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BEITRÄGE:

  • AutorenbildChristoph Lorenz

Lord Of The Lost - Thornstar (2018)




Genre: Metal / Rock / Alternative

Release: 03.08.2018

Label: Napalm Records (Universal Music)

Spielzeit: 61 Minuten

Pressetext:

Weit über viele Genre-Grenzen hinaus gefeiert, zeigen sich LORD OF THE LOST 2018 bereit für den ganz großen Sprung. Ob moderner Metal, Industrial-Elemente oder Dark-Rock: Die Band um Chris Harms kann alles! Immer noch – nur sind sie dieser Tage überzeugender denn je. Waren die Vorgängeralben bereits prominent in den oberen Regionen der deutschen Albumcharts vertreten, wird das neue Werk THORNSTAR dem in nichts nachstehen: Das sechste Studioalbum der Hamburger erlaubt sich bei gewohnter Eingängigkeit und druckvoller Härte den Luxus von unberechenbarem und bisher ungeahntem Facettenreichtum, sowie einer klanglich und emotional bisher nicht da gewesenen Tiefe. Dieses Konzeptalbum über den Mythos einer untergegangenen Hochkultur ist mehr als einzigartig – keine Frage.

Kritik:

"Forevermore we’re in this together

Forever day and night

And we could reign forever

Forevermore making history together

Forever dark and light

Like this is the last day of our life

Forevermore"

Wer kennt es nicht? In alter Gewohnheit scrollt man gelegentlich, fast wie automatisch, durch die scheinbar unendlichen Weiten der Social-Media-Welt und manchmal fällt einem zwischen all den bekannten und alltäglichen Post-Belanglosigkeiten dann schließlich doch noch etwas interessantes ins Auge. So auch am 07.04.2018 geschehen, als mir in der sogenannten Timeline mit einem Mal plötzlich rund vierzig unbekannte Symbole ins Auge stachen, schwarze Aquarelle auf weißem Grund. Folglich begann die Gerüchteküche in der implementierten Kommentar-Sektion bald darauf schon eifrig zu brodeln, denn die zahlreichen Fans von „Lord Of The Lost“ ließen es sich nämlich nicht nehmen, ihre jeweiligen Deutungen und Interpretationen dort kundzutun. So manche Versuche liefen rückblickend ins Leere, andere wiederum trugen bereits schon den ein oder anderen richtigen Ansatz in sich, wie die gelegentlich eingestreuten Hinweise von Mastermind Chris Harms aufzuzeigen vermochten. Nur vier Tage später wurde das große Geheimnis um die runenartigen Zeichen, die Schrift der Ghahul, dann endlich enthüllt. Doch nicht nur das: Zeitgleich nach diesem Rätsel erfolgte überraschend die Ankündigung des neuen Studioalbums! Na, wenn das mal keine gekonnte Promo-Aktion ist, um die Aufmerksamkeit maßgeblich zu schüren... Zudem wurde all jenen Interessierten, die mehr über das gesamte Konzept und die umfassende Hintergrundgeschichte erfahren wollen, auf der bandeigenen Homepage ein ausführliches Paket in mehreren Sprachen zusammengestellt, das dazu beitragen soll, tiefer in die Materie einzutauchen zu können. Und tatsächlich ist diese umfassende Art der Hilfestellung auch mehr als notwendig, da über entsprechende Kultur praktisch nichts bekannt ist und so ziemlich jeden Recherche-Versuch von vornherein obsolet werden ließ. Aus diesem Grund und vor allem auch aus allerhöchstem Respekt vor der enormen Arbeit zu diesem ungemein aufwändigen Projekt, habe ich mich nach einigen Überlegungen letztlich dazu entschlossen, hier die offizielle Version zu verwenden und diese an manchen Stellen in einer etwas angeglichenen Form in meine eigene Rezension einfließen zu lassen. Wer sich jedoch einmal die Zeit nehmen möchte, um sich der ausführlichen Fassung anzunehmen, bitte hier entlang. Seid ihr bereit? Dann lasst uns jetzt gemeinsam die Uhren zurückdrehen, zum Ursprung von allem...

