Eisbrecher - Kaltfront (2025)
- Christoph Lorenz
- 13. März
- 25 Min. Lesezeit

Genre: Rock / Metal / Alternative
Release: 14.03.2025
Label: Hansa Local (Sony Music)
Spielzeit: 51 Minuten
Pressetext:
Eigentlich können wir es diesmal kurz machen. „Das ist die Platte, die ich immer machen wollte“, knallt Alex Wesselsky trocken raus.Was soll man da jetzt noch groß ergänzen? Außer vielleicht: „Kaltfront°!“ ist die Essenz von Eisbrecher, ein lupenreines Destillat, das am Ende einer langen Reise durch die Dunkelheit steht. Die Trennung vom langjährigen Mitstreiter und Produzent Noel Pix, eine kritische OP inklusive langem Krankenhausaufenthalt und damit verbundenen Konzertabsagen – eine kritische Phase für Alex Wesselsky und seinen Eisbrecher. Da Aufgeben keine Option ist, hielt man dennoch Kurs und es wurden – allen Widrigkeiten, Gegenwind und Untiefen zum Trotz – wieder ruhigere Gewässer erreicht.
Von all dem erzählt „Kaltfront°!“. Von den Kämpfen und Ängsten, aber auch von der Zuversicht und dem Vertrauen in die eigene Stärke. Es ist deswegen nicht nur das beste Eisbrecher-Album aller Zeiten. Sondern auch das Wichtigste. Es steht sinnbildlich für das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, ein monumentales Werk, das kraftstrotzend tönt und nicht für eine Sekunde Zweifel zulässt, wer in der deutschsprachigen Rockwelt der Chef im Ring ist: Die Schnauze mit Herz. Alexander Wesselsky. Wo die Songs davor schon überlebensgroße, breitbeinige Hymnen waren, ist „Kaltfront°!“ so etwas wie die Marvelisierung Eisbrechers: Der endgültige Übergang zum Superhelden-Metaverse. Das soll natürlich nicht heißen, dass Alex Wesselsky plötzlich zufrieden ist. Er wird auf ewig der „Grantler“ der harten Gitarrenmusik bleiben, derjenige, der sich an der Welt reibt, über die Gesellschaft aufregt, politisch klare Kante zeigt und sich nicht hinter hohlen Phrasen versteckt. Es sind finstere Zeiten da draußen, da müssen wir uns gar nichts vormachen. Die Hymnen von Eisbrecher sind aber mehr denn je die Axt für das gefrorene Meer in uns. Das war jetzt zwar quasi Kafka, aber dagegen hat Alex bestimmt nichts. „Ich bin ja kein Yoga-Rocker, für mich geht es nicht ohne soziale und politische Texte“, meint er. „Ich bin und bleibe ein wütender Mensch. Ich bin hauptberuflicher Zyniker, typisch bayerisch eben, ein Mauler, Nörgler, Kommentierer, muss zu allem meinen Senf ablassen. Und wenn ich es nicht kann, wird es noch schlimmer. Also gibt es diese Band. Also gibt es ‚Kaltfront°!‘.“
Dass es dieses Album gibt, war noch vor einem Jahr alles andere als klar. „Der Partner ist futsch, ich war auch fast futsch“, so fasst Alex die Ereignisse wenig romantisierend zusammen. „Das war natürlich eine Vollkatastrophe. Noel Pix und ich haben bei Eisbrecher seit Tag eins zusammengearbeitet. Zudem war er ja auch der Producer und damit ist man quasi das Zentrum der Macht.“ Nach fast 20 Jahren, neun Platten, zwei davon Nummer-eins-Alben, steckte der Kahn fest. „Wir haben uns auseinandergelebt“, analysiert Alex. „Das ist wie bei Pangäa. Irgendwann ist der Urkontinent aufgebrochen. Diese Zentrifugalkräfte kann man nicht ignorieren. Und ohne diese Trennung würde es Eisbrecher heute wahrscheinlich nicht mehr geben.“ Da fragt man sich natürlich unweigerlich: Woher zum Geier kommt denn dann diese ganze Energie auf der Platte? Diese Schubkraft, die dich wie in einer Rakete in den Sessel drückt, dieser Hunger? Durch einen rigorosen Neuanfang, nichts weniger als das. 2023 ging alles in Scherben, 2024 wurden die Weichen auf kalt gestellt – Zeit für ein großes Server-Update. Eisbrecher 2.0. „Ich musste mir nichts beweisen. Ich weiß ja, was ich kann“, stellt Wesselsky klar. „Ich wusste eben nur nicht, ob ich das Jahr überleben würde.“ Es steht ernst um ihn, er wird vom Fahrer zum Beifahrer in seinem eigenen Leben. „Ich stand staunend neben mir und beobachtete mein Leben von außen“, blickt er zurück. Man macht einfach weiter - man kämpft sich durch. Schritt für Schritt. „Solange du auch nur den Hauch einer Chance hast, macht dein Körper etwas mit dir. Er schüttet da irgendetwas aus, damit du nicht zusammenbrichst.“
Alex erkennt für sich, dass er die Band braucht, um zu überleben. Vielleicht keine ganz neue Erkenntnis, aber auf jeden Fall eine prägende. Er beschließt, Eisbrecher allein weiterzuführen. Als Kapitän und Steuermann. „Ist das jetzt die Eisbrecher-Diktatur? Vielleicht. Ich bin ein Bühnentier, ein Organisierer, ich bin kreativ, aber die ganzen Producer-Arbeiten muss ja auch jemand übernehmen.“ Auftritt Henning Verlage, ein alter Bekannter in der Eisbrecher-Besatzung. Als er sich der Sache als Produzent annahm, wusste Alex Wesselsky, dass das Tal der Tränen endgültig durchschritten ist. „Das war die Geburtsstunde des neuen Eisbrechers. Ich lag am Boden, angezählt und dann… BUMM… der Defibrillator jagt Strom durch meinen Körper und ich bäumte mich doch noch mal auf. So hat sich das angefühlt.“ Und nicht nur das: Die beiden harmonieren von Tag eins, ergänzen sich und realisieren in wenigen Wochen ein gewaltiges, episches und vielschichtiges Eisbrecher-Album, das sie selbst überrascht. Als hätten sie die Urgewalt ihrer Bühnenshow ins Studio eingesperrt. „Henning Verlage hat die Band gerettet. Er kennt unsere DNA wie wir selbst, außerdem teilen wir dieselbe Leidenschaft für große Rock-Hymnen und das Wave-Feeling der Achtziger. Ich hatte so viel Spaß im Studio wie nie zuvor. Wir haben so viele gute Songs geschrieben, dass die ganze Welt das Album scheiße finden könnte und es wäre mir egal.“ Ähm, Alex, hörst du dich selbst reden? Das Ding ist so ein Selbstläufer, dass neben dem Duden-Eintrag zu Selbstläufer das Albumcover abgebildet sein müsste.
