Depeche Mode - Spirit (2017)
Genre: Rock / Alternative
Release: 17.03.2017
Label: Columbia (Sony Music)
Spielzeit: 50 Minuten
Pressetext:
"Where's The Revolution" ist die erste Auskopplung aus "Spirit", dem 14. Album der britischen Band, das am 17. März beim Sony Music-Label Columbia Records erscheint. Bereits im Rahmen der Pressekonferenz in Mailand im vergangenen Herbst hatte die Band einen Teaser des Songs präsentiert. Es ist die erste neue Musik von Dave Gahan, Martin Gore und Andrew Fletcher seit vier Jahren. Für die Aufnahmen zu "Spirit" arbeitete die Band erstmals mit dem Produzenten James Ford (Simian Mobile Disco), unter dessen Regie in den vergangenen Jahren u.a. Alben von Florence & The Machine, Arctic Monkeys und Foals entstanden waren. "Spirit" ist der Follow-Up zum 2013 erschienenen Album "Delta Machine", das sich in zwölf Ländern von null auf eins an die Spitze der Charts setze. In ersten Vorab-Reviews wird das neuen Album bereits gefeiert, das Q Magazin bezeichnet "Spirit" z.B. als "das spannendste Depeche Mode Album seit Jahren". Begleitend zur Veröffentlichung des Albums begeben sich Depeche Mode auf eine umfangreiche Welttournee. Im ersten Teil der Konzertreise, für den der Kartenvorverkauf bereits begonnen hat, wird die Band bei 34 Shows in 21 Ländern vor über 1,5 Millionen Zuschauern in ganz Europa auftreten. Tourstart ist am 5. Mai in Stockholm. Nach zahlreichen Konzerten in Stadien in ganz Europa setzt die Band die Tournee nach dem Sommer in Nord- und Südamerika fort. Depeche Mode wurden 1981 gegründet, verkauften bis dato mehr als hundert Millionen Tonträger und traten vor dreißig Millionen Fans weltweit auf. Ihre wegweisenden und stilbildenden Veröffentlichungen in den vergangenen dreieinhalb Jahrzenten bescherten der Band neben großem kommerziellen Erfolg auch Legenden-Status als Musik-Pioniere und Erneuerer. Generationen von Bands und Musikern verweisen auf Depeche Mode als Inspiration, Einfluss und Vorbilder. Das 13. Album der Band, "Delta Machine", erreichte in über zwanzig Ländern die Top Ten, darunter Großbritannien und die USA. Die Tour im Anschluss an die Veröffentlichung lockte weltweit mehr als 2,5 Millionen Fans in die Stadien und Arenen. Im Herbst 2016 veröffentlichte Sony Music die lang erwartete Anthologie "Video Singles Collection" auf drei DVDs mit mehr als vier Stunden ihrer richtungsweisenden Musikvideos.
