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BEITRÄGE:

  • AutorenbildChristoph Lorenz

U96 - Erdling - Corvus Corax (2018)


U96 - Reboot (2018)

Genre: Electro / Dance

Release: 29.06.2018

Label: Believe Digital GmbH

Spielzeit: 111 Minuten

Fazit:

„U 96“ sind ein nationales Techno-Projekt, das ursprünglich aus Alex Christensen und dem dreiköpfigen Produzententeam „Matiz“ bestand. Heute ist davon nur ein Duo geblieben: Ingo Hauss und Hayo Lewerentz. Auch wenn es heute unstrittig etwas ruhiger um jenes geworden ist und vielleicht nicht mehr recht den Anschein erwecken mag, so hatte das Quartett von Anfang bis Mitte der Neunziger doch einen maßgeblichen Einfluss auf die deutsche Electro-Musik. Den größten kommerziellen Erfolg feierte man dabei 1991 mit der über Polydor Records veröffentlichten Single „Das Boot“, einer elektronisch aufbereiteten Dance-Version der weltberühmten Soundtrack-Komposition von Klaus Doldinger zum gleichnamigen Kino- und Fernsehfilm aus 1981, welcher Lothar-Günther Buchheims Romanvorlage entlehnt ist. Daher rührt übrigens auch der Name der Formation, dem titelgebenden U-Boot U 96. Was war also die Folge? Unerwartet Platz Eins in den Charts und das für ganze dreizehn Wochen! Der erste, medial viel beachtete Durchbruch für die damalige Techno-Bewegung, weswegen man nicht umsonst Pionierstatus für diese genießt. In den darauffolgenden Jahren passten sich die Musiker immer den neuesten Styles an, produzierte später vorrangig Trance und Eurodance, die gegen 1997 aber ebenfalls weiter zurückgingen. Also musste schließlich abermals ein Stilwechsel her und so wandte man sich gar zur aufkommenden Welle des deutschsprachigen Hip Hop hin, was erneut mit verhältnismäßig hohen Platzierungen belohnt wurde. Den ganz großen Erfolg von damals erreichte man aber leider nicht mehr, dann wurde es plötzlich still... Ab 2000 versuchte es das Gespann nochmal mit einer modernisierten Neuauflage des einstigen Mega-Hits und der Kompilation „Best Of 1991-2001“, die ein breites Füllhorn an diversen Songs enthielt, unter anderem auch jene, des kurzfristig gecancelten Albums „Rhythm Of Life“. Nachdem ein weiterer Comeback-Versuch mit „We Call It Love“ aus rechtlichen Gründen scheiterte, trennten sich Christensen und das Team aber endgültig. Erst 2006 gab es durch die Ballade „Vorbei“ ein weiteres Lebenszeichen, ein Jahr später erschien „Out Of Wilhelmsburg“, welches auf dem Markt jedoch nicht angenommen wurde und als erste Veröffentlichung des Gespanns überhaupt selbst die Top 100 verfehlte, wonach das Boot erneut in den Tiefen der Meere versank. Ab 2014 gab man plötzlich bekannt, wieder an neuem Material zu arbeiten, allerdings gänzlich ohne die Mitarbeit der anderen zwei Mitglieder aus den Anfängen. Stellvertretend dafür wurde Josh Stolten vorgestellt. Mit einer kleinen Konzertreihe in Finnland und Russland gab es die ersten Live-Shows in der gesamten Bandgeschichte überhaupt, gefolgt von der Single „Planet Earth“ und der zugehörigen EP „Dark Matter“. Stolten verließ die Band 2016 wieder. Nach insgesamt vier Jahren im Studio, erscheint nun am 29.06.2018 endlich das neue und sehr charmant betitelte Werk: „Reboot“. Doch soll dies nicht bloß eine weitere Wiederbelebung von bereits Bekanntem sein, sondern vor allem frisches Material präsentieren, mit dem man laut eigener Aussage wieder zu den Wurzeln zurückkehren möchte. Weiterhin sind für den Verlauf des Jahres eine eigenständige Tournee und zahlreiche Festivalauftritte geplant. Wenn das mal keine guten Aussichten sind, oder?