Beispiele? Da ist das mystische „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, ein doppelbödiges, stampfendes Duett mit Ausnahmestimme Sotiria. Blitzt da sogar sowas wie Romantik durch, Herr Wesselsky? Am andere Ende des Spektrums lauert „Das neue Normal“, eine knallharte Abrechnung mit einer Welt, die immer nur von oben nach unten tritt. Und dann ist da natürlich noch das große Epos „Festung der Einsamkeit“, das zum Schluss noch mal alle Register in Sachen Wucht und Emotionalität zieht. „Jede Schlacht geschlagen, jeden Krieg geführt, 1000-mal verwundet und nichts dabei gespürt“ singt Kapitän Wesselsky hörbar mitgenommen. Und der Kloß im Hals, er kommt von ganz allein. Vielfältiger, freier, mutiger, selbstbewusster klangen Eisbrecher nie. „Das ist die Platte, die ich schon ewig machen wollte, aber nicht konnte, weil alles eben anders war im System Eisbrecher, das ja immerhin 20 Jahre währte“, sagt der Frontmann deswegen auch ganz folgerichtig. „Das ist das Ding, das Polaroid-Foto, das den Zeitraum von 2020 bis Anfang 2025 abbildet. Fünf verdammt harte Jahre meines Lebens.“ Da darf man auch mal emotional werden. Vor allem nach dieser schicksalhaften Achterbahnfahrt der letzten Jahre. Und wer’s genau wissen will: Die Mundharmonika in „Waffen Waffen Waffen“ spielt er sogar selbst. Move over, Dylan!
„Kaltfront°!“ saugt die monumentale Härte von „Sturmfahrt“ auf, übergießt sie mit einem hoch entzündlichen Cocktail aus EBM-Flackern, metallischem Grollen und fettesten Grooves und zündet alles mit dem Streichholz unseres eigenen Unvermögens an. Es ist ein Monster von einem Album, groß, triumphierend, übermächtig. Positive brutality! Wie zum Beispiel das knallharte Groove-Metal-Monster „Auf die Zunge", das Eisbrecher, gemeinsam mit ihrem 2023-Toursupport Schattenmann, dem geneigten Hörer unter die Schädeldecke hämmern. Und wo wir gerade bei Kolaborationen sind: Das galoppierende „Zeitgeist“ vereint Alex Wesselsky endlich im "Eisbrecherversum" mit Joachim Witt, der schwarzen Eminenz der deutschen Musik. Für Alex Wesselsky ist „Kaltfront°!“ ein kleines Wunder. Das Album, das es um ein Haar gar nicht gegeben hätte. Deswegen hört man es ganz automatisch mit anderen Ohren. Legt seine scharfkantigen Aussagen gleich mal unters Mikroskop. Denn auch wenn Eisbrecher immer noch Eisbrecher sind und der Sound in gewohnter Breite detoniert: Ein wenig mehr Alex steckt in diesen hochexplosiven Granaten durchaus drin. „Der letzte Tag, das Ende kommt“, singt Wesselsky im massiven Titeltrack. Doch vor dem Ende steht ein neuer Anfang. Jetzt ist der Blick in die Zukunft endlich wieder frei. Auf kalt!
Erscheinen wird „Kaltfront°!“ am 14. März 2025 in verschiedenen spektakulären Konfigurationen – als Digipack, Doppel-Vinyl und Fanbox inklusive Beanie, Fanschal und Eiskratzer sowie jeweils im Bundle mit T-Shirt oder Hoodie.
Kritik:
„Kein Stern steht überm Horizont - Kaltfront!
Zu lange im falschen Licht gesonnt - Kaltfront!
Halb erfroren und ausgezehrt, wie viel ist ein Leben wert?
Eine Warnung, die von Herzen kommt - Kaltfront!“
Rauer Wind zieht auf und wird lauter. Seine klirrenden Böen peitschen sich jetzt immer heftiger zum Sturm und lassen die Kälte erbarmungslos durch Mark und Bein ziehen. Ein kühles Knacken von tonnenschweren Schichten aus Eis dringt zu Gehör, bis plötzlich ein tiefer Bass bedrohlich einsetzt und sofort aufschreckt. Es rauscht kurz. Von irgendwoher wird ein Notruf via Funk abgesetzt, der uns unvermittelt erreicht: „Eiszeit… Minus 90 Grad… Ein Labyrinth aus endlosem, weißem Nichts. Ziellos, zeitlos… Die Hände taub, der Körper starr…Mir ist kalt… Ist da jemand? Ist da jemand? Kann mich irgendjemand hören?“, flüstert eine unheimlich raunende und zugleich verzweifelte Stimme. Das atmosphärische Intro „Minus 90 Grad“ lässt starke Bilder vor dem inneren Auge entstehen, sodass einem schon vom bloßen Zuhören (un)angenehm kalt wird… Eisig pulsierende Synthies kreiseln elektrifizierend umher, während bald darauf eine effektbeladene Stimme, die wie ein charmanteres Pendant zur knarzigen Vocoder-Voice anmutet, mit mächtig viel glattgebügeltem Pop-Appeal den Titelnamen skandiert: „Everything Is Wunderbar“. Wer die Münchner Band und das Genre der NDH jedoch kennt, der weiß genau, der falsche Frieden währt nicht lange und vernimmt das unterschwellige Brodeln im Maschinenraum schon lange bevor sich dieses nur wenig später mit ordentlich Power und frostiger Dampfhammer-Dynamik zum Startschuss formiert. Bereit, das Eis zu brechen - Volle Kraft voraus! Sofort sind alle bekannten Charakteristika da, die der geneigte Fan so liebt: Knüppelndes Drumming, ein tiefer Bass und brachial schreddernde E-Gitarren peitschen den treibendem Rhythmus in bester Up-Tempo-Manier, darunter mischt sich minutiös mechanisches Fiepen und Knistern, welches der metallischen Rock-Schlagseite ihren kühlen Industrial-Touch zuführt. Nur wenig später steigt Sänger Alexander „Alexx“ Wesselsky mit seiner gewohnt markanten Stimme ein: „Wir lachen uns zu Tode, wir feiern uns kaputt. Superfetter Lifestyle, wie immer alles gut! Jeder Schuss ein Treffer, jeder Song ein Hit. Jeder ein Gewinner und alle machen mit…“, skandiert er betont zynisch unter dem minimalistisch pumpenden Beat. Im darauffolgenden Ohrwurm-Refrain rückt die Aussage des Songs dann nicht minder ironisch weiter ins Zentrum: „Nichts ist mehr so, wie's immer war. Hauptsache everything is wunderbar! Nichts ist unmöglich, der Weg ist klar…“. Rein thematisch wirkt die erste Vorab-Single des aktuellen Albums wie ein „Willkommen Im Nichts“ 2.0: Eine durch und durch kritische Betrachtung unserer ach so modernen, immerzu abstumpfenden Konsum-Gesellschaft, die willentlich taub und blind, doch leider niemals stumm, zwischen Exzess und Extreme durchs Leben taumelt, um in all ihrer narzisstischen Selbstdarstellung munter unreflektierte Traumtänze im Fassaden-Schein zu vollführen. Getreu dem in der zweiten Strophe besungenen It-Motto: „Fressen, ficken, kaufen. All das, wovon man träumt. Wo ist denn das Problem? Ich frag’ für einen Freund!