Kritik:
"We can track it all with satellites
See it all in plain sight
Watch men die in real time
But we have nothing inside
We feel nothing inside"
Selbst wenn man strikt nach den markanten Textzeilen eines der wohl bekanntesten Welthits gehen möchte, so dürfte es dem Großteil der treuen Anhängerschaft nach all der langen Zeit des Wartens wohl endgültig genügt haben, die hier namentlich titulierte Stille zu genießen. An all jenen, die sich nicht zum inneren Kreis der selbsternannten "Devotees" zählen, dürfte das jüngste Großereignis der facettenreichen Musiklandschaft dieser Tage wohl ebenfalls nur schwerlich vorbeigezogen sein. Wie auch? Zahlreiche Plakate und Poster säumten bereits Monate zuvor die Fassaden nahezu jeder größeren Stadt, mannigfaltige Werbeschaltungen erfolgten durch Radio-Stationen wie auch Fernsehsender und sogar Deutschlands größter Mobilfunkanbieter zollte der hier beschriebenen Band mit einem gesponserten Auftritt innerhalb seiner exklusiven Veranstaltungsreihe "Street Gigs" international viel beachteten Tribut. Das passgenau auf den Release-Termin angesetzte Intim-Rehearsal im altehrwürdigen Funkhaus Berlin vor gerade einmal tausend Zuschauern, fesselte durch seinen Live-Stream in Netz und Pay-TV unzählige Fans vor die Monitore. Die Pfade für einen neuen Output der britischen Kultstatus-Träger waren durch gezielte Promotion und wieder einmal perfekt eingesetztes Marketing also gepflastert, der erneute Weg an die Spitze der Media Control Charts schien schon ab dem ersten Tag geebnet. Es ist ein so unmissverständliches wie klares Zeichen, welches einem unüberhörbaren Ausruf gleichkommt, dessen medialer Widerhall selbstverständlich nicht ausbleiben sollte: "Depeche Mode" sind zurück! Ganze vier Jahre nach ihrem letzten Werk "Delta Machine", folgt das im Jahre 1980 gegründete Kollektiv um Dave Gahan, Martin L. Gore und Andrew Fletcher seinem gewohnten Veröffentlichungszyklus und erweitert sein beachtliches Portfolio um einen weiteren Zugang. Die legendäre Gruppe, deren Name ursprünglich einem französischen Modemagazin entliehen ist, gilt als oftmals glorifizierter Vorreiter des Synthie-Pop und zählt heute, fast vierzig Jahre später, durch ihre enorme Pionierarbeit nicht ohne Grund zu den bedeutendsten und einflussreichsten Vertretern der Kultur. Es ist definitiv kein Geheimnis und dabei nicht zu leugnen, dass diese Musiker mit Meilensteinen wie etwa "Black Celebration", "Music For The Masses" oder "Violator" ihre klar erkennbaren Spuren hinterlassen haben, die bereits etliche Nachfolger und -ahmer in der ältesten und jüngsten Vergangenheit erfolglos auszufüllen versuchten. Ihre unvergleichlichen Songs gehen durch verschiedenste Kanäle seit jeher um die ganze Welt. Beinahe jedem auch nur im Ansatz interessierten Menschen, ist durch mindestens eine dieser Quellen schon einmal ein solcher im Leben begegnet. So haben Klassiker der Marke "Personal Jesus", "Just Can't Get Enough", "Never Let Me Down Again", "Precious" oder das eingangs umschriebene "Enjoy The Silence", mittlerweile einen bisher unerreichten Status und dadurch ihren festen Platz in der Geschichte. Der Sound markiert spätestens seit seinem erfolgreichen Durchbruch den gängigen Standard des alternativen Rock, an dem sich alle künftigen Bewerber messen und vergleichen lassen müssen. Doch wie es sich bei einer solch lange andauernden Karriere zwangsläufig verhält, war die Laufbahn des ehemaligen Quintetts nicht ausschließlich von Glanzmomenten geprägt.
