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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

Schandmaul - Artus (2019)


Genre: Rock / Alternative

Release: 03.05.2019

Label: We Love Music (Universal Music)

Spielzeit: 51 Minuten

Pressetext:

Auf den ersten Blick haben "Schandmaul" ein Luxusproblem: Die Erwartungshaltung gegenüber ihrem neuen Studioalbum "Artus" ist hoch. Für dessen Vorläufer "Traumtänzer" (2011) und "Unendlich" (2014) gab es jeweils bereits Gold, während der direkte Vorgänger "Leuchtfeuer" (2016) sich ebenfalls auf dem besten Weg zum Edelmetall befindet und erstmals in der Bandgeschichte auf den ersten Platz der deutschen Alben-Charts kletterte. Doch bei genauerer Betrachtung gehen die Folklore-Rocker aus München auf "Artus" derart unbeschwert zur Sache, als ob keinerlei Druck auf ihren Schultern gelastet hätte. Bereits die Eröffnung mit „Der Meisterdieb“ erweist sich als kluger Schachzug. Schlagzeug und Sackpfeife simulieren im Intro erfolgreich einen Elektro-Loop und gehen dann in eine von rhythmischen Gitarren unterstützte Melodienlinie über.


"Schandmaul" spielen in diesem Song all ihren Stärken gekonnt aus und der Text erweist sich als spannende Vignette mit dem eponymen Protagonisten als Erzähler. Sänger Thomas Lindner hat sich längst zu einem grandiosen Geschichtenerzähler entwickelt, der es scheinbar mühelos schafft, Weltliteratur wie Herman Melvilles „Moby Dick“ in dem finalen Stück „Der Weiße Wal“ in wenigen Minuten in seiner Essenz zu erfassen. Doch auch musikalisch stiehlt der „Der Meisterdieb“ die Herzen, indem der Mid-Tempo-Rocker mit einer bestechenden Drehleiermelodie aufwartet. Ebenso wie bei der folgenden Gute-Laune-Nummer, bei der die studierte Musikerin Birgit Muggenthaler-Schmack einmal mehr mit ihren Künsten brilliert, fällt auf, wie sich die alten Instrumente dem Song unterordnen, statt als Selbstzweck zu hausieren. An diesem Klangbild wurde gefeilt. Dabei ist der grandiose Sound sowohl jahrelanger Erfahrung als auch der Produktion von Fabio Trentini geschuldet. „Wir haben für "Artus" erstmals mit dem Produzenten und Musiker Fabio Trentini (u.a. "Guano Apes", "Donots", "H-Blockx") zusammengearbeitet, der uns mit seiner langjährigen Erfahrung gehörig frischen Wind in die Segel blies“, sagt Thomas Lindner. „Mit ihm gemeinsam entwickelten wir eine für uns neue Arbeitsweise, indem wir Teams von Spezialisten bildeten, welche die einzelnen Produktions- und Aufnahmephasen mit ihrem Know-how begleiteten. Den Mix haben wir diesmal in die kompetenten Hände von Ronald Prent (u.a. "Rammstein", "Depeche Mode", "Iron Maiden") gelegt, das Mastering übernahm die dreifache Grammy-Gewinnerin Darcy Proper (u.a. "R.E.M"., Johnny Cash, "Toto").“ Eine weitere musikalische Facette offenbart Birgit Muggenthaler-Schmack, die mit einer spöttischen Flöte auch der ebenso augenzwinkernden wie letztlich nachdenklichen Polka „Der Totengräber“ ihren genialen Stempel aufdrückt. Spätestens die Seemannsballade „Der Kapitän“, dessen emotionales Finale mit Soloeinsätzen von Sackpfeife und Violine geformt wird, verdeutlicht, über welche enorme stilistische Bandbreite "Schandmaul" mittlerweile verfügen.

