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BEITRÄGE:

  • AutorenbildChristoph Lorenz

Unheilig & The Dark Tenor - „Auf Zeitreise"-Tour - RuhrCongress, Bochum - 19.05.2018


Veranstaltungsort:

Stadt: Bochum, Deutschland Location: RuhrCongress

Kapazität: ca. 5.000

Stehplätze: Ja

Sitzplätze: Nein

Homepage: https://www.ruhrcongress-bochum.de

Einleitung:

Es ist Samstag, der 19.05.2018 und ich befinde mich auf dem Weg zum RuhrCongress Bochum, in welchem heute Abend nach der „Gipfelstürmer“-Tournee vor drei Jahren wieder die Band „Unheilig“ gastiert. Moment, wie war das? „Hat sich die Band nicht schon längst vor einiger Zeit aufgelöst?“, wird sich nun vielleicht der ein oder andere Leser fragen und soll damit zumindest teilweise Recht behalten: Am 10.09.2016 gab die Aachener Erfolgsformation im Kölner RheinEnergie Stadion offiziell ihr letztes Konzert, gegen Ende des selben Jahres erschien dann das endgültige Abschiedswerk „Von Mensch Zu Mensch“, das parallel zu den Konzerten im Studio entstand, sowie die insgesamt zweite Best-Of-Compilation „Rares Gold“, mit welcher sich der Kreis endgültig schloss. Danach wurde es bis auf vereinzelte Facebook-Posts recht still, der Graf hatte sich der medialen Öffentlichkeit entzogen und wollte seiner großen Leidenschaft fortan lediglich im Hintergrund als Komponist und Produzent für andere Künstler nachgehen, während die Live-Band weiterhin aufs Ungewisse bestehen bleiben sollte. Das endgültige Ende? Vergangenen Herbst folgte dann die durchaus überraschende Meldung, dass „Unheilig“ im Frühling 2018 wieder touren würden, den Gesangspart solle dabei jedoch nicht der ursprüngliche Adlige übernehmen, sondern „The Dark Tenor“, ein junger Crossover-Künstler, der seit 2014 die nahtlose Verquickung von Klassik, Rock und Pop zum Ziel hat. Wie zu erwarten stand, trat der bereits durch vorherige Features genährte Verdacht einer eventuellen Nachfolge in den sozialen Netzwerken einen wahren Shitstorm los und sorgte für äußerst gespaltene Meinungen zwischen verzückter Befürwortung und hasserfülltem Protest. Während die eine Seite das Quasi-Comeback mit positiver Spannung erwartete, kündete die Andere gleich von einem dreisten Sakrileg und warf den Verantwortlichen vor, auch weiterhin mit der Nostalgie der treuen Anhängerschaft bares Geld machen zu wollen. Beide Sichtweisen sind durchaus mehr als verständlich. Ich persönlich bin schon seit langer Zeit passionierter „Unheilig“-Hörer, habe die Band von den kleinsten Clubs, über die größeren Hallen bis in die Stadien begleitet und den drastischen Wandel vom beliebten Szene-Geheimtipp zum kommerziell erfolgreichen Publikumsmagneten somit hautnah miterlebt. Und auch „The Dark Tenor“ ist mir seit seinem Debüt ein fester Begriff. Sowohl die dunkelromantisch angereicherte Mystik als auch die interessante Vermischung aus Vergangenheit und Moderne gefiel mir auf Anhieb, wenngleich es sich bisher nicht ergab, das Projekt einmal live zu erleben. Aufgrund dieser vorurteilsfreien Wertung, traute ich mir also eine möglichst objektive Sicht auf die Dinge zu und ließ mich nach äußerst freundlichem Schriftverkehr kurzerhand akkreditieren. Obwohl der für 19.00 Uhr anberaumte Einlass erst seit einigen Minuten im Gange ist, präsentiert sich der weite Vorplatz mit gähnender Leere. Ein Großteil der Konzertbesucher ist offensichtlich schon da. Ich gehe zur Gästeliste und nenne meinen Namen, woraufhin die freundliche Dame an der Kasse noch kurz telefonieren muss und mir dann mein Bändchen aushändigt. Los geht’s!