Nachdem zuerst Vincent Clark der Band 1981 zum Debüt "Speak & Spell" den Rücken kehrte, schloss sich 1995 Alan Wilder an und gab den Ausstieg nach seinem letzten Wirken an "Songs Of Faith And Devotion" bekannt. Für einen nicht unerheblichen Teil der Hörerschaft ist der Verlust des nur schwer verzichtbaren Mitgliedes bis zum heutigen Tage ein harter Schlag, von dem sich die Briten nie so ganz erholt haben, möchte man nach einigen Aussagen gehen. So gilt "Ultra" ob seines restlichen Einflusses als das zuletzt beste Album, die kritischen Töne stiegen seit dem darauf folgenden "Exciter" von Mal zu Mal stetig an, der eingefleischte Kern vermisste den einstigen Klang seiner Jugend-Heroen schmerzlich und sehnte sich nach den Wurzeln zurück. Doch auch "Playing The Angel" und allen voran das abstrakte "Sounds Of The Universe" fielen deutlich experimenteller aus, konnten und wollten nicht an die Großtaten vergangener Tage anknüpfen. Anstelle eingängiger Melodien mit charmantem Ohrwurm-Potential und klarem Wiedererkennungswert, standen nun mehr denn je reduzierte Arrangements, sperrige Einschübe und verschachtelte Kompositionen. Eine wahrlich einschneidende Entwicklung, die nicht von allen mit Offenheit begrüßt, sondern viel mehr mit steigendem Argwohn betrachtet wurde und mit dem 2013 zuletzt erschienenen "Delta Machine" ihren Höhepunkt fand. Ganze vier Jahre später ist es wieder soweit und ein neuer Ableger steht in den Startlöchern, verheißungsvoll "Spirit" genannt. Das erste und im Kontext zum Vorverkauf für die zugehörige Tournee veröffentlichte Promo-Foto, ließ kollektive Erinnerungen an Umbruch und "Construction Time Again" wach werden. Die vorausgegangene Single "Where's The Revolution" und das erneut von Anton Corbijn gestaltete Artwork, ernteten hingegen zwiegespaltene Kritik und reichte von klassischem Lob bis hin zur Prophezeiungen vom endgültigen Untergang des Abendlandes. Gleichzeitig vollbrachte es die geschickte Kombination aus Informationsarmut und Unberechenbarkeit aber, das Interesse gekonnt auf die neuerliche Ausrichtung zu lenken und einen ersten Einblick auf die gebotene Themenvielfalt erahnen zu lassen. Wie sich diese in ihrer jeweiligen Gesamtheit aufspalten und welche Richtung "Depeche Mode" anno 2017 ansteuern, verrät die nachfolgende Rezension. Der eröffnende Einstieg in das neue Album wird von "Going Backwards" bereitet. Aus der anfänglichen Stille heraus erklingt plötzlich der unverkennbar prägnante Ton eines tief gestimmten Klaviers, dessen instrumentale Intensität sich mit einem dezent verzögerten Abstand, doch lautstärkebedingt dafür nur umso deutlicher und wirkungsvoller im Vordergrund präsentiert. Ein zu Beginn noch eher zurückhaltendes Gitarrenriff mischt sich passgenau zum Tempo unter, gestaltet fortwährend die somit vorgegebene Gangart und dadurch erzeugte Atmosphäre. Die behäbigen Drums geben den Takt zum schwer schleppenden Rhythmus vor, während sich erstmals die helle, doch leidvoll gequält anmutende Stimme Gahans mahnend erhebt. Die Menschheit hat bedauerlicherweise in all den Jahren nichts dazu gelernt: Noch immer regieren Angst, Leid und Terror das alltägliche Geschehen auf der ganzen Welt und in den Medien. Das oft so herbeigesehnte und dringend notwendige Miteinander, verkommt immer mehr zur rücksichtslosen Ellenbogen- und Konsumgesellschaft. Empathieloser Egoismus greift allerorts gewalttätig um sich und unreflektierte Handlungen in Politik und Wirtschaft ersticken jeden versuchten Anflug von Harmonie und Frieden. Gemeinsam treiben wir unaufhaltsam immer weiter zum Abgrund. Von der gewollten Zukunft direkt zurück in die Steinzeit - Willkommen im Trauerspiel-Kabinett der Einsamkeit! Einige zwischengelagerte Unterbrechungen verzögern bewusst die Zeit bis zum klassischen Refrain. Die anfangs noch so reduzierte Melodie baut sich, nicht zuletzt auch durch die pointiert eingesetzte Elektronik-Komponente im direkten Zusammenspiel mit der Saiten-Fraktion, mit fortschreitender Spieldauer zunehmend auf, wird dann immer fordernder und spitzt sich in einem dramatischen Finale zu. Es wird immer deutlicher und ist nicht mehr länger zu leugnen: Wir haben unser Mitgefühl für alles, jeden