Der Glaube und die Spiritualität des Zeitalters der Paganen, wird unter dem Oberbegriff „Die Mythologie der G‘hahyr“ zusammengefasst. Die darin aufgezeigte Rivalität zwischen Gut und Böse, die Mischung einer mono- und polytheistischen Religion und nicht zuletzt auch die Verwendung von uns heute noch in abgewandelter Form bekannten Symboliken aus zeitgenössischen Religionen, sind als wegweisend und ursprünglich anzusehen. Der Ursprung jeglicher spiritueller Flüsse der westlichen Welt liegt vermutlich bei den sogenannten G‘hahyr. Ihr Glaube und Gedankengut ist nach heutigem Stand wahrscheinlich die erste bekannte, metaphysische Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt und markiert somit das Ende des Steinzeitmenschen in seiner Entwicklung zu einem sich bewusst reflektierenden und seine Umwelt hinterfragenden Individuum. Viele hundert Variationen von verschiedenen Schriftzeichen und Symbole, bilden nach heutigem Kenntnisstand in ihrer Gesamtheit die paganesische Schriftlehre, auch „G‘hahul“ genannt, welche aus weitaus mehr Zeichen als sämtliche aktuelle, europäische Alphabete besteht. Eine exakte Übertragung ist nur stückweise zu realisieren, jedoch ist auf diese Weise zumindest eine Art Re-Interpretation der wichtigsten Laute möglich. Ein großer Teil des noch bekannten Wortschatzes ähnelt darüber hinaus späteren, altmodischen Sprachen. Das Zahlensystem der „G‘hahul“ ist mit unserem Heutigen in arabischen Ziffern hingegen identisch und dem Römischen somit weit voraus. Der Begriff „G‘hahyr“ bedeutet aus der ur-paganesischen Sprache heraus übersetzt so viel wie „Seid gemeinsam“ oder „Verbindung aus Zwei“. Ihre Mythologie beschreibt die Götter-, Dämonen- und Geisterwelt, die das Zentrum der paganesischen Religion bildet. Am Anfang von allem steht das Nichts, das ausschließlich durch die Göttin Ma‘ghoëm und den Gott Hathyre, das Allpaar, ausgefüllt wird. Heute findet man dazu vor allem die angepassten Namen Morgana und Haythor, welche in den Überlieferungen sowohl als Geschwister- wie auch als Liebespaar dargestellt werden, wobei Erstere dem Licht und Letzterer der Dunkelheit entstammen soll. Durch ihre starke Liebe sind Licht und Schatten eng und scheinbar untrennbar miteinander verbunden, wodurch ein Geflecht entsteht, das beiden Gottheiten die Fähigkeit zur Schöpfung anderer Lebewesen, auch im irdischen Sinne, verleiht. Aus rein wissenschaftlicher Sicht ist dieser Bund nicht allzu weit von der heute bekannten Urknalltheorie zur Entstehung von Raumzeit und Materie entfernt, bei der Materie und Antimaterie im Gleichgewicht koexistieren und gemeinsam zu Energie verschmelzen. Jener ist in der Mythologie der G‘hahyr der erste und einzige Liebesakt zwischen Morgana und Haythor, durch welchen das Universum, all seine Sterne und die Erde erschaffen werden. Ein Unterschied zwischen all diesen Himmelskörpern wird von den Pangaen nicht definiert, darüber hinaus wird die Erde auch nicht als bloßer Planet begriffen, sondern als Kind der beiden Götter, das den Menschen ihren Lebensraum bietet. Für lange Zeit versuchte das Allpaar vergeblich, diese nach ihrem Ebenbild zu erschaffen.