Sotiria:

Bereits kurz nach dem offiziellen Einlass, welcher ob der doch relativ humanen Besucherzahlen offenbar verhältnismäßig schnell abgehandelt werden konnte, beginnt der nunmehr noch junge Abend ungewöhnlich früh, was wahrscheinlich auch der ausschlaggebende Grund dafür sein dürfte, dass das Innere der Halle zu diesem Zeitpunkt eher weniger gut gefüllt ist. Und das, obwohl der Support-Act wahrlich keine Unbekannte mehr ist, denn bei bei dem Projekt „Sotiria“, bürgerlich Sotiria Schenk, handelt es sich um eine junge Sängerin aus Berlin, die dem ein oder anderen Besucher vielleicht noch von ihrer damaligen Band „Eisblume“ bekannt sein dürfte, welche anno 2009 mit der gelungenen Cover-Version des gleichnamigen „Subway To Sally“-Klassikers mediale Erfolge feierte und im Zuge dessen unter anderem für den VIVA Comet oder auch Echo nominiert war. Vier Singles, eine EP, zwei Studioalben und einige Kollaborationen, unter anderem auch mit der weiter oben zitierten Band aus Potsdam, waren die Folge. Danach wurde es lange Zeit ruhig um die Nachwuchskünstlerin aus der Hauptstadt. Ende April erreichte die Fans der beiden Headliner in den sozialen Netzwerken dann die überraschende Meldung, dass Schenk in Zukunft das musikalische Erbe des Grafen, der im Hintergrund als Komponist fungiert, antreten und die aktuelle Tournee ab Dresden begleiten würde. Jener hat nämlich genau die Songs geschrieben, welche das am 21.09.2018 erscheinende Comeback-Album gestalten. Somit ist es kein Wunder, dass die in ein schwarzes Kleid gehüllte Sängerin, die von ihren Fans liebevoll „Ria“ genannt wird, gemeinsam mit drei Live-Musikern, Schlagzeuger Philippe da Silva, Keyboarder Henning Verlage und Gitarrist Mikey Mikeson, sichtlich euphorisch die Bretter betritt. Ihre neue und aktuelle Single „Hallo Leben“, die sowohl den Titeltrack für ihr kommendes Quasi-Debüt als auch das positive Leitmotiv ihres Schaffen bildet, markiert einen tollen Einstand, der sogleich mitzureißen weiß. Es ist eine durchweg stimmungsvolle Melange, welche wohl am besten als eine Kreuzung aus melodiösem Pop und dunkelromantischer Note zu beschreiben wäre, die leichtfüßig, eingängig und melancholisch zugleich ist. „Hallo Bochum! Das nächste Lied handelt davon, dass man machmal neu anfangen muss, so wie ich mich das gerade mit eurer Hilfe auch traue, Danke dafür. Es ist für alle, die keinen Bock mehr haben und dann genau das machen sollten.“, begrüßt sie das Publikum herzlich lächelnd. „Alles Auf Anfang“ kommt vor allem in den Strophen ungemein groovig und mit einer rhythmisch arrangierten Klaviermelodie daher, die direkt zum mitmachen animiert. „Vielen Dank. Ihr wisst wahrscheinlich, dass es gleich bei „The Dark Tenor“ richtig anstrengend werden wird. Ich habe mir das mal angeguckt und er sagt ja auch selber, dass er auf der Bühne quasi Sport macht. Ich möchte euch darauf vorbereiten und deshalb brauchen wir beim nächsten Song eure ganze Unterstützung, okay?“. Zum folgenden „Feuer“, dem man die Handschrift des Grafen ganz besonders stark anmerkt und das dezent Erinnerungen an „Mein Leben Ist Die Freiheit“ wachruft, erhält sie diese dann auch prompt und die pure Spielfreude geht auf den Innenraum über, der sich nun mehr und mehr beständig zu füllen beginnt. „Ich wünsche mir ein Feuer, heller als der Alltag und das Herz befreit. Ein Feuer, das mich wärmt und berührt für alle Zeit.“. Dass bei so viel Gefühl und dermaßen vertraut wirkenden Zeilen gleich genauso viele Hände wie auch Luftballons in Herzform in die Höhe gehen, ist da nur verständlich. Da fällt es kaum mehr auf, dass Ria vor lauter Spielfreude das Ende des Songs verpasst und einfach weitersingt, bis sie den kleinen, sympathischen Fauxpas schließlich lachend selbst bemerkt. Reichlich Interaktion und Unterstützung ist dann auch bei „Unbesiegbar“ gefordert. „Wir möchten uns für die Einladung bedanken, hier für euch spielen zu dürfen, jetzt kommt unser letztes Lied. Das singe ich heute erst zum dritten Mal und es ist sehr bedeutend für mich, weil es darin um die Beziehung zwischen mir und meinem Vater geht.“, schafft die Sängerin den Übergang zur emotionalen Ballade „Kompass“, welche bestens angenommen wird, bevor schließlich der Abschied naht. „Dankeschön, Bochum! Ich hoffe, wir sehen uns ganz bald wieder. Wir haben auch „Facebook“ und „Instagram“, wer uns da folgen möchte, kann das natürlich gerne tun. Wenn ihr mögt, sehen wir uns nachher am Merch. Wir freuen uns über jeden, der kommt. Danke, dass es so schön bei euch war! Und weil man das heute ja so macht, würden wir jetzt gerne noch ein Foto mit euch zusammen schießen, okay?“. Nichts lieber als das und so schnellen zum Finale nochmal alle Arme in die Luft, um „Sotiria“ einen gelungenen Einstand und ein würdiges Finale zu schenken. Ich bleibe gespannt auf alles, was von dieser jungen Künstlerin in Zukunft noch kommen mag.

