ASP - Interview Teil I (2019)
Roggenfaenger: Hallo und herzlich Willkommen zurück auf dieser Seite! Dankeschön, dass du dir ein weiteres Mal die Zeit für ein so ausführliches Interview mit mir genommen hast. Wie fühlt es sich denn eigentlich an, wenn ein komplett neues Werk endlich vollendet ist, in welches du abermals all deine Energie, Zeit und Kreativität investiert hast? Ist man danach leer oder doch viel eher aufgeregt und fiebert schon voller Vorfreude der absehbaren Veröffentlichung entgegen?
Asp: Dieses Mal überwog die Leere. Als ich für unser Jubiläumsjahr, zwanzig Jahre "ASP", frecherweise entschieden hatte, nicht nur so etwas wie eine neue Best-Of-CD, sondern direkt ein neues Album zu veröffentlichen, fühlte sich das richtig und gut an. Denn es zeigt, worum es bei "ASP" geht: Neue Musik und neue Geschichten! Dennoch sind wir auch in die Vergangenheit eingetaucht und spielten eine aufwändige Jubiläumstournee, die uns während des Produktionszeitraums der neuen CD am Ende dann doch sehr viel Energie gekostet hat. Man spürt dann, dass man keine dreißig Jahre mehr alt ist, denn Songs zu schreiben ist eine sehr intensive Arbeit. Im Nachhinein weiß ich auch, dass es für unseren Kräftehaushalt besser gewesen wäre, wenn diese neue Platte nicht volle neunundsiebzig Minuten Spielzeit hätte, sondern nur etwa fünfundsechzig Minuten. Wir geben immer zu 100% Vollgas, manchmal auch zu 120%, und am Ende haben wir, speziell unser Gitarrist und Produzent Lutz Demmler und ich, das definitiv gespürt. Wir sind mit allem, was wir hatten, glücklich über die Ziellinie gekommen - und blieben dort dann liegen. Nach der Abgabe der Masterbänder an unsere Plattenfirma Trisol ging zwei Wochen lang erst einmal rein gar nichts mehr. In dieser Zeit war mein einziger Wunsch, ganz viel zu schlafen. Es steckt alles, was wir haben und hatten, in diesem Album. Bei uns ist das nicht nur das Herzblut, sondern jegliche Energie, die wir besaßen. Dieser überlastete Muskel beginnt sich jedoch momentan wieder mehr und mehr zu entspannen.
Roggenfaenger: Hört man das durchweg homogene Ergebnis, so mag für den Rezipienten gefühlt daraus hervorgehen, dass der allgemeine Kreativ- und Produktionsprozess dieses Mal ohne größere Strapazen und Schwierigkeiten verlaufen sein muss. Wie betrachtest du selbst diese Phase rückblickend und welche spontanen Ideen oder langgehegten Wünsche wurden bei dir dadurch zusätzlich befeuert und vielleicht endlich verwirklicht?
Asp: So war es tatsächlich! Dadurch, dass uns dieses Werk so leicht von der Hand ging, passierten auf der Zielgeraden noch Dinge, von denen ich gesagt habe: Dies und jenes darf und muss noch auf das Album kommen. Wenn der Flow mal da ist, muss man ihn auch nutzen. Auch wenn diese Scheibe sehr homogen wirkt, so besitzt sie doch sehr viele, kleine, rebellische Musikmomente, die man in dieser Form bei "ASP" noch nie gehört hat. Es ist schön zu erleben, wie all dies Gestalt annimmt und trotz diverser musikalischer Ausflüge am Ende wieder zu einem Ganzen wird. Was den homogenen Klang betrifft, so hat uns unser alter Freund Vincent Sorg dieses gewisse i-Tüpfelchen bieten können. Bereits von seinen ersten Mixen waren wir vollkommen begeistert. Ich vermute, dass wir uns über die Jahre hinweg so gut kennengelernt haben, dass er mit dieser verqueren "ASP"-Welt seinen Frieden geschlossen hat und sich darauf wirklich total gut einlassen konnte. Am Ende ist es vermutlich ihm zu verdanken, dass die CD vom Sound her so ein tolles, einheitliches Werk geworden ist. Ungeplant war das nicht wirklich, aber das beste Beispiel sind wohl die drei „Abyssus“-Teile, die am Ende dