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BEITRÄGE:

  • AutorenbildChristoph Lorenz

Marilyn Manson - We Are Chaos (2020)


Genre: Metal / Alternative Release: 11.09.2020

Label: Caroline (Universal Music)

Spielzeit: 43 Minuten Pressetext:

Mit WE ARE CHAOS erscheint am elften September das mittlerweile elfte Studioalbum von Marilyn Manson. Dieses entstand in enger Zusammenarbeit mit Shooter Jennings, der seines Zeichens Grammy Preisträger ist und es immer wieder geschafft hat, Künstlern neue Facetten zu entlocken. Manson sagt über das Album: „Wenn ich WE ARE CHAOS jetzt höre, kommt es mir vor, als wäre es gestern gewesen oder, als ob sich die Welt wiederholt, wie sie es immer tut, und lässt den Titeltrack und die Geschichten so erscheinen, als hätten wir sie heute erst geschrieben. Die Aufnahmen wurden komplett abgeschlossen, ohne dass eine Menschenseele das Album währenddessen gehört hat. Es gibt auf jeden Fall eine Seite A und eine Seite B im traditionellen Sinn. Aber genau wie eine LP ist es ein flacher Kreis und es liegt am Zuhörer, das letzte Stück des Puzzles in das Bild der Songs einzufügen." Mit dem Wissen, dass das Album entstand, bevor unsere Welt von einer Pandemie heimgesucht wurde, kommt man nicht umhin, eine gewisse Vorahnung in diesen zehn Songs zu entdecken.

Kritik:

„We are sick, fucked up and complicated

We are chaos, we can't be cured

We are sick, fucked up and complicated

We are chaos, we can't be cured"

