Christoph Lorenz
ASP - Verfallen Folge 1: Astoria (2015)
Genre: Rock / Alternative
Release: 16.10.2015
Label: Trisol Music Group
Spielzeit: 73 Minuten
Pressetext:
Der erste Teil einer neuen Erzählung aus dem Hause ASP. Es handelt sich um ein eigenständiges Werk mit einem völlig neuen Konzept: Eine exklusiv geschriebene Kurzgeschichte des Erfolgsautors Kai Meyer mit dem Titel "Das Fleisch der Vielen" inspirierte Songwriter und Sänger Asp Spreng zu dieser musikalischen Gruselstory. Der "Fremder"-Zyklus mit dem aktuellen Album "Maskenhaft" wird nach dem geplanten Verfallen-Zweiteiler weitergeführt. Folge 1: Astoria - Das im Jahre 1915 erbaute Hotel Astoria in Leipzig stellt einen glamourösen und auch schauerlichen Spielort für die akustische Gothic Novel dar. Einst luxuriöses Zentrum des Nachtlebens steht das Gebäude seit fast zwei Jahrzehnten leer. Dieser für den ASPschen Kosmos ungewohnt konkrete, da real existierende Handlungsmittelpunkt erwacht buchstäblich wieder zum Leben und übernimmt eine zentrale Rolle im Geschehen, das in den einzelnen Liedern chronologisch und natürlich äußerst spannend dargelegt wird. Damit ähnelt der Erzählfluss von Verfallen dem des Erfolgsalbums "Zaubererbruder" aus dem Jahre 2008, das die Fangemeinde der Band über die Schwarze Szene hinaus ausdehnte. Optisch umgesetzt werden die Horribilitäten im Hotel von Artworker Joachim Luetke, der bereits mit Marilyn Manson, Sopor Aeternus, Dimmu Borgir, Kreator und Arch Enemy arbeitete. Bei allen Schrecknissen, die dem Musikliebhaber präsentiert werden, klangen ASP selten so melodisch, schmissig und dennoch subtil morbide. Der Horror entfaltet sich im Detail, langsam und kriechend wie bei einer Geschichte von H. P. Lovecraft. Musikalisch vereinen sich Rock und Metal, aber auch Drone-Doom, Chansoneskes und sogar Tango-Elemente finden ihren Platz auf dem Album. ASP zeigen sich vielfältig wie nie, bieten hohes Ohrwurm-Potential und bleiben dabei ihren Goth-Rock-Wurzeln treu. Textlich schafft Asp scheinbar spielend den Spagat zwischen Storytelling und Identifikationsmöglichkeit für den Hörer, wie immer auf einem lyrischen Niveau, welches in der deutschsprachigen Musiklandschaft seinesgleichen vergebens sucht.
Kritik:
"Berlin, adieu
Verflucht, du brachtest mir kein Glück
Ich lass so viel an toter Zeit mit dir zurück
Verliern’ konnte ich mich gut in dir, anstatt mich hier zu finden
Ich hass’ dich nicht zu sehr dafür, ich muss verschwinden“
Es sind ernüchternde und reflektierende Zeilen, welche Teil einer, für die Frankfurter Formation typischen, großzügig angelegten Einleitung für neue Geschichten sind. Worte des Aufbruchs voller Melancholie, Worte des Abschieds, doch zugleich auch des Neuanfangs. Mit ihrem neuesten Album „Verfallen Folge 1: Astoria“, widmen sich die Szene-Urgesteine des deutschen Gothic-Novel-Rock von „ASP“, um Mastermind Alexander „Asp“ Spreng, einer gänzlich neuen Erzählung und schlagen mitten im aktuell laufenden „Fremder“-Zyklus, das erste Kapitel eines weiteren, davon losgelösten Handlungsstranges auf. Mehr noch: In Verknüpfung mit der, von Erfolgsautor Kai Meyer exklusiv verfassten Kurzgeschichte „Das Fleisch der Vielen“, reicht man dem willigen Hörer die Hand, bereit einzutauchen in eine neu- und andersartige Form der Musik, eine geschickt vertonte Schauer-Geschichte, durchzogen von dunklen Mysterien und auch Gefahren. Dazu erweitert man auch den Band-eigenen Kosmos um neue Nuancen, balanciert einen gekonnten Drahtseilakt zwischen Altbewährtem und neuen Klängen, wie finsterem Drone Doom, lieblichen Chanson-Melodien oder einem temperamentvollen Tango und sprengt so die Mauern des Vorstellbaren, doch ohne sich dabei selbst und die ureigenen Wurzeln zu vernachlässigen. „ASP“ laden ein weiteres Mal auf eine Reise der anderen, in der heutigen Musik-Landschaft gar revolutionären Art, in eine Welt fantastischer, malerischer Surrealitäten und Geheimnisse. Wie leicht es ist, dem aktuellen Werk wortwörtlich zu „verfallen“, ist an dieser Stelle zu lesen.
Angesiedelt im frühen 19. Jahrhundert, wird die Geschichte des jungen Titelhelden Paul erzählt, welcher aus seiner alten Heimat Berlin nach Leipzig aufbricht und dem Bann des dortigen prunkvollen Luxus-Baus, dem glamourösen, titelgebenden Hotel Astoria erliegt. Friedliche Harfen-Klänge und die behutsam angeschlagenen Saiten einer Akustik-Gitarre, schaffen eine, von der Realität völlig losgelöste, wärmende Sphäre, bevor eine wahre Donner-Wand der Riffs diese nur allzu schnell niederreißt, unnachgiebig nach vorne rockt und ideal den Weg für die bevorstehende Reise ebnet. Nun ist es nur noch am Hörer selbst diesen, nicht immer gefahrlosen Weg zu beschreiten, geradewegs wie durch ein düsteres Portal, hindurch in eine andere Welt. Bedrohlich und warnend zugleich, erklingen schon nach einigen Sekunden die mahnenden, doch umso einprägsameren Worte „Vorsicht, Kreuzweg!“ und bescheren einen wahrlich spektakulären Opener nach Maß. Die dezente, doch besonders atmosphärische Elektronik in den Strophen, legt den Fokus deutlich auf den vorgetragenen Text und steht dem Song mehr als gut zu Gesicht, bevor zum hymnischen Refrain hin energetisches Drumming und erhabene Gitarren-Arbeit im Zentrum stehen. Eine gelungene Verbildlichung der Emotionen und eine ebenso rasante Fahrt durch die Gefühlswelten der Hauptfigur, zwischen Zuneigung und Furcht, zwischen „Himmel Und Hölle“. Eine lyrisch und melodisch punktgenaue Landung in Herz, Hirn und Seele und ein grandioser Auftakt. Doch schon mit dem zweiten Stück des Albums, dem anfänglich zitierten „Mach’s Gut, Berlin!“, werden umgehend ruhigere Töne angeschlagen. Zu einer schwermütigen Piano-Melodie gesellen sich doch alsbald schon synthetische Elemente und Gitarren, wenn auch zurückhaltender als bei gerade eben verklungener Eröffnung. Während das Klavier im Hintergrund weiterhin bespielt wird, spinnt Frontmann Asp die Fäden der Handlung mit eindringlicher Stimme langsam weiter, erzählt durch die Ich-Perspektive aus dem Leben von Paul. Thematisiert wird hier, in traurig-nachdenklicher Grundstimmung, der nahende Abschied von der Hauptstadt. Schmerzlich erzählt wird von alten Träumen und Hoffnungen, welche doch nie Erfüllung fanden und dem Aufbruch ins Unbekannte, in ein neues Leben. Gerade durch Arrangement und Refrain, fügt sich eine ergreifende Stimmung, welche zu berühren und mitzureißen weiß. Ein absoluter Gänsehaut-Moment und eines der Highlights!
Weiter durch das Konzept, führt eines der überraschendsten, da ungewöhnlichsten Stücke: „Zwischentöne: Ich Nenne Mich Paul“. Diese fungieren, im Rahmen des Albums als eine Art der Erzähl-Methodik und übernehmen das rhetorische Element, um abseits der eigentlichen Lieder wichtige Teile der Geschichte weiterzuerzählen. Besondere Erwähnung sollte hier die Wahl der Melodie-Führung bekommen, welche passend zur Zeit des Geschehens, als Chanson arrangiert ist. Der treibende Rhythmus stellt sich bei genauerer Betrachtung des Textes ebenfalls als passend heraus, wird hier doch die Zugfahrt nach Leipzig, direkt hinein in ein neues Leben und scheinbar gewonnene Freiheit thematisiert. Der klanglichen, kurzlebigen Unbeschwertheit des Protagonisten, stehen Lyrics zur Seite, welche den temporären Optimismus konträr zu den vorangegangenen Stücken, bestens zusätzlich unterstreichen. Dem Verklingen der Melodie, schließt sich nahtlos der zweite Part der „Zwischentöne“ an. „Baukörper“, so lautet der entscheidende Zusatz. Atmosphärisch hell und klar instrumentiert, beschreibt dieser Abschnitt Ankunft und erstes Aufeinandertreffen, von Titelheld und Hotel. Erhaben, orchestral, fast schon cineastisch oder einem Musical gleich in Szene gesetzt, folgen Worte detailliertester Beschreibungen, welche sofortige Bilder und Eindrücke des Schauplatzes, seiner Mitarbeiter, Gäste, deren Tagesabläufen und vergangener Zeiten beim Hörer entstehen und fiktives plötzlich lebendig wirken lässt. Verzaubert und schon fest im Bann des Gesehenen und Erlebten, erhält Paul eine feste Einstellung als Hausmeister