Aus den zahlreichen, gescheiterten Versuchen, die Menschen zu erschaffen, entstanden alle uns bekannten Pflanzen und Lebewesen. Dabei ist Morgana die Schöpferin aller Wesen des Tages, des Lichts, der Höhe und der Luft, während Haythor alle Wesen der Dunkelheit, der Tiefe und der See zugeschrieben werden. Alle anderen Geschöpfe, die in beiden Welten zugleich beheimatet sind, erschaffen beide gemeinsam. Auch auf die Gefahr hin, selbst zu vergehen, nimmt Morgana als letzten Versuch ihr gesamtes Herz und formt daraus die ersten Menschen, der Überlieferung nach Dreihundertdreiundvierzig. Sie überlebt das Unterfangen nur stark geschwächt und wird daher auch als „Mutter aller Menschen“ angesehen. Auch alle weiteren, natürlich gezeugten Menschen, erhalten ein Stück von Morganas Herz, weswegen die Lebenskraft bis zum Tod als Leihgabe angesehen und danach wieder zu ihr zurückgeht. Es gilt demnach als höchstes Ziel, sie am Ende eines erfüllten Lebens, wieder ein Stück zu vervollständigen. Durch den Verlust ihres Herzens unfähig geworden, Haythor die Liebe zu geben, die er verlangt, wird er wütend, stößt alles Licht von sich und trennt somit Licht und Schatten gewaltsam voneinander. So wird das Universum in zwei Hälften aufgeteilt. Da beide Götter ein Anrecht auf ihre Schöpfungen beanspruchen, ziehen sie abwechselnd an der Erde. Dieser Machtkampf des Allpaares wird als Wechsel zwischen Tag und Nacht gedeutet. Während Morgana sich im bereits beschriebenen, energetischen Austausch mit ihren Kindern befindet, ist Haythor nun daran gelegen, die Menschen für sich zu gewinnen, indem er sie zu selbstsüchtigem Handeln verführt. Dieses beschmutzt die Reinheit der Herzen, wodurch jene niemals wieder den Weg zu Morgana zurück finden können. So versucht Haythor, sich ihr Herz zumindest teilweise zurückzuholen. Auf diese Weise heben sich die Sagen der G‘hahyr von so ziemlich allen anderen Mythologien und Religionen ab, da der wahre Sinn nicht die Erlösung durch den Tod, sondern im Leben selbst zu finden ist, da es kein Paradies, keine Wiedergeburt, keinen Himmel und keine Hölle gibt. Für das getrennte Allpaar gibt es nur eine Möglichkeit, um wieder zusammenfinden zu können: Die erneute Verschmelzung von Licht und Dunkel, was einer kompletten Auslöschung allen Lebens gleichkäme. Die zweite Zusammenkunft wird als „Die Apokalypse der Coithyr G‘hahyr“ beschrieben. Um den wiederholten Liebesakt zu verhindern, ist es des Menschen wichtigste Aufgabe, Morgana stets durch das Leben eines wertvollen und erfüllten Lebens, ein Stück ihres Herzens zurückzugeben, damit sie auch weiterhin gewillt ist, den Menschen neues Leben zu schenken. So rechtfertigt sich ihre Existenz selbst: Sollte es irgendwann keine Menschen mehr geben, würde dies das Ende von allem bedeuten, was den Menschen zum wert- und verantwortungsvollsten Lebewesen auf Erden macht. Es geht also nicht darum, seine Götter zu fürchten, sondern sich in einem gegenseitigen Kreislauf wechselseitig dankbar zu zeigen.

„Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger und sprach: Für wen halten die Menschen den Menschensohn? Sie sagten: Die einen für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten. Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus antwortete und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! Jesus antwortete und sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein. Dann befahl er den Jüngern, niemandem zu sagen, dass er der Christus sei.“, Matthäus 16, 13-23. Bretthart angeschlagene Saiten und brutale Screams leiten das eröffnende „On This Rock I Will Build My Church“ erbarmungslos ein, bevor dann ein mächtiges Schlagzeug schließlich den dominanten Takt vorgibt und sich in einer harsch vorpreschenden Melodie aus disharmonisch verzerrter Elektronik und metallisch sägenden Gitarren ergibt. Zum fordernd marschierenden Rhythmus aus treibenden Beats steigt alsbald Frontmann Chris Harms mit seiner dunkel-charismatischen Stimme ein, um diesen Opener bis zum konträr arrangierten Refrain voranzutreiben, welcher dann mit seinen fein eingewobenen Piano-Tupfern die dystopische Atmosphäre für einen kurzen Moment wieder hoffnungsvoll aufhellt... Im Schöpfungsprozess erschafft das Götterpaar aus Teilen der Erde und der Sterne, neben ihnen eine Vielzahl Halbgötter, Dämonen, Geister und Zwischenwesen, die teils irdisch, teils metaphysisch existieren. Einige dieser Kreaturen haben keine eindeutig positive oder negative Grundausrichtung, die „Geister der G‘hahyr“ hingegen stehen eindeutig und immer auf der Seite Morganas und ihr helfend zur Seite, die „Dämonen der G‘hahyr“ übernehmen diese Aufgabe umgekehrt unter Haythors Regentschaft. Zu den Abspaltungen der Lichtwesen zählt unter anderem auch „Loreley“, ein weiblicher Geist mit dem Status einer Halbgöttin, die auch häufig als „Sonnengeist“ oder „Hüterin des Feuers“ bezeichnet wird. Nur die Halbgötter selbst stehen im direkten Kontakt mit dem Allpaar. Sie überführt die Toten in Morganas „Reich der Sonne“, das, was heutzutage gemeinhin als Himmel bezeichnet wird. Loreley ist dabei die unmittelbarste Verbindung der Menschen mit ihrer Schöpferin. Nach dem Tod werden die Gebeine der Pangaen gemeinsam mit all ihren Besitztümern verbrannt, damit der menschliche Körper hüllenlos und befreit von jedweder irdischer Bindung aufsteigen kann. „Werde ich bald Morgana sehen?“, gilt als einer der meist verwandten Ausdrücke der Hoffnung eines im Sterben liegenden Pangaen. „Mögen die Flammen dich tragen!“, ist hingegen ein üblicher Satz zum letzten Geleit des Sterbenden, vor und nach seinem Tod. Gleichwohl wird dieser auch als Zuspruch von Mut und Hoffnung gegenüber Menschen geäußert, die etwas Riskantes oder Gefährliches zu tun vorhaben. Beklagt oder betrauert werden die Toten in der Gesellschaft der Pangaen übrigens nicht. Zu Kriegszeiten spricht der Kriegsherr üblicherweise seinen Soldaten Mut zu, indem er ihnen sagt „Und wenn ihr mir euer Leben schenkt, schenke ich euch die Flammen!“. Damit verspricht er ihnen, dass sie nach ihrem Tod verbrannt werden und zu Morgana aufsteigen werden. Wissend, dass sowohl falsche Versprechen dieser Art und der unachtsame Umgang mit Leben schlussendlich den Weg zu Morgana irreversibel versperren. Loreley wird in den meisten Darstellungen mit vier Armen gezeigt, zudem trägt sie eine Art Strahlenkranz um ihren Kopf, der jedoch aus Pfeilen oder kurzen Lanzen besteht, die ihren Kopf komplett durchbohren. Ein direkte Verbindung zur heutigen Loreley, dem schreienden Berg, dessen Namensherkunft auch nicht eindeutig geklärt ist, ist fraglich. Tief gestimmte Synthies flackern auf und bilden hier die Basis für durchweg mystischen Anmut, bis darauf schließlich pointiertes Drumming im mittleren Tempo und ruhiger Gesang folgen, der alsbald in einen sphärischen Chorus fließt. Das gewagte Wechselspiel aus eingängiger Melodiösität und brutalen Passagen greift wie immer nahtlos ineinander und findet seinen jähen Höhepunkt schließlich in einem brachialen Gewitter aus grellen Screams, abgründigen Growls und archaischen Stakkato-Einflüssen, bevor jene Fäden erneut im bekannten Fahrwasser zusammenlaufen... Grandios!