und auch uns selbst verloren. Es ist Fünf vor Zwölf und der Zeiger schreitet immer weiter unnachgiebig voran. Wer oder was kann ihn jetzt noch stoppen? Abwartende Untätigkeit kann hier weder Antwort noch Lösung sein, viel mehr bedarf es einer endgültigen Revolution. Mit der vorab veröffentlichten Single-Auskopplung "Where's The Revolution", lässt man sodann die protestantischen Fahnen des Cover-Artworks im Wind wehen und fordert die absolute Gegenbewegung zu den eingangs kritisierten Missständen. Die von gemäßigten Synth-Sounds unterlegten Strophen sind im Mid-Tempo konstruiert und entfalten nicht zuletzt auch durch die Thematik, eine deprimiert wirkende Konstante innerhalb der erzeugten Stimmung. Der allgemeine Unmut wird durch den elektronisch verzerrten Gesang nur umso deutlicher und untermalt den zugehörigen Text mit gehörigem Nachdruck. Erst der Refrain selbst bricht dann mit diesem Prinzip und der formgerecht instrumentierten Monotonie der grauen Tristesse aus Verzweiflung, rückt aufpeitschend dominierende Riffs und knallendes Drumming in die temporär vorherrschende Exekutive. Es ist ein Protestaufruf zu mehr Aktivität gegen die gemachten Ungerechtigkeiten und herrschende Fremdsteuerung des Establishments über den kleinen Mann. Dabei gilt es fortan nicht länger nur weg-, sondern viel mehr hinzusehen, sich von der extern auferlegten Kurzsichtigkeit zu befreien und den eigenen Weitblick zu schärfen. Es geht um den Mut zur Selbstbestimmung und dazu, sich nicht ausschließlich länger bequem lenken zu lassen. Wieder befreit zu denken und zu handeln, bevor es zu spät ist. Denn schon ein Einzelner kann ganz für sich allein damit beginnen, das Feuer der Hoffnung in anderen zu entfachen und mitzureißen, um gemeinsam stark und konsequent gegen das ewige Kleinhalten des einheitsgenormten Systems zu sein.
Zu welch grausamen Taten blinder Gehorsam und sture Folgsamkeit führen können, veranschaulicht danach "The Worst Crime". Inhaltlich gesehen findet sich hier eine Anklage an den Herdentrieb. Wir spielen zu oft Geschworene, Richter und Henker zur gleichen Zeit. Lassen unser Handeln fern von der eigenen Motivation bestimmen und uns gleichmäßig im Strom hinein ins entmenschlichte Nichts treiben. Fehltritte bemerken wir erst dann, wenn der eigene Kopf schließlich rollt und die endgültig verlorene Moral am Galgen hängt. Diese introvertierte Ballade wird fast ausschließlich von dem Klang einer gezielt reduziert eingesetzten Gitarre getragen. Verzweifelt anmutend kreiert der ganzheitliche Sound langsam eine isolierte, vereinsamte Atmosphäre, die erst im Refrain durch eine drängende Percussion abgelöst wird. Mit "Scum" wird es dann erstmalig wirklich merkbar temporeicher. Anders als bei den bisherigen Titeln, wird hier komplett auf eine organische Instrumentierung verzichtet. Ein bruchstückhaft eingesetzter Beat gibt den verqueren Rhythmus vor, während sich fiepend synthetische Sequenzen und knarrende Einschübe erheben und die Basis für den experimentellen Charme bieten. Gahans Stimme ist durch die starke Nachbearbeitung passend dazu verfremdet und mit nachhallenden Echo-Effekten unterlegt. Auch in lyrischer Hinsicht warten "Depeche Mode" mit einer gänzlich differenzierten Vorgehensweise auf, die jeweiligen Zeilen kommen ungewohnt direkt und aggressiv daher. In wütender Manier richtet sich dieser Monolog direkt an das dekadente Feindbild, legt dessen schwächliche Verwundbarkeit hinter dem als Schutzschild getarnten Versteck frei und offenbart dahinter die eigentliche Einsamkeit. Was, wenn auch hinter den diktatorischen Großmächten plötzlich keinerlei Armee mehr steht, um ihnen den Rücken zu stärken? "Drück endlich ab!", fordern die Lyrics den besungenen Abschaum zur unumgänglichen Selbstaufgabe, das Elend der ewig Unterjochten durch diese zu beenden. Der Song ist obgleich