im Betrieb, scheint glücklich und an seinem Ziel angekommen. Der leicht untypische Aufbau des Stücks, frei gängiger Schemen, in Kombination mit ebenjener Melodie, sowie stimmiger, gesanglicher Interpretation seitens Asp, verleihen nicht nur der Fortführung der Erzählung, sondern auch dem musikalischen Erlebnis separat eine ganz eigene Note. Das vorherrschende Band der Harmonie, soll jedoch schon wenig später von beißenden Elektro-Sounds durchtrennt werden. „Begeistert (Ich Bin Unsichtbar)“ entpuppt sich als aufpeitschende Goth-Rock-Nummer, mit harten Gitarren und druckvollen Drums, welche auch losgelöst des Textes durchaus zu gefallen weiß und ein hohes Potential an Tanzbarkeit birgt. Inhaltlich beschäftigt sich der Titel mit Pauls emotionaler Lage und seinen Gefühlen zu Astoria. Alles andere im Leben scheint für ihn an Bedeutung zu verlieren und immer mehr zu verblassen, bis hin zur kompletten Ergebenheit. Gerade die Zeilen des Refrains beschreiben überdeutlich die Gefahr, verliert sich Paul doch in absoluter Realitätsfremde, einem Wahn und mitreißendem Strudel aus blinder Hörig- und Abhängigkeit gleich. Eine vermeintliche Bindung, voll surrealer Absurditäten. Mit dem dritten Teil, „Zwischentöne: Lift“, erfährt die Geschichte ihre weitere Fortsetzung, in Form eines Tangos im Stile der 20er Jahre. Zu einem fordernden Takt, beschreitet Asp stimmlich gänzlich neues Terrain und überrascht ein weiteres Mal. Hervorzuheben ist auch an dieser Stelle wieder der Kontrast zwischen der, durch die Melodie geschaffene, Atmosphäre und dem Unheil verheißenden Text, welcher abermals von der schieren Besessenheit Pauls handelt. Es folgt mit „Astoria verfallen“ der Titel-Track, ein Song welcher auf dem diesjährigen „Mera Luna“-Festival Premiere feierte und seit einiger Zeit als Single-Auskopplung vorab bei den gängigen Download-Portalen zu erwerben ist. In den Strophen stehen hier wieder Stimme und Text von Asp im Mittelpunkt, welche von zurückgestellten Gitarren und stimmiger Elektronik, bis zur aufrüttelnd krachigen Bridge, umschmeichelt wird. Während aus der Perspektive von Paul erneut die innigen Gefühle zu Astoria in allen Facetten besungen werden, spielt man gerade hier mit der Doppeldeutigkeit der Begrifflichkeit „verfallen“. Der kernige, ohrwurmige Refrain rundet dieses Hör-Erlebnis dann schlussendlich ab.
In einem ähnlichen, wenn auch deutlich härteren Fahrwasser, bewegt sich auch „Souvenir, Souvenir“. Verzerrte, unheimliche Laute schallen scheinbar durch die verlassenen Gänge und Flure des Hotels, bis ein weiteres Mal die Gitarren los donnern. Ab diesem Punkt offenbart sich dem Hörer zum ersten Mal vollkommen das wahre Gesicht Astorias und Pauls grausames Handeln, einzig und allein um eine Wertschätzung und Erwiderung seiner Gefühle zu erlangen. Eine ideale Mixtur aus Härte, Eingängigkeit und der gewissen, für diese Geschichte essenziellen Prise Horror. Ein letztes Mal auf diesem Album folgen dann die bekannten „Zwischentöne“, dieses Mal mit dem Zusatz „Blank“ versehen. Doch anders als die bereits bekannten Zwischenspiele, stellt sich in folgenden Zeilen keine Unbeschwertheit ein. Unruhig und geradezu entfesselt, beginnt Paul aus seinen nächtlichen Träumen zu berichten, fast schon wie im Fieberwahn zu fantasieren, von den gefährlichen Verlockungen Astorias, hinein in die unbekannten, unerforschten Tiefen des Hotels. Das anschließende „Dro(eh)nen Aus Dem Rostigen Kellerherzen“ führt dies zu Anfang noch weiter, bevor sich das Stück in einem nervenaufreibendem Gewitter der Grausamkeiten verliert. Behäbig und schwer nimmt es seinen Lauf, in die doomigen, destruktiv anmutenden Abgründigkeiten. Definitiv das düsterste und bedrückendste Lied auf „Verfallen Folge 1: Astoria“. Asps Stimme scheint durch die Katakomben zu hallen, dröhnt immer wieder bedrohlich an des Hörers Ohren, einem eingängigen Befehl oder Mantra gleich. Als Paul seine Taten zu realisieren scheint, ist es schon zu spät… Astoria ist zu schrecklichem Leben erwacht und giert nach mehr!