Ruhig inszenierte, avantgardistisch angehauchte Streicher kreieren im Folgenden den Anfang von „Black Halo“, welches dann durch ein knallendes Schlagzeug und perlende Electro-Spitzen abgelöst wird. Die Strophen werden großteilig durch tragende Percussion bestimmt, der kräftig vorgetragene, ohrwurmig strukturierte Hauptteil gibt dann weiteren Aufschwung. Eine echte Power-Ballade, wie auch das epochale „In Our Hands“, dessen Zeilen von lasziv-dunkler Ader künden und nur wenig später in einem hymnischen Refrain der Extraklasse implodieren. „Morgana“ ist eine der zwei Gottheiten und wird auch als „Die Allmutter“ oder „Mutter aller Menschen“ definiert. Symbolisiert durch alles Licht und die Sonne, steht sie für den Altruismus und die selbstlose, bedingungslose und aufopfernde Liebe, Geborgenheit und Verantwortung. Sie ist zugleich Anfang und Ende eines jeden guten Menschen. Haythors Hass-Liebe zu ihr bringt einen eigenen Namen ein, den er für sie verwendet: Da er Licht als nicht greifbares Nichts befindet, nennt er sie „Göttin der Leere“. In sehr späten Überlieferungen, meist in der antiken Sprache der Inchenorian, wird Morgana häufig auch als Kristallkönigin oder durch fehlinterpretierte Übersetzungen auch als Glaskönigin bezeichnet. Erstaunlicherweise ist die allgemeine optische Darstellung aller Figuren der G‘hahyr-Mythologie schaurig bis grausam, selbst die Darstellung der Lichtwesen. Alle Figuren werden maßgeblich nackt dargestellt und sind zumeist mit sichtbaren Attributen oder Gegenständen ausgestattet. Historisch mehr als fraglich ist hier die häufige Darstellung metallischer Gegenstände, die vermutlich späteren Darstellungen pangaeischer Kultur aus der Bronzezeit entstammen. Morganas Körper wird sehr weiblich dargestellt, sie trägt ein sternähnliches Licht auf der Stirn, hat keinen Mund und ein offenes, großes Loch in der Brust, anstelle eines Herzens. Ihre rechte Hand präsentiert sie zumeist leer, in anderen hält sie eine Art, aus heutiger Sicht umgedrehtes, Kreuz, als Symbol für das Licht. Orchestraler Bombast aus wild aufstrebenden Streichern und majestätischen Blechbläsern fusioniert mit der metallischen Schlagseite aus fordernd knallenden Drums und rauen Gitarrenwänden, fortan die strahlende Übermacht des gleißenden Lichts zu repräsentieren. Die Strophen fokussieren gegensätzlich dazu lediglich auf Klavier und Harms selbst, welcher im fließenden Übergang erneut zu heftigen Schreien vor pumpenden Blast-Beats übergeht und danach zum leidenschaftlichen, hochemotionalen Refrain ansetzt, der das höchste Lebensziel eines jeden Paganen fest in Augenschein nimmt und dessen dringliches Sehnen umso mehr unterstreicht. Ein monumental inszeniertes Stück, das den erhabenen Charakter erstklassig einzufangen weiß. Die zweite der beiden Gottheiten ist „Haythor“, der alles Dunkel und den Mond, welcher seinen Blick auf Morgana darstellt, symbolisiert. Er steht für Selbstsucht, Sehnsucht, Leid und die besitzergreifende Liebe, aber auch für das ungewollt Böse aus Verzweiflung, Angst und aus dem Affekt heraus. In ihm findet alles unwürdig gelebte Leben sein Ende. Obwohl er in fast allen Belangen als direkter Gegenpol zum Licht präsentiert wird, ist er jedoch anscheinend keine gänzlich eindeutige Verkörperung alles Bösen, vergleichbar mit der im Christentum verwendeten Darstellung des Teufels. Eine eindeutige Personifizierung des Bösen sucht man in der Mythologie der G‘hahyr vergeblich. Haythor trägt um den zweifach gehörnten Kopf eine schwarze Aureole, die wie ein dunkler Heiligenschein anmutet, zudem hat er keine Augen, sein Blick, dargestellt durch unseren Erdmond, scheint nicht auf dem herkömmlichen Sehsinn zu basieren. Auf dem Oberkörper trägt er Ziernarben in der Form einer Halbmondschale, die ein Heptagramm hält, zudem drei Schlangen als Phallus. Ein grotesk anmutendes Gewirr aus undefinierbaren Sound-Fragmenten öffnet langsam die massiven Tore zur Schattenseite, kurzzeitig angetrieben von vorerst noch gezügelten Drums und einer abgründig brodelnden Synthie-Weise, die sich nur wenig später darauf in scharfkantige Industrial-Salven verkehrt, welche hier zum schwer stampfenden Metal-Takt abgefeuert werden und so einen durchweg bedrohlichen Reigen der Finsternis entfachen. Durch jedes einzelne Wort schimmert all die Verletzlichkeit und der bloße Schmerz eines gebrochenen Herzens, das nun voller Ausweglosigkeit und Trauer nach dem trachtet, was es niemals mehr zurückbekommen kann. Jetzt gibt es kein Zurück und vor allem kein Erbarmen mehr... Für nichts und niemanden. Der grausame Wendepunkt, wenn aus reiner Liebe blanker Hass wird.