“. Vom Upgrade des Lebens und Großdenken ist da die Rede. „Der Hype, der Wahnsinn, er lässt uns nicht mehr los. Das Paradies auf Erden, es fällt uns in den Schoß!“. Die rastlose Trend-Jagd nach dem nächsten großen Ding, dem alles überschattenden Erfolg. Das unendliche Glück, möglichst ohne Mühe und Eigeninitiative. Am Ende steht die alles verschlingende Leere. Zweiter Song, zweite Single: „Kaltfront“. Zugegeben, eine eher ungewöhnliche Wahl. Jedoch nicht, weil es sich hierbei um den Titeltrack des aktuellen Werks handelt. Nein, denkt man an „Eiszeit“ oder „Die Hölle Muss Warten“, wurden diese von der Band durchaus gerne vorab ausgekoppelt. Viel mehr fällt dessen musikalische Ausrichtung für einen Appetizer doch ein wenig sperrig ausfällt… Was definitiv nichts Schlechtes sein muss! Unterkühlt perlende Synthie-Tupfer und ein streng marschierender Beat, der passenderweise ganz den Anschein macht, als würde man durch dichte Massen aus Schnee stapfen, gestalten den Einstieg. „Wir haben es nicht kommen sehen. Konnten es uns nicht eingestehen. Doch frei von Kälte, frei von Leid, war für uns die längste Zeit. Das ganze Nichts nur ausgeliehen. Die Wahrheit in den Wind geschrien. Das alles, was durch uns geschah, am Ende doch vergebens war…“, raunt Wesselsky mit kehliger Stimme in den von pumpenden Drums bestimmten Strophen. Im von bedrohlich flimmernder Elektronik untermauerten Pre-Chorus heißt es anschließend „Dunkle Wolken ziehen auf, wir folgen stur dem Zeitenlauf…“. Was danach jedoch ein wenig verwirren kann, ist der Refrain selbst: Beim ungewöhnlich dünnen Übergang weiß man nämlich nicht so recht, ob man sich noch in der Vorbereitung auf das metallisch-hymnenhafte Gewitter oder bereits mitten im Chorus befindet. Letzteres ist der Fall. „Kein Stern steht überm Horizont… Zu langе im falschen Licht gesonnt… Halb erfroren und ausgеzehrt, wie viel ist ein Leben wert? Eine Warnung, die von Herzen kommt…“, wird darin gesungen. Immerzu durch martialische „Kaltfront!“-Rufe durchbrochen, was der Nummer zusätzlich zu den angespannt knurrenden E-Gitarren einen ziemlich kernigen Drive verleiht, der gerne noch härter hätte ausfallen dürfen. So bleibt der aktuelle Titeltrack, der wie ein geistiges Pendant zum rasenden „Sturmfahrt“ wirkt, das seinerzeit um einiges druckvoller daherkam, bei sehr soliden Grundvoraussetzungen durch zu viel Zurückhaltung leider etwas hinter seinen Möglichkeiten zurück. „Wir haben so lang an nichts geglaubt, haben unseren Augen nicht getraut. Jetzt stehen wir hier in Einsamkeit, um uns herum nur Dunkelheit!“ - Neben dem atmosphärischen Arrangement, das auch den elektronischen Elementen wieder mehr Raum an der Seite der Rock-Front zugesteht, sind hier vor allem die verklausulierten Lyrics mit ihrer schönen Metaphorik hervorzuheben, die gesellschaftliche Isolation und Entfremdung in gelungener Bildsprache prophezeien.
Deutlich wuchtiger produziert kommt wiederum die dritte und bislang letzte Single „Auf Die Zunge“ daher - Und wie! Sofort beginnt die Atmosphäre angespannt zu knistern, wenn grölende Stadion-Choräle aufbranden, welche den aufgeladenen Battle-Charakter des zugehörigen Musik-Videos transportieren und alles vor Energie nur so strotzt. Der erste Eindruck trügt nicht, denn sehr bald bricht eine aggressive Rock-Hölle los, wenn rhythmisch aus das Schlagzeug eingedroschen wird, dreckige Gitarren sägen und nervöse Electro-Beats zucken grell - Power pur! Apropos „Battle“: Mit den NDH-Senkrechtstartern von „Schattenmann“, die „Eisbrecher“ im Jahr 2023 auf ihrer pandemiebedingt mehrmals verschobenen Tournee zu „Liebe Macht Monster“ als Support unterstützten, hat man sich hier namhafte Feature-Gäste aus dem ureigenen Genre als Konterpart zur Seite gestellt. Zumindest auf dem Papier und laut Tracklist. Im Endergebnis treten die Nürnberger mehr visuell in genanntem Video in Erscheinung, als sie auch nur annähernd irgendeiner Weise akustisch im Song selbst zu vernehmen wären: Wie viel „Schattenmann“ nun eigentlich im Sound verankert oder in wie weit der Song generell eine Gemeinschaftsproduktion beider Bands ist, ist schwer zu sagen, wenngleich dieser auf jeden Fall trotz klarer NDH-Kante einige Unterschiede zum typischen „Eisbrecher“-Klang aufweist und damit etwas unkonventioneller als beispielsweise die zwei vorherigen Stücke tönt. Klar ist, würde das Quasi-Feature nicht als solches in der Tracklist benannt sein, würde man es vermutlich nicht bemerken. So ist Frank Herzig etwa weder in den Strophen noch im extrem gelungenen, rotzig-roughen Refrain des Up-Tempo-Tracks über innere Dämonen und toxische Liebe mit einem eigenen, differenzierten Part präsent, sondern lediglich als leises Scream-Echo von Wesselsky… Und das auch nur, wenn man genau hinhört. Ganz genau. Wer ohnehin kein allzu großer Freund von Duetten ist, wird sich vermutlich eher wenig daran stören, dennoch hinterlässt die Kollaboration in dieser Hinsicht ein Fragezeichen. Ansonsten lässt sich jedoch definitiv sagen, dass dieser Gassenhauer, der textlich sogar etwas an alte „Megaherz“-Zeiten mit Songs wie „Du Oder Ich“ von „Himmelfahrt“ erinnert, trotz (oder gerade wegen) eines vortrefflichen Härtegrades viel Ohrwurm-Qualitäten sowie schöne Ecken und Kanten aufweist, die ihn definitiv zu einem der gelungensten Songs des gesamten Albums machen! Ein Windhauch säuselt und pfeift umher. Langsame Schritte von schweren Stiefeln auf hölzernem Boden. Tiefe Glockenschläge, während eine Mundharmonika das Lied vom Tod spielt - Typische Wild-West-Atmosphäre macht sich langsam breit! Viel scheint die Menschheit seit dem Zeitalter der Outlwas jedenfalls nicht dazugelernt zu haben, denn das versch(r)obene Mindset der Gesetzlosen, die ihre eigenen Regeln machen, und viel blaue Bohnen gibt es auch beim bissigen „Waffen Waffen Waffen“ zu Genüge. Rein stilistisch gesehen hätte der Song mit seinen sprunghaften Passagen aus von Slow-Down-Beats getriebenen Strophen, dem lässigen Gesang und den Titel skandierenden, verzerrten Einschüben neben ballernden Riffs auch gut auf den Vorgänger „Liebe Macht Monster“ gepasst. Ein unberechenbarer Hybrid aus klassischer NDH und modernen Einflüssen fletscht hier mit gewohnt bissigen Zeilen wie „Ich fühl’ mich nicht mehr sicher, komm‘ mir nicht zu nah. Die Welt ist voller Spinner…“ oder „Ich schau’ aus meinem Fenster, überall Gewalt. Wo wird das alles enden!? Es wird nicht lange dauern, bis es richtig knallt und sich die Zeiten wenden!