Elternschreck. Schock-Rocker. Legende. Antichrist Superstar. Brian Hugh Warner alias „Marilyn Manson“ sind, als Essenz des steten Medienrummels, nicht zuletzt aber auch durch seine perfekt geplante Selbstinszenierung, in all den Jahren mannigfaltige Bezeichnungen und Namen zuteil geworden. Der am 05.01.1969 geborene Musiker, ist das Kind eines ehemaligen Vietnamkrieg-Piloten und einer Krankenschwester, wuchs während seiner behüteten Jugend in Ohio auf. Genau fünfundzwanzig Jahre später legte er 1994 mit seinem Debüt „Portrait Of An American Family“ den verheißungsvollen Grundstein für seine weitere Karriere, mit welchem er die scheinheilige Fassade jeder spießigen Kleinbürgerschaft persiflierte. Weitere Folgealben wie das giftige „Mechanical Animals“ sollten den frisch erlangten Status des US-Amerikaners fortan mit Leichtigkeit sichern, doch ließen erste Skandale fernab des konzeptionellen Horror-Theaters nicht mehr lange auf sich warten. Beim grausamen Massaker an der Columbine-Highschool ermordeten 1999 Eric Harris und Dylan Klebold zwölf Schüler bei einem Amoklauf. Die folgenden Ermittlungen der Polizei ergaben, dass die beiden Täter leidenschaftliche Fans des Musikers gewesen seien. Die Situation drohte daraufhin zu eskalieren, Warner wurde zu einem Gejagten, einem gefürchteten Feinbild des ganzen Landes erklärt. In einem Interview antwortete Manson auf die Frage, was er den Mördern sagen würde, dass er ihnen vor allem erst einmal zuhören würde. Die Wogen schienen vorerst geglättet, doch ließ sich der Schock-Rocker künstlerisch niemals einschränken, hörte nie damit auf, weiter zu polarisieren. Er begann damit, sein Image auszubauen, zeichnete Gemälde auf Leinwand, wurde zum Ehrenmitglied der „Church Of Satan“ ernannt und war nicht zuletzt auch immer wieder durch seine Affären und Beziehungen ein Thema für die Presse. Im Jahr 2003 erreichte Manson mit „The Golden Age Of Grotesque“ musikalisch und showtechnisch vorerst seinen finalen Höhepunkt, bevor dann lange Zeit überraschende Funkstille herrschte. Warner ließ sich von Erotik-Ikone und Ehefrau Dita von Teese scheiden, durchlebte im Folgenden eine starke, persönliche Krise, bevor er 2007 durch „Eat Me, Drink Me“ sein Comeback feierte. Das Album wurde von Fans und Kritikern durchwachsen aufgenommen, der durchschlagende Erfolg von einst blieb aus. Aus der schillernden Kunstfigur war ein sichtlich gebrochener Mann geworden, der seinen eigenen Emotionen zum Opfer gefallen war, die er rund zwei Jahre später auf „The High End Of Low“ verarbeitete, welches die Anhängerschaft weiterhin spaltete. Zudem stand nun auch seine zuvor so hochgelobte Performance im Fadenkreuz der Kritik: Zahllose Besucher bemängelten bei den mitunter viel zu kurzen Konzerten einen lustlosen, gesundheitlich schwer angeschlagenen Sänger, der nicht selten unter Drogen zu stehen schien. Das tragische Ende? Mitnichten! Mit hörbar neuem Esprit spielte sich Manson 2012 durch „Born Villain“ zurück in die Herzen seiner Gemeinde, schien die einzigartige Kreativität und Düsternis endlich in sich wiedergefunden zu haben. Auch „The Pale Emperor“ war von nicht minder hoher Qualität ausgezeichnet, brachte gar neue Einflüsse wie schwerfälligen Blues in den melancholischen Sound mit ein. Ein wahrer Triumph! Nach einem aufsehenerregenden Teaser-Trailer, drei vorab live präsentierten Tracks, einer Abänderung des Titels und einer Verschiebung des ursprünglichen Veröffentlichungstermins von insgesamt sechs Monaten, erschien im Herbst 2017 das zehnte Werk, ehemals passend mit „Say10“ betitelt, jetzt „Heaven Upside Down“. Nur wenige Monate vor dem Release verstarb Mansons Vater, Hugh Warner, was den Zustand des berüchtigten Musikers verständlicherweise abermals erheblich beeinflusste und sich auch auf der zugehörigen Welttournee zeigte, auf welcher der Schock-Rocker zu allem Überfluss noch einem Unfall mit schwerer Beinverletzung erlag... Gar keine Frage: Marilyn Manson hat einmal mehr viele harte Jahre hinter sich, die treuen Fans machten sich weltweit berechtigt Sorgen um ihr großes Idol. Doch wie schon so oft, ließ sich der selbst ernannte Antichrist Superstar nicht annähernd unterkriegen und kämpfte beharrlich weiter gegen alle Widrigkeiten an. So war die Freude unter seinen zahlreichen Anhängern selbstverständlich groß, als im Spätsommer eine weitere Veröffentlichung angekündigt wurde: Für das nunmehr elfte Studioalbum, „We Are Chaos“, welches passend am 11.09.2020 auf dem Markt erscheint, tat sich Manson dieses Mal überraschend mit dem US-amerikanischen Country-Musiker Shooter Jennings zusammen. Was diese exotisch-interessante Kooperation zweier Gegensätze für den Rezipienten bereithält, erfahrt ihr jetzt in den folgenden Zeilen...