„Musikalisch bekommt der Zuhörer grundsätzlich das, was er von uns erwartet, nämlich "Schandmaul", betont Thomas. „Das heißt: handgemachten Rock, der mit folkigen und mittelalterlichen Klangfarben unterschiedlichster Couleur versehen ist. Es gibt Dudelsäcke, allerlei Flöten, Drehleier und Geigen und vieles mehr zu hören. Des Weiteren bereitet es uns allerdings auch eine diebische Freude, unseren Horizont in Sachen Instrumentierung stetig zu erweitern. So lassen sich auch neue Saiten-, Blas-, Tasten- und Schlaginstrumente wie Cister, Laute, Oboe, Spinett und viele andere mehr auf unserem neuen Album entdecken. Unser Klanguniversum expandiert.“ Nach ersten Kneipenkonzerten nahm die Truppe ihr erstes Album "Wahre Helden" (1999) auf, welches ebenso wie der Nachfolger "Von Spitzbuben Und Anderen Halunken" (2000) zunächst im Eigenvertrieb erschien. Die schnell wachsende Popularität der Bajuwaren mit Bremer Sänger sorgte bald dafür, dass sowohl Booking Agenturen als auch Plattenfirmen auf "Schandmaul" aufmerksam wurden, zumal die Gruppe im Jahr 2000 obendrein den deutsche Folkförderpreis erhalten hatte. Mit ihrem professionell veröffentlichten Drittwerk "Narrenkönig" stießen "Schandmaul" sogleich auf Platz 70 der deutschen Alben-Charts vor. Mit jedem folgenden Album erreichten die Münchner seitdem eine höhere Platzierung: "Wie Pech & Schwefel" (2004) landete auf Platz 13, "Mit Leib Und Seele" (2006) knackte bereits die Top 10 und "Anderswelt" (2008) setzte den Aufwärtstrend auf der Nummer 8 fort. Ähnliche Erfolge waren den drei Live-Alben vergönnt. Mit "Artus" demonstrieren "Schandmaul" einmal mehr ihr über die vielen Jahre organisch gewachsenes Können. Dabei hilft vermutlich auch der ungewöhnliche Umstand, dass der Kern der Band noch immer aus seinen Gründungsmusikern besteht, zu denen Sänger Thomas Lindner, Birgit Muggenthaler-Schmack als Spezialistin für alte Blasinstrumente, Saitenmann Martin Christoph „Ducky“ Duckstein und Stefan Brunner am Schlagzeug zählen. Doch selbst „Neuzugang“ Matthias „Hiasl“ Richter am Bass ist schon seit dem Jahr 2002 mit von der Partie. Einzig Violinistin Saskia Forkert trat erst im Jahr 2018 die Nachfolge von Gründungsmitglied Anna Katharina Kränzlein an, nachdem die Band sich ein Jahr lang mit befreundeten Gastmusikern wie Ally Storch ("Subway to Sally"), die große Teile der Geigenarbeit auf "Artus" übernahm, behalf. Letztlich bildet jeder Song auf "Artus" eine engmaschige Einheit aus Musik und Wort, wobei dieser musikalische Bilderteppich aus vielerlei Klangfarben zu einem makellosen Gesamtbild verwoben ist. Dabei darf natürlich ein traditionelles Epos nicht fehlen, wie beispielsweise die wiederholte Rückkehr zum Lied der Nibelungen und dem Drachentöter Siegfried auf vorherigen Alben. Ihrem Helden, dem Britenheroen "Artus", widmen "Schandmaul" drei Songs ihres neuen Werks: „Die Tafelrunde“, „Der Gral“ und „Die Insel - Ynys Yr Afallon“. Es braucht keineswegs Merlins prophetischer Gabe, um vorherzusehen, dass mit diesem epischen Meisterwerk ein neuer Fan-Favorit für die kommenden Live-Auftritte an die Pforten von „Camelot“ und anderen Konzerthallen klopft. „Die Artus-Sage, ist eine DER großen europäischen Geschichten!“, erläutert Thomas Lindner die Themenwahl. „Die zahlreichen Legenden, die sich um den großen König der Briten, die Tafelrunde, den Gral und die geheimnisvolle Insel Avalon sowie die Figuren Merlin und Morgana, Lancelot und Parzival ranken, sind ebenso allgegenwärtig, wie geheimnisumwoben. Eine Vertonung war nahezu ein Muss für uns! Aber nicht ausschließlich. Wie immer bleiben wir unserem Ruf als Geschichten- und Märchenerzähler treu. Auf unserem neuen Album finden sich ebenso Geschichten aus dem Hier und Jetzt, gehüllt in Gewänder vergangener Zeiten, große Erzählungen altehrwürdiger Künstler oder einfach unserer Phantasie entsprungen.“ Auch grafisch greifen "Schandmaul" diesmal auf eigene Stärken zurück. So entstammt das Cover von "Artus" den zeichnerischen Künsten von Sänger Thomas Lindner persönlich.

