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BEITRÄGE:

  • AutorenbildChristoph Lorenz

M'era Luna Festival - Tag I - Flugplatz, Hildesheim - 12.08.2017


Veranstaltungsort:

Stadt: Hildesheim, Deutschland

Location: Flugplatz

Kapazität: ca. 30.000


Stehplätze: Ja

Sitzplätze: Nein

Homepage: http://www.meraluna.de


Einleitung:


Es ist Freitag, der 11.08.2018, etwa 13.30 Uhr. Mit dem Rollkoffer in der Hand steige ich aus der Erixx-Bahn und stehe schließlich auf Gleis 3 des Hildesheimer Bahnhofs. Bemerkenswert viel Zeit ist nicht vergangen, seitdem ich vor wenigen Stunden in Bochum dem ICE in Richtung Hannover zugestiegen bin. Die gesamte Fahrt ist dank der vorherigen Sitzplatzreservierung bisher erfreulich problemlos und entspannt verlaufen, besondere Zwischenfälle gab es nicht zu verzeichnen. Lediglich die vorherigen Wettermeldungen bereiteten mir Sorgen und spätestens als ich auf der Durchreise an Bielefeld vorbeifuhr, wurde mir mit einem flüchtigen Blick zum Himmel klar, dass ich mich immer weiter ins Auge des Sturms begebe. Die grauen Wolken nahmen auch mit fortschreitender Dauer kein Ende und schienen sich viel mehr immer weiter zu verdichten. Am Zwischenstopp in der niedersächsischen Hauptstadt angelangt, erwischte ich flüchtig meinen Anschluss und nun stehe ich vor dem Haupteingang des Bahnhofs meines eigentlichen Zielorts und warte auf ein Taxi. Und warte. Und warte. Eigentlich bin ich es nicht anders gewohnt, denn als ich das Festival zuletzt vor drei Jahren besuchte, sah es nicht anders aus. Zumindest was den nächtlichen Rückweg vom Gelände selbst anbelangte, glich die Suche nach einem verfügbaren Transportmittel einer wahren, glücksbedingten Jagd. Dass es nun einen ganzen Tag vor offiziellen Beginn allerdings schon genauso aussieht, habe ich nicht erwartet. Mein Gepäck hinter mir her ziehend, laufe ich die Straße vor der angrenzenden Businsel auf und ab. Ein dort haltender Wagen lehnt ab, er gelte nur als Ersatzverkehr für eine bestimmte Linie. Zu allem Überfluss fängt es jetzt auch noch direkt zu regnen an. Nach weit über vierzig Minuten erwische ich durch schnelle Reaktion und Zufall dann doch ein freies Fahrzeug und steige ein. "Einmal zum "Timphus"-Hotel, bitte.", gebe ich meine Route an. "Viel los hier, hm. Dieses Wochenende ist hier eine Veranstaltung...", begrüßt mich der Fahrer freundlich. "Habe gerade erst einen von den Schwarzen gefahren. Der war komisch. Die Stadt ist heute voll mit denen und alle wollen sie zum Flugplatz...", redet er unbekümmert weiter. "Mhm", antworte ich nur und denke mir meinen Teil. Dieses unliebsame Begrüßungskomitee passt so gar nicht zum sonstigen, sehr gastfreundlichen Verhalten der sympathischen Hildesheimer, von welchem ich mich bei meinem letzten Besuch selbst überzeugen konnte. Immerhin hilft mir der Taxifahrer dabei, mein Gepäck aus dem Kofferraum zu hieven. Ich bedanke mich artig und gehe zur Rezeption des Hotels, die sich inmitten der kleinen, angrenzenden Bäckerei befindet. Hier wiederum wird das nicht unbedeutende Wörtchen "Gastfreundschaft" direkt wieder umso größer geschrieben. Ich informiere die sympathische Verkäuferin an der Theke und sogleich verschwindet diese in einen Nebenraum, um die Chefin über meinen Check-In in Kenntnis zu setzen. Nicht viel später, setzt sich diese auch sogleich an einen kleinen Tisch samt Computer und ruft meine Daten ab. Ich bezahle vorab, erhalte meinen Schlüssel und wir halten noch einen kleinen Plausch über das Mera Luna, seine Besucher und die aktuelle Wetterlage. Die Atmosphäre hier ist durchweg herzlich und familiär. Das war sie schon im Jahr 2014, als ich genau hier zuletzt residierte. Ich ziehe den Koffer wieder hinter mir her, schließe im benachbarten Gebäude die Eingangstür auf und steige die Treppenstufen bis in den dritten Stock nach oben. Ich habe ein recht geräumiges Einzelzimmer, in dem neben einem großen Kleiderschrank, einer Kommode, einem Schreibtisch mit Fernseher und einem Bett auch ein separates Badezimmer mit WC und Dusche zu finden ist. Sehr schön. Direkt beginne ich damit, meine schwarze Festival-Garderobe in den Schrank zu hängen, meine Kulturtasche im Badezimmer auszuräumen und den Rest meiner Habseligkeiten in den Schubladen unterzubringen. Erst als mein Gepäck entleert ist, setze ich mich kurz und lasse die vergangene Reise etwas sacken. Zum Glück ist das Hotel sehr ruhig und gleichzeitig auch zentral gelegen und so gehe ich etwas auf Erkundungstour, auf der ich neben einem Supermarkt auch einen Kiosk und mehrere Imbiss-Restaurants entdecke. Ich nehme mir eine Pizza mit aufs Zimmer, doch leider vergisst der Verkäufer aber, etwas Plastikbesteck beizulegen. Kein Problem, das Personal im "Timphus" leiht mir freundlicherweise welches und so steht meinem Mittagessen nichts mehr im Wege.