Für nur wenige Sekunden ist es nach dem just erfolgten Start des neuen Studioalbums ganz und gar ruhig... Viel zu ruhig. Ja, es herrscht absolute, dichte und scheinbar unendlich anhaltende Stille. Eigentlich etwas Normales und Alltägliches, was jedoch, wie schon so viel Vergangenes im düsteren Zerrspiegel des bizarren Manson-Kosmos, vor ebenjenem Hintergrund jetzt doch merkwürdig beunruhigend, gespenstisch und irgendwie bedrohlich erdrückend wirkt. Dieser erste Eindruck ändert sich auch dann nicht, als mit einem Mal ein pulsierend zuckender, finster elektronischer Beat bedrohlich aus dem tiefsten Nichts strömt, immer weiter anschwillt und dabei zu einem konstanten Dröhnen aufsteigt. Während seine grundlegende Intensität sich immerzu steigert und mit zusätzlich mit gar fies stechenden, hintergründig lauernden Sound-Auswüchsen und sonderbaren Samples untermauert wird, dringt ganz plötzlich eine vertraute Stimme durch die finstere Atmosphäre, welche mittlerweile unaufhaltsam weiter anwächst und wie dicker, schwarzer Teer alles umschließt und es beinahe zu verschlingen droht: „I can stick a needle in the horror and fix your blindness. See, I was a snake, but I didn't realize that you could walk on water. Without legs...“, verkündet Manson die ersten Zeilen in bester Spoken-Word-Manier, während sein markantes Organ immerzu stark verfremdet wird. Mal ganz nahe und puristisch, mal weiter entfernt wie ein endlos gellendes Echo und dann doch wieder abgrundtief. Seine Worte sind durchdringend und gehen insbesondre auf dem instrumental horroresken Fundament fürwahr durch Mark und Bein. Fast scheint es so, als zitiere der Künstler hier aus der Bibel oder anderen heiligen Schriften. Ganz so, als befände er sich in Person des Höllenfürsten selbst im eindringlichen Zwiegespräch mit einer göttlichen Macht und prophezeite ihr und allen Menschen den Untergang dieser Welt. Er wandelt fließend zwischen seinen Gestalten und Formen, bezeichnet sich als „Königsbiene“ und droht nun damit, jede einzelne Blume auf der Erde zu zerstören und den Globus in klebrigen Honig zu hüllen, sodass alle Lebewesen sich selbst auffressen werden. „My eyes are mirrors... All I can see are gods on the left and demons on the right!“, spricht er zum jähen Abschluss des vorausgegangenen Intros, bevor seine Worte von einem rhythmisch trommelnden Schlagzeug und schrillen, dämonischen Schreien abgelöst werden. „Set fire to the tree of life. Not for death, just to watch the suffering. Get high on the smoke and dance in the ashes!“, singt Manson in der ersten Strophe und macht unweigerlich direkt klar, dass sich auch nach all den Jahren nahezu nichts an seiner Attitüde verändert hat. Nein, der Schock-Rocker ist nicht müde geworden, sich jegliche Ideologien aus Religion und Politik zu Eigen zu machen, um diese sodann auf seine ganz unnachahmliche Weise in ihre jeweiligen Bestandteile zu zerlegen, ihre heuchlerische Manipulation ungeniert zu enttarnen und in einem alles verschlingenden Inferno lichterloh zu entfachen. „Am I garbage or God? Church or a trashcan? Either way you're a waste of my time!