Zu den wohl bekanntesten Repräsentanten der Schattenwesen und als direktes Pendant zu Loreley, zählt „Naxxar“: Der siebenfach gehörnte Halbgott überführt die Toten in Haythors Reich des Schattens, muss hierfür allerdings keine Hilfe von Edriel in Anspruch nehmen, da alle als für Morganas Reich als unwürdig angesehenen Toten direkt in Form von Asche mit der ausreichenden Kraft des Windes von der Erde gehoben werden. So gilt der Satz „Du sollst mit der Asche gehen“, als eine sehr herkömmliche pangaeische Beleidigung, vergleichbar mit dem heutigen „Fahr zur Hölle“. Für die Hinterbliebenen ist allerdings nie wirklich offensichtlich, ob der Tote mit den Flammen zu Morgana oder mit der Asche zu Haythor aufsteigt, ein starker aufkommender Wind während oder kurz nach der Verbrennung lässt nach pangaeischem Glauben jedoch auf nichts Gutes schließen. Hervorzuheben ist der Umstand, dass der Himmel und die Hölle der G‘hahyr aus heutiger Sicht gesprochen, beide im Himmelreich liegen. Die Nacht als Sinnbild für Haythors Reich wird so weit wie möglich zum Schlafen genutzt, um sich der Macht der Nacht so wenig wie möglich wach und bewusst auszusetzen. Das Zeugen von Kindern nach Sonnenuntergang ist verpönt, da man hierbei bewusst Leben unter Haythors Augen schafft. Die daraus resultierende Bezeichnung „Barnoth“ (Nachtkind) ist ein weiterer, stark negativ geprägter Begriff unter den Pangaen. Menschen, die gerne maßgeblich zur Nachtzeit wachen, werden nicht selten als Negricor (Schwarzherz) bezeichnet. Des Weiteren sei zu erwähnen, dass das Auslassen einer Feuerbestattung einem Pangaen gänzlich die Möglichkeit verwehrt, in das Reich Haythors oder Morganas fahren zu können. Somit gilt das Liegenlassen einer Leiche als besonders grausam und findet daher anscheinend sogar Anwendung im Rahmen von zu Lebzeiten verhängter Bestrafungen, in etwa im Falle eines Mörders. Neben seinen Hörnern trägt Naxxar in seiner einzigen Hand eine Art langen Haken, sein zweiter Arm fehlt ab der Schulter gänzlich. Schwarzes Blut aus einem Mund rinnt über seinen gesamten Körper, entgegen der Schwerkraft in alle Richtungen. Gespenstische Choräle geleiten eingangs durch die dichten Nebelschwaden zur Unterwelt und versinnbildlichen somit die verlorenen Seelen der verstorbenen G‘hahyr im finster schleppenden Rhythmus, der von einem imposant dröhnenden Orgelwerk untermauerte, schmerzerfüllt wehklagende Chorus verheißt endlose Verzweiflung. Harms liefert hier gesangliche Höchstleistung. Jetzt gibt es keine Umkehr mehr! Das zerbrechlich intonierte „Cut Me Out“ offenbart die zarte Seite eines jeden Liebenden und erfleht die zweite Zusammenkunft des Allpaares. Dezenter und äußerst sorgsam in den zugrundeliegenden Inhalt verflochtener Pop-Appeal umgarnt die herzzerreißend reumütig insistierte Bitte um Vergebung. Die Gottheiten beginnen zu menscheln und werden immer greifbarer. „The Mortarian“: Das 343-Kopf-starke Heer der Mortarianer ist aus heutiger Sicht vielleicht am besten mit einem Engelsheer vergleichbar. Es besteht aus den Seelen der inzwischen verstorbenen, ersten Menschen. Jenes Heer kämpft stets für die „richtige“ Seite und versucht unausgewogene Machtverhältnisse im Gleichgewicht zu halten. Es steht in gewisser Weise zwischen Morgana und Haythor als verbindender dritter Teil des Triviums der göttlichen Mächte. Die Mortarianer verkörpern den gemeinsamen, ursprünglichen Gedanken des Gottespaares, Leben zu erschaffen und damit Gutes tun zu wollen.