Heute hat sich die komplette Szene allerdings gewaltig gewandelt: Es gibt stetig andere Einflüsse, komplexe Styles und schnell wechselnde Trends, gerade aus internationaler Hand werden die Playlisten der Clubs beständig gefüttert und erfolgreich angeführt. Ist da für ein fast schon reliktartiges Urgestein überhaupt noch Platz? Das Doppelalbum hält für die Quasi-Titelverteidigung insgesamt siebzehn neue Songs und acht weitere Tracks auf der zweiten CD als Bonus bereit. Die Erste besticht mit gleichermaßen spannenden, wie auch sehr unterschiedlichen Kollaborationen, eine davon gibt es schon direkt nach dem Intro zu hören: „Angels“ wird von Soul-Sängerin Terri B! begleitet, was dem Sound einen angenehm retrolastigen 90er-Touch vor dunkel-lasziv angehauchter Kulisse verleiht. „F......Camera“ bietet zunächst modernen Trance, hinterlässt dann gleichsam aber ein sonderbar bedrückendes Gefühl, wenn unruhig eingestreute Stakkato-Fragmente kurzerhand jegliche Unbeschwertheit im Keim ersticken. Für das futuristisch inspirierte „Zukunftsmusik“, hätte man sich wohl keinen besseren Gast ins Boot hol... ähm... einladen können, als Wolfgang Flür. Das ehemalige Mitglied der Düsseldorfer Legende „Kraftwerk“, mit dessen Hilfe nun die berühmten Roboter im Klang beschworen werden. Hier paaren sich androide Samples mit gewitzt arrangierter Monotonie - ein absoluter Hochgenuss, dessen Handschrift unverkennbar ist. Mit „60 Seconds“ wird es eher smooth. Durch und durch entspannter Synthie-Pop im mittleren Tempo, der gelegentlich Lyric-Parts und verquere Elemente einstreut. Sehr viel minimalistischer geht es bei „Monkeys“ zu, das folgende „Contact Machines“ weist stilistisch gar grobe Einflüsse aus düster knarzendem Industrial und strengem EBM auf und wird dadurch streckenweise zur Dark Electro-Nummer mit zwingend peitschenden Beats für alle alternativen Tanzflächen. Sehr schön! „I Say Brain“ mutet mit seinen sprunghaften Wechseln zwischen rhythmischem Funk und House hingegen arg experimentell an, was gerade gegen Ende in einem schwer definierbaren, aber vermutlich gewollten Sound-Gewirr resultiert. Zur nötigen Auflockerung gibt es mit „Losing Our Time“ wiederum eher klassische Kost, die eingängig und poppig auf die Wurzeln verweist, während das spacige „Timelapse“ voll antreibender Power einen deutlich technoiden Style mit gewagten Passagen zelebriert. Das „Hildebrandslied“ gilt als eines der frühesten Erzeugnisse deutscher Poesie im neunten Jahrhundert und diesem Kontext mit Sicherheit einer der größten Exoten. Das bisher am längsten erhaltene, germanische Heldenlied erzählt in althochdeutscher Sprache vom Sagenkreis um Dietrich von Bern, was vor dem Hintergrund des finster-bizarren Ambient-Reigens umso ungewöhnlicher und gewagter ist. Wer in der Vergangenheit schon für die besonderen Vertonungen von „Qntal“ oder „Helium Vola“ etwas übrig hatte, dürfte sich interessiert zeigen. Bereits auf seinem aktuellen Album „Rübezahl“ stellte Joachim Witt diesen Frühjahr mit „Quo Vadis?“ die essenzielle Frage nach dem „Wohin?“. Entgegen der darauf enthaltenen und speziell von Chris Harms angepassten Rock-Version, geht es hier entgegen dem temporeichen Original zuerst eher schwer schleppend und basslastig behäbig zu. Zudem weist der Text an einigen Stellen marginale Änderungen vor, wirkt durch den starken Fokus auf einen immer treibender werdenden Beat wie ein äußerst tanzbarer Remix und ist somit definitiv eine interessante Perspektive auf dieses ohnehin schon hochklassige Stück Musik. Nervös pulsierend setzt das „Heart Of Light“ seine Energie frei, während „Supernatural“ kristallklar klirrend seinen eisig kühlen Lounge-Spirit offenbart. Das etwas verquere „Snow Brain“ arbeitet vor allem mit tief dröhnenden Disharmonien, bis „Another World“ entschleunigt, hell und klar zum introvertierten „Art Of Reboot“ überleitet. Auf der zweiten Disc gibt es mit „Blood Of The Rose feat. Skadi L.“, „Dark Matter“, „Human Cosmic“, „Run With It“, „Planet Earth“ und „Abhörstation“ die bereits erwähnte und vollständige EP „Dark Matter“ aus 2015, welche einen Blick auf die konstante Annäherung und Entwicklung des damaligen Schaffensprozesses, bis zur endgültigen Übersiedlung zum aktuellen Material gewährt. Diese rare und vor allem wertige Beigabe veranschaulicht die Evolution des sich stetig wandelnden Sounds und unterstreicht klar den aktuellen Stand, zwei alternative Remixe von hier ebenfalls enthaltenen Songs runden das Gesamtpaket schlussendlich und wortwörtlich bestens ab. Jenes gehorcht sicher nicht unbedingt den standardisierten Gesetzen des Genres oder gar des wechselhaften Musikmarkts selbst. Nein, viel mehr wird hier scheinbar beliebig und doch nicht weniger versiert aus einem umfassenden Pool der Elemente geschöpft und kombiniert, Altes und Neues auseinandergebaut und wieder zusammengefasst, was großteilig zu spannenden und dabei nicht minder gewöhnungsbedürftigen Ergebnissen führt, die sich wirklich hören lassen können. Hochkarätige Gäste, wie Flür und Witt hinterlassen unterdessen ihre ganz eigene Note und sind auch dieses Mal wieder ein Garant für eine vielversprechende Zusammenarbeit. Für den eher simpel orientierten und auf Kurzweil eingestellten Mainstream ist all das natürlich nicht unbedingt geeignet, wird aber wohl bei all jenen Begeisterung auslösen, die gerne auch mal Andersartiges hören und vor allem neu entdecken wollen.