“, konstatiert er mit einem giftigen Nachdruck aus erschütternden Scream-Passagen im brachial wütenden Refrain, unterdessen schrammen die harschen E-Gitarren angriffslustig mit scharfen Saiten. Die dunkle Eröffnungszeremonie „Red, Black And Blue“ nimmt direkten Bezug zu den manson’schen Wurzeln des rabiaten Industrial-Rock, stellt allerdings keine Vorschau für das übrige Werk dar, welches musikalisch meilenweit von den rebellischen Anfangstagen entfernt ist. Möchte man die hier besungene, mysteriöse Kombination der entsprechenden Farben dechiffrieren, lässt sich dabei noch am ehesten ein indirekter Querverweis im Bereich des gesamtgesellschaftlichen und politischen Symbolismus finden: So steht Rot etwa seit jeher für den alleinigen Anspruch auf Herrschaft und Macht, Schwarz für den Anarchismus und Blau gilt als Grundfarbe für Liberalität, Freiheit und den Frieden. Es ist die Summe ihrer Teile, eine Art von übergreifender Gesamtheit, die scheinbar alles in sich vereint und gegensätzliche Widersprüche gekonnt gegeneinander ausspielt. Der aktuelle Titeltrack und gleichzeitig auch die erste Single-Auskopplung, sorgt bei Veröffentlichung für so manche Furore im Lager der gespannt wartenden Fans. Doch nicht etwa, weil Manson einmal mehr besonders stark provozierte, sondern weil das hier Gebotene so dermaßen anders und tatsächlich unerwartet soft klang! „We Are Chaos“ ist, wie so einige Songs auf diesem Album, ein ungemein gekonnter, da verblüffend unvorhersehbarer Ausbruch aus dem engen, selbstgeschaffenen Korsett der eigenen Stilrichtung. Wirklich berechenbar war Manson zwar nie und stellte seine Anhänger immer wieder vor viele Neuerfindungen, doch war ein so extremer, einschneidender Bruch in vielerlei Hinsicht nun wirklich nicht zu erahnen. Es ist die überwältigende Macht der Überraschung, welche die zauberhafte Sogwirkung dieses Stücks in bester Singer-Songwriter-Manier so sehr auszeichnet. Den Anfang markiert eine behutsame Akustikgitarre, über deren anschmiegsame Melodie sich alsbald die helle Stimme von Manson legt, bis der folgende Refrain ein bisschen aufbricht und dezentes, aber pointiertes Drumming und clean rockende E-Gitarren einsetzen. Mit seinen perfekt ausbalancierten, sanften Anleihen aus angedeutetem Country und zurückhaltenden Pop-Rock-Elementen, schafft der Künstler eine mutige und zugleich glaubhafte Basis, die teilweise etwas an die sphärisch schwebende Präsenz eines David Bowie erinnert. Klar hervorzuheben ist hier der Kontrast zwischen Text und Musik, irgendwo zwischen friedlicher Melancholie und Weltschmerz. Anfangs noch als persönliches Lied über die eigene Gefühlswelt verfasst, verselbstständigte sich der Song schon bald als gemeinsame Hymne für die Fans und weit darüber hinaus. Entgegen der Thematik über das globale Geschehen, wirkt Manson hier zu keiner Zeit wütend oder ernüchtert. Viel eher so, als hätte er endlich seinen Frieden mit der Menschheit und ihren selbstzerstörerischen Eigenschaften gemacht. „We Are Chaos“ wirkt wie eine versöhnliche Betrachtung aus weit isolierter Ferne, fast, wie von einem fremden Planeten aus. Ein stiller Beobachter, den all das menschengemachte Leid, die Angst und der Schmerz längst nicht mehr sonderlich bewegt oder erschüttert. Ja, man könnte meinen, Manson hat sich mit den Fehlern dieser Spezies abgefunden: „We can‘t be cured“.