Körner:

Gegen 20.00 Uhr schlägt dann die große Stunde für den zweiten Support der aktuellen Tournee, welcher bereits im vergangenen Herbst in dieser Position angekündigt wurde. Dieser kommt aus dem hohen Norden und hat eine musikalische Früherziehung genossen. „Körner“, so der kurze und zugleich doch markante Name des Songwriters, findet seine Sprache schon früh in der Musik. Bereits zu Kindertagen schreibt er eifrig Gedichte und ist in erste Bandprojekte involviert. Das wiederum führt dazu, dass er sich wahrlich öfter auf der Bühne wiederfindet, als im Klassenzimmer. Der entscheidende Impuls folgt aber erst in einem professionellen Tonstudio in München, in dem er auf die zwei namhaften Produzenten von „Achtabahn“ trifft. Die Zusammenarbeit des frisch zusammengefundenen Trios fruchtet und so landet der junge Mann schnell seinen allerersten Radio-Hit, der ihm zu mehr Bekanntheit verhilft und ihn unter anderem zu gemeinsamen Konzerten mit dem Pop-Newcomer „Wincent Weiss“ verhilft. Nach dem eröffnenden „Sinn“, macht der Musiker sogleich den Ruhrgebiet-Test, um sich zu vergewissern, in der richtigen Stadt zu sein und stimmt mit den Zeilen, „Tief im Westen...“, Grönemeyers unverwechselbare Pott-Hymne „Bochum“ an. Der folgende Song sei an eine bekannte Filmfigur angelegt, komme aber aus einem gänzlich anderen Milieu. So wird aus dem fantasievollen Märchen Marry Poppins, die dramatische Geschichte der „Marie P.“. Eine einfühlsame Ballade, mit kritisch-anrührendem Text, die gerade durch ihr überraschendes Storytelling fernab von Kitsch und Gewohntem zu überzeugen und berühren weiß. „Es ist sehr schön, hier zu sein. Das Tollste auf der Welt sind doch Konzerte, oder?“, fragt der in Hemd und Hosenträger gekleidete Sänger, über den bisher sonst nur wenig bekannt ist, zur Begrüßung und erntet dafür natürlich einige Zustimmung. „Also ich habe jeden Abend eins! Das ist für mich wirklich ein Privileg, dass sowas überhaupt möglich ist. Meine Mama sieht das Ganze eher kritisch und war nicht ganz so begeistert davon. Sie hat immer gesagt, „Junge, wovon willst du denn leben?“. Aber ich glaube, dass es am Ende des Tages ziemlich egal ist, welche Ziffer auf dem Scheck steht und man das tut, was einen glücklich macht.“. Wahre Worte, die sich ihren anschließenden Applaus ehrlich verdient haben. Nachdem das Publikum einmal ordentlich „Lärm für die beste Live-Band der Welt“ gemacht hat, konstatiert man, dass trotz aller Wandlungen in dieser Zeit, „Liebe Niemals Out“ ist. Manches ändert sich zum Glück eben nie. „Kann ich die Leute mal kurz sehen? Bitte einmal Applaus für den Lichtmann, ich habe seinen Namen leider gerade nicht auf dem Schirm... Gibt es hier gebrochene Herzen in Bochum? Ich spüre da so gewisse Schwingungen. Wer ist Single? Das ist nicht für mich, sondern hat rein statistische Zwecke. Also ich glaube noch an die wahre Liebe. Das ist auch unsere Botschaft, wir wollen extrem viel Liebe zu euch bringen!“. Eine schöne Message, die es dieser Tage wahrlich öfter bräuchte und „Zwischen Hier Und Irgendwann“ beweist sich da als ideales Paradebeispiel. Die erfrischende Philosophie, zwar durchweg eingängig zu bleiben, aber dafür keinen glatten Mainstream, denn viel mehr gehaltvollen Pop mit viel Gefühl und Aussage zu bieten, ist löblich. Zwischen etwaig ernsteren Tönen, werden hier vor allem ein Lebensgefühl voller Freude, positiver Emotionen und Zusammenhalt skandiert, ebenso wie stets aufeinander zu achten und füreinander da zu sein. Ein Leitmotiv, das auf den ersten, oberflächlichen Blick fast schon zu naiv, simpel und tagträumerisch anmuten mag, bei genauerem Nachdenken aber wahrlich die Essenz des Glücks kennzeichnet. Verpackt in schöne Melodien und teils ausgefeilte Lyrics. Es könnte manchmal alles so einfach sein... „Wenn Das Noch Nicht Alles War“ schärft den Blick für das Wesentliche und eine hoffnungsfrohe Einstellung anschließend weiterhin. „Vielen Dank! Wir wünschen euch heute nichts, außer eine geile Nacht... Auf das es vielleicht die beste Nacht des Jahres wird. Feiert und reißt die Hütte ab. Es würde mich mega freuen, wenn wir uns irgendwann mal wiedersehen. Wir sind im November auf Tour, folgt uns bei „Facebook“, „Instagram“ und „Tinder“... Bis bald!“. Das bereits weiter oben erwähnte und bekannte „Gänsehaut“ markiert den Abschluss, doch ganz so leicht soll es dem zugegeben eher verhalten agierenden Publikum auch wieder nicht gemacht werden. „So einfach kommt ihr mir nicht davon, das geht noch sehr viel lauter. Als Support kann ich das gar nicht verantworten, dass eure Stimme für später noch gar nicht richtig aufgewärmt ist. Singt nochmal mit!“, fordert der Sänger und schafft es tatsächlich, die Besucher ein wenig zu animieren. „Danke für den geilen Abend, macht mal Lärm!“, verabschiedet er sich schlussendlich unter höflichem Beifall. Ein schönes Projekt, das an diesem Abend genrebedingt zwar ein wenig fehlplatziert schien, seinen Weg aber ganz sicher gehen wird. Ganz viel Erfolg dafür!