Kritik:

"Denn es heißt, er kehrt zurück, genau in jenem Augenblick,

Wenn die Welt in Flammen steht, wenn der Wind sich wieder dreht,

Wenn der Hass das Tun regiert, uns in dunkle Zeiten führt,

Uns verblendet und fürwahr, ich glaube, diese Zeiten sind nah!"

Für einen ganz kurzen Moment, ja, nur einen unfassbar kleinen Sekundenbruchteil herrscht nichts, als absolute Stille. Dann: Ein kaum zu bemerkendes Knistern, auf das elektronisch verzerrtes Rauschen folgt. Ganz so, als schaltete plötzlich eine unsichtbare, nicht real greifbare Gestalt irgendwo ein rätselhaftes Empfangsgerät ein. Und dann... Dann ist alles anders. Es rührt sich scheinbar etwas und verändert sich mehr und mehr. Mit einem Mal dringen folkloristisch anmutende Klänge in Form eines hymnisch gestimmten Dudelsacks wie aus dem Nichts hervor. Erst noch unscharf, scheinbar ganz weit weg und wie in dichte Watte gehüllt. Sie schälen sich jetzt beständig in den Vordergrund. Immer mehr, immer präsenter. Das gerade eben noch so unscharf verzerrte Dröhnen manifestiert sich aus der auditiven Ferne zu einem dumpfen, rhythmischen Pochen. Nur noch der Hauch eines Moments, dann bricht das seltsam verfremdete, entrückte Konstrukt mit dem ersten, glasklaren Taktieren des Schlagzeugs auf. Vor dem inneren Auge scheint ein gar schwerer Vorhang von der Decke bis zum Boden hinabzusausen und sich in einer voll anmutiger Charakteristik aus satten Sackpfeifen und kantigen Gitarren-Riffs in einer Mid-Tempo getriebenen Synergie zu entladen. Die Klänge sind frisch und neu, aber doch auch so seltsam vertraut und bekannt. Es ist tatsächlich ein wenig wie Nachhausekommen, wie eine Rückkehr nach langer Zeit. Erst recht dann, als die markante, hier zunächst noch samtig-weiche Stimme von Thomas Lindner einsetzt und sich sodann angenehm rau über die Strophe legt. Der Sänger, welcher innerhalb dieser nun aus der atmosphärisch-immersiven Ich-Perspektive der Titelfigur agiert, schleicht sich ungesehen auf leisen Sohlen durch die tiefen Schatten der Nacht, dabei immerzu begleitet von einer sich hypnotisierend windenden Drehleier, um zum heiß ersehnten Objekt der Begierde zu gelangen und danach schnell wieder im Dunkel zu verschwinden. Die wilde Hatz beginnt: Er nimmt allerhand Aufträge entgegen, spielt so manchen seiner Kunden gewieft gegeneinander aus, stiehlt den Reichen und gibt es den Armen... Irgendwie „vogelfrei“, also. Wer? „Der Meisterdieb“. Jener, der jetzt im zurückhaltend powernden Refrain mit kollektiver Sangeskraft gerufen wird, während Lindner dazwischen die Geschichte weiter vorantreibt, doch ihr Mysterium in bester Erzähltradition dabei geheimnisvoll wahrt und dem Hörer so genügend Spielraum zur Interpretation aus eigener Fantasie gibt: „Niemand weiß, wer in der Maske steckt!