Etwa eine Dreiviertelstunde später holt mich Christina dann mit dem Auto ab, welches sie direkt vor dem Hotel parkt. Wieder fängt es zu regnen an, doch das kann die Laune keineswegs trüben. Wir fahren in einen anderen Stadtteil, in welchem zwei Freunde eine Ferienwohnung bezogen haben, begrüßen uns, quatschen etwas und machen uns dann gemeinsam für den ersten Abend fertig. Zu viert geht es dann erstmal zu einer Jugendherberge nahe des angrenzenden Festivalgeländes, in welchem sich die Fahrerin des Wagens für dieses Wochenende einquartiert hat, um letzte Vorbereitungen zu treffen und das Fahrzeug sicher abzustellen. Anschließend steht erstmal einmal ein gewohnt langer Fußmarsch durch einen schier endlos anmutenden Firmenkomplex an. Nach weit über zwanzig Minuten ist der Pfad zum Flugplatz ersichtlich. Den Blick auf das weitreichende Grün gerichtet, reihen wir uns in die noch recht überschaubare Warteschlange an den Kassen ein. Nach der Vorlage unseres Tickets erhalten wir unser Festivalbändchen und können am erraten Gate passieren, wodurch wir den riesigen Campingplatz erreichen. Einige bepflasterte Wege zweigen in unterschiedliche Richtungen zu den Plätzen mit den Wohnmobilen und zahlreichen, bereits aufgebauten Zelten ab. In der Ferne ist schon die imposante Mainstage zu sehen, deren Beleuchtung für den morgigen Tag noch getestet zu werden scheint. Wir halten uns am örtlichen Wochenmarkt auf und schauen uns das Angebot an. Hier gibt es von Getränken, Zigaretten, Proviant und Campingbedarf wirklich alles zu günstigen Preisen. Wir holen eine Runde "Beck's" in Dosen, treffen einige Leute und unterhalten uns. Zwischendrin immer wieder präsent und nie wirklich weg: Regen. Das heutige Programm sieht mit Markus Heitz, Alexander Wohnhaas und Christian von Aster gleich drei verschiedene Lesungen vor, danach verwandelt sich der Hangar traditionell in eine schwarze Disco. Wir stellen uns für die Taschenkontrolle am Hauptportal an und nach einem kurzen Bodycheck dauert es nicht mehr lange, bis wir auf dem Gelände sind. Die starken Wasserfälle, die jetzt beständig immer mehr und mehr werden, schaden dem erdigen Grund erheblich und so finden wir uns schon bald in einem Meer aus Schlamm wieder, das es beschwerlich zu durchschreiten gilt. Demnach gering sind die Besuchermengen, die es uns gleich tun und als wir uns schaulustig Richtung Infield begeben, um die Bühne in näheren Augenschein zu nehmen, bekommen wir die Quittung für unseren leichtsinnigen Wagemut. Jemand aus unserer Gruppe rutscht aus, fällt mit dem Rücken in den Schlamm und verliert dabei seine Brille, die es für uns fortan zwischen nächtlicher Dunkelheit und prasselnden Regenströmen im Licht unserer Handytaschenlampen zu suchen gilt. Leider ohne Erfolg. Nach über einer Stunde geben wir schließlich durchnässt und entnervt auf. Unser eigentliches Vorhaben, der Besuch einer Lesung oder zumindest der des Disco-Hangars, fällt unerwartet und sprichwörtlich ins Wasser. Nachdem wir eine der rar verfügbaren Taxen erhascht haben, geht es für uns erst einmal wieder in die wärmenden Unterkünfte zurück. Schade, aber bald ist schon ein neuer Tag...

Samstag, 12.08.2017 - Mera Luna Festival - Tag I:

Doch auch der neue Tag sieht schon beim ersten Blick aus dem Fenster nicht unbedingt besser aus. Grau in grau. Sehr grau. Dunkelgrau. Jacke, Hose und Schuhe, die ich zum trocknen über Nacht im Badezimmer gelassen habe, sind ebenfalls noch immer genauso nass wie zuvor. Beste Voraussetzungen also, oder? Ich mache mich fertig, bringe das entliehene Besteck zurück in die Bäckerei und mache mich daran, alle örtlichen Taxiunternehmen durchzutelefonieren. Ein Fahrer, der mir zunächst noch zugesagt hatte, meldet sich wenig später zurück und springt ab. Es sei schlicht zu viel zu tun. So zerschlagen sich die sorgsam zurechtgelegten Pläne, meine Begleitungen auf dem Weg einsammeln zu wollen und es geht dann doch Richtung Bahnhof, um mit dem vom Veranstalter organisierten Shuttle-Service zum Flugplatz zu kommen. Nach einer überraschend kurzen Fahrzeit von etwa fünfzehn Minuten, steht der gleiche Marsch wie schon am Vortag an. Die Schlange an der Bändchenausgabe hat sich mehr als verdreifacht. Wie gut, dass wir wenigstens das schon gestern von unserer Liste streichen konnten. Über den Campingplatz geht es dann wieder zum Einlass, an welchem die Kontrollen ob des Andrangs nun etwas länger andauern. Nachdem meine kleine Umhängetasche auf ihren Inhalt geprüft wurde, passiere ich die Schleuse und stehe direkt auf dem Festivalgelände. Es ist soweit: Das Mera Luna 2017 kann beginnen…

Mainstage, 11.00 Uhr - Circus of Fools:


Pünktlich um 11.00 Uhr am grauen Morgen eröffnen "Circus of Fools" die nunmehr siebzehnte Ausgabe des kultigen Festivals. Die junge Metal-Band aus Tübingen konnte sich im Voting des alljährlichen, stark umkämpften Newcomer-Wettbewerbs mit weitem Abstand gegen die Konkurrenz behaupten und seit ihrer Gründung im Jahr 2012 bereits auf einige Veröffentlichungen in Form von Singles und EPs zurückblicken. Kein Wunder also, dass das optisch skurril anmutende Ensemble die Gelegenheit auch sogleich dazu nutzt, um ihr Debüt "Raise The Curtain" einer breiteren Masse vorstellen zu können. Während Nico Staller am Schlagzeug den treibenden Takt vorgibt, versammeln sich auch Bassist Yannick Ninkov, sowie die beiden Gitarristen Dominik Bolter und Julian Langer zum brachialen Opener "Visions Fade" auf den Brettern. Passend zu ihrem thematischen Konzept, sind alle auf der Bühne agierenden Protagonisten in kreative Verkleidungen gehüllt, die einer düsteren Vision des Zirkus zuzuordnen sind. So beschwört Frontmann Tim Strouken die ersten Zeilen etwa mit Gehstock und venezianischer Vogelmaskerade, stimmliche Unterstützung erhält er dabei von Sängerin Carolin Saia, die seit 2017 als neues Mitglied dabei ist. Auch die folgenden Tracks wie "Another World Within" oder "Obsidian Black" heizen die Menge weiterhin stimmungsvoll an und zaubern ein düsteres Varieté aus harten Riffs, knallenden Drums, großer Geste und unterhaltsamer Show. "Wir sind auch leider schon am Ende von unserem Set. Ihr wart geil, wir waren "Circus of Fools". Hier ist noch ein letztes Mal "Ikarus" für euch. Dankeschön, hoffentlich sieht man sich bald mal wieder!", verabschiedet sich der hünenhafte Sänger nach rund zwanzig Minuten im Namen seiner Mitstreiter und gibt anschließend ebenjenen Titel zum Besten. Insbesondere Coen Strouken kann hierbei an der Violine sein volles Potential nahezu ganz ausschöpfen, zur rechten Seite bietet unterdessen eine Artistin ihre Künste am Trapez feil. Unter anerkennendem Applaus verlassen die Musiker aus Baden-Württemberg sodann die Manege. Es soll und wird ganz sicher nicht ihr letzter Auftritt gewesen sein, wie sich deutlich am gehobenen Zuspruch zeigt. Im Gegenteil, mit diesem Set dürften "Circus of Fools" erst recht Einzug auf die Bühnen der schwarzen Szene gehalten haben.