“ ironisch die Zähne. Die Lösung: „Ich trag’ ein heißes Eisen aus eiskaltem Stahl. Ich liege auf der Lauer, ich nehme mir das Recht. Bin einer von den Guten, nur die andern, die sind schlecht!“. Erst ab der Hälfte einer jeden Strophe schwenkt das Arrangement in die bewährte Dynamik zwischen Drums, Bass sowie E-Gitarren im Viervierteltakt und auch der Gesang fremdelt jetzt weniger. Vor dem Refrain wartet mit den Worten „Macht euch keine Sorgen. Was soll schon groß passieren…“, ein ganz kurzer Ruhepol, bis mit „Es liegt nun mal in unserem Blut total zu eskalieren!“ die rockende Saiten-Front direkt wieder einsteigt und in den dualen Chorus, der sich als Mix aus Hymnenhaftigkeit und Metal-Geballer präsentiert, weiterleitet: „Wir sind doch die Guten, lasst uns aus all dem Leid eine neue Welt erschaffen mit…“. Na? Richtig: „Waffen Waffen Waffen“! Nun, die Lyrics sind an einigen Stellen genretypisch nach dem „Reim dich oder ich fress dich“-Prinzip gestaltet und auch die Thematik ist (leider) alles andere als neu, wenngleich daran die Menschheit selbst schuld trägt. Nimmermüdes Wettrüsten, weil doch einzig die Gegenseite zu den Bösen gehört. Frieden? Na klar, aber bitte nur zu den eigenen Konditionen! Herrlich zynische Passagen wie „Ich hab’ alles auf Lager, doch zero Toleranz. Ich treffe gerne Menschen aus sicherer Distanz!“ oder „Ich will nur meinen Frieden und erkläre euch den Krieg!“ treffen dennoch zielsicher ins Schwarze (Pun intended!). Solide Nummer mit typischem NDH-Charakter mit kleinen Twists und gelungenem Text, doch wenig erinnerungswürdigen Momenten oder gar Überraschungen.
Dieses Kurz-Resümee ließe sich auch zu einigen anderen Songs auf „Kaltfront°“ ziehen. Beispielsweise zu „Dein Herz“, welches sich zunächst mit einem verquer leiernden, pochenden Beat ankündigt, bevor fiepende Synthies aufheulen und ein harsch flackerndes Riff unverhohlen dazwischen grätscht, das an die frühen Werke von „Stahlmann“ erinnert. Zugegeben, schon beim Erstgedanken eine Assoziation, die sich merkwürdig anfühlt, wenn man bedenkt, dass ausgerechnet „Eisbrecher“ eine der altgedienten Acts des Genres sind, die neben „Rammstein“ und „OOMPH!“ viele Nachfolger inspiriert haben. Letztgenannte scheinen wiederum geistig für den Refrain Pate gestanden zu haben, der harmonisch so auch von Dero Goi, der mittlerweile auf Solo- und andere fragwürdige Pfade abgedriftet ist, hätte interpretiert werden können. Die extrem eindringlichen Strophen zeigen sich durch ihre knurrende Electro-Basis wunderbar oldschool und gemahnen an das eisbrecher’sche Debüt aus 2004 oder stellenweise auch das ähnlich gelagerte „Sünde“. Aus genannten Gründen stellt sich jedenfalls recht zügig das Gefühl ein, das alles thematisch und musikalisch schon ein oder mehrmals gehört zu haben. Die berühmt-berüchtigten Grenzen der NDH? Etwas schade, da die eiskalte Münchner Besatzung derartige Klischee-Melodien bisher sicher umfahren und altgediente Themen eigen und damit spannend zu verpacken wusste. Trotzdem weiß der vertraute Sound natürlich zu gefallen, ebenso wie das schöne Gitarren-Solo oder die einmal mehr ausdrucksstarke Intonation von Wesselsky. Hey! Hey! Hey! Er war, ist und bleibt der goldene Reiter: Altmeister Joachim Witt hat seit seinen Anfängen von NDW und Pop über NDH und Rock schon viele musikalische Wege beschritten und ist auch der schwarzen Szene spätestens seit seiner „Bayreuth“-Trilogie bis heute ein fester Begriff. 2023 veröffentlichte er mit „Der Fels In Der Brandung“ sein (vorerst?) letztes Studioalbum, von dem im Folgejahr eine Extended Edition mit insgesamt fünf Bonus-Songs. Einer davon ist die sogenannte „Brett Version“ des Openers „Signale“, ein um zusätzliche E-Gitarren angereicherter Neu-Mix im Feature mit Alexander Wesselsky. Die vom Kapitän höchstpersönlich erbetene Revanche gibt es jetzt und hier in Form einer knackig flowenden Rock-Nummer, die mit unter drei Minuten recht kurz ausfällt. Dafür bringt sie den schrulligen Dadaismus-Charakter von Witt, welcher, nachdem er just für „In Extremo“ den „schwarzen Mann“ in „Des Wahnsinns Fette Beute“ auf deren aktuellem Album „Wolkenschieber“ gab, hier nun den (gar nicht mal so) ehrwürdigen „Zeitgeist“ repräsentiert, mit einigen Signature-Zwischenrufen ein, sodass eine schöne Symbiose entsteht. Das passt zusammen und auch die beiden Sänger harmonieren stimmlich ziemlich gut miteinander. Über sehr simple Dichtungen wie „Ich bin "Immerdran", Bi-Ba-Butzemann… Ich bin wie du!“ oder „Ich bin pure Lust, feinster Zuckerguss… Komm schon, greif zu!“ braucht man nicht viele Worte verlieren, wenngleich die charmante Selbstreferenz an das kultige „Herbergsvater“ vom 1996 erschienenen „Edelweiss“ mit „Ich bin „Immerda“, „Tri-Tra-Trullala“…“ in der zweiten Strophe zum Schmunzeln bringt. Reimtechnisch ist der Song in etwa auf einem Level mit „Fanatica“ vom Debüt, wobei es hier gefühlt noch weniger Text gibt. Auch ohne viel NDH-Poesie ist mehr oder minder klar, was die Kernaussage des Stücks ist, aber einen Goth-Ballermann-Refrain der Marke „Oho! Döp, Dö-Dö-Döp! Zeitgeist, Baby, Zeitgeist!