Aus ihrer Sicht sind sowohl Morgana als auch Haythors Beweggründe nachvollziehbar, jedoch werden auch auf beiden, nicht nur auf der Schattenseite, Fehler gesehen. Aus diesem Verständnis für beide Seiten schwankt das Heer stets zwischen den Polen und versucht, beide Waagschalen der Mächte im Gleichgewicht zu halten. Die Mortarianer sind hüllenlose Luftwesen und, wenn überhaupt, nur als Umrisse zu erkennen. Direkt aus der Sicht eines der Mortarianer erzählt, prescht hier eine treibende Electro-Melodie streng marschierend vor, der ätherisch aufgeladene Chorus schwingt sich sodann mit den Geflügelten passend in neue Höhen auf. Jener trifft dann im Mittelteil auf eine sogartig mitreißende Lawine aus gnadenlos schreddernden Riffs und gellenden Screams, bevor kurz darauf ein klassisch inspirierter Ruhepol überraschend sanft auf den finalen Part vorbereitet. Scheppernd rohe Percussion und flirrende Keyboard-Fragmente erschaffen gemeinsam mit dem Gesang und gelegentlich eingestreuten Saiten-Attacken das Fundament für „Under The Sun“. Der Refrain nimmt zunächst alles Tempo durch seine behutsam reduzierte Instrumentierung mit dem Klavier und baut schließlich fließend auf das anfängliche Thema auf. Im heroisch stampfenden Takt geht es bei „In Darkness, In Light“ unaufhaltsam geradeaus voran. Die Stimme von Harms kommt hier dieses Mal ohne zusätzlich versehene Effekte aus, ist viel mehr geerdet und mild. Unaufdringlich, aber doch ausreichend präsent, bauen sich im Hintergrund helle Chöre auf und einen sich zum ergreifenden Refrain mit einem leichten Hauch von pointierten Piano-Zusätzen, die ebenfalls zum melodiös powernden Beginn von „Forevermore“ greifen und den weiteren Verlauf des gefälligen Up-Tempos maßgeblich bestimmen. Zähnefletschende Gitarren ebnen zu exotisch geprägten Passagen angriffslustig den Weg für das finale Endzeit-Epos „Ruins“, welches einmal mehr als repräsentativ für die drastische Gratwanderung zwischen den musikalischen Extremen angesehen werden darf: „Spinarhos“ steht für den „Dorn der Rose“, als veranschaulichendes Sinnbild dafür, das alles Schöne und Gute nie ohne einen Gegenpol existieren kann. So findet sich dieser Begriff bei den Pangaen als Bezeichnung für den Untergang ihrer Welt wieder. Die Rose steht vermutlich stellvertretend für die Kraft des Lebens oder die Menschheit an sich. Wenn einzig der Dorn der Rose überlebt, nachdem die Rose verblüht ist, ist der Zeitpunkt für die zweite Zusammenkunft erreicht. Mit dieser endet die Mythologie der G‘hahyr. Das Ende der irdischen Welt wird jedoch nicht als pure Zerstörung beschrieben, sondern erschafft ein androgynes Mischwesen aus beiden Teilen des Allpaares: Den sogenannten „Dornengott“, wobei ob missverständlicher Überlieferungen hier das Wort „Gott“ mit „Stern“ vermischt wurde, weswegen daraus letztendlich „Spinarstjarna“, also der „Dornenstern“ wurde, der auch optisch eine Mischung aus Morgana und Haythor bildet. Ähnlich dem Weltenbrand in der nordischen Mythologie, ist der „Thornstar“ zwar maßgeblich für die Zerstörung der Erde verantwortlich, gleichermaßen aber auch der Erschaffer einer neuen Weltordnung und einer Neudefinition des Gleichgewichts. Was bleibt, sind Ruinen.