“. Ohne jedwede Umschweife geht es auch schon nahtlos mit „Der Totengräber“ weiter, wenngleich es jetzt auch Linder selbst ist, der hier eröffnet und den Instrumenten ihren ansonsten so üblichen Vorrang kurzerhand nimmt, während die Saiten bereits fidel und gespannt gezupft werden. Der weitere Verlauf gibt sich merklich stark rhythmusbetont und erinnert in seiner dezent angedeuteten Polka-Manier mitunter etwa kurzzeitig an den „Pakt“ von der „Traumtänzer“. Die Melodieführung ist entgegen dem finster anmutenden Titel und getreu ihrem arrangierten Rahmen leicht treibend, doch nicht zu sehr. Die Klänge sind fast schon beschwingt und fröhlich, was sicher nicht wenig im charmanten Einsatz der recht präsenten Flöte begründet ist, die nun den Hintergrund anreichert und gefühlt zunehmend dominanter agiert. Das alles steht im einschneidenden Kontrast zum bitterböse ironisch vorgetragenen, sozial- und politkritisch behafteten Text über Gier und Habsucht, der weitestgehend mit vielen bildhaften Vergleichen und trefflich eingestreuten Metaphern auskommt, die bei genauerem Hinhören nachdenklich werden lassen. Denn egal, was und wie viel du davon auch hast: „Bei deinem letzten Schritt nimmst du nichts mit!“. Abermals flammen die Drums kräftig auf und geben sogleich die schwungvolle Richtung für alles Weitere vor, welcher sich die übrigen Instrumente fraglos angleichen und fordernd nach vorn schnellen. Der erste Teil der Strophen wird von flottem Bass und sehr lebendig gespielten Akkorden einer Akustik-Gitarre bestimmt, die sich sodann in die Hinzunahme von rasch anziehenden E-Riffs eingliedert und somit die positiv florierende Basis für einen lebensbejahende Mid-Tempo-Feger bietet, der uns alle fortan als „Vagabunden“ eint. Der Text ergibt sich jedoch nicht in melancholischer Milde oder lastendem Schwermut, sondern bestärkt viel mehr dazu, alle Sorgen und die oftmals so stoisch regierende Tristesse des grauen Alltags hinter sich, sowie das Leben herein- und zuzulassen. Es also als das zu akzeptieren, zu nehmen und nicht zuletzt auch zu genießen, was es in all seinen Momenten eigentlich auch ist: Eine abenteuerliche, bunte und facettenreiche Reise. Die erste Single-Veröffentlichung, das Märchen vom bekannten „Froschkönig“, besticht danach mit einigen deutlich konträren Elementen, die sich untereinander jedoch nicht zu sehr behindern oder gegenseitig aushebeln, sondern sich zu ausgewogenen Anteilen immerzu ausreichend Raum lassen, um für sich stehen und den fantasievollen Gesamtkontext ausfüllend bereichern zu können. So hüpft die beschwingte Melodie der feinsinnig eingeflochtenen Flöte etwa gleich zu Beginn über den dezent stampfenden Takt, vereint sich dazwischen mit angedeuteter Geige oder zerrenden Gitarren und fließt nahtlos in den akustisch ausgestalteten Part der Strophe, die Lindner authentisch-amüsant im nonchalanten, teils arg direkten Duktus füllt. Jener geht dann schließlich im wunderschönen Chorus auf, welcher im zauberhaft umgesetzten Reigen leichtfüßig umher tänzelt und viel Magie versprüht. Das kurze Instrumental-Solo gegen Ende bäumt sich nochmals überraschend ziemlich heavy auf geht danach in den finalen, kurzweiligen Abschnitt über.