“ hätte es wohl wirklich nicht gebraucht. Für die kommenden Live-Shows aber bestimmt auch ohne Gastsänger ganz brauchbar… Deutlich mehr Gehalt hat danach „Das Neue Normal“ zu bieten und zwar sowohl lyrisch als auch musikalisch. Dabei wird der Beginn mit dramatischen Sounds und dem Klang im Gleichschritt marschierender Stiefel äußerst atmosphärisch in Szene gesetzt, bis es mit der Kraft drückender Drums und schweren Riffs im Viervierteltakt weitergeht. Während der dumpf pochende Beat im Rhythmus stampft, begibt sich Wesselsky in die Rolle des Rattenfängers und ködert mit falschen Versprechungen radikaler Propaganda: „Wir machen richtig sauber. Wir räumen gründlich auf. Wir sind für dich da, wann immer du uns brauchst!“ und auch „Das Leben ist uns Auftrag. Wir machen alles wahr. Wenn alle andern lügen, dann sind wir für euch da. Der Sieger schreibt Geschichte und er schreibt, was er will. Verlierer gibt es immer, doch sie bleiben still!“ heißt es da in den Strophen. Erst die bitterböse Bridge legt dann unmissverständlich offen, was wirklich dahintersteckt, doch ist es für die Umkehr längst zu spät: „Wir bauen eine neue Welt für alle… Doch diese Welt ist sicher nicht für dich!“, denn „Hier kommt das neue Normal, doch du bist ihm scheißegal! Du stehst mit dem Rücken zur Wand. Du hast es nicht in der Hand, ja! Hier kommt das neue Normal. So modern, so schön radikal. Es beginnt eine glorreiche Zeit, doch ohne dich mein Freund, tut mir leid!“… Zeit, umzudenken und die wahre Intention hinter hohlen Phrasen zu enttarnen, bevor es endgültig zu spät ist und sich der bald darauf einsetzende Fliegeralarm, der hier als akustische Dystopie einer neuen Weltordnung ertönt, erneut als selbstgewählter Schrecken über das Land legt.
Erinnert sich eigentlich noch jemand an das One-Hit-Wunder „Eisblume“? Das quasi aus dem Nichts aufgetauchte Projekt der Berlinerin Sotiria „Ria“ Schenk, welches anno 2006 mit dem gleichnamigen Song, welcher, wie der Mainstream natürlich nicht wusste, gar nicht ihr eigener, sondern ein Cover des beliebten „Subway To Sally“-Evergreens aus dem Vorjahr war, und fortan durch die bunte VIVA-Welt dudelte. Mit „Unter Dem Eis“ und „Ewig“ gingen fortan zwei Alben auf das Konto der Hauptstädterin, bevor sich die Band 2013 wieder auflöste. Drei Jahre später begann Schenk, gemeinsam mit Ex-„Unheilig“-Keyboarder und -Produzent Henning Verlage, der Szene-Insidern von „Neuroticfish“ bekannt sein dürfte, an neuer Musik in Form eines Solo-Albums zu arbeiten. Das Besondere dabei: Der Graf, der „Unheilig“ 2016 (vorerst) beendete und erst dieser Tage sein Comeback ankündigte, hatte zu jener Zeit zwar seinen Abschied von den Bühnen verkündet, wollte fortan jedoch Musik für von ihm ausgewählte Künstler schreiben, die seine Songs folglich in die Welt tragen sollten. Im Jahr 2018 begab sich die Live-Band von „Unheilig“ gemeinsam mit William „Billy Andrews“ Andrew Volk auf „Zeitreise“-Tournee quer durch Deutschland, um sowohl Songs des Grafen als auch die, seines eigenen Projekts „The Dark Tenor“ live aufzuführen. Die Rezeption fiel weitestgehend sehr verhalten aus, weswegen es wohl auch bei diesem einen Versuch blieb. Im Vorprogramm mit ordentlich Werbe-Rummel für das Debüt aus unheiliger Feder mit dabei: Sotiria. „Hallo Leben“ erschien noch im selben Jahr und erreichte immerhin den sechsten Platz in den Charts, konnte aber anscheinend nicht den erhofften Erfolg verzeichnen, sodass sich abermals Stille breitmachte. 2021 kehrte sie plötzlich mit „Mein Herz“ zurück und wandelte ihren Sound von ehemals Goth-Pop und zuletzt Radio-Pop mit melancholischer Schlagseite hin zu Pop-Schlager im Style von Helene Fischer und Konsorten. Wieder Stille. Im Februar 2025 kehrte die Sängerin mit „Meine Liebe Ist Gift“ abermals zurück: Neben einem Duett mit Peter Heppner („Weiß Wie Schnee“) ist dabei auch Herr Wesselsky in der Tracklist enthalten, der sich beim Titeltrack die Ehre gibt. Frei nach dem Motto: Wenn‘s im Mainstream nicht wie gewünscht klappt, versuchen wir’s eben wieder in der schwarzen Szene. Nun, dazu sei gesagt, dass genannte Features wirklich sehr solide Nummern sind, aber hauptsächlich von ihren Gästen profitieren. Erstaunlicherweise überzeugt die Kollaboration auf dem neuen Album von Sotiria mehr, als das nun folgende „Die Hoffnung Stirbt Zuletzt“. Ja, auch jedes „Eisbrecher“-Werk der Vergangenheit hielt die ein oder andere Ballade bereit: Angefangen bei „Frage“ vom 2004er-Debüt sowie den beiden großartigen Fan-Favoriten „Ohne Dich“ („Antikörper“, 2006) und „Herzdieb“ („Sünde“, 2007) über „Der Hauch Des Lebens“ („Eiszeit“, 2010) und so ziemlich alle ruhigeren Stücke von „Die Hölle Muss Warten“ aus 2012 bis hin zu „Rot Wie Die Liebe“, „Schlachtbank“ und „Noch Zu Retten“ aus der „Schock“-Ära anno 2015, „In Einem Boot“ und „Wo Geht Der Teufel Hin“ von der „Sturmfahrt“ in 2017 oder „Himmel“ aus „Liebe Macht Monster“, diverse Hybrid-Songs nicht eingerechnet. Das ist auch überhaupt nicht schlimm, ganz im Gegenteil, sondern der Abwechslung absolut zuträglich, denn jedes noch so brachial tösende NDH-Gewitter verliert ohne melancholische Momente, bedachtere Nuancen und musikalische Abwechslung schnell seine Wirkung! Nur zeigte sich keines der genannten Stücke auch nur annähernd so platt und unfreiwillig schmalzig wie dieses hier. Dabei ist die Message fraglos gut und bietet eigentlich eine recht schöne Basis für die Auseinandersetzung mit der Thematik. Auch die beiden Singstimmen von Schenk und Wesselsky harmonieren hervorragend miteinander, wie man besonders im wirklich gelungenen, finalen Part hört. Alle Vorraussetzungen sind also gegeben, doch driftet die annehmbare Melodie schnell in weichgespülten Schlager mit leichter Rock-Note ab, was nur durch den peinlich simpel gereimten Text mit Zeilen wie „Ich weiß, es fängt wieder an und wenn nicht heut’, irgendwann und dann…“ noch unterboten wird. Generell scheint die romantisch-dramatische Herzschmerz-Ballade hauptsächlich aus der immer gleichen Wiederholung des zugegeben recht catchy arrangierten Refrains zu bestehen: „Sind wir noch auf dem Weg? Es war noch nie zu spät. Ist Liebe nur ein Test? Die Hoffnung stirbt zuletzt! Gib mich nicht auf, wachs’ über dich hinaus. Wir halten an uns fest, die Hoffnung stirbt zuletzt!“ - Puh!