Hangar, 11.20 Uhr - Leichtmatrose:

Im nahtlosen Anschluss geht es dann sogleich in den altehrwürdigen Hangar, der sich praktischerweise nur wenige Meter vom weitläufigen Infield entfernt befindet. Der Einlass hat bereits begonnen, doch noch ist das allgemeine Besucheraufkommen verhältnismäßig gering, sodass ein erfreulich entspannter Ablauf garantiert ist. Für die diesjährige Einweihung der beliebten Zweitbühne hat sich "Leichtmatrose", das ambitionierte Projekt um Gründer und Sänger Andreas Stitz, angekündigt. Der sympathische Münsteraner, der 2007 in Eigenregie erste Songs produzierte und diese auf dem Portal MySpace vorstellte, erregte damit nur wenig später die Aufmerksamkeit der NDW-Ikone Joachim Witt, welcher sich alsbald um die Förderung des Nachwuchskünstlers kümmerte und erste Kontakte zu Plattenfirmen herstellte. In diesem Zuge erschien rund zwei Jahre später das erste Album unter dem Titel "Gestrandet", weitere Veröffentlichungen sollten folgen. Im Jahr 2014 ging es gar als Support des goldenen Reiters mit auf erfolgreiche "Neumond"-Tournee, wodurch Stitz vermehrt Aufmerksamkeit generieren konnte, die ihm auch heute mit großer Sicherheit zugute kommt. Der Platz der Indoor-Location ist trotz der frühen Stunde gut gefüllt und das Publikum sichtlich gespannt. Immerhin bedeutet das Mera Luna für den Matrosen auch gewissermaßen eine Art der Rückkehr, trat dieser doch zuletzt vor acht Jahren hier auf. Nach dem Einstieg mit "Dalai Lama" gibt es unter anderem auch sogleich die neue Single "Jasmin" zu hören, zu der erst jüngst ein eigenes Video veröffentlicht wurde. Mit der besonderen Mischung aus stimmungsvollem Electro, klassischem Chanson und dezentem Pop erschafft man eine einzigartige Dramaturgie, deren Höhepunkt dann mit dem letzten Titel "Hier Drüben Im Graben" erreicht wird. Verständlicherweise kommt der Song hier ohne den markanten Gesang des eigentlichen Duett-Partners Witt aus, was den Gesamteindruck allerdings zu keiner Zeit schmälert und letztlich eine wichtige Message bereithält, die wohl kaum wichtiger als in diesen Tagen sein könnte.

Mainstage, 12.35 Uhr - Unzucht:

Nur wenige Minuten später geht es dann über schlammige Pfade zurück zur Mainstage, vor welcher sich nun schon eine erheblich größere Menge an Besuchern zusammengefunden hat. Wer seinen Blick nun einmal über das weite Gelände schweifen lässt, dürfte dabei recht schnell bemerken, dass sich der Flugplatz in der Zwischenzeit weiterhin erheblich gefüllt hat. Langsam treffen auch die letzten Nachzügler ein, sich vor Getränkeständen und Bühnen einzufinden und das Festival zu beleben. Äußerst verständlich, denn den folgenden Act wollen wohl nur die wenigsten Gäste verpassen. Und so entern die erfolgreichen Senkrechtstarter von "Unzucht" schließlich um die weiter fortgeschrittene Mittagszeit die Bretter, um das Publikum mit ihrem eingängigen Dark-Rock zu beschallen. Die erfolgreichen Hannoveraner scheinen mittlerweile in nahezu jedem Line-Up aller relevanten Festivals vertreten zu sein und bespielen jährlich im Sommer die ganz großen Bühnen. Ein echter Geheimtipp sind die Szene-Lieblinge dabei schon lange nicht mehr und erfreuen sich stetig wachsender Beliebtheit bei Veranstaltern und Fans gleichermaßen. Das mystische "Der Dunkle See" stößt dann auch direkt die schweren Tore in die Welt der unzüchtigen Formation auf: Schlagzeuger Toby Fuhrmann, Bassist Alex Blaschke und Gitarrist Daniel De Clercq leiten den mächtig schleppenden Song instrumental ein, bis Fronter Daniel "Der Schulz" Schulz dann als Letzter hinzutritt, um die ersten Zeilen zu besingen. "Liebe Leute, uns fehlen die Worte. Wir sind froh, wieder hier zu sein. Lass uns feiern!", ruft der Sänger sichtlich gerührt aus, der sich heute vorerst ohne seine obligatorische Wollmütze zeigt. Direkt animiert man die dichten Reihen zum ausgelassenen Klatschen, akustischer "Widerstand" macht sich breit. Die vier Musiker präsentieren im Folgenden vorrangig Lieder ihres neuen Albums "Neuntöter", das erst letzten Sommer erschien. Aber auch einige ältere Hits dürfen keinesfalls fehlen. Lieder wie die ureigene Hymne "Unzucht" oder auch das mitreißende "Deine Zeit Läuft Ab" sind mittlerweile zu echten Klassikern geworden und gehören fest ins Repertoire und die schwarzen Clubs. Auch wenn das energiegeladene Quartett heute leider mit einigen technischen Schwierigkeiten, wie etwa dem Ausfall des Mikrofons, zu kämpfen hat, so wissen sie die jeweiligen Situationen doch stets professionell und charmant zu meistern. Nachdem der Sänger zum Titeltrack des aktuellen Longplayers ein Bad in der Menge genommen hat, wendet er sich mit einer Ansage erneut an das Hildesheimer Publikum. "Das ist der Wahnsinn, vielen Dank! Ihr seid echt der Hammer. Wir lassen alle beim nächsten Song die Sonne scheinen, oder? Was da von oben kommt, ist nur ein bisschen konkretere Luftfeuchtigkeit. Wir brauchen eure Hände als unsere Sonne. Für alle Freunde, die viel zu früh gehen mussten. Lasst sie scheinen und lasst es euch nicht vermiesen. Das ist das Mera Luna!" Das hochemotionale "Nur Die Ewigkeit" leitet mit einem wogenden Meer aus Händen dann das Finale ein, das mit "Engel Der Vernichtung" schlussendlich seinen Gipfel erreicht. Ein weiterer, grundsolider Auftritt der freundlichen "Unzucht", welcher zwar keine wirklichen Überraschungen im Set bot, diese Aufgabe aber auch gar nicht erfüllen musste. Die ausgelassene Stimmung sprach dabei wie immer ganz für sich.