Ein signifikante Sackpfeifen-Weise, klirrende Rasseln und eine hörbar organische Percussion geerdeter Handtrommeln, erschaffen mit ihrer beherzten Art nun ein entspannt-gelöstes, leicht exotisch wirkendes Flair. Leinen los, denn jetzt heißt es: „Auf Und Davon“. Immerzu schimmert die Geige in den rhythmisch wirklich schön intonierten Strophen hell hindurch, die hier gar erwartungsfrohe Aufbruchstimmung verheißen. Diese wird sodann durch lauernde Gitarren weiter angeheizt, die wenig später in ihrer vollen Kraft das leidenschaftliche, verträumt hoffende Sehnen nach einer besseren Welt befeuern. Fass dir ein Herz und allen Mut zusammen, blick nicht mehr zurück. Hinein ins Ungewisse. Auf zu neuen Ufern, auf in ein anderes, neues Leben... So klingt wahres Fernweh! Nach einem äußerst sanften Einstieg nimmt der nächste Song sodann einen bezeichnenden Wechsel vor: Der zügig mitreißende Dreivierteltakt lädt sofort sowohl zum andächtigen Innehalten als auch ruhigen Schunkeln ein und lässt den gleichmäßig wogenden Wellengang für den Hörer zum Greifen nahe erscheinen. Die jeweiligen Textzeilen erreichen ihre hohe Authentizität hier insbesondere durch so einige essenzielle Sprichwörter und gebräuchliche Weisheiten aus der Seefahrt. Dabei schwebt über „Der Kapitän“ eine spürbar ehrliche Tragik von Abschied und Verlust, die gerade deswegen so schwer aufs Gemüt schlägt, zugleich aber auch tiefe Dankbarkeit vor die Schatten aller Trauer setzt und deutlich zeigt, dass die Erinnerung an einen geliebten Menschen stets für immer bleibt. Am Ende dieser erfreulich klischeebefreiten, berührenden Halbballade steht zudem ein schwelgend klagender Instrumental-Part aus Dudelsack, Geige und Gitarren, welcher sich beständig steigert und bald darauf mit innbrünstigen Shanty-Chören vereint. Abermals ist es zuerst das prägnant donnernde Schlagzeug, welches jetzt schallend „Die Oboe“ eröffnet und darauf eine stark verzerrte Gitarre folgen lässt, deren raue Saiten nun angeschlagen werden, bevor deren grelle Tonlage noch einige Zeit ausgiebig schwingend nachhallt. Der jähe Einstieg kanalisiert sich anschließend in einen rasant treibenden Rhythmus, der schon mit dem Beginn der ersten Strophe ziemlich straight voran peitscht. Die sich immer mehr zuspitzende Dramaturgie wird dabei vom geschickten Einsatz der Geige nur noch weiter angefacht und steigert sich in scheinbar unermesslich anschwellende Höhen. So steht schon die baldige Entladung zu erwarten, welche der sanft schmeichelnde, groovende Refrain mit seinem leichten Ska-Einfluss jedoch bewusst verwehrt und damit einen kompletten Gegenentwurf zum vorherigen Teil des Arrangements ansetzt. Noch bevor man sich aber allzu sehr in der klassisch virtuosen, betörenden Harmonie des titelgebenden Holzblasinstruments verlieren und sicheren Gefilden entgegen schweben kann, schleudert bereits die zweite Strophe lyrisch auf das tobende Schlachtfeld von Krieg und Verderben zurück, dessen drückende Übermacht sodann abermals von den betörenden Klängen unterbrechend niedergerungen wird und gegen Ende gar in einem fusionierenden Intermezzo resultiert. Die Band spielt einmal mehr nur zu gern mit den diversen Versatzstücken der Kontraste, um die zwei Seiten der hier erzählten Geschichte zu untermauern, in der die magische Melodie den Frieden in den Herzen der Menschen wiederherstellt: Musik als versöhnende Verbindung zwischen konkurrierenden Seiten, das sowohl textlich als auch musikalisch trefflich dargestellt wird und mitunter einen gelungenen Bogen zum Hier und Jetzt schlägt. Das wohlklingende Wort „Chevaliers“ stammt aus dem Französischen und bedeutet übersetzt so viel wie „Ritter“. Und so stoßen „Schandmaul“ die schweren Tore für die bezeichnenden Edelmänner ihres aktuellen Epos nun schon mal ein kleines Stück weit auf. Ein atmosphärisch durchaus geschickt platzierter Kunstgriff, um einen klaren Schnitt zu den bereits vorausgegangenen Liedern zu setzen und den Hörer auf die nachfolgende Trilogie vorzubereiten. So steht das Interludium also auch hier in alter Tradition der reinen Instrumentalstücke, welche es auf diese Weise schon immer gab. Wer also den „Sommernachtstraum“, „Tangossa“ und „Little Miss Midleton“ von den letzten beiden Ablegern „Leuchtfeuer“ und „Unendlich“ gern mochte, kommt hier ebenso sehr auf seine Kosten, wie gleichzeitig auch Liebhaber älterer Alben. Man denke etwa an „Fiddlefolkpunk“, „Käpt‘n Coma“, „Folk You“ oder den „Powerdudler“. Auch die Darbietung in 2019 steht den gerade eben aufgeführten Stücken praktisch in nahezu Nichts nach, im Gegenteil. Anfangs sorgt der sehnsüchtige Dudelsack für das grundlegende Fundament, woraufhin schon bald Drums und Gitarren einsteigen. Jene kraftvoll zelebrierte Mischung implodiert mit der eindrucksvollen Percussion mächtiger Trommeln und folkloristisch lockender Flöten in majestätischem Bombast, geht kurzzeitig in anmutige Verträumtheit über und vereint sich sodann abermals. So rückt man die jeweiligen Instrumente wirklich schön und aussagekräftig in den Vordergrund, mal einzeln und dann wieder als geballte Macht vereint. Der nahezu perfekte Einstieg in die spektakulär inszenierte Geschichte um König Artus.