Ein angespannt treibender Beat lässt den Puls direkt wieder in die Höhe schnellen, was sich nur wenig später nur noch weiter intensiviert, wenn sich die von flackernden Electro-Spitzen durchsetzte Wand aus Schlagzeug und E-Gitarren aufbaut: „Einzelgänger“ überzeugt bereits in den ersten Sekunden mit den typischen Genre-Standards auf eiskaltem Niveau! „Ich bin mir gut genug allein. Ich kann mit mir zufrieden sein. Ich fühl mich wohl in meiner Haut. Ich bin mir selbst so nah…“, knurrt Wesselsky in den von harsch knallenden Drums klar dominierten Strophen. Die Ansage ist klar, der Ton durch und durch rau. „Nicht jetzt, nicht hier! Nur ich, kein wir! Nur ich allein, mehr muss nicht sein! Jeder hier kann keinen leiden, lass uns besser Fremde bleiben. Ich kann und will mit euch nicht länger, ich bin und bleib’ ein Einzelgänger!“, ergießt sich der Chorus anschließend in betonte Hymnenhaftigkeit, die das schwermetallische NDH-Treiben etwas weiter öffnet. Soziale Isolation als Weg zum Glück? Wer dieser Tage einen Blick auf Weltgeschehen und die Fehlentwicklung im zwischenmenschlichen Bereich wirft, kommt vermutlich schnell zur durchaus berechtigten Frage: Warum eigentlich nicht!? Die wunderbare „Fuck-Off“-Mentalität der Lyrics ist der ideale Begleiter für schlechte Tage und erinnert in seiner inneren Abgeklärtheit an den „Systemsprenger“ vom Vorgänger. Die Nummer macht ordentlich Laune und scheppert richtig schön, trotzdem bleibt auch hier inhaltlich und musikalisch selbst für die eng gesteckten Genre-Grenzen zu wenig Neues oder zumindest Interessantes geboten wird. Selbiges kann man auch über das ebenso gelungene, doch nicht minder überraschungsarme „Toi Toi Toi“ sagen: „Well, you finally…“ erklingt das Sample einer hochmotivierten und doch sonderbar monotonen Computerstimme, welche direkt einem Videospiel entsprungen sein könnte, um dem Hörer lobend zu seinem soeben errungenen Match-Erfolg zu gratulieren. Schon bald bäumt sich die rockende NDH-Front aus einem schwer schleppenden Drum-Rhythmus und strengen Gitarren mächtig auf, dazu blasen tiefe Hörner zur Schlacht, in den Strophen zucken unterdessen flimmernde Synthies. „Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wieder mal zu spät?“, heißt es in diesen. Und dann: „Hier gibts noch genug zu tun. Komm, und hol dir deinen Ruhm. Die ganze Welt hat dich vermisst, weil du was ganz Besonderes bist...“ oder auch „Feier’ dich und sei ein Held. Schnell ein Denkmal hingestellt. Kugelsicher, breite Brust. Immer vorwärts, selbstbewusst. Keine Lust mehr wegzusehen, immer nur daneben stehen. Gib deinem Leben einen Sinn!“, dazwischen unterstreichen groovy „Yeah! Yeah! Yeah!“-Chöre den bissigen Zynismus, der hier wieder erfreulich stark aus jedem einzelnen Wort trieft, wenn Alexander Wesselsky sich in die Rolle von machthungrigen Kriegstreibern begibt. „Sei bereit, steig in den Ring. Wirf deine Flügel weg und spring! Du bist aus ganz besonderem Holz. Geh’ da raus und mach uns stolz!“, kündet die immer zorniger werdende Bridge fordernd, bis der martialische Refrain mit abgedroschenen Phrasen wie „Hals- und Beinbruch“, „Du schaffst das schon!“ und „Wer, wenn nicht du!?“, die allesamt nicht von mehr Desinteresse für das feige vorgeschickte Kanonenfutter künden könnten, bollernd losbricht. Die klare Devise lautet also auch hier: „Du bekommst, was du innerhalb der ersten dreißig Sekunden hörst!“ - Nicht viel mehr, aber eben auch nicht weniger. Der „Eisbrecher“ hat schwere Genre-Kost geladen und liefert wie gewohnt ab!