In eine musikalisch recht ähnliche Kerbe schlägt danach auch die zweite Single namens „Don‘t Chase The Dead“. Während das dominant drückende Schlagzeug anfangs noch einen schwungvollen Einstieg vorgibt und auch die hier hintergründig eingewobenen, leichten Screams von Manson zunächst eher härtere Gefilde vermuten lassen, erweist sich der Song gegenteilig schnell als catchy Nummer irgendwo zwischen leichten 70‘s-Anleihen und charmant angedeutetem Achtziger-Rock im Roadmovie-Style gleichwohl. Die Drums und Gitarren sind definitiv hörbar präsent, halten sich in ihrer Intensität aber vornehm zurück und lassen stattdessen unterstützend dem Klavier und vor allem der Stimme den Vortritt zur weiteren Ausgestaltung. Das funktioniert wirklich gut, denn so entwickelt das Lied einen enorm lässig groovenden Drive, der fast ein bisschen Rock’n’Roll und Outlaw-Feeling transportiert, was den atmosphärischen Faden des Albums gut fortführt. Lyrisch kommt das alles jedoch relativ nichtssagend und ohne wirkliche Kernaussage oder überraschende Wendungen daher, wenn in den Strophen manches Gegenteil miteinander gepaart wird. Also die schöne Idylle so mancher Freude mit der verheerenden Zerstörung als Kontrast, um aufzuzeigen, wie schnell alles im Leben ein jähes Endes nehmen kann. Nichts Neues, trotzdem ein grundsolider und vor allem wirklich guter Song! „Paint You With My Love“ markiert danach die erste von insgesamt vier Balladen in der Tracklist, was, zumindest mit den Vorgängern verglichen, schon eine beachtliche Anzahl für Mr. Manson ist. Und nicht nur das allein, denn das Arrangement erinnert doch tatsächlich an die „Beatles“ und Elton John. Wer hätte das jemals für möglich gehalten? Neben dem gespenstischen Einsatz seiner Stimme, fungieren hier hauptsächlich das Piano und die akustische Gitarre als Träger der ruhigen und wirklich sehr schönen Melodie. Auch der Gesang in den Strophen stellt sich als sehr ausdrucksstark heraus und wird fantastisch eingesetzt, was insbesondere für den emotional ergreifenden Refrain gilt. Scheinbar gänzlich ohne Scheu, gewährt Manson seiner Hörerschaft einen tiefen Einblick in das Innerste, präsentiert seine Gefühlswelt nackt und denkt offenbar nicht einmal daran, das alles hinter verklausulierter Bildsprache zu verstecken, was lange nicht das einzige Mal auf diesem Album bleiben soll. Nein, Manson zeigt seine nachdenkliche und romantische Ader, ganz ohne doppelten Boden oder einen Hang zur überschattenden Düsternis, gibt sich dafür grundehrlich und ungekünstelt. Sehr ungewohnt, aber deswegen nicht weniger gut... Im Gegenteil! Eine weitere Steigerung dieser Spielart wird bereits direkt danach durch das fantastische „Half-Way & One Step Forward“ erreicht: Wieder einmal spielt hier das berührend eingesetzte, gespenstisch leicht verstimmte Klavier eine ungemein tragende Rolle für den Kern des gesamten Songs, wenn nicht sogar die Tragendste überhaupt! Dazwischen sendet ein synthetisch blechernes Pfeifen ein hallendes Echo aus, sodass man sich gleich in der tragischen Stimmung verloren fühlt, welche das gesamte Stück mit ihrer eindringlich packenden Dramaturgie ausfüllt, wie es schon lange kein Manson-Song mehr vermochte. „I need a raincoat for tomorrow. It's about how much people cry, when you die. It's not about the storm of tears that you make when you're alive...“, heißt es da überzeugend in der Bridge, die unweigerlich zum Nachdenken darüber anregt, worin der eigentliche Sinn des Lebens liegt. In der zweiten Strophe kommen noch angedeutete Streicher hinzu, die der einfühlsam powernden Melodie zusätzlichen Aufschwung verleihen, bis im emotional dargebotenen Chorus ein leichter Beat mit wiederkehrenden Elementen vom Beginn einsetzt - Gänsehaut. Ungemein berührend, wahnsinnig fesselnd und ohne Frage eine der besten Manson-Balladen überhaupt!

