakteristische Einflüsse wie etwa das druckvolle Schlagzeug-Spiel eines Kai Hahto, cineastisch inszenierte Keyboard-Flächen von Tuomas Holopainen, virtuose Gitarren-Soli durch Emppu Vuorinen und markante Duett-Passagen zwischen Marco Hietala und Floor Jansen gibt, bei welchen insbesondere die unglaublich talentierte Frontfrau mit so dermaßen viel hörbar begnadeter Hingabe, dichtem Volumen und fast schon unzählbar vielen, neuen Facetten ihrer bis zur bloßen Perfektion geschulten Stimme brilliert, wie selten zuvor! Einen weiteren Gewinn stellt hier fraglos Multiinstrumentalist Troy Donockley dar, der seit 2013 ein festes Mitglied der finnischen Band ist, bedient er rein musikalisch doch nicht nur ein erfreulich breites und stimmungsgeladenes Spektrum, sondern glänzt nun auch immer wieder in gesanglicher Hinsicht. Wurde jene Neu-Ausrichtung in dieser hohen Intensität bereits auf dem direkten Vorgänger „Endless Forms Most Beautiful“ mit „Élan“ oder „My Walden“ teilweise schon überdeutlich angerissen, so verdichtet der Sechser die entsprechenden Einflüsse nun nochmals umso mehr, wenn verstärkt eher ungewohnte Klänge der Neo-Klassik und der Folk ihren dominant prägenden Einzug in die Songs halten. Leider verlieren sich die arg verkopften Arrangements dadurch an manchen Stellen viel zu sehr in ihrem eigenen, dichten Konzept, indem sie zu häufig auf atmosphärische Übergänge, getragene Rhythmen und komplexe Zwischenspiele zurückgreifen, was einen nicht gerade kleinen Anteil der meisten Stücke unnötig überladen ausbremst und so die oftmals eigentlich vorhandene Hit-Stärke mit der typischen Handschrift verhindert. Nichtsdestotrotz liefern „Nightwish“ ihren Fans auch 2020 wieder ein hochklassiges Studioalbum in gewohnter Qualität, das stellenweise sogar die Seele der ersten Tage in sich trägt, gleichzeitig in vielen Momenten aber auch sehr viel mehr Aufmerksamkeit, Interesse und Aufgeschlossenheit vom Hörer einfordert, um seinen ganzen Zauber wirkungsvoll zu entfalten.

Informationen:

https://nightwish.com

https://www.facebook.com/nightwish/

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