seiner harschen Gesellschaftskritik kein Club-Hit im klassischen Sinne. Zunächst sonderbar vertrackt und scheinbar unzugänglich, wächst dieser trotz seiner eher kurzen Spieldauer doch mit mehrmaligem Hören zu einem erfrischend anderen Höhepunkt heran. In eine musikalisch durchaus ähnlich konzipierte Richtung, wenngleich auch deutlich clubtauglicher, geht es dann im sofortigen Anschluss mit "You Move". Verrucht und lasziv räkelt sich der tiefe Beat zu den anzüglichen Text-Passagen und versprüht düsteren Sex-Appeal. Das temporäre Zwischenspiel von mystischen Synthesizer-Tupfern bricht nach dem Refrain kurzzeitig mit diesem Prinzip, behält die geheimnisvolle Stimmung aber bei. Eine wahre Oase der Ruhe wird danach von "Cover Me" in Form einer Halbballade begründet. Die Struktur des ambitionierten Songs splittet sich dabei in zwei grundlegend unterschiedliche Parts auf: Ab dem Beginn bestimmt ein gefühlvoller Vocal-Teil das Bild, wirkt durch seine dargebotene Interpretation intim und geradezu verletzlich. Sind wir wirklich allein in diesem Universum und wenn nicht, könnten die Gegebenheiten an einem anderen Ort vielleicht gänzlich bessere sein? Eine von tiefem Weltschmerz geprägte Frage, welche so manchen Geplagten schon lange beschäftigen mag. Es ist die rastlose Sinnessuche nach einer besseren Welt für andere und auch sich selbst, die innere Jagd nach dem Glück. Danach setzt eine sphärisch inszenierte Gegenentwicklung ein, löst das vertraute Zwiegespräch in all seiner Innigkeit ab und nimmt den Hörer mit auf eine akustische Reise. Dieses Finale wird durch ein futuristisch arrangiertes Instrumental angelegt, das nicht nur Erinnerungen an nostalgische Science-Fiction wach werden, sondern auch den Platz für ausschweifende Assoziationen mit dem gegebenen Kontext lässt. Wer bis zum jetzigen Zeitpunkt einen der obligatorischen Solo-Titel von Gitarrist Martin L. Gore vermisst hat, erfährt mit "Eternal" seine Genugtuung. Mit einer auffällig gering bemessenen Spielzeit von gerade einmal knapp zwei Minuten, lässt man die althergebrachte Tradition kurzer Songs wie "To Have And To Hold" und "Get Right With Me" wieder aufleben. Aufgrund dessen ist diese tragisch emotionale Liebesbekundung schon fast als eine Art stimmiges Zwischenspiel zu verstehen. Wie beim vorherigen Stück hält man dabei dennoch den kunstvollen Spagat zwischen den wechselhaften Stilistiken und verbaut einen nahtlos fließenden Übergang, welcher der gefühligen Dramaturgie durch seinen sich steigernden Aufbau ab der zweiten Hälfte nur allzu zuträglich ist. Einen eindeutigen Umbruch zur bisherigen Abfolge setzt "Poison Heart". Berauschende Twang-Gitarren grooven galant durch einen leicht verrauchten Blues-Einfluss und lassen dabei etwa entfernte Vergleiche mit Gahans Engagement bei den "Soulsavers" oder auch "Slow" vom vorherigen Album "Delta Machine" zu. Wir haben uns den Blick auf die ausschließlich negativen Seiten angewöhnt, sind vom Schmerz der Vergangenheit gleichermaßen besessen und beseelt, wiegen uns sicher in der Komfort-Zone der gebrochenen und vergifteten Herzen. Es ist die neue, selbst implizierte Volkskrankheit, resultierend aus lange verwehten Träumen, unerfüllten Erwartungen und Zielen. Endstation Gefühlskälte, soziales Burn-Out. Diesem Zustand nimmt sich auch "So Much Love" an und spinnt den Faden weiter. Mit ihren schnellen Rhythmen und einer wild pochenden Melodie versprüht die Nummer absoluten Retro-Charme, immer wieder aufgelockert von flirrenden Akkorden, die an den New Wave gemahnen. Wir sind alltäglich von so viel Liebe umgeben und doch klammern wir uns beständig nur an Verlust- und Versagensängste, gewähren uns selbst keine Flucht aus diesem inneren Kreislauf der Ängste und anderen somit keine Chance. Das Leben könnte uns an jedem einzelnen Tag so viel geben, wir müssen es nur annehmen wollen.