Unheilig:

Pünktlich um 21.00 Uhr wird es in der großen Halle des RuhrCongress langsam dunkel, was schnell zur Folge hat, dass nun auch die letzten Nachzügler eilig in das Innere strömen, alle Gespräche mit einem Mal schlagartig verstummen und kurzerhand durch lautstark aufbrandenden Applaus abgelöst werden. Danach wird es für kurze Zeit still, doch die temporäre Ruhe soll nicht lange anhalten. Ein tief gestimmtes Horn erklingt alsbald aufrüttelnd, lässt den Boden förmlich erzittern und verkündet düster dröhnend den Beginn, sodass diesen nun wirklich niemand mehr überhören kann. Unter dem hintergründig nervösen Ticken einer Uhr, wird die breite Bühne behutsam in ein tiefblaues Licht getaucht, während epische Streicher jetzt die Zügel deutlich in die Hand nehmen und auditiv klar das Geschehen dominieren und schließlich in den fragilen Melodien des rein instrumentalen „Auf Ein Letztes Mal“ münden. Die Zeitreise hat just in diesem Moment begonnen! Aus den finsteren Schatten brechen die grellen Kegel einiger Scheinwerfer, in deren Schimmer alsbald die Silhouetten der einzelnen Musiker sichtbar werden, die jetzt nacheinander sichtlich zielstrebig ihre Positionen, die durch ein sich dahinter befindliches Backdrop mit dem Wappen der jeweiligen Formation klar strukturiert aufgeteilt sind, einnehmen. Zur rechten Seite finden sich demnach Schlagzeuger Martin „Potti“ Potthoff, Keyboarder Henning Verlage und Gitarrist Christoph „Licky“ Termühlen unter dem rautenförmigen Logo von „Unheilig“ ein, die Linke markiert hingegen das Feld von Schlagzeuger Sebastian Rupio, Keyboarder Eric Krüger, Bassist Ilja John Lappin und Gitarrist Felix Gerlach aus dem Live-Kader von „The Dark Tenor“. Elektronisch rasant pulsierende Beats ziehen das Tempo beständig an und verleiten schnell zum klatschen, dann eine kurze Pause von wenigen Sekunden. Zum eröffnenden „Wir Sind Alle Wie Eins“ entert der Tenor unter frenetischem Jubel als Letzter die schweren Bretter und stürmt schnellen Schrittes von der einen Seite zur anderen. Die poppige Hymne, mit welcher der Graf neben „Als Wär‘s Das Erste Mal“ einst 2014 zur ESC-Vorentscheidung antrat, ist unweigerlich mit Bedacht als Opener gewählt worden und soll die beiden Fan-Lager zum Auftakt im übertragenen Sinne musikalisch vereinen. Frei nach den Textzeilen, „Unsere Freundschaft kann die Brücke sein...“, im Refrain. Eine schöne Idee, welche im Folgenden jedoch nur bedingt aufgehen soll. Das die eingangs immerhin neutrale Stimmung schon kurz darauf nicht mehr vollendet hochgehalten werden kann, muss jedoch nicht zwingend in der fraglos mehr als vorhandenen Expertise der agierenden Musiker begründet liegen, sondern viel mehr an der ungelenken Auswahl der sich anschließenden Titel. Anstatt für den Einstieg nämlich vorerst auf weitere Up-Tempos zu setzen und die Besucher somit weiter anzuheizen, geht es stattdessen mit den beiden Balladen „Alles Hat Seine Zeit“ und „So Wie Du Warst“ eher unpassend viel zu ruhig weiter. Wirklich einschneidende Unterschiede in den Arrangements sind im Vergleich zu den Originalen darüber hinaus bestenfalls marginal zu erkennen und beschränken sich meistenteils auf eine dezent orchestrale Unterlegung durch synthetische Keyboard-Flächen, was leider den unschönen Eindruck entstehen lässt, dass man sich hier nicht unbedingt viel Mühe gegeben hat, die Essenz beider Projekte ausgeglichen zu vereinen. Die überarbeiteten Version kratzen somit, zumindest für den Außenstehenden, lediglich an der Oberfläche des Machbaren. Sehr schade. Der größte Unterschied ist dabei sicher noch die gänzlich andere Stimme des Sängers, welche den Songs zeitweise angenehm ihren eigenen Stempel aufdrückt und zumindest etwas merklich individuelle Eigeninterpretation einfließen lässt, um den bestehenden Kompositionen eine andere Sichtweise zu entlocken. Gerade letzteres Lied überzeugt dann im finalen Chorus durch die hohe Stimmlage doch ziemlich, wenngleich die emotionale Note des eigentlichen Interpreten, vermutlich aufgrund mangelnder Identifikation mit dem Gesungenen, nicht erreicht wird.