Wer die Band schon ein oder mehrmals auf ihren Konzerten live gesehen hat, der kennt mit Sicherheit auch das Akustik-Intermezzo des spaßigen Quasi-Nebenprojekts „Jürgen & Ich“ inmitten des Sets, wenn Jürgen Plangger und Wesselsky dem Publikum mit Akustikgitarre bewaffnet auf humoristische Art einheizen und damit für einige Lacher sorgen. Seit vielen Jahren fest in der Mini-Setlist dabei: Der aus den Siebzigern bekannte Schlager „Tränen Lügen Nicht“ von Michael Holm nach der Melodie des italienischen Komponisten Ciro Dammicco. Für die einen Fans absoluter Kult, für die anderen der blanke Horror. Wie sehr es den Song, der überdies im Vorjahr als erster Vorgeschmack des neuen Albums noch vor „Everything Is Wunderbar“ ausgekoppelt worden ist, jetzt wirklich gebraucht hätte, bleibt fraglich. Die Version ist allenfalls ein nettes Gimmick, stört jedoch den zuvor erst entstanden Flow und wäre damit eventuell besser auf dem Cover-Album „Schicksalsmelodien“ oder als Bonus-Track am Ende der Tracklist aufgehoben gewesen. Mit „Satt“ wird das Tempo jetzt noch ein letztes Mal vor dem Finale angezogen: In den rasenden, gehetzt arrangierten Strophen regiert vor allem druckvoll knüppelndes Drumming, welches sich schnell auf die überzeugend dargebotene Intonation überträgt und die Wortabfolge so gnadenlos durchpeitscht, das einem fast schon schwindelig wird: „Ich kau’ zu viel. Ich schau’ zu viel. Ich kauf’ zu viel. Ich brauch’ zu viel. Ich ess’ zu viel. Ich sprech’ zu viel. Ich denk’ zu viel. Bestell’ zu viel…“. Übersättigung durch ständige Reizüberflutung. Was ist eigentlich das Ziel, wenn man alles hat? Was, wenn der quälende Hunger und die bloße Gier niemals mehr aufhören? Innehalten? Dankbar sein? Niemals - Vorwärts immer! Der infernalisch rockende Refrain wird von hellen Blechbläsern unterstützt, die einen wirklich schönen Touch an Eigenständigkeit liefern und sich somit schnell ins Gehör fräsen. Der Text bleibt dabei sehr eingängig, aber simpel: „Ich bin satt! Satt! Ich bin satt! Zu viel von allem, von allem zu viel!“. Im unbarmherzigen Rhythmus des schnelllebigen Weltenwandels suhlen wir uns im Überfluss. Von allem viel und noch mehr. Nur für mich allein, doch niemals für dich. Der Himmel ist länger nicht mehr die Grenze, sondern erst der Anfang… „Ich bin so voll, es geht nichts mehr rein. Mein eigener Körper wird mir zu klein. Von allem zu viel doch ich sag’ nie Nein!“. Etwas schade ist nur, dass man sich im weiteren Verlauf ein bisschen zu sehr auf den groovenden Swing der Trompeten verlässt und das zunächst noch überraschende Element im Zusammenspiel mit dem eher textarmen Refrain gegen Ende zu oft wiederholt, sodass sich - Achtung - bald Übersättigung einstellt. Dennoch ein guter Banger mit ordentlich Power unter der Haube! Den Abschluss bildet die Power-Ballade „Festung Der Einsamkeit“, welche sowohl thematisch als auch im Chorus ganz frappierend an „In Meinem Raum“ aus „Die Hölle Muss Warten“ von 2012 erinnert. Die kreiselnd rotierenden Electro-Salven vereinen sich eingangs mit knackigem Drumming, während bald raue Riffs zwar durchaus präsent aufbranden, jedoch eher eine ergänzend grundierende Position einnehmen. Für die Strophen nimmt sich die Instrumentierung hingegen sehr zurück und wird bis auf ein absolutes Minimum durch die sanft eingesetzte Synthie-Basis heruntergefahren, um den eindringlichen Worten von Wesselsky ausreichend Platz zur Entfaltung einzuräumen. „Jede Schlacht geschlagen. Jeden Krieg geführt. Mehr als tausend Mal verwundet und nichts dabei gespürt. Keine letzten Worte und kein nochmal von vorn. Es gibt keine Heldentaten mehr und alles ist verloren…“, singt er mit matter Stimme. Den introvertierten Zeilen wohnt durchweg ein kraftloser, resignierter Grundton von tiefer Traurigkeit inne, die betroffen macht. Die spürbare Melancholie bündelt sich mit jeder Sekunde allmählich und implodiert schließlich im leidenschaftlich-kraftvollen Refrain, der die emotionale umso mehr Note unterstreicht: „In meiner Festung der Einsamkeit schließ’ ich mich ein. In meiner Festung der Einsamkeit bin ich allein. In meine Festung der Einsamkeit zieh‘ ich mich zurück. In meine Festung der Einsamkeit nehm‘ ich eure Welt nicht mit!“ - Isolation als scheinbar einzige Möglichkeit zur inneren Regeneration und Selbstschutz vor allen äußeren Einflüssen wie Enttäuschung, Schmerz und Leid. Die hier besungene Festung kann Sicherheit bedeuteten… oder ein ewiges Gefängnis. Es ist also ganz an uns, den Mut zu fassen, um die Tore zur Außenwelt irgendwann wieder aufzustoßen und einen Neuanfang zu wagen: „Ich hab’ zu lange nicht geatmet, wär‘ fast an mir erstickt. Es gibt kein echtes Leben im falschen Augenblick…“. Noch immer peitscht bitterkalter Wind um uns herum… Gefangen im tobenden Eissturm, im ewigen Weiß. Wieder dringen lose Fetzen halbverständlicher Funksprüche nahe an unser Ohr heran. Die klirrende Kälte steckt fest in den müden Knochen und gräbt sich tief und tiefer in uns hinein, bis man rein gar nichts mehr spürt. Wird jemand auf den Notruf antworten oder kommt längst jede Hilfe zu spät? Wir werden es wohl erst in Zukunft erfahren… „Auf Kalt“!