"Poorman" bildet sodann das absolute Gegenstück zu seinem Vorgänger und kommt in einem gänzlich minimalistischeren Gewand gekleidet daher. Wuchtige Trommeln und ein anfänglicher Chor-Abgesang mit modern-sakralem Gospel-Einschlag, bieten den erweiterten Einstieg in die Sozialkritik. Die zwischenzeitlich quälend aufheulenden Saiten erzeugen ein bitteres Country-Feeling und runden das Bild ab. Süffisant verholen nimmt sich die Band hier der sogenannten "Trickle-Down-Theorie" an. Eine mögliche These, die besagt, dass der stetige Wirtschaftswachstum und der dadurch erzeugte Wohlstand der Reichen, irgendwann in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickert. Finster tröpfelnde Synthie-Sounds konterkarieren danach die klangliche Schwere mit "No More (This Is The Last Time)". Die Stimmung scheint zunächst durchweg bedrohlich und wird erst vom eingängigen Refrain wieder stückweise aufgeklart. Im unaufhaltbaren Zyklus des menschlichen Zusammenlebens gibt es mindestens genauso viele gute, wie auch schlechte Momente. Und manchmal ist es besser, fortan wieder getrennte Wege zu gehen. Für immer. Auch für den Hörer und "Depeche Mode" selbst ist es jetzt an der Zeit, ein weiteres Mal Abschied voneinander zu nehmen. "Fail" markiert den Schlusspunkt der jüngsten Veröffentlichung und bleibt seiner verfolgten Linie dabei mehr als treu. Tief gestimmte Elektronik schafft die bedrückend dunkle Atmosphäre, während ein gezerrtes Akkordeon und Gores helle Stimme klagende Akzente darin setzen. Aus rein thematischer Sicht schließt sich hier der gesamte Kreis zum Beginn von "Spirit" und wirft die elementaren Fragestellungen auf, die doch niemand zu beantworten weiß. Was ist nur aus der Welt geworden und wie soll es mit uns jetzt noch weitergehen? So unbequem die allgemeine Ratlosigkeit und beunruhigend das Ausbleiben einer erlösenden Antwort darauf auch sein mögen, müssen wir uns dabei doch auf die undurchsichtige Zukunft verlassen. Doch könnte schon ein Jeder - den festen Willen vorausgesetzt - im Rahmen seiner gegebenen Möglichkeiten weit mehr tun, als einfach nur zu bequem abzuwarten und zu hoffen. Viel mehr denn je, gilt es genau jetzt, die kleingeistigen Ideologien und das egozentrische Streben nach Mehr endgültig zu verbannen. Gänzlich differenzierte Meinungen, Mentalitäten, Denk-, Glaubens- und Handlungsweisen nicht nur zu tolerieren, sondern vor allem auch zu respektieren. Doch dazu ist es erforderlich, sich zum Wohle aller zurückzunehmen und seinem Nebenmann endlich selbstlos die Hand zu reichen, um gemeinsam wieder aufbauen zu können, was gemeinsam zerstört wurde. Noch ist nicht alles verloren... Was werden wir tun? Es liegt ganz bei uns.