Informationen:

https://www.facebook.com/U96reboot/

 

Erdling - Dämon (2018)

Genre: Metal / Alternative

Release: 27.07.2018

Label: Out Of Line (rough trade)

Spielzeit: 47 Minuten

Fazit:

Achtung, sie sind endlich wieder aus den Tiefen der Erde zurück! Im Jahr 2015 in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover von den ehemaligen „Sündenklang“-, beziehungsweise „Stahlmann“-Mitgliedern Niklas Kahl und Nils „Neill Devin“ Freiwald aus der berühmten Taufe gehoben, entwickelte sich das junge Projekt fortan rasend schnell zu einem wahren Selbstläufer. Die Voraussetzungen für einen gelungenen Start könnten jedenfalls tatsächlich weitaus schlechter ausgefallen sein, denn nachdem man direkt von Label-Gigant Out Of Line unter Vertrag genommen wurde, folgte die erste EP „Blitz Und Donner“, welche in der Szene so dermaßen kräftig einschlug, wie ebenjener. Doch das war längst nicht alles, denn das von den Hörern äußerst positiv aufgenommene Debüt „Aus Den Tiefen“, wurde seinerzeit von niemand Geringerem als „Lord Of The Lost“-Mastermind Chris Harms in den hauseigenen Chameleon Stuios zu Hamburg produziert, gefolgt von gemeinsamen Tourneen mit etablierten Bands, wie „Unzucht“ und „Megaherz“ oder gar einer Show auf der Mainstage des Méra Luna. Nach wie vor erfreut sich die ambitionierte Kreuzung aus klassischer Neue Deutsche Härte und melodischem Dark Rock größter Beliebtheit, eine klar definierte Weiterentwicklung des Sounds erfolgte dann mit dem Zweitling „Supernova“, welcher im März 2017 erschien und sich äußerst angenehm von den oftmals so berechenbaren Strukturen des Genres befreite. Mittlerweile hat sich auch das Besetzungskarussell ein weiteres Mal gedreht: Nachdem schon Bassist Marco Politi durch Nate Pearson würdig abgelöst wurde, nimmt jetzt Christian Eichlinger den Platz von Kahl hinter dem Schlagzeug ein. Gemeinsam mit Gitarrist Neno Knuckle und Sänger Freiwald geht es nun ab dem 27.07.2018 in die nächste Runde, wenn der „Dämon“ auf den Musikmarkt losgelassen wird...

Das selbstbetitelte „Erdling“ ist inhaltlich ähnlich ausgestaltet, wie auch schon das eröffnende „Aus Den Tiefen“ des gleichnamigen Debüts und entfaltet sich schnell als äußerst gitarrenlastige Hymne, die straight rockend im mittleren Tempo direkt nach vorne prescht und dabei doch behände groovt, ohne klanglich zu schwer anzumuten. Eine kurze Pause lässt kurzzeitig Platz zum durchatmen, bevor tiefe Growls des Bandnamens unverkennbar den Refrain markieren und sodann auflockernd von Devins heller Stimme konterkariert werden. Der „Tieftaucher“ ist mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit schon dem ein oder anderen Fan längst bekannt, denn hier liegt gleichzeitig auch die erste Single vor, zu welcher es natürlich ein eigenes Video gibt. Völlig zurecht übrigens, denn dieser Song geht schon nach nur wenigen Hördurchgängen schnell ins Ohr! Vom allgemeinen Aufbau her, haben wir es hier mit einem klassischen NDH-Stampfer zutun, der zugegeben etwas an die älteren Songs von „Eisbrecher“ erinnert. Neben harten Saitengewittern dominiert überdies auffällig flirrende Elektronik, die insbesondere im Hauptteil die organischen Instrumente kräftig unterstützt. Das folgende Lied wird zunächst über weite Strecken von eher zurückhaltender Percussion und dem Gesang allein getragen, der zudem von sanft-sakralen Chören unterlegt wird, bis endlich die Drums einsetzen und somit einen einschneidenden Break freigeben, wie es ihn schon so manches Mal auf dem gelungenen Vorgänger gab. Exzessiv agierende Streicher und metallische Durchschlagskraft vermengen sich im wütenden Refrain, während zerrende Saiten schrill wie Sirenen sägen. Es wird klar: Wenn wir so weitermachen wie bisher, bleibt „Nichts Als Staub“. Mit dem anrührenden „Schau Nicht Mehr Zurück“ kredenzt der Vierer eine zerbrechliche Ballade, die wunderbar reduziert arrangiert worden ist und neben der Stimme großteilig auf ein akustisches Konzept setzt, was der beabsichtigten Intimität sehr zugute kommt. „Wieso Weshalb Warum“ schlägt danach umso erbarmungsloser zu und überzeugt in den zackigen Strophen mit gehetzt vorgetragenen Lyrics, die sich passgenau auf die treibende und von surrenden Synthies durchsetzte Melodie legen. Das alles entlädt sich folgsam in einem verzweifelt flehenden Refrain, welcher ungemein stark an den „5. März“ von „Megaherz“ erinnert und darüber hinaus tatsächlich noch die gleiche Thematik von verflossener Liebe und betrogenen Gefühlen behandelt. Zufall? Das brachial dröhnende „Maschinenmensch“ zielt musikalisch auf einen ganz ähnlichen Nerv und fährt sowohl ein donnerndes Schlagzeug als auch brutal walzende Gitarren auf. Androide Vocoder-Samples mit atmosphärischer Note inklusive! „Tod Und Teufel“ und „Ungeheuer“ sind zwei weitere Nackenbrecher der erlesensten Sorte, die trotzdem unterschiedlicher nicht aufgebaut sein könnten. Während Ersteres noch sogleich aggressiv und gewaltsam durch die Boxen hindurch bricht, pirscht sich Letzteres erst langsam und doch nicht minder bedrohlich an, um anschließend seine mächtigen Klauen auszufahren. Das starre „Winterherz“ wird unterdessen von kühlen Electro-Einschüben begleitet, „Im Labyrinth“ regieren hingegen dunkle Beats und Piano, die sich zusammen immer weiter aufbäumen, bis mit „Die Zeit Heilt Alle Wunden“ erneut ein schnell powernder Up-Tempo folgt, der mutig zwischen selbstbewusstem Rock-Touch und knallharten Metal-Hieben balanciert. Ein ungewöhnlich finsterer Abschluss wird durch den zwölften Track „In Meinen Ketten“ geschaffen. Hier fokussiert man zuerst auf verquere Synths im dezenten Dubstep-Style und heulende Gitarren, um sich kurz darauf mit einem überraschend hasserfüllten Refrain der großen Wendung hinzugeben. Was bleibt zum Ende hin also noch zu sagen? „Erdling“ sind wieder ganz in ihrem Element und beschwören auf ihrem nunmehr dritten Album abermals eine gar mächtige Kreatur aus Metal, Rock und Elektronik, einen echten „Dämon“ eben. Keine Kompromisse mehr - das Tier muss raus! Im direkten Vergleich zum Vorgänger werden die versprochenen Extreme des Genres zwar leider nur bedingt ausgeschöpft, eingängige Hymnen im gewohnten Gewand gibt es aber dennoch zur Genüge. Warum auch nicht? Die mehr als solide Basis aus verschiedenen Elementen funktioniert und stellt den zuweilen arg harschen Riff-Attacken stets pointiert wechselnd ein melodiöses Pendant zur Seite, was sich ebenfalls auf den Gesang überträgt. Nach dem überraschend facettenreichen „Supernova“ leider nicht ganz der erhoffte Sprung, aber definitiv eine hörenswerte Weiterentwicklung für alle Liebhaber und Freunde des dargebotenen Stils.