Wie schon bei der berühmten Sage aus dem Nibelungenlied, für welche die drei eigenständigen Lieder „Der Junge Siegfried“, „Drachentöter“ und „Krieger“ aufeinanderfolgten und später als sogenanntes „Drachen-Medley“ zusammengefasst wurden, bedienen sich die Münchner nun einer ähnlichen Konstellation, wenngleich man sich dafür entschieden hat, entsprechende Songs nicht auf verschiedene Alben aufzuteilen, sondern chronologisch schlüssig direkt aufeinanderfolgen zu lassen. Der Beginn der Sage um „Artus“ trägt sich vor dem Hintergrund realer Ereignisse im fünften und sechsten Jahrhundert nach Christus zu: Britanniens Könige sind untereinander zerstritten, das Land wird von den Sachsen und Pikten bedroht. Die ehemaligen Schutzherren haben sich zurückgezogen und überlassen die Verteidigung der Insel fortan ihren Bewohnern. Deren Hochkönig ist Ambrosius Aurelianus, sein engster Vertrauter und Berater hört auf den Namen Merlin, dem ein himmlisches Zeichen in Gestalt eines Drachen verkündet, dass Ambrosius bald sterben und dafür das Drachenoberhaupt Uther Pendragon seine Nachfolge antreten wird, dessen noch ungeborener Sohn große Macht haben wird. Bei seiner Krönung verliebt er sich in Igraine, die Frau des Herzogs von Cornwall, woraufhin dieser ohne Zustimmung des neuen Königs mit seinem Gefolge den Hof verlässt. Uther folgt ihm und fällt mit seinem Heer in Cornwall ein. Daraufhin lässt Gorlois seine Gemahlin hinter den Mauern der Burg in Tintagel bewachen und zieht in die Schlacht. Als Uther Merlin um Rat bittet, verwandelt ihn dieser in das Ebenbild des Herzogs, sodass er kampflos nach Tintagel ziehen und des nachts bei Igraine bleiben kann. Etwa zeitgleich fällt der echte Herzog im Krieg, woraufhin sich Uther und Igraine, die bereits sein Kind erwartet, vermählen. Nach der Geburt nimmt Merlin den Jungen in seine Obhut und bringt ihn zu Ector, einem vertrauten Ritter, bei dem das Kind den Namen Artus erhält. Die folgenden Jahre unter Uthers Regierung werden von zahlreichen Kriegen gegen die Sachsen, Iren und Schotten bestimmt. Mit seinem Tod brechen die alten Feindseligkeiten unter den britischen Königen schließlich abermals aus, weswegen Merlin fortan ein magisches Schwert namens „Excalibur“ schmiedet, dessen Klinge er mithilfe seiner ganzen Zauberkraft in einen Stein versenkt. Auf seinem Griff steht geschrieben, dass derjenige, der diesen Stahl zu ziehen vermag, der rechtmäßige König Britanniens sei. So reisen nun alle Edelmänner von nah und fern an, um ihre Kraft unter Beweis zu stellen, doch gelingt es niemandem, das Schwert zu ziehen. Während eines Turniers, an dem Ector, sein Sohn und Artus als dessen Knappe teilnehmen, verliert jener sein Schwert und trägt Artus auf, es ihm wiederzubeschaffen. Als Artus es bei seiner Suche nicht finden kann, entdeckt er stattdessen den im Stein verborgenen Stahl und zieht ihn ohne Mühen heraus. Als dies bekannt wird, erscheint ihm Merlin und verkündet sein Schicksal. Daraufhin wird Artus zum Hochkönig von Britannien gekrönt. Gegen den Rat von Merlin, heiratet Artus bald Guinevere, die Tochter des Königs Leodegrance. Diese bringt als Hochzeitsgeschenk einen Rundtisch in die junge Ehe mit: „Die Tafelrunde“, welche fortan zum Herzstück der neuen Burg Camelot wird, die sich Artus dafür errichten lässt. Die treuesten seiner Gefolgsleute ernennt er darauf zu den bis heute bekannten „Rittern der Tafelrunde“, die seit dem Wirken des Dichters Robert Wace zum festen Bestandteil der Legende zählen. Die Idee hinter dieser Konstellation ist es, eventuelle Differenzen zu vermeiden. Niemand ist in diesem System über- oder untergeordnet, vor der kreisförmigen Anordnung der jeweiligen Plätze sind all ihre Teilnehmer gleich. Die Zahl der Mitglieder ist dabei nicht strikt limitiert und variierte in den verschiedenen Erzählungen immerzu, doch setzte sich in späteren Abschriften eine deutlich klarere Vorstellung durch. So sprach John Dryden etwa von zwölf, Sir Walter Scott hingegen von insgesamt sechzehn Personen, welche fortan die Ethik der wahren Ritterlichkeit verkörpern sollten. Der König selbst, welcher die vorherrschenden Unruhen mit dem Vorleben wahrer Tugend schließlich zu beenden wusste und somit noch heute als Symbol für ehrenhaftes und gerechtes Handeln gilt, nahm hingegen nicht an der Runde teil.