Erst mit dem sonderbar beklemmenden „Infinite Darkness“ naht dann der erste Wendepunkt in der Tracklist, der einen krass einschneidenden Kontrast setzt: Die elektronisch pochende, bedrohlich tönende Komponente dient anfangs als grundierende Basis, die im direkten Vergleich zu den vorherigen Songs keine klar strukturierte, eingängige Linie aufweist. Stattdessen knarzt und knackt es hier an allen denkbaren Ecken und Enden, das Instrumental streckt seine kernigen Industrial-Wurzeln hörbar aus. „My dirty dreams are filled with ghosts. Drowning in a shallow puddle. My muck and mud is thicker than the quickest of my demons.“, flüstert Manson eindringlich mit gedämpfter Stimme. Unterdessen scheint sich das Arrangement immer weiter furchteinflößend aufzubäumen, sodass man die alles verschlingende Dunkelheit um sich greifen spüren kann, bis die Dämme unter ihrer Last nachgeben und die zügellosen Schatten schließlich tosend ausbrechen: „Someone's gonna die soon, don't get in the way. You're not the hero, you're not the hero. You're dead longer than you're alive!“, brüllt Manson jetzt abwechselnd in aufwühlend intensiven Scream- und Shout-Passagen wie zu seinen besten Zeiten, harsch schreddernde Metal-Riffs schleppen sich ungnädig peitschend voran und untermauern das Besungene mit erheblichem Nachdruck. Der Sound ist schonungslos rough und erinnert damit unweigerlich an die „Holy Wood“-Ära, wenngleich längst nicht so derb und brutal im finalen Ausbruch. Er kann’s noch! „Black is real, you can't hide. Hearts are the darkest, when you see without the sun!“. Das nachfolgende „Perfume“ bewegt sich im selben Fahrwasser, kommt dafür aber viel eher lyrisch augenzwinkernd und elegant groovend, denn verwinkelt, schwer zugänglich oder manisch destruktiv daher. Zudem fungiert Mansons Stimme hier als obgliatorisch hoch gepitchtes Loop-Sample aus dem Hintergrund, wie schon damals zu seligen „Antichrist“-Zeiten, welches nun immerzu „Get behind me, Satan!“ flehend beschwört. Dazu durchsetzen knackig breite Gitarren und ein widerspenstig schrammender Bass die jeweiligen Strophen und sorgen so für eine obskur schillernde Glam-Rock-Attitüde zum garstig dargebotenen Text, der zynisch propagiert, dass wenn man schon den Teufel durch dein Ansinnen freigiebig zu sich einlädt, auch besser ein bequemes Quartier für ihn bereithalten sollte. So werden fadenscheinige Motive vor der bröckelnden Maskerade ehrenwerter Vorhaben in Frage gestellt und mit der gewohnten Prise schwarzen Humors enttarnt. Ein schrill verzerrtes, disharmonisches Keyboard-Solo dient später als Outro vor dem letzten Refrain, in dem dann instrumental wieder voll aufgefahren wird - Sehr gut! „Keep My Head Together“ ist danach der dritte und zugleich auch letzte, reine Rock-Song in Folge und dieser hat es nun nochmals wahrlich in sich! Ein signifikantes, extrem eingängiges Riff rockt hier gleich von Anfang an kompromisslos straight nach vorne und gibt somit die rhythmische Richtung vor, während Manson mit enorm verfremdeter Stimme gefiltert die Zeilen der ersten Strophe flüstert, bis sodann die kurze Bridge direkt zum energetisch kickenden Chorus führt, welcher die anfangs trügerische Ruhe im Handumdrehen mit viel losgelöster Power aufpeitscht und einen dermaßen grandiosen Ohrwurm nach Maß abliefert, wie es ihn im Hause MM zuletzt nur sehr selten gab. „Don't try changing someone else, you'll just end up changing yourself. I keep my head together. Better keep your head together!“. Ganz besonders hervorzuheben ist dabei der atmosphärisch beladene Effekt verzerrt hallender Gitarrensaiten, der parallel für ein schwelgerisches Echo sorgt. Nur ein kleines Detail, das die sehnsüchtig treibende Melancholie der ermutigenden Lyrcis voller Reflexion und uneingeschränkter Bekräftigung des eigenen Wesens jedoch perfekt instrumentiert einfängt! „Niemals wirst Du aus den anderen Dingen die Einheit schaffen, wenn nicht zuvor Du selber ein Einiger geworden bist.“, sagte einst schon der Gelehrte Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim und diesen Worten nimmt sich im weitesten Sinne auch das vorletzte Stück namens „Solve Coagula“ an. Der Titel bezieht sich dabei auf eine aus der Alchemie gebräuchlichen Redewendung „Solve et coagula“, was so viel bedeutet, wie die jeweiligen Eigenschaften einer bestimmten Sache voneinander zu trennen und zu zerlegen, um diese dann anschließend zu einer neuen und verbesserten Version ihrer selbst zusammenzuführen. Den Beginn bereitet hier der ruhige Einsatz von gediegenen Streichern, worauf dann die markante Gitarre lässig groovend einsteigt und folgsam eine derart dichte, melancholische Outlaw-Atmosphäre versprüht, die direkt einem alten Western-Film entsprungen sein könnte, wodurch sich abermals Jennings deutlicher Country-Einfluss zeigt. Das Schlagzeug präsentiert sich unterdessen nicht übermäßig dominant, aber für den weiteren Verlauf doch enorm richtungsweisend. Leicht verquere, sorgsam eingestreute Keyboard- und Piano-Sprengsel runden den sorgsam arrangierten, sich mehr und mehr behutsam aufschwingenden Aufbau weiterhin gelungen ab, der seine wirksame Magie ansonsten voll und ganz aus dem wirklich überzeugenden, gefühligen Gesang zieht. „No one else I, no one else I wanna be like... So I stayed the same.“, bekennt Manson aufrichtig im starken Refrain, in welchem die hell rockenden Gitarren ungeschönt unterstützen, bis das Stück mit einer unmissverständlichen Botschaft ausläuft, die sich wie ein eigens bekräftigendes Mantra immerzu wiederholt: „I'm not special, I'm just broken and I don't wanna be fixed!“. Das große Finale mit „Broken Needle“ greift auf ein ähnliches Prinzip zurück und baut mit dem schallenden Echo einer einsam angestimmten Saite ab der ersten Sekunde eine durchweg ruhige, geerdete und isolierte Stimmung auf. „Are you alright? 'Cause I'm not okay. All of these lies are not worth fighting for. Are you alright?“, fragt Manson. Es soll der Grundstein für einen gar fantastisch inszenierten, dichten Spannungsbogen sein, der sich in all seiner packenden Dramaturgie schon ab der ersten Sekunde beständig erbaut, um sich dann gegen Ende schließlich in einem wahren Befreiungsschlag zu entladen, welcher von einem elegisch ausladenden, übermächtigen Gitarren-Solo eingeläutet wird, auf das der Musiker abschließend wieder einsteigt: „I'll never ever play you again. Then I'll put you away!“... Der würdige Abschluss für ein hervorragendes und überraschend anderes Album.