Informationen:

http://www.erdling.band/

https://www.facebook.com/erdlingofficial/

 

Corvus Corax - Skál (2018)

Genre: Folk / Alternative

Release: 27.07.2018

Label: Behßmokum Records (Edel)

Spielzeit: 53 Minuten

Fazit:

Welch einschneidende Nachwirkung auf die Zukunft so manches, scheinbar nebensächlich anmutendes Ereignis eigentlich haben kann, veranschaulicht die folgende Geschichte gleich mehr als schön: Bei der Flucht aus der ehemaligen DDR, mussten die Musiker der im Jahr 1989 endgültig formierten „Corvus Corax“ ihren Kolkraben leider zurücklassen, woher ebenjener Bandname rührt. Doch gehen wir erst einmal etwas weiter zurück, denn zuvor spielten Castus und Wim, welcher bis heute den Löwenanteil der verwendeten Instrumente wie Schlagwerk, Pauke, Davul, Zink, Binioù, Bombarde, Trumscheit, Cister, Drehleier, Schalmei und Dudelsack höchstselbst baute, noch klassische Folklore bei „Tippelklimper“, was den markanten Sound maßgeblich kreierte. Während der musikalischen Arbeiten für den TV-Märchenfilm „Die Geschichte von der Gänseprinzessin und ihrem treuen Pferd Falada“, nutzte man die günstige Gelegenheit, das Debüt „Ante Casu Peccati“ in den dortigen Studios parallel aufzunehmen. Sodann schlossen sich zusammen mit „Zumpfkopule“ zahlreiche Auftritte auf Mittelaltermärkten an, worauf die Kollaboration „Congregatio“ und Shows in Europa und sogar Japan folgten. Der Sender „Freies Berlin“ finanzierte daraufhin „Inter Deum Et Diabolum Semper Musica Est“, weiterhin gastierten die Raben erstmalig beim Kaltenberger Ritterturnier, auf welchem sie auch heute noch regelmäßig wiederkehrende und vor allem gern gesehene Gäste sind. In 1996 gab es mit dem experimentellen Song „Tanzwut“ erstmalig einen folgenreichen Stilbruch, der elektronische Elemente in den organisch behafteten Klang miteinfließen ließ, was schließlich zu einem Split und dem Nebenprojekt gleichen Namens führte, welches, mit anderer Besetzung, noch immer äußerst erfolgreich in der schwarzen Szene besteht. Weitere ambitionierte Werke, wie etwa dem Remix-Ableger „In Electronica“, später, gelang anno 2005 der vorzeitige Höhepunkt, indem die altehrwürdigen Titel der „Carmina Burana“ neu vertont wurden. Dafür arbeitete man gar mit einem Chor und Orchester zusammen, das vielsprechende Ergebnis dessen wurde „Cantus Buranus“ getauft und von einer spektakulären Konzertreihe begleitet. Mit „Venus Vina Musica“, das unter Fans als absoluter Klassiker innerhalb der Diskographie gilt, kehrte die Band kurzzeitig zu den Wurzeln zurück, doch die nimmermüden Spielmänner hielten nicht inne und legten mit „Cantus Buranus II“ und „Cantus Buranus - Das Orgelwerk“ weiter nach, ab 2006 arbeitete man zudem am offiziellen Soundtrack für das berühmte Computerspiel „Gothic 3“ von Piranha Bytes oder schrieb das Theme für „Dragon Age: Origins“. Die medialen Übergriffe erstreckten sich selbst bis zur Teilnahme an einem Hörspiel der Serie „Point Whitmark“, einem Auftritt in der Pilotfolge von „Game Of Thrones“ oder bei der Rock-Oper „Excalibur“. Die umjubelten Gigs auf Märkten, in Schlossinnenhöfen oder gar dem Wacken Open Air sind da fast schon Randnotizen. Das epische „Sverker“ und dessen Nachfolger „Gimlie“, der erstmals über das sogenannte Crowdfunding erfolgreich finanziert wurde, ging es auf die historischen Pfade nordischer und keltischer Sagen. „Der Fluch Des Drachen“ probierte wiederum Neues und wurde mit zahlreichen Aufführungen zu einem wahren Fantasy-Musical auf den Bühnen in ganz Deutschland. Resultierend aus all diesen Experimenten, der steten Neuerfindung, der authentischen Identifikation mit diversen Kulturen und insbesondere der kreativen Erhaltung von Kulturerbe und dessen Transport in die Gegenwart, gelten die sieben Berliner Hatz, Norri Drescher, Michael Frick, Vit, Jordon, Wim Dobbrisch und Castus Karsten Liehm auch nach über fünfundzwanzig Jahren im Musikgeschäft noch immer als eine der anerkanntesten Bands ihres Fachs und dürfen sich somit zurecht als „Die Könige der Spielleute“ bezeichnen.