Tracklist:
01. Going Backwards
02. Where's The Revolution
03. The Worst Crime
04. Scum
05. You Move
06. Cover Me
07. Eternal
08. Poison Heart
09. So Much Love
10. Poorman
11. No More (This Is The Last Time)
12. Fail
Fazit:
Es wäre wohl in der Tat ziemlich anmaßend, zu behaupten, dass "Spirit" genau die Art von Albumveröffentlichung wäre, die sich der über all die Jahre eingefleischte Alt-Fan so sehr gewünscht hätte. Auch ist es in musikalischer Hinsicht ganz bestimmt nicht das "Construction Time Again" oder "Black Celebration" der Neuzeit, wie so manche Pressestimme vorab glauben machen und dadurch einen gar revolutionären Umbruch im Sound vermitteln wollte. Viel eher ist der aktuelle Longplayer eine logische Konsequenz aus den stilistisch aufeinander aufbauenden Vorgängerwerken und demnach die sorgsam daraus gefilterte Quintessenz. Dabei ist es im Gesamtpaket exakt die Art der hörbaren Weiterentwicklung, der etwa ein derlei abgeklärter Sound eines "Playing The Angel" oder "Delta Machine" innewohnt, jedoch ohne dabei deren konstruierte Kälte zu transportieren. In nicht gerade wenigen Momenten beschreiten die Briten gar die bereits eingeschlagenen Wege von einst, finden manches Mal geistig zur bewussten Struktur von "A Broken Frame" und "Exciter" zurück. Die damit verbundenen und daraus resultierenden, frischen Impulse unterstreichen die neugewonnene Stärke, jedoch ohne sich dabei selbst zu kopieren, still und starr stehen zu bleiben oder zu stagnieren. Vor allem aber machen sich wieder deutliche Höhepunkte innerhalb der einzelnen Kompositionen bemerkbar, die zugrundeliegende Vielfalt schöpft immerzu aus den verfügbaren Quellen aller bisherigen Schaffensphasen und offenbart somit deren gesamtes Potential. Auch wenn sich in den ersten Durchgängen ganz sicher kein klarer Hit in der Manier alter Zeiten herauskristallisieren kann und will, so funktioniert das in sich geschlossene, übergreifende Polit-Konzept dennoch umso hervorragender. Zuzüglich ist nicht von der Hand zu weisen, dass die fruchtbare Zusammenarbeit mit einem neuen Produzenten dem allgemeinen Prozess frischen Wind eingebracht und dementsprechend gut getan hat. Anders als bei den drei Langspielern zuvor, zeichnet nämlich nun James Ford anstelle von Ben Hillier verantwortlich. Im Hinblick auf die rein thematischen Inhalte, festigen "Depeche Mode" ihren seit Anbeginn verdeutlichten Standpunkt. Sie waren, sind und bleiben die ewigen Verfechter der aufrüttelnden Sozial- und Gesellschaftskritik, treiben die tief innewohnenden Gedankengänge von Titeln wie "Everything Counts" und "People Are People" weiter voran und transportieren die noch immer bedeutsame Aktualität somit in ein neues Jahrtausend. Nicht zuletzt dadurch bleibt das ambitionierte Schaffen mit seiner wichtigen Aussage hochgradig zeitlos und brisant, regt den Hörer zum nach- und vor allem auch weiterdenken an. Damals wie heute ist es der klar spürbare Auf- und Umbruch einer Gesellschaft, die stimmungsvoll eingefangene Momentaufnahme des aktuellen Zeitgeistes. Verständlicherweise bleiben grundlegend visionäre Ansätze, vorgegebene Richtlinien oder gar die Formel zur Lösung unser aller Problemstellungen aus. Auch weil der notwendige Aufstand, die eingangs eingeforderte Revolution des Mittelstandes und der damit einhergehende Protest zur Weltverbesserung nicht nur die schnöde Aufgabe des Einzelnen ist. Nicht wieder nur freimütig alle Macht aus der Hand geben und bestimmen lassen, sondern endlich selbst aktiv werden - das ist die Message, die es für jeden Einzelnen umzusetzen gilt. "Spirit" macht seiner Betitelung alle Ehre, erkennt die Missstände, will dadurch anregen, das Feuer schüren und aus dem viel zu lang gelebten Wachkoma befreien. Es ist die Nutzung des weitreichenden Sendungsbewusstseins, die sorgsam akribische Dokumentation des Status Quo und vielleicht genau der furchterregende Blick in das weltliche Spiegelbild, den wir in dieser Zeit alle so sehr brauchen.
Informationen:
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