Völlig anders dann „Alles, Nur Das Nicht!“. Sanft, dramatisch, balladesk und traurig zugleich, kommt dieser Ruhe-Pol daher. In über zehn Minuten voller Hingabe fleht Paul um Erlösung, richtet seinen Blick ungeschönt und klar auf die Ausmaße seines Tuns in der Vergangenheit. Verzweifelt erwehrt sich der Protagonist immer wieder, willens sich zu befreien, doch erliegt letztlich doch Astoria. Einen weiteren Epos bescheren „ASP“ dem Hörer mit „Loreley“, welches erneut in düsterem Segment angesiedelt ist und den Aspekt der schauerlichen Grausamkeiten vorantreibt. Namentlich angelehnt an die bekannte Sagen-Gestalt, die Sirene Loreley, besingt man an dieser Stelle das Schicksal der „Hannelore W.“, einer öffentlichen und bekannten Person des Leipziger Nachtlebens. In Aufbau und Machart dem bizarren „Varieté Obscur“ gleichend, wächst der Song an seinen Minuten. Düster und drohend in seiner Instrumentierung, abermals von elektronischen Elementen und Streichern verfeinert, nimmt Pauls ungeheuerliche Tat seinen Lauf. Dem Wahnsinn verfallen macht Paul Jagd auf Hannelore und opfert sie, musikalisch einem tödlichen Tanze gleich, für Astoria. Musikalisch beeindruckend bebildert und in Szene gesetzt! An diesem Punkt endet die Geschichte vorerst, doch ist das Album noch nicht zu seinem Ende gekommen. Es folgt der finale Abgesang, eine Art Loblied auf die eine, „magische Verbindung“, dem wichtigen Kern der Band und Fans seit jeher zusammenhält. Gleichermaßen werden hier textlich geschickt einige Querverweise zu älteren Titeln, mit der Aussicht auf ein Wiedersehen verquickt. So ist „Fortsetzung Folgt…1“ eine gelungene Danksagung, Hymne und ein ermunternder Abschluss zugleich. Denn: „Es gibt bald ein Wiederhören“, zunächst schon bald auf der folgenden Tournee zum Album.
Tracklist:
01. Himmel Und Hölle (Kreuzweg)
02. Mach's Gut, Berlin!
03. Zwischentöne: Ich Nenne Mich Paul
04. Zwischentöne: Baukörper
05. Begeistert (Ich Bin Unsichtbar)
06. Zwischentöne: Lift
07. Astoria Verfallen
08. Souvenir, Souvenir
09. Zwischentöne: Blank
10. Dro(eh)nen Aus Dem Rostigen Kellerherzen
11. Alles, Nur Das Nicht!
12. Loreley
13. Fortsetzung Folgt...1
Fazit:
Die Frankfurter "ASP" kreiren hier ein weiteres Mal, scheinbar aus dem Handgelenk, eine mitreißende, neue Geschichte, voller Melancholie, Fantasie und gereiften Horror-Elementen, welche den geneigten Hörer schon nach kurzer Zeit in ihren ganz eigenen Bann zu ziehen weiß. Im Zusammenspiel der verschiedenen, klanglichen Facetten, mit der eigens erdachten Kurzgeschichte "Das Fleisch Der Vielen" von Kai Meyer, welche zusätzlich informatives Material bietet, ergibt sich ein äußerst interessantes Konzept. "Verfallen Folge 1: Astoria" fasst erneut Abwechslung und signifikante Virtuosität in sich zusammen, verrät nie zu viel, bleibt spannend bis zuletzt und weckt von Neugier, Identifikation und Entsetzen nahezu alle Gefühle auf der Emotionspalette. Besonders hervorzuheben sind auch auf diesem Album die hochwertigen, durchdachten Texte, von Kreativ-Kopf und Frontmann Asp, welche den teils wunderschönen, teils harten und kalten Melodien die nötige Tiefe verleihen. "ASP" verstehen es immer wieder glaubwürdige Welten und Charaktere zu erschaffen und die unterschiedlichsten Erzählungen in kunst-, mühe und anspruchsvolle Klang-Gewänder zu kleiden. Die Spannung auf den zweiten Teil, dürfte schon jetzt bei den meisten Anhängern ins unermessliche steigen. Zurecht. Doch soll es wohl nicht mehr allzu lange dauern, darf man der musikalischen Verabschiedung des letzten Titels Glauben schenken.
Informationen:
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