Zartes Vogelgezwitscher, strömende Quellen und das beruhigende Rauschen des Windes künden im Intro atmosphärisch von seliger Naturbelassenheit, bis anschließend der „Yggdrasill“, übersetzt Weltenesche, gehuldigt wird. Diese gilt in der nordischen Mythologie nicht nur als zuerst gewachsener Baum, sondern zugleich auch als der Größte und Prächtigste, welcher den gesamten Kosmos verkörpert und darüber hinaus als Verbindung zwischen den Welten fungiert, über die sich seine Äste erstrecken. Die Wurzeln reichen bis nach Jötunheim, dem Land der Riesen und unter den mächtigen Zweigen halten die Götter Gericht. Doch beginnt er jemals zu welken, naht das Ende von allem, genannt Ragnarök. Ein bedrohliches Knarzen und tiefe Chöre gestalten hier den Einstieg, bis dunkel vorgetragene Strophen einsetzen, die hauptsächlich von druckvoll donnernder Percussion aus mächtigen Trommeln getragen werden. Später setzen hymnische Sackpfeifen und fordernde Schlachtrufe ein, während der respekteinflößende Song im behäbigen Tempo voranwalzt und den geneigten Hörer damit sogleich epochal in die Thematik hineinzieht. Bei „Herr Wirt“ widmet man sich dann wieder der mittelalterlichen Liederhandschriftsammlung: „Carmina Burana“. Hier geht es wiederum deutlich temporeicher und vor allem sehr viel fideler zu. Die gefällige Melodie der Dudelsäcke reißt im direkten Zusammenspiel mit den treibenden Trommeln zügig mit und lädt gerade gegen Ende hin zum Tanze ein, was sich gleichermaßen auch im beschwingten „Sauf Noch Ein“ wiederfindet. Neben der Geschichte vom verhängnisvollen Besuch einer Taverne, die hier von Julia Lindner an der Geige begleitet wird, natürlich zudem noch ein mehr als gutes Trinklied. Mit „Hugin & Munin“ lassen „Corvus Corax“ dann ihren Namenspatron in die Lüfte steigen, so wie auch die beiden Raben „Gedanke“ und „Erinnerung“ des Göttervaters Odin selbst, einst über der nordischen Welt ausgesandt wurden, um jene auszuspähen und von den dortigen Geschehnissen zu berichten. In Kooperation mit Arndis Halla, unter anderem bekannt durch „Apassionata“, wurde hier ein echtes Schwergewicht im schleppenden Tempo geschaffen, das mit seinem durchweg klassischen Flair aus Dudelsäcken und schweren Trommeln die Mystik der Edda vortrefflich einfängt. „Pfeifsack“ zollt ebenjenem Instrument dann seinen wohlverdienten Tribut, indem dessen hypnotische Klänge in unterschiedlichsten Facetten zelebriert werden. Vor allem der stete Wechsel zwischen mehrstimmig gesungenen und instrumental arrangierten Passagen weiß durch seinen puren Abwechslungsreichtum zu gefallen. Schnick, Schnack, Schnuck... so beginnt das fröhliche „Hol Bier Herbei“, welches fortan mit seinen heimeligen Klängen zum geselligen Schunkeln animiert und daneben textlich so manch charmant-amüsante Zeile bereithält. So feiert das Mittelalter! Der bezeichnende Titeltrack „Skál“ kommt hingegen rein instrumental daher und heizt die Stimmung unter scheinbarer Zuhilfenahme des gesamten Repertoires in gewohnter Manier an. Der experimentelle Percussion-Zwischenpart hält nicht nur ein rhythmisches Solo bereit, sondern überrascht auch mit ungewöhnlich modernen Zügen. Für die Erzählung von „Eine Jungfrau“ hat man sich gleich drei Partner ins Boot geholt: Während Maxi Kerber, mit welcher die Spielmänner schon auf „Der Fluch Des Drachen“ zusammenarbeiteten, dem augenzwinkernden Text mit seinen frivolen Gleichnissen sanftes Leben einhaucht, verdingen sich Faber Horbach und Klaartje Horbach of Cesair derweil an Lyra und Nyckelharpa, um von betrogener Liebe und einem Mord zu berichten. „Die Rose“ markiert die anmutige Ballade des Albums und versteht es, mit ihrer hypnotischen Melodie aus Dudelsäcken und Pfeifen behände durch den bedeutungsschwereren Text zu tragen, der zum nachsinnen bewegt. Merke: „Lasst uns leben, wie es uns gefällt. Denn die Zeit vergeht, niemand der sie hält!“. Das dramaturgisch feinsinnig konstruierte „Ofermod“ lässt den Hörer dann zum endgültigen Ausklang mit den Wikingern in die Schlacht ziehen. Zur hymnischen Weise mit kräftigem Schlagwerk, gesellen sich tiefe Hörner, wie auch eine atmosphärische Kulisse aus dem Klirren der Schwerter und Schilde. Wie klingt also der alte Norden in seiner vielschichtigen Gesamtheit? Selbstverständlich wird auch dieses Mal wieder bei so manchen Stücken in auszeichnender Tradition ein gar mächtiges Instrumentarium aufgefahren, doch lässt man sich dazwischen auch immerzu genügend Raum für gelösten Frohsinn und eine angenehm verspielte Leichtigkeit, welche dem bloßen Facettenreichtum nur umso zuträglicher ist. Somit gibt es abschließend nicht mehr allzu viele Worte zu verlieren, außer vielleicht: „Skál“!

Informationen:

http://www.corvuscorax.de/

https://www.facebook.com/CorvusCoraxBand/

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