„Guten Abend, Bochum. Wir haben aus Hamburg unsere Lehre gezogen und wissen, dass es später noch ziemlich warm wird. Gewöhnt euch besser an den Schweiß eures Nachbarn, denn wir machen heute Sport mit euch!“, begrüßt der Tenor das nordrhein-westfälische Publikum lachend. Die versprochene Anstrengung soll vorerst aber noch ein wenig auf sich warten lassen, denn mit dem verträumten „Ein Großes Leben“ von „Lichter Der Stadt“, werden abermals die ruhigeren Töne angeschlagen. „Zeig mir mal den Saal!“, bittet der Tenor den Lichttechniker, woraufhin dieser die Scheinwerfer auf die Fans richtet. „Willkommen zu unserer Zeitreise durch die „Unheilig“- und als nächstes auch „The Dark Tenor“-Songs. Wenn ihr Lust habt und uns schon gesehen habt, nehmt mal die Hände hoch. Einmal für alle, die das noch nicht tun und trotzdem mitgegangen sind... Ich bin klassisch ausgebildet und dachte mir damals nur so, „Scheiße, ist das langweilig!“, fünf Stunden und drei Pausen. Das muss auch anders gehen, weswegen ich dann damit begonnen habe, diese Musik mit Elementen des Rock und Pop zu verknüpfen. Vielleicht kennt ihr diese Melodie ja?“. Natürlich ist das einleitende Motiv aus Pjotr Iljitsch Tschaikowskis „Schwanensee“ hier wahrscheinlich jedem Zuschauer geläufig. Dieses bildet nämlich das Fundament für „After The Nightmare“ aus dem Debüt „Symphony Of Light“ und fügt sich wirklich passend in den gelungenen Hybrid aus Vergangenheit und Moderne ein, welchen dieses Projekt seit jeher anstrebt. Auch der Tenor selbst schnallt sich hier noch eine Gitarre um und rockt zum dramatischen Abschluss der epochalen Nummer gemeinsam mit seinen beiden Saiten-Kollegen im Trio. Ein tolles Bild! Um sich danach so richtig warm zu singen, teilt er den Innenraum kurzerhand in drei Abschnitte auf, wobei die linke Seite Eric, die Rechte Henning und die Mitte dem Frontmann selbst gebührt, um die Seiten mit „Oooh“-Chören stellvertretend für die Musiker gegeneinander antreten zu lassen. „Sehr gut, ich bin stolz auf euch! Das war schon gar nicht mal so kacke, wie wir immer zu sagen pflegen.“, lacht er. Es entbrennt eine wirre, aber auch äußerst unterhaltsame Diskussion darüber, wer denn nun gewonnen hat. Auch das leidenschaftliche „Wild Horses“ vom letzten Werk „Nightfall Symphonies“ funktioniert in seiner Live-Fassung wie gewohnt bestens und versprüht ordentlich Fernweh. „Wir machen jetzt einmal kurz eine Zeitreise in die Zukunft, denn da erscheint mein neues Album im September...“, wirbt der Sänger vorab und was gäbe es schon für eine bessere Möglichkeit, als seinen Hörern nun schon einmal einen kleinen Vorgeschmack zu kredenzen? Dieser nennt sich „I Miss You“ und ist deutlich von der weltbekannten Melodie des Hits „Children“ von Robert Miles beeinflusst. Die Strophen, welche anfangs noch eher zerbrechlich und zurückhaltend sind, kommen überraschend in deutscher Sprache daher, während der Refrain wiederum in Englisch vorgetragen wird. Auch wenn der Titel weitestgehend auf Bekanntes aufbaut, was prinzipiell zum Vorsatz dieser Musik gehört, so entfaltet sich hier doch das gesamte Potential des Projekts. Gerade bei seinen eigenen Songs, die demnach exakt auf ihn zugeschnitten sind, zeigt „The Dark Tenor“ eindrucksvoll, dass er diese lückenlos beherrscht und somit deutlich sicherer agiert. Das Spiel mit der markanten Stimme lotet die Grenzen zwischen wechselhaft sanften und kräftigen Impulsen hier angenehm aus und zeigt erst auf, zu was genau der Künstler eigentlich fähig ist.