Tracklist:

01. Red, Black And Blue

02. We Are Chaos

03. Don't Chase The Dead

04. Paint You With My Love

05. Half Way And One Step Forward

06. Infinite Darkness

07. Perfume

08. Keep My Head Together

09. Solve Coagula

10. Broken Needle

Fazit:

Grenzenlose Dunkelheit - „Infinite Darkness“: So ist das von Marilyn Manson höchstselbst geschaffene Gemälde betitelt worden, welches auch gleichzeitig das kunstvolle Cover-Artwork des neuen Studioalbums mit dem apokalyptisch prophezeienden Namen „We Are Chaos“ darstellt. Zur großen Überraschung klingt dieses jedoch ganz anders, als man es angesichts der äußerlich finster verzerrten Ästhetik und natürlich nicht zuletzt auch ob seines verheerenden Titels wegen vermuten würde. Nachdem in der Vergangenheit Tim Skold, Chris Vrenna oder zuletzt etwa Tyler Bates an den Veröffentlichungen mitwirkten, hat der einstige Schrecken der globalen Musiklandschaft mit dem US-amerikanischen Country-Musiker Shooter Jennings auch dieses Mal wieder einen namhaften Partner als Co-Produzenten an seine Seite gebeten. Auf den ersten, oberflächlichen Blick eine doch recht ungewöhnliche, wenn nicht sogar unpassende Zusammenarbeit, die sich im Nachgang aber doch als extrem fruchtbar herausstellen sollte und der gespannten Fangemeinde zudem ganz nebenbei das insgesamt ausgewogenste, stärkste Manson-Werk der letzten Jahre beschert! Wie bereits die erste Single-Auskopplung des melancholischen Titeltracks lose erahnen ließ, wirkt sich die signifikante Handschrift von Jennings tatsächlich um einige sehr deutliche Nuancen auf den gesamten Sound und die grundlegende Atmosphäre des vorliegenden Konzeptalbums in drei Akten aus. Allerdings rein organisch, hervorragend passend und damit erfreulicherweise ganz ohne den ureigenen Charakter des berüchtigten „God of Fuck“ mit einem egozentrischen Alleingang unnötig zu verfälschen oder gar -fremden. Doch, ist Manson etwa immer nur so stark, wie seine aktuellen Partner? Mitnichten, die eigentliche Seele des Schock-Rockers ist dabei stets omnipräsent, wohnt fraglos jedem der insgesamt zehn Songs inne und reicht über weite Strecken sogar zum einstigen Quell der so oft glorifizierten Glanzzeiten Ende der Neunziger heran. So erinnert die spezielle Essenz von „We Are Chaos“ nicht nur an wahre Legenden des Business wie beispielsweise David Bowie, sondern stellenweise auch frappierend an den Glam-Rock-Vibe eines „Mechanical Animals“ in sanfter Verbindung mit der allgegenwärtigen Moderne durch „The Pale Emperor“. Das gesamte Werk klingt durchweg wie aus einem Guss, sehr geerdet, homogen, gereift und authentisch erwachsen, was vor allem dem mittlerweile etablierten Vorsatz zu verdanken ist, der nicht mehr länger unnötig erzwungen auf dem Fundament der visuellen und lyrischen Provokation aufbaut. Mit „Red, Black And Blue“, „Infinite Darkness“, „Perfume“ und „Keep My Head Together“ gibt es aber natürlich trotzdem eine gewohnt gute Handvoll an relativ brachialen, aggressiven Industrial-Metal-Walzen, die den kernigen Geist der frühen Tage atmen und das ansonsten eher erdig gediegene Gesamtwerk mit einem gesunden Maß an Härte anreichern, wenn auch lange