Mainstage, 13.40 Uhr - Ost+Front:

Zu den verstörend feierlichen Klängen militanter Marschmusik hält jetzt das Geschwader um Anführer Patrick "Herrmann Ostfront" Lange seinen spektakulären Einzug auf der Hauptbühne. Vor der apokalyptischen Kulisse des verfallenen Brandenburger Tors und martialischer Panzerwagen, positionieren sich nun Schlagzeuger Fritz Knacker, Bassist Wilhelm Rotlauf, die beiden Gitarristen Otto Schmalzmann und Siegfried Helm, sowie Keyboarder Eva Edelweiß. Die fünf Musiker, die durch gewohnt horroreske Verkleidungen und kreative Decknamen anonymisiert sind, begeben sich sogleich an ihre Instrumente und verharren dort furchteinflößend und ohne jegliche Regung, bis das Intro langsam in den Weiten des Platzes verklingt. Erst als Lange die Bretter im zerschlissenen Ledermantel dann höchstselbst beschreitet,nrühren sich die Berliner wieder und entfachen eine bizarre "Fiesta De Sexo". Die spanischsprachigen Strophen, die in der Album-Version gemeinsam im Duett mit "Hocico"-Kopf Erk Aicrag interpretiert werden, teilt sich der kahlköpfige Sänger heute mit Edelweiß, der passend dazu einen übergroßen Sombrero trägt. Mit dieser ausgelassenen Party-Nummer haben die Hauptstädter ihr Publikum direkt in der Hand und fahren schon zu diesem frühen Zeitpunkt laute Jubelstürme ein. Doch "Ost+Front" wären nicht sie selbst, wenn sie auf diesem Festival nicht auch die nötigen Akzente zu einem erhöhten Maß an Provokation und beeindruckender Show setzen würden. Zur brachialen Kannibalen-Hymne "Fleisch" holen sie Tattoo-Model Melody Aurora dazu, die sich fortan als absoluter Blickfang teilentblößt in einem riesigen Champagner-Glas mit Kunstblut räkelt. Die Menge ist sichtlich begeistert und hält sich auch bei den Single-Hits "Freundschaft" und "Denkelied" nicht damit zurück, den Mannen lautstark Tribut zu zollen. Mit dem dramatischen "Sternenkinder" spendieren Herrmann und Co. danach einen kurzzeitigen Ruhepol, bevor es mit dem punkigen "Bruderherz" und "Gang Bang" wieder so richtig in die Vollen geht. Zur peitschenden S/M-Nummer "Ich Liebe Es", ist es dann wieder der maskierte Keyboarder, der unter den Stiefeln des Frontmanns seine Leidensfähigkeit unter Beweis stellen muss, ehe man mit dem epischen "Mensch" wieder dem Bombast frönt. Das kritische "Bitte Schlag Mich" setzt abschließend nicht nur ein klares Statement gegen häusliche Gewalt und Missbrauch, sondern markiert auch gleichzeitig den letzten Titel, zu dessen Refrain unzählige, schwarze Ballons in den Himmel steigen. Ein perfektes Finale für einen mehr als stimmigen Auftritt, der wieder einmal imposant veranschaulicht, dass sich diese Band nicht auf ihren erarbeiteten Lorbeeren ausruht, sondern viel mehr stetig darauf bedacht ist, ihre Schneise der Verwüstung auch weiterhin tatkräftig auszubauen. Meinen Respekt, die Herren!

Mainstage, 14.45 Uhr - Feuerschwanz:

Nach dem Übermaß an dunkel-metallischen Klängen und all der schwerwiegenden Ernsthaftigkeit der vorangegangenen Bands, ist es nun an der Zeit für eine vollkommen konträre Ablösung. Und wer könnte für ebenjene Aufgabe wohl besser geeignet sein, als des Hauptmanns geiler Haufen namens "Feuerschwanz"? Das 2004 in Erlangen gegründete Projekt um Sänger Peter Henrici, konnte sich mit seinem spaßigen Mittelalter-Rock zunächst auf den einschlägigen Märkten eine eingeschworene Fangemeinde erspielen und findet insbesondere seit den letzten auch immer mehr in der schwarzen Szene statt. Neben traditionellen Instrumenten und allerlei eingängigen Melodien, stehen hier vor allem frivole Texte und unverblümte Ausgelassenheit im Vordergrund, die unter anderem seit jeher ein ausschlaggebender Grund für den hohen Unterhaltungswert der selten edlen Spielleute sind. So machen sich die tapferen Recken Sir Lanzeflott, Felix Taugenix, Hans der Aufrechte, Prinz R. Hodenherz III und Johanna von der Vögelweide also auch sogleich auf, den Hildesheimer Hof mit dem Titeltrack ihres gleichnamigen Langspielers "Sex Is Muss" zu beglücken und auch beim folgenden "Keine Frage, Saufgelage" wissen alle Anwesenden, was jetzt zu tun ist. Es wäre wirklich kein Wunder, wenn das bunte Gespann an diesem Tag alleinig für erhöhte Verkäufe an den zahlreichen Getränkeständen gesorgt hat. Wer das nun vielleicht als moralisch höchst verwerflich empfinden sollte, bekommt mit "Moralisch (Höchst Verwerflich)" den passenden Soundtrack zu seiner protestantischen Entrüstung geliefert und "Ketzerei" gibt es dazu gleich noch oben drauf. Dazu animieren die beiden kostümierten Miezen zwischendrin immer wieder zu charmanten Klatsch-Einlagen, Tanz und Gesang. "Metnotstand Im Märchenland" glorifiziert auch weiterhin den begehrten Honigwein, bis die "Seemannsliebe" und das hymnische "Krieger Des Mets" das Ende einer folkigen, leider viel zu kurzen Party verheißen. Gehabt euch wohl!

Hangar, 15.25 Uhr - Namnambulu:

Der Himmel scheint den gesamten Tag über einfach nicht so recht aufklaren zu wollen, die grauen Wolken hängen regungslos und unbarmherzig über dem ikonischen Flugplatz. Als erneut einige Regentropfen drohen, den ohnehin schon matschigen Boden zu benetzen, kommt die erinnernde Meldung innerhalb der Festival-App gerade recht. Der nächste Act auf meiner abzuarbeitenden Liste spielt nämlich wieder im Trockenen Hangar auf, der schützende Überdachung verspricht. Auch wenn der Einlass schon wieder in vollem Gange ist, gelingt der zeitnahe Eintritt in die breite Halle. Noch ein kurzer Zwischenstopp an der Theke, dann geht es weiter nach vorne. Noch sind die Reihen eher licht, was das Vorankommen angenehm erleichtert. Doch schon mit dem plötzlichen Beginn des melodiösen Openers "Alone", der gleichnamigen EP, soll sich dies schnell ändern. Zunächst tritt Vasi Vallis ins matte Licht der Scheinwerfer und begibt sich schnellen Schrittes hinter sein ausladendes Pult. Der vielbeschäftigte Szene-Allrounder, der ebenfalls für sein Engagement bei "Frozen Plasma" und "Reaper" bekannt und daher vielen Besuchern ein fester Begriff ist, legte bereits 1988 gemeinsam mit Henrik Iversen als eine der ersten, relevanten Electro-Combos den Grundstein für das bis heute währende Projekt "Namnambulu". Eine intensive Kostprobe der fruchtbaren Griechisch-Norwegischen Freundschaft können sich alle Festival-Gäste jetzt abholen. Mit "Mind" und "Idol" gibt es sogar zwei ganz neue Songs vom jüngst veröffentlichten Album "Borders", die erwartungsgemäß positiv aufgenommen werden und sich schon jetzt wie alte Bekannte im Gehör anfühlen. Der Future-Pop zündet schnell und kommt bestens an, wie der frenetische Beifall unschwer erahnen lässt. Das Duo, welches nach einer längeren Pause seit rund vier Jahren wieder aktiv ist, hat sich die Begeisterung dabei redlich verdient und zeigt sich sichtlich erfreut über den hohen Zuspruch an diesem Nachmittag. "Wir spielen jetzt noch einen Song und dann müssen wir leider auch schon wieder aufhören. Auf der Mainstage spielen jetzt gleich "Mesh", die wollte ich mir noch angucken. Da können wir dann zusammen hingehen!", witzelt Iversen nach dem gelungenen Einstand. Doch dürfen die Fans angesichts der frühen Stunde gleich wieder aufatmen, denn natürlich soll es das noch nicht gewesen sein. Mit "Return" wird es wieder ein wenig schneller, das elegische "One Breath" und "Now Or Never" folgen und halten sowohl den hohen Standard als auch die ruhige Grundnote des emotionalen Sounds weiter ganz hoch. "Memories" vom Erstlingswerk "Distances" aus dem Jahr 2003, setzt danach dann den viel zu zeitigen, dafür aber umso tanzbareren Schlusspunkt, der noch einmal so richtig gefeiert wird.

Hangar, 16.30 Uhr - Faderhead:

Ohne zu viel Zeit zu verlieren, machen sich sogleich einige Crew-Mitglieder daran, die Bühne für den nächsten Act des mittlerweile weit vorangeschrittenen Nachmittages vorzubereiten. Die Menge vor dieser verteilt sich zunächst einmal wieder etwas, manche Gäste machen sich eilig auf den Weg ins Infield, wo gleich die "White Lies" auf der Mainstage auftreten werden. Ein kurzer Blick durch die schweren Tore des Hangars genügen voll und ganz dazu, mich in meinem Vorhaben auch weiterhin zu bestärken: Erneut hat nun wieder Regen eingesetzt, der sich langsam aber sicher immer mehr verstärkt. Die paar Minuten, die ich kurzzeitig im kühlen Nass verbringe, sind einer kurzen Zigarettenpause geschuldet. Die weitreichende Warteschlange vor der Halle lässt bereits jetzt erahnen, dass so einige Besucher das gleiche Ziel haben und es schon in Kürze wieder erheblich voll werden dürfte. Umso mehr bin ich um den kleinen Luxus froh, direkt im Anschluss wieder ins Trockene eintreten zu dürfen. Während immer mehr Personen an den Securitys vorbeieilen, die glücklicherweise wie immer ein kontrollierendes Auge auf die Maximalgrenze der Location haben, begebe ich mich wieder nach vorn. Der rege Andrang hat einen triftigen Grund: "Faderhead", dessen Live-Shows stets beliebt und ein Garant für euphorische Abrisse sind. Das bekannte Projekt, welches 2004 durch den Hamburger Musikproduzenten Sami Mark Yahya ins Leben gerufen wurde, war zuletzt als Support von "Covenant" zu sehen und erfreut sich auch weit über die Grenzen der Szene hinaus steigender Beliebtheit. Der Mann mit dem auffälligen Irokesen, vollzog erst im letzten Jahr einen einschneidenden Image-Wechsel vom wütenden Aggrotech hin zum melodiösen Electro-Pop, was der Opener "Escape Gravity" bestens veranschaulicht. Doch schon "Generation Black" führt wieder in bekanntes Territorium, bevor es dann mit "Know Your Darkness" einen ersten Vorgeschmack auf den kommenden Output unter dem Titel "Night Physics" liefert. Nach dem ruhigen "Every Hour Kills" werden dann aber wieder alle Register für eine wilde Party gezogen: Das donnernde "Destroy Improve Rebuild" verleitet die wogenden Massen dann ab der ersten Sekunde zum singen, das augenzwinkernde "Dancers" mit seinen charmanten Video-Projektionen hingegen zum frenetischen Tanze und macht unmissverständlich klar, dass es völlig egal ist, wie genau man dabei aussieht. Das Eis scheint, sollte es überhaupt welches gegebenen haben, nicht nur angeknackst, sondern gesprengt. "Vanish" treibt weiter an, während "No Gods, No Flags, No Bullshit" ein kritisches Ausrufezeichen in Richtung Politik, Religion und Faschismus setzt. Die übermächtige Industrial-Walze "TZDV" kennt dann wirklich jeder und folgt dem harschen Befehl aufs Wort. Mit der freudigen Ankündigung, dass das neue Album schon diesen November erscheinen und es Anfang 2018 auch eine zugehörige Tournee geben wird, verlassen Yahya und seine beiden Mitstreiter unter schallendem Applaus die Bretter und können sich mehr als sicher sein, viele der begeisterten Fans genau dann wiederzusehen.

Mainstage, 18.05 Uhr - Project Pitchfork:

Als ich schließlich aus dem wohligen Dunkel des Hangars hinaustrete, macht sich leichte Ernüchterung in mir breit. Noch immer ist der Himmel bedrohlich wolkenverhangen, noch ist es grau und sieht ganz so aus, als könne es jeden Augenblick wieder anfangen nass zu werden. Langsam, vorsichtig und immerzu darauf bedacht, nicht plötzlich ungelenk in den Schlamm zu fallen, bahne ich mir meinen Weg in die vordere Hälfte des Infields, wo zumindest teilweise fester Asphalt für genügend Halt unter den Stiefeln sorgt. Das Gitter des langen Wellenbrechers genau im Rücken, suche ich mir einen Platz nahe des hohen Turms für die Belichtung und warte auf den nahenden Beginn. Zahlreiche Besucherströme, die gerade noch ebenfalls zu den basslastigen Takten von "Faderhead" im Takt sprangen, tuen es mir gleich und tummeln sich jetzt vor der Mainstage, auf welcher uns in wenigen Minuten auch schon das nächste Highlight erwartet. Dieses wird von den Veteranen "Project Pitchfork" verkörpert, die auch sogleich durch die nun aufziehenden, dichten Nebelschwaden ins Licht der grellen Scheinwerfer treten. Die Hamburger zählen seit ihrer Gründung im Jahr 1989 zu den populärsten Vertretern und Gründungsvätern des Electro und Wave, sind seitdem eine feste Institution und nicht mehr aus dem Genre wegzudenken. Im Hintergrund weht ein dreiteiliges Backdrop mit darauf aufgedruckten, blutrot schimmernden Symbolen, die alle von essenzieller Bedeutung für die bandeigene Historie sind, unter den aufkommenden Böen im Wind. Eines der Zeichen ist die Forke, das markante Logo der Formation. Die beiden Keyboarder Jürgen Jansen und Dirk Scheuber stehen traditionell am vorderen Rand, die Live-Schlagzeuger Nook, Christian Leonhardt und Achim Färber nehmen ihre Positionen auf den hinteren Podesten ein. Zu den ersten Klängen von "Conjure" kommt auch Frontmann Peter Spilles unter tosendem Beifall hinzu und besingt die ersten Zeilen in gewohnt rauer Manier. Als zweiten Titel feuert man direkt den erfolgreichen Dauerbrenner "Timekiller" auf die Menge ab, die den tanzbaren Hit dankbar annimmt. "Alpha Omega" führt dann weiter in die Vergangenheit, während das melancholische "Rain" wie gerufen dem launischen Wetter trotzt. Das laut donnernde "Titanes" liefert einen Einblick in das aktuelle Schaffen von "Look Up, I'm Down There", einen deutlich ruhigeren Akzent setzt "Souls". Spilles agiert zwischen den Songs ungewohnt schweigsam, nur ab und an bedankt er sich ehrlich erfreut für die gute Stimmung und den Applaus des Publikums. Doch vieler Worte bedarf es auch gar nicht, wenn einem die knapp bemessene Spielzeit als ständiger Begleiter im Nacken sitzt und man dafür lieber Titel wie das treibende "Beholder", "Blood-Loss (Sometimes)" oder "En Garde!" für sich sprechen lassen kann. Das dunkel-verspielte "Acid Ocean" und "Volcano" führen dann abermals zu den jüngeren Veröffentlichungen, bis "Onyx" und das martialische "Blood-Thirst", bei welchem die Drum-Fraktion ihr Können weiterhin voll ausspielen kann, das Best-Of-Set beschließen. Wie immer ein Auftritt allererster Güte!


Mainstage, 19.30 Uhr - Subway To Sally:

Nach einer etwas längeren Umbaupause von über zwanzig Minuten, wird das Infield mit einem Mal von sanftem Meeresrauschen erfüllt, während entfernt eine zarte Stimme ein trauriges Klagelied dazu anzustimmen scheint. Vor der malerisch-bedrohlichen Kulisse aus zahlreichen Dornenranken, finden sich jetzt Schlagzeuger Simon Michael, Bassist Ingo Hampf und Gitarrist Silvio "Sugar Ray" Runge, die vordere Front ist traditionell mit dem Gespann aus Michael Simon, Michael "Bodenski" Boden und Violinistin Ally Storch besetzt, die seit letztem Jahr den Platz von Silke "Frau Schmitt" Volland als neues Bandmitglied einnimmt. Zum eröffnenden "Grausame Schwester" entert auch Mastermind Eric Fish als Letzter die Bretter und gibt mit seinem überzeugenden Spiel aus überzeugender Gestik und Mimik den Einstand der Potsdamer. Mit dem Verweis mit der folgenden Auswahl an Songs hoffentlich den Geschmack des versammelten Publikums getroffen zu haben, springt man danach gemeinsam zur "Henkersbraut" und entfacht erste Jubelstürme vor der Bühne. Dass "Subway To Sally" nie um neue Einflüsse in ihrer Musik verlegen waren und seit geraumer Zeit auch vermehrt auf elektronische Elemente als bereichernde Versatzstücke zurückgreifen, ist spätestens seit "MitGift" allgemein hin bekannt. Doch mit "Kleid Aus Rosen MMXV" wurde unlängst auch ein von Grund auf modernisiertes Gerüst um einen wahren Klassiker gebaut, um eine schlüssige Brücke zwischen Alt und Neu zu schlagen. Die Rechnung geht vollends auf und als ein weiblicher Fan Eric dann auch noch die bezeichnende Rose von den Schultern ihrer Begleitung aus zuwirft, ist die Atmosphäre schlicht perfekt. Mit dem grandiosen "Unsterblich" gibt es im Anschluss rares Liedgut zu hören, bis kollektive "Hallelujah"-Choräle falsche Götter anprangern und ein Zeichen gegen das aktuelle Weltgeschehen setzen: "Falscher Heiland". "Vielen vielen Dank. Es wird wärmer und wärmer!", wendet sich Fish mit einer Ansage nun direkt an das Publikum und blickt erfreut in den Himmel, der jetzt tatsächlich von einigen Sonnenstrahlen durchbrochen wird. "Mag es daran liegen, dass wir jetzt ein Lied spielen, das euch einen Vulkan unter den Füßen suggeriert? Ich und meine Kollegen sicherlich auch, würden ja gerne einen Circle Pit dazu sehen... Aber geht das auf'm Mera?" fährt er fort und spielt damit auf den folgenden Titel an. "Da ist die Mitte. Macht einen großen Kreis, schnell! Wir haben keine Zeit. Tanzt, als würde euch die Erde unter den Füßen zu heiß werden!", motiviert der Sänger die Fans und tatsächlich bildet sich nur kurze Zeit später ein beachtlicher Zirkel. Zu "Tanz Auf Dem Vulkan" nimmt die Stimmung nochmal so richtig an Fahrt auf und gleißende Feuerstöße schießen rhythmisch zum Takt in die Höhe. Natürlich soll auch das virtuose Spiel von Ally keineswegs zu kurz kommen und so überlassen die sechs Mannen der Geigerin anschließend für einige Sekunden den alleinigen Platz im Rampenlicht. Das zunächst klassisch arrangierte Solo geht fließend in die Mörder-Ballade "Für Immer" über, bevor es danach für alle ein "Böses Erwachen" gibt. Nach diesem weitreichenden Rückblick in der eigenen Historie darf zu "Arme Ellen Schmitt" wieder ordentlich gefeiert werden und spätestens bei der Band-Hymne "Sieben" weiß dann sowieso ein Jeder, was im Refrain zu tun ist. Alle Energie bündelt Hildesheim jetzt nochmals zu "Veitstanz MMXV", ehe die Musiker geschlossen die Bühne verlassen. Natürlich wollen die Besucher "Subway To Sally" ohne das obligatorische Finale durch "Julia Und Die Räuber" nicht ziehen lassen und so ist es nur wenig verwunderlich, dass die Potsdamer schon einige Minuten später wieder auf die Mainstage treten, um dem lautstark geforderten Wunsch nachzukommen. Noch als die Lichter endgültig erlischen und erneute Umbauarbeiten beginnen, sind die traditionellen "Blut, Blut, Räuber saufen Blut"-Gesänge quer über das gesamte Gelände zu hören... Auch wenn diese Show aufgrund der arg sparsam eingesetzten Pyrotechnik und einer wenig überraschenden Setlist sicher nicht zu den besten von "Subway To Sally" gehört.