„Damit die Arme morgen dann so richtig weh tun, brauchen wir euch jetzt nochmal!“, fordert der Sänger und lässt die Besucher zu „Mein Leben Ist Die Freiheit“ alle Hände im gefälligen Takt schwenken und bei „Für Immer“, welches nun gewöhnungsbedürftig mit temporeichen Synthie-Trompeten unterlegt wird, textgemäß auf und nieder springen. „Wie schön, dass ihr bei diesem guten Wetter da draußen in so eine dunkle Halle gekommen und nicht im Biergarten seid. Um das gleich schon mal vorwegzunehmen, ich muss euch enttäuschen... Der Graf wird auch heute Abend nicht dabei sein. Das ist wohl noch nicht so ganz durchgedrungen, am ersten Abend war man am Mischpult ganz panisch, weil er kurz vor Konzertbeginn noch immer nicht da war!“, lacht er. „Ich soll euch aber einen lieben Gruß bestellen, wir sind regelmäßig in Kontakt und er freut sich, dass seine Musik auf diese Weise wieder aufleben darf. Ich würde euch jetzt aber gerne nochmal kurz entziehen und in meine Welt entführen, okay?“. Für das anrührende „Afterglow“ hat man sich etwas Besonderes einfallen lassen und bietet dem Publikum eine reine Akustik-Version dar. Lappin und Gerlach wechseln von ihren Saiteninstrumenten zu den Celli, Krüger hingegen setzt sich hinter ein Piano. Diese Reduktion auf die melodischen Kernelemente verleiht dem Titel einiges an Intensität, macht sie auch fernab von Bombast und musikalischer Überinszenierung greif- und vor allem nahbar. „Das nächste Lied liegt mir total am Herzen, deshalb wollte ich es unbedingt akustisch arrangieren.“, kündigt der Tenor das Tribute an Chris Isaak an: „Wicked Game“ und verweist dabei nochmals auf seine zweisprachige Erziehung, welche sich nicht zuletzt auch in der Musik niederschlägt. Das Cover kommt wahrlich gelungen daher und glänzt insbesondere durch seine pointierte Umsetzung, anhand welcher die passionierte Auseinandersetzung mit dem Original deutlich wird. Leider fehlt es, ähnlich den reproduzierten „Unheilig“-Vorlagen, vor allem in den Strophen sowohl ein wenig an der passenden Stimmfarbe als auch spürbarer Vollblut-Passion. Zudem offenbart das neuerliche Konzept einer reinen Rock-Show merkliche Schwächen in der eigenen Darstellung und visuellen Präsentation, was verständlicherweise weder an die Präsenz des Grafen, noch in Gänze an den gewohnt charismatischen Charme von „The Dark Tenor“ heranreicht. Die hoffentlich nur vorübergehende Entmystifizierung durch Demaskierung, schlichtem Bühnenoutfit und einem recht kargen Bühnenbild, berauben leider gleich beide Projekte um ihre ansonsten markant-atmosphärischen Alleinstellungsmerkmale, was den Wunsch nach einer Ausrichtung zu den einstigen Wurzeln aufkommen werden lässt. Dass in gewissen Momenten aber auch allein die Musik all dies von jetzt auf gleich zu revidieren weiß, zeigt der zutiefst ergreifend intonierte „River Flows On The Edge“, einer der wohl bekanntesten und beliebtesten Perlen der ambitionierten Klassik-Schmelztiegels. Der durch „Twilight“ bekannt gewordenen Weise, „River Flows In You“, des südkoreanischen Pianisten Lee „Yiruma“ Ru-ma, wird durch den Zusatz von Text und Gesang bereichernd weiteres Herzblut zugeführt, was das ohnehin schon grandiose Ausnahmestück perfektionierend abrundet.