Tracklist:
01. Minus 90 Grad
02. Everything Is Wunderbar
03. Kaltfront
04. Auf Die Zunge („Schattenmann“)
05. Waffen, Waffen, Waffen
06. Dein Herz
07. Zeitgeist (feat. Joachim Witt)
08. Das Neue Normal
09. Die Hoffnung Stirbt Zuletzt (feat. „Sotiria“)
10. Einzelgänger
11. Toi Toi Toi
12. Tränen Lügen Nicht (Michael Holm Cover)
13. Satt
14. Festung Der Einsamkeit
Auf Kalt
Fazit:
Eine Warnung, die von Herzen kommt: Die deutsche Musiklandschaft meldet vier Jahre nach dem Vorgängerwerk plötzlich frostig kalte Temperaturen im unteren Minusbereich. Der so einfache wie erfreuliche Hintergrund: „Eisbrecher“, die altgediente Szene-Institution der NDH aus dem Süden Deutschlands, kehrt endlich aus ihrer (Zwangs-)Pause zurück und verursacht nach Liebe und Monstern aus 2021 mit ihrem zehnten Studioalbum eine wahre „Kaltfront°“! Und? Ist denn auch dieses Mal wieder „everything wunderbar?“ - Nun, die Frage lässt sich nicht ganz so leicht beantworten, wie vielleicht zunächst gedacht… Generell liegt eine recht bewegte Zeit mit so einigen Turbulenzen hinter der Band: So musste sich Alexander „Alexx“ Wesselsky zuletzt einer größeren Operation unterziehen und auch der langjährige „Partner in Crime“ und Gründungsmitglied Jochen „Noel Pix“ Seibert hatte gesundheitliche Probleme, sodass er die durch Corona gleich mehrfach verschobene Tournee zu „Liebe Macht Monster“ komplett aussetzen musste. Folglich mussten auch die anstehenden Termine von den auf jenen Shows verteilten Fylern, welche für Sommer 2024 sowohl einige Open-Airs zum zwanzigjährigen Jubiläum als auch eine komplett neue Konzertreihe ab Herbst ankündigten, leider ersatzlos abgesagt oder verschoben werden. Doch damit immer noch nicht genug, denn im Februar letzten Jahres gab man über die sozialen Medien überraschend bekannt, dass Wesselsky und Pix aufgrund unterschiedlicher künstlerischer Visionen fortan getrennte Wege gehen würden - Puh, eine ganze Menge Hol… ähm… Schnee. Wie klingt also das erste Album ohne Pix? In jedem Fall definitiv anders und das hört man stellenweise auch deutlich heraus, wenn auch eher im Detail. Sehr löblich ist jedenfalls, dass es wie zu Anfangstagen wieder ein ziemlich atmosphärisches Intro und natürlich auch Outro gibt, wobei sich die beiden Instrumentals leider ein gutes Stück weit zu sehr ähneln und daher eine der Versionen wahrscheinlich völlig ausgereicht hätte. Was bereits nach dem ersten Durchgang klar wird, ist, dass mit „Everything Is Wunderbar“, „Kaltfront“ und „Auf Die Zunge“ die drei stärksten Songs bereits zuvor ausgekoppelt worden und damit schon länger bekannt sind. Wer auf mehr Nachschub der härteren Gangart im klassischen Genre-Gewand aus ist, wird vermutlich am oomphig-megaherzlichen „Dein Herz“ und „Toi Toi Toi“ seine Freude haben, wobei in dieser Kategorie insbesondere noch „Das Neue Normal“ und „Einzelgänger“ positiv herausstechen. Das leicht experimentell geratene „Waffen Waffen Waffen“ sowie das zwar ohrwurmig rockende, doch insgesamt viel zu monotone „Satt“ fallen in diesem Zusammenhang hingegen hinten ab. Die krude NDH-NDW-Kollaboration mit Altmeister Joachim Witt zu „Zeitgeist“ hinterlässt ebenfalls einen eher zwiegespalten Eindruck, wenngleich sie eine ganz launige Mixtur der genannten Stile zeichnet und die Trademarks beider Acts schlüssig vereint, sodass sich die Zusammenarbeit hier deutlich mehr als noch beim „Schattenmann“-Feature bemerkbar macht. Dafür schwächelt die Balladen-Seite mit dem Cover von „Tränen Lügen Nicht“ und vor allem dem poppig-schlageresquen „Die Hoffnung Stirbt Zuletzt“ ziemlich. Lediglich der Tracklist-Closer „Festung Der Einsamkeit“ kann etwas mehr überzeugen, weist aber dennoch zu viele Ähnlichkeiten mit „In Meinem Raum“ auf und wirkt dadurch wie schon einmal gehört.
Ein Problem, das dieses Mal ohnehin viele Songs eint. Der Großteil der neuen Stücke pendelt sich durchweg irgendwo zwischen Mid- und Up-Tempo ein, klingt dabei oftmals viel zu gleichförmig, da sehr vertraut und exakt so aus dem Genre bekannt, welches sowohl thematisch als auch musikalisch seinen Zenit schon lange überschritten hat. Ja, die Neue Deutsche Härte ist schon lange nicht mehr neu und das ist auch überhaupt nicht schlimm, doch war die Besatzung um Kapitän Wesselsky als eine der zurecht führenden Bands der Sparte bisher extrem gut darin, alten Wein in attraktiven Schläuchen abwechslungsreich zu kredenzen, was ihnen dieses Mal leider gefühlt eine Spur weit weniger gelingt. Aber warum ist das so? Eine mögliche Teil-Erklärung dafür könnte im erwähnten Besetzungswechsel zu finden sein: Pix zeichnete bis zuletzt nicht nur für die Produktion, die heuer Henning Verlage oblag, verantwortlich, sondern auch für das generelle Signature-Sounddesign der Band. Laut eigener Aussage von Wesselsky zuletzt immer mehr, sodass dieser am Ende praktisch nur noch einsingen musste, was vermutlich für beide Seite auf Dauer nicht gerade befriedigend war. Nur war es eben jene perfekt ausbalancierte Dualität aus harter, deutschsprachiger Gitarren-Musik und atmosphärisch einrahmender Elektronik, die den Songs ihre einzigartig unterkühlte Note als Alleinstellungsmerkmal verlieh. Mal atmosphärisch, mal tanzbar oder wie beim Vorgängerwerk vielleicht sogar auch mal ein kleines bisschen zu experimentell, hob man sich so doch immer signifikant von den Genre-Kollegen ab und machte unmissverständlich klar, dass hier 100% „Eisbrecher“ zu hören ist! Dieses Mal liegt der Fokus stattdessen merklich auf der Rock-Fraktion, das sonst so erfrischende Gegengewicht wurde wie pflichtmäßig ergänzend von Verlage drumherum gebastelt. Eine Quasi-Neuausrichtung muss per se nichts Schlechtes sein, ist an gewissen Wendepunkten im Leben sogar dringend notwendig, nur fehlt es hier oftmals an der gewohnten Finesse, den kleinen Details. Einfach an den Ecken und Kanten, die bislang den besonderen Flair ausmachten und letzten Schliff verliehen, der den entscheidenden Unterschied ausmachte. Die „Kaltfront°“ wirkt in Summe etwas unentschlossen, stilistisch zerrissen und nicht ganz wie aus einem Guss, klingt dabei in vielen Momenten zu gewöhnlich und zu wenig mutig, um wie üblich das gesamte Potential auszuschöpfen - Schade! Trotzdem: Auch wenn „Eisbrecher“ hier weder an vergangene Großtaten anknüpfen noch wirklich neue Maßstäbe setzen können, liefern sie natürlich auch anno 2025 wieder sehr verlässlich äußerst solide Genre-Kost für alle Freunde des selbigen. Ferner punktet man auf Album Nummer Zehn textlich mit gewohnt zynischem Biss und teils verblüffend direkten Botschaften, die besonders durch ihre unverblümte Geradlinigkeit authentisch und einfach ehrlich daherkommen. Das gefällt und hat Wirkung! Die größtenteils sehr positiven Stimmen der treuen Fans und Platz Zwei in den offiziellen Charts geben der eiskalten Besatzung jedenfalls Recht, sodass sich der „Eisbrecher“ auch nach einigen Tiefschlägen weiterhin sicher auf Erfolgskurs befindet - Herzlichen Glückwunsch dazu und „Auf Kalt“!
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