Mainstage, 21.00 Uhr - ASP:

Zahlreiche Techniker verrichten sichtlich bemüht die anfallenden Arbeiten und sind emsig damit beschäftigt, den Platz auf der großen Bühne für den von vielen Besuchern sehnlichst erwarteten Co-Headliner des ersten Abends und dessen aufwändige Show herzurichten. Doch bis wirklich alle zusätzlichen Belichtungsquellen aufgebaut, die Instrumente gestimmt und Mikrofone überprüft werden, sollen erst noch einige, quälend lang wirkende Minuten vergehen. Einige Minuten nach der offiziell angesetzten Uhrzeit ist es dann endlich soweit und zu stimmungsvoll einsetzender Dunkelheit richtet sich alle Aufmerksamkeit auf die Mainstage. Im Hintergrund prangt beeindruckend das klassische Festival-Backdrop, welches die respekteinflößende Silhouette des schwarzen Schmetterlings vor einer gleißenden Supernova zeigt. Alle Zeichen stehen auf "ASP". Zu elektronisch pulsierenden Takten richten sich die übergroßen Scheinwerfer auf das Publikum, am vorderen Rand entzünden sich währenddessen wie von Geisterhand riesige Feuerschalen. Dichter Nebel kriecht jetzt langsam von allen Seiten herein und lässt nur schemenhaft die Umrisse einer vermummten Gestalt in einem schwarzen Kapuzenumhang erkennen. Die Hände beschwörend über ein dampfendes Becken gelegt, beginnt sie nun damit, unablässig kryptische Zeilen zu besingen, die einem hypnotischen Zauberspruch gleichen. Ihre Stimme ist den Gästen alles andere als unbekannt, gehört sie doch unverwechselbar dem charismatischen Frontmann der Band. Unterdessen betreten auch Schlagzeuger Stefan Günther-Martens, Bassist Andreas "Tossi" Gross, sowie die beiden Gitarristen Sören Jordan und Lutz Demmler die gespenstisch anmutende Szenerie. Mit den finalen Worten "Komm zieh' mit uns fort...", schließt sich der Reigen alsbald und meterhohe Flammenfontänen schießen plötzlich in den lauen Abendhimmel. Den schweren Mantel vorerst einmal abgelegt, stürmt Charakterkopf Alexander "Asp" Spreng zum technoiden Opener "Kokon" ganz nach vorne und animiert die ersten Reihen zum mitmachen. Die Stimmung ist bereits jetzt auf dem scheinbar absoluten Höhepunkt, das Mera Luna feiert diese einzigartige Ikone der schwarzen Szene. Kurz vor seiner Beendigung bricht der furiose Titel jedoch abrupt ab, doch ist dies weder gewollte Absicht, noch hat sich lediglich ein Mitglied bloß verspielt und die anderen Musiker somit aus dem Takt gebracht. Die Bühne bleibt verdächtig lange im Dunkel, die Leinwände zeigen ebenfalls undurchdringliche Schwärze. Schon bald darauf ist klar: Das alles ist nicht geplant, etwas stimmt hier nicht. Ratlos blicken sich die Frankfurter um, als eines der Crew-Mitglieder hinzukommt und sie über den Stand der Dinge aufzuklären scheint. Asp selbst ist redlich bemüht, die verwirrte Menge mit einigen ermunternden Gesten bei Laune zu halten, auch wenn das überhaupt nicht nötig scheint. Ganz ohne vorherige Aufforderung erklingen jetzt gemeinschaftliche "Wir wollen brennen"-Rufe über den gesamten Flugplatz. Erst leise, dann immer lauter. Ein wahrer Gänsehaut-Moment! Die Zwischenzeit nutzen die meisten Besucher dazu, an den Ständen neue Getränke zu erstehen oder sich angeregt zu unterhalten. Niemand denkt auch nur im Ansatz daran, das Infield zu verlassen. Nach über dreißig Minuten tritt dann unter Applaus ein Techniker auf die Bühne, der das Publikum über den Sachverhalt aufklärt, welcher jetzt zeitgleich auch über die Festival-App als offizielle Meldung rausgeht: Es gäbe ein Problem mit dem ausführenden Stromaggregat, derzeit werde aber an einer schnellen Lösung gearbeitet. Und noch besser: "ASP" werden trotz des nachrückenden Headliners ihr komplettes Set wie geplant spielen, die Zeiten würden dahingehen weiter nach hinten verlegt. Riesiger Jubel ist die Folge und das mehr als zurecht. Eine derart schnelle Reaktion, Lösungssuche und flexible Neu-Koordinierung bereits bestehender Planungen ist alles, aber ganz sicher keine Selbstverständlichkeit. Umso ausgelassener ist die Stimmung, als die fünf Gothic-Novel-Rocker schließlich wiederkehren und mit "Wechselbalg" ihr Set fortsetzen. "Wisst ihr, eigentlich wollte ich ja jetzt an einem ganz anderen Punkt an diesem Abend sein. Jetzt ist es schon dunkel, das ist auch schön... Nun dachte ich eigentlich, dass ich das vergehende Abendrot dazu nutzen könnte, es mit euch in ein aufblühendes Morgenrot umzudeuten.", lächelt Asp verschmitzt und spielt damit natürlich auf "Duett (Das Minnelied Der Incubi)" an, danach huldigt man mit dem unverwüstlichen Everblack "Schwarzes Blut" auch sogleich Szene-Zugehörigkeit und Gemeinschaftsgefühl. Mit dem Verweis auf das vergangene Unwetter in Hildesheim und dessen teils verheerende Folgen, unterrichtet der Sänger die Anwesenden sogleich auch noch über eine ganz besondere Aktion: Rund fünfzig Prozent und somit genau die Hälfte aller Merchandising-Verkäufe von "ASP", kommen einer Spendenaktion für die Betroffenen zugute - Ein feiner Schachzug! Mit der Ankündigung eines "zutiefst" schwarzen Albums in diesem Herbst, gewährt die Band durch die aktuelle Single "20.000 Meilen" einen ersten Eindruck auf ebenjenes. Während mächtige CO2-Kanonen ihre Ladungen in die Lüfte verschießen, beginnt es direkt wieder zu regnen... Und das nicht nur ein kleines bisschen. Ein kühler, aggressiver Regenschauer legt sich erneut über das Mera Luna und soll das beliebte Festival bis zum Ende des aktuellen Auftritts nicht mehr loslassen. Den standhaften Fans ist das jedoch großteilig egal. Eisern harren sie auf ihren Plätzen aus, feiern Klassiker wie das folkige "Werben" oder "BernsteinmeerengeL", einen weiteren, neuen Song des am 27.10.2017 erscheinenden Longplayers. Eine ganz besondere Überraschung gibt es dazu noch obendrein, als man anschließend "Subway To Sally"-Fronter Eric Fish zu sich bittet, um gemeinsam das furiose "Zaubererbruder" aus dem gleichnamigen Liederzyklus zu präsentieren. Seltene Gelegenheiten soll man ja bekanntlich nutzen. "Eric hat mir gerade eben erzählt, dass ihr alle schon ganz nass seid und wir überhaupt nicht. Aus diesem Grund möchten wir uns gerne solidarisch mit euch zeigen!", verkündet Asp und greift ohne lange zu überlegen nach zwei herumstehenden Wasserflaschen, um sich damit komplett zu übergießen. Eine ebenso charmante, wie auch tolle Aktion für die treue Anhängerschaft! Das schon zu Beginn lautstark gewünschte, legendäre "Ich Will Brennen" sorgt zusammen mit abermals heißen Feuersäulen für ein spektakuläres Finale, welches danach von "Umrissmann" und jeder Menge Konfetti vollendet wird - Ganz groß!

Mainstage, 23.45 Uhr - Korn:

Eigentlich war es seit der Bekanntgabe des Timetables ja mein sorgsam zurechtgelegter Plan gewesen, direkt nach "ASP" zum nebenliegenden Hangar hinüberzueilen, um mein Glück am Einlass zum dort im Anschluss stattfindenden Midnight-Special mit Headliner "Covenant" zu versuchen. Die schwedische Future-Pop-Legende gehört nach wie vor zu meinen persönlichen Favoriten im Genre, die beiden von mir erlebten Shows beim letztjährigen Amphi Festival und in der Kulturfabrik Krefeld sicherten ihren Status in meinem Ranking nur noch zusätzlich. Durch den plötzlichen Stromausfall auf dem Gelände haben sich die angesetzten Spielzeit aber so sehr zum Nachteil verschoben, dass an ein Beiwohnen des Konzerts nicht mehr zu denken ist. Eskil Simonsson und Co. sind bereits gestartet, wie ein sehnsüchtiger Blick in Richtung der Halle und die davor angebrachte Video-Wall mir offenbart. Auch der starke Regen will anscheinend einfach nicht mehr abreißen und flutet den Hildesheimer Flugplatz komplett. Viele Besucher suchen Schutz unter den wenigen Sonnenschirmen oder an den Verkaufsständen, einige andere streben völlig durchnässt den Weg zum nahegelegenen Campingplatz oder Hotel an. Vor dem Portal der Einlasskontrollen hat sich sogar eine nicht zu verachtende und unumgängliche Lache mit Hochwasser gebildet, durch welche die Gäste nun knöchelhoch stapfen müssen. Ich befürchte in den Folgetagen mit 99%iger Wahrscheinlichkeit eine Erkältung oder gar Lungenentzündung zu bekommen und spiele mit dem Gedanken, das Gelände ebenfalls so schnell wie nur irgendwie möglich zu verlassen. In Anbetracht dessen, mit diesem Vorhaben allerdings alles andere als allein dazustehen und den Weg bis zur verhältnismäßig weit entfernten Hauptstraße sowieso nicht trocken zu überstehen, kommt es nun sowieso nicht mehr darauf an und so beschließe ich zögerlich, doch noch ein wenig zu bleiben. In der Zwischenzeit scheinen auch "Covenant" ihr Set vollendet zu haben, denn durch die Tore strömen nun zahlreiche Besucher wieder hinaus. Verwundert über die Folgen der Wassermassen blicken sie sich um, bekamen sie davon in der Zwischenzeit doch nichts mit. Einige von ihnen erkundigen sich über den Stromausfall und freuen sich über den im Nachhinein eher glücklichen Zufall, den Headliner auf der Mainstage nun doch noch sehen zu können. Dieser hat im Vorfeld ganz schön für hitzige Diskussionen und Furore auf den Social-Media-Plattformen gesorgt, hätte doch niemand mit dessen Ankündigung gerechnet. Doch war und ist das Mera Luna zeitweise sogar dafür bekannt, im internationalen Bereich nach ungewöhnlichen Alternativen zu suchen und über den Tellerrand hinauszublicken. So spielten 2011 etwa die Chart-Stürmer von "Hurts" am Sonntag auf und überzeugten selbst einen Großteil der Zweifler, 2014 gab Schock-Rocker "Marilyn Manson" einen seiner umstrittenen Aufritte und nur ein Jahr später gab es mit "Rob Zombie" und den Symphonic-Metallern von "Nightwish" die volle Breitseite an harten Riffs und bombastischer Show. In diesem Jahr gebührt dieser Slot "Korn". 1993 in Bakersfield gegründet, gelten die Kalifornier bis heute als einer der absoluten Vorreiter des sogenannten Nu-Metal. Einem aus dem zu jener Zeit florierenden Crossover entsprungenen Genre, welches verschiedene Spielstile mischt und miteinander vereint. Auch wenn die Befürchtungen der zum Teil extra angereisten Fans sich zunächst aufgrund der unvorhersehbaren Umstände hielten, so sollten sie sich doch nicht bewahrheiten: "Korn" können ihr gesamtes Set von rund fünfundsiebzig Minuten spielen! Demnach ist der Empfang umso euphorischer, als Schlagzeuger Ray Luzier, Bassist Reginald "Fieldy" Arvizu, die beiden Gitarristen Brian "Head" Welch und James "Munky" Shaffer, sowie Sänger Jonathan Davis zu "Rotting In Vain" den Platz übernehmen. Bekannte Hits wie "Falling Away From Me" oder "Here To Stay" folgen direkt nach und wissen ebenso stark zu überzeugen, wie auch die Songs des brandneuen Albums "The Serenity Of Suffering", von welchem unter anderem "Black Is The Soul" dargeboten wird. Sofort sind die Meinungsverschiedenheiten darüber, ob ein solcher Act zu einem reinen Gothic-Festival überhaupt passt, beigelegt. Warum auch nicht? Die Szene ist seit Anbeginn in einem stetigen Wandel und beherbergt mittlerweile so viele unterschiedliche Genres wie kaum eine andere Abspaltung in der musikalischen Landschaft in sich. Schwarz ist das neue Bunt! Zudem wissen die düsteren Thematiken, harten Riffs und der brachiale Industrial-Einschlag voll und ganz zu überzeugen. Anders als von vielen anderen Stars in dieser Größenordnung gewohnt, glänzt die Band hier vor allem mit einem bodenständigen Auftreten und ehrlichen Ansagen, in denen der Mann mit den Dreadlocks unter anderem das ausgewogene Line-Up lobt und sich für die Möglichkeit bedankt, ein Teil davon sein zu können. "Got The Life", "Insane", "Make Me Bad" und der mitreißende Gassenhauer "Freak On A Leash" heizen dem Publikum dann noch einmal so richtig ein, bevor der erste Abend des diesjährigen Mera Luna endet. Weitaus später als gedacht, aber dafür umso denkwürdiger. Daumen hoch!

Impressionen:

Christoph Eisenmenger - Basslord Pictures

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Christoph Meyer - Pixelquest

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Robin Schmiedebach - Robin-Schmiedebach.com

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