„Wir haben am Anfang viel überlegt...“, setzt der Sänger ein wenig zögerlich an. „Ich kann gar nicht so tief singen, wie der Graf und er dafür nicht so hoch, wie ich. Es geht auch gar nicht darum, ihn zu ersetzen oder sonst was. Das macht ja auch den Spaß aus, dass man experimentieren und die Lieder verändern darf. Da haben wir uns gedacht, wir nehmen einfach mal zwei Songs und transportieren sie in eine andere Sprache.“. Entschieden hat man sich für „Grosse Freiheit“ und „Unter Deiner Flagge“, die Ergebnisse aus diesem Vorhaben sind „Great Horizon“ und „Guided Under Flag“, welche in musikalischer Hinsicht fast unverändert und somit recht originalgetreu erklingen, gesanglich aber natürlich eher gewöhnungsbedürftig anmuten. Dennoch wahren die beiden Interpretationen weitestgehend den Spirit ihrer Vorbilder und sind erfreulich dezent in ein alternatives Gewand gekleidet worden. Der stimmige Up-Tempo „Wie In Guten Alten Zeiten“, in dessen Refrain meterhohe Nebelsäulen aus dem Bühnenboden emporsteigen, weiß ebenfalls zu gefallen, bevor „Lichter Der Stadt“ und die berührende Abschiedshymne „Zeit Zu Gehen“ den regulären Teil des Set abschließen. Gerade bei Letzterer stellt sich doch zunehmend ein sonderbar bedrückendes Gefühl ein, verbindet ein jeder „Unheilig“-Fan doch recht viele Erinnerungen mit ebendieser. Ob die Entscheidung, diesen sehr persönlichen Titel in die Konzerte dieses einmaligen Projekts zu integrieren, jedoch die Richtige war, bleibt jedenfalls fraglich. Nachdem alle Musiker die Bretter für einige Minuten verlassen haben, soll es noch eine Zugabe für Bochum geben. „Seid ihr da? Es war heute Abend schön mit euch und sehr warm. Bevor wir wieder in die „Unheilig“-Welt zurückkehren, möchte ich euch noch ein Stück aus der Klassik präsentieren, das mindestens genauso bekannt ist, wie der nächste Song, der danach folgt!“, schmunzelt der Tenor und animiert die Reihen zu den Klängen von Ludwig van Beethovens neunter Sinfonie. „Ode An Die Freude“ bringt den gewohnt instrumentalen Bombast zurück und punktet live mit druckvoller Percussion und viel Mitsing-Potential im Refrain. Bis zum krönenden Abschluss hat man sich, wie könnte es anders sein, exakt jenen Über-Hit aufgespart, welcher dem Grafen und seinen Mannen einst zum endgültigen Durchbruch in den Massenmarkt verhalf: „Geboren Um Zu Leben“. Bis auf einen kleinen Break vor dem ersten Chorus bleibt auch hier großteilig alles beim Alten und trotzdem ist es ein passendes Finale, zu welchem alle Musiker nochmals nacheinander vorgestellt werden und sich schließlich unter etwas verhaltenem Beifall vor dem Publikum verbeugen. So geht nach rund zwei Stunden schließlich ein schöner Abend zu Ende, welcher vermutlich nicht wenige Fans mit eher gemischten Gefühlen entlässt, aber doch gut