Hier knüpft nun also auch der erste Song des stimmungsvollen Dreigespanns an und versetzt den Hörer in die Perspektive von Sir Lancelot, der seinem König ewige Treue schwört. Der Einstieg gestaltet sich in von Lindner gesprochener Manier und wird dabei mit zurückhaltender Drehleier und Flöte begleitet, ehe das Schlagzeug dann einsetzt und im rhythmischen Mid-Tempo kurz anzieht. Die Akustikgitarre bestimmt den größten Anteil des noch recht gemäßigten Klangbilds, bis die kräftige Bridge einen deutlichen Umschwung vermuten lässt. Dieser folgt sodann auch mit dem großartigen und herzergreifend intonierten Refrain, der die energetisch powernden Riffs und Drums zuerst verstärkt in den Vordergrund treten lässt, mehrstimmige Gesänge bietet und später in einem fantastischen Dudelsack-Solo gipfelt. Schon seit vielen Jahrtausenden sucht die Menschheit vergeblich nach dem heiligen Gral, aus dem Jesus einst beim letzten Abendmahl getrunken haben und der seinem neuen Besitzer Unsterblichkeit bringen soll. So befinden sich also auch die Ritter der Tafelrunde auf der ewigen Suche nach jenem Relikt und seiner Macht. Doch bis zum heutigen Tage weiß niemand, was sich wirklich hinter diesem Mythos verbirgt und ob es ihn denn überhaupt gibt. Auf diese Weise wurde „Der Gral“ zum übergreifenden Sinnbild für die ewige Suche und ständiges Streben, auf dessen Weg man zwar immer wieder seine Ziele erreicht, aber doch niemals vollends ankommt. Beherzt gespielte Saiten und leicht schwebende Flötentöne machen den Anfang, die Strophen werden folglich von Bass und Drums bestimmt, bis im hymnischen Chorus erneut die Sackpfeifen regieren. Der Song fungiert dabei durchweg gelungen als eine Art losgelöstes Bindeglied zwischen Auftakt und Finale: „Wohlan, ich werde ihn finden, den Gral und euch davon künden!“. Artus hatte es also geschafft und mit seinem Handeln das Gleichgewicht der Macht im Land wiederhergestellt. So schickte er stets seine tapferen Ritter wie Lancelot, Gawain, Keie, Gaheris, Balin, Iwein oder Erec in die Welt aus, um das Unrecht weiterhin zu bekämpfen. Nachdem der Frieden lange währte, naht jedoch das Ende. Ein Abgesandter aus Rom erscheint und verlangt hohe Tributzahlungen, doch der König weigert sich und zieht mit seinem Heer in den Kampf. Nachdem er vom Verrat seines Neffen erfährt, den er zwischenzeitlich zum Verwalter seines Reiches ernannt hat, kehrt er zurück. In der Schlacht von Camlann fallen einige seiner wichtigsten Gefolgsleute und auch das Schicksal von Artus selbst erfüllt sich. Zwar kann er Mordred, der die verbliebenen Könige gegen ihn aufgebracht hat, töten, jedoch wird auch er schwer verletzt und sucht auf einem geheimnisvollen Eiland, genannt „Avalon“, sichere Zuflucht. Jene ist auch unter dem Begriff „Ynis Avalach“ bekannt oder wie der Songtitel selbst verrät: „Die Insel - Ynys Yr Afallon“. Dort wird er von seiner Halbschwester Morgan le Fay wieder zu Kräften gebracht und vollständig geheilt, sodass er der Sage nach eines Tages wieder zu seinem Volk zurückkehren konnte. Zartes Gitarrenspiel und eine mystisch klingende Flöte bilden die meiste Zeit das sphärische Fundament dieser fantastischen Power-Ballade, die im hoffnungsvoll besungenen Refrain dann endgültig all ihre Eingängigkeit demonstriert. Das große Finale wird danach von „Der Weiße Wal“ markiert. Ein weiterer Song, der vollständig auf einer der wohl berühmtesten Literaturvorlagen aufbaut und sich selbstverständlich an dem im Jahre 1851 publizierten Roman „Moby Dick“ des amerikanischen Schriftstellers Herman Melville als Leitfaden orientiert. In der Geschichte sucht Kapitän Ahab auf seinem Schiff, der Pequold, von blindem Hass getrieben die Weltmeere ab, um den bezeichnenden Pottwal zu jagen, der ihm einst sein Bein nahm. Erneut sorgen filigrane Gitarrenarbeit und verspielte Flöte hier anfangs für friedliche Idylle und bieten dem Gesang somit genügend Platz zur freien Entfaltung, die spektakulär umgesetzte Geschichte zu erzählen. Alsbald ziehen jedoch überraschend grollende Gewitterwolken auf: Harte Riffs erhöhen den Wellengang erheblich und lassen die rauen Wassermassen gnadenlos an den Kiel schlagen, während Lindner sich jetzt in der Rolle von Ahab in seinen Wahn steigert und ein Kopfgeld auf Dick aussetzt. Die aufgebaute Spannung entlädt sich schlussendlich in einem schnell packenden, mächtig donnernden Refrain, der alles gnadenlos unter sich begräbt, ehe das zwölfte Stück ganz ohne Auflösung über Ausgang der Jagd mit einem Echolot und sanftem Meeresrauschen endet. Der Rest bleibt, wie so vieles auf diesem Album, der Fantasie des Hörers überlassen...