Tracklist: 01. On This Rock I Will Build My Church

02. Loreley

03. Black Halos

04. In Our Hands

05. Morgana

06. Haythor

07. Naxxar

08. Cut Me Out

09. The Mortarian

10. Under The Sun

11. In Darkness, In Light

12. Forevermore

13. Ruins

Fazit:

Es ist wahrscheinlich schon lange kein echtes Geheimnis mehr, dass die mannigfaltigen Säulen der unergründlichen Mythologie stets als ein äußerst beliebter Anker für jegliche kulturelle Aufarbeitung durch Literatur, Film und nicht zuletzt natürlich auch Musik herangezogen werden. Als dementsprechend genügend ausgetreten präsentieren sich mittlerweile die meisten Vertreter vor diesem Hintergrund. Die fünf erfolgreichen Hamburger Musiker von „Lord Of The Lost“ gehen hier, wie nicht anders zu erwarten, allerdings erfrischend andere Wege und wenden sich anstelle von längst Bekanntem einer fast vergessenen Kultur und ersten Spiritualität der Menschheit überhaupt zu, welche sie mit vorliegendem Material anno 2018 aus den brachliegenden Trümmern der Vergangenheit kunstvoll emporheben. Die über die letzten Jahre immer weiter ausgefeilte Verknüpfung von ekstatisch donnernden Metal-Schlägen, hochmelodischem Dark Rock und aggressiven Industrial-Spitzen punktet dabei nach wie vor durch ein absolutes Höchstmaß an formvollendeter Eingängigkeit und hält weiterhin akribisch exakt austariert die Waage zwischen unerbittlich hereinbrechender Härte und beeindruckend packender Melodiösität bis hin zur sprengenden Grenzüberschreitung, welche die strikten Barrieren verschiedenster Genres stilsicher und vielfältig wie eh und je zu überspringen vermag. „Thornstar“ geht jedoch nunmehr ein ganzes Stück weiter, reißt jene Mauern endgültig ein und offenbart sich in der bisherigen Diskographie somit als bisher wohl gereifteste Veröffentlichung und wahre Königsdisziplin in jeder nur erdenklichen Hinsicht. Die lückenlos recherchierte und ungemein interessante Hintergrundgeschichte zu den insgesamt dreizehn, durchweg hochklassigen Songs ist unverbraucht und könnte sich als ein gleich auf mehreren Ebenen funktionierendes Konzept wohl nicht besser eignen. Der sowohl aus rein kulturwissenschaftlicher Sicht gehaltvoll dargebotene als auch zu einer emotional bindenden Identifikation mit den beiden menschlich geprägten Gottheiten beitragende Konflikt des Allpaares, lebt zu jeder Zeit von seiner dynamischen, denn lediglich faktisch distanzierten Erzählweise und lässt dadurch umso tiefer in die mythologische Welt der Pangaen eintauchen. Ein wahres Meisterwerk, das seine Spuren in der Szene hoffentlich hinterlassen wird!

Informationen: http://lordofthelost.de https://www.facebook.com/lordofthelost/

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