zu unterhalten wusste. Leichtes Spiel hatten die beiden, sichtlich engagierten Bands dabei wahrlich nicht, erwies sich das gut gemeinte Vorhaben einer Kreuzung zweier Projekte doch schon im Vorfeld als eher undankbare Aufgabe, bei der man ob so manch voreingenommener Meinung der nicht selten kritischen Fan-Base praktisch nur verlieren konnte. Der gewünschte Effekt, die „guten, alten Zeiten“ durch einen anderen Künstler auf den Bühnen wiederaufleben zu lassen, gelang somit nicht ganz. So wirklich auf das Gebotene einlassen wollten sich scheinbar nur die Wenigsten, wofür letztlich aber niemand der Beteiligten etwas kann. Sehr schade ist hingegen, dass man sich bei der Auswahl der gespielten Songs fast ausschließlich auf Balladen und Material der unheiligen Ära ab 2010 beschränkte und entgegen der Vorankündigung auf ältere Lieder oder gar Live-Premieren gleich komplett verzichtete. Der umfangreiche Backkatalog hätte etwa mit „Ikarus“, „Schutzengel“, „Himmelherz“, „Auf Zum Mond“, „Astronaut“, „An Deiner Seite“, „Ein Guter Weg“ oder auch „Walfänger“ sicher weitaus mehr hergegeben. Dass diese einmalige Gelegenheit nicht annähernd genutzt und stattdessen nur Gewohntes wie auf Nummer sicher zelebriert wurde, bleibt unverständlich. Ebenso unterschieden sich die Neuinterpretationen gegenüber den Originalen meist nur oberflächlich und im Detail, auch die allgemeine Inszenierung litt nicht selten etwas unter der reduzierten Gesamtaufmachung. Dennoch war es schön, so manch lieb gewonnenen Neuzeit-Klassiker mal wieder zu hören und den beiden Formationen dabei zuzusehen, wie sie trotz der widrigen Umstände viel Freude miteinander hatten. Die Qualitäten von „The Dark Tenor“ traten dann insbesondere bei seiner eigenen Musik stark hervor und konnten vielleicht den ein oder anderen Besucher doch noch davon überzeugen, eventuell einmal im jeweils anderen Lager vorbeizuschauen. So bleibt am Ende die Gewissheit, dass es manchmal keinerlei Reise in die Vergangenheit bedarf und gewisse Momente einzig in der Erinnerung weiterleben sollten, denn wie schon einst der Graf höchstselbst sang, „Alles hat seine Zeit, mein Herz. Alles wird gut, du musst nach vorne schauen...“.

Setlist:


01. Auf Ein Letztes Mal (Intro)

02. Wir Sind Alle Wie Eins

03. Alles Hat Seine Zeit

04. So Wie Du Warst

05. Ein Großes Leben

06. After The Nightmare

07. Wild Horses

08. I Miss You

09. Mein Leben Ist Die Freiheit

10. Für Immer

11. Afterglow (Akustik)

12. Wicked Game (Chris Isaak Cover)

13. River Flows On The Edge

14. Great Horizon

15. Guided Under Flag

16. Wie In Guten Alten Zeiten

17. Lichter Der Stadt

18. Zeit Zu Gehen

19. Ode An Die Freude

20. Geboren Um Zu Leben

Impressionen:

David Hennen - Musikiathek

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