Tracklist:

01. Der Meisterdieb

02. Der Totengräber

03. Vagabunden

04. Froschkönig

05. Auf und davon

06. Der Kapitän

07. Die Oboe

08. Chevaliers

09. Die Tafelrunde

10. Der Gral

11. Die Insel - Ynys Yr Afallon

12. Der Weiße Wal

Fazit:

Nachdem anno 2016 das „Leuchtfeuer“ entzündet wurde, lassen „Schandmaul“ gute drei Jahre später die Zugbrücke herunter, satteln die Pferde und kehren mit der mystischen Geschichte rund um König „Artus“ endlich zu ihren Fans zurück! Auch wenn man es aufgrund des übergreifenden Titels sicher annehmen könnte, so ist der neueste Release dennoch kein in sich geschlossenes Konzeptalbum. Viel mehr wird das Epos im letzten Drittel als Trilogie abgehandelt und somit in den gesamten restlichen Kontext eingeflochten, wobei sich die übrigen Songs demnach thematisch abkapseln. Abgesehen davon gehören die insgesamt drei aufeinanderfolgenden Lieder, welche einem erzählerischen Faden folgen und dennoch zeitgleich hervorragend ganz für sich alleinstehen können, hier tatsächlich zu den stärksten des Werks, wenn auch sich dazwischen wirklich noch viele stimmige Songs finden. Der Sound wirkt mit all seinem Feintuning zumeist frisch und befreit, ohne jedoch wirklich anders oder ein musikalisch zu gewollter Neuanfang zu sein. Einige Ideen oder Melodien stechen leider nicht ausreichend hervor und bleiben wiederum deutlich weniger im Gedächtnis, als andere Stücke. Sie erscheinen zwar gut ausgereift, aber leicht charakterlos und ohne signifikanten Wiedererkennungswert. Jenen erreichen die Kompositionen nämlich einmal mehr ausnahmslos durch Lindners ungemein markante Stimme, die das Steuer zielsicher führend übernimmt und so stetig für den nötigen Feinschliff sorgt. Zudem haben die sympathisch geerdeten Münchner auf „Artus“ einen deutlich besseren Kompromiss zwischen Alt und Neu gefunden, als noch auf dem letzten Ableger, der merklich ruhiger und zurückhaltender daherkam. So dürften sich jetzt also insbesondere Alt-Fans freuen, dass man nun wieder ein bisschen zu den Wurzeln zurückgeht und sich stellenweise sogar an frühen Großtaten wie „Von Spitzbuben Und Anderen Halunken“ oder „Wahre Helden“ orientiert. Unterm Strich bleibt mit „Artus“ also ein übermäßig solides und angenehm mitreißendes Album, welches inhaltlich viele interpretative Parallelen zu aktuellen Bezügen nimmt, zuweilen jedoch leider etwas zerrissen wirkt. Noch mehr Mut und Fokus auf die eigentliche Storyline hätte hier sicher gutgetan. Nichtsdestotrotz kann man hier mit Fug und Recht behaupten, dass die Mäuler wieder auf dem richtigen Weg sind und auch in Zukunft noch viel von dieser Ausnahmeband zu erwarten steht.

Informationen: https://www.schandmaul.de/

https://www.facebook.com/Schandmaul/

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