nicht so unerbittlich, wie damals... Und das ist genau der richtige Weg! Manson hat sich in seiner Karriere nur selten wiederholt und selbst zitiert, stattdessen immer wieder neue Pfade beschritten, andere Stilistika ausprobiert und damit eine Reinkarnation nach der anderen in seinem ganz eigenen Kosmos etabliert. Dass der Musiker im gesetzten Alter nun nicht krampfhaft versucht, sich in seiner Königsklasse selbst zu überbieten, ist wirklich lobenswert und vor allem glaubhaft. Dafür gibt es mit „We Are Chaos“ das wohl melodiöseste und in sich rundeste Manson-Album seit zwanzig Jahren und obwohl die Texte manches Mal leider etwas schwächeln und praktisch nichts wirklich Neues bieten, zeigt sich der „Antichrist Superstar“ anno 2020 so verblüffend vielseitig und stimmlich überzeugend, wie schon lange Zeit nicht mehr. Wer sich mit dem erneuten Stil-Wechsel auch nur im Ansatz anfreunden kann und sich ausreichend offen zeigt, bekommt dafür das überraschende, wirklich brillante Spätwerk einer wahren Ikone vorgesetzt - Grandios! Und so möchte ich diese Rezension nun gerne mit jenen letzten Worten beschließen, die ich vor rund drei Jahren schon für die große Besprechung zu „Heaven Upside Down“ gewählt habe, weil sie wohl (leider) noch immer aktueller nicht sein könnten: Alles hat seine Zeit. Dessen ist sich auch Brian Hugh Warner mittlerweile bewusst, der zwar noch lange kein Schatten seiner selbst ist, dafür aber zu seiner eigenen, nostalgischen Marke, einem Relikt der Medienlandschaft, geworden ist und sich langsam dieser neuen Rolle zu fügen beginnt. Die Welt hat sich seit den Neunzigern weitergedreht: Nahezu überall geschieht Schreckliches, die Angst vor Krieg und Terror ist allgegenwärtig. Die medialen Einflüsse aus Filmen, Fernsehsendungen, Spielen, Nachrichten und nicht zuletzt auch dem World Wide Web zelebrieren tagtäglich ohne Pardon neue Grausamkeiten und jagen die Rekorde beim Überschreiten der einstigen Grenzen regelmäßig in neue Höhen. Ungleich anders, als noch vor einigen Jahren, ist heute ein absoluter Löwenanteil der Bevölkerung alles schon gewohnt, hat alles schon gesehen, alles schon gehört, sich alles schon vorgestellt. Es ist die uneingeschränkte Reizüberflutung einer allgegenwärtigen Brutalität, welche die neue Gesellschaft immer mehr als automatischer Selbstläufer gegen jeden noch so großen Schock abgerichtet, abgestumpft und abgehärtet hat. Wir leben in „Generation furchtlos“. Marilyn Manson hat das über weite Strecken erkannt, kämpft nicht mehr dagegen an und scheint sich seiner Zeit weiterhin zu stellen, die wahrlich nicht stehengeblieben ist. Im Gegenteil. Zumindest für das schauerlich konstruierte Alter Ego des Amerikaners ist diese nunmehr abgelaufen, für den talentierten Künstler in ihm jedoch zum Glück noch lange nicht. Es ist ein Fortschritt, der über kurz oder lang nicht mehr aufzuhalten ist. Die Monster von heute sind Andere, selten inszeniert und damit zumeist realer Natur, was den eigentlichen Schrecken und Horror daran ausmacht.

Informationen:

http://www.marilynmanson.com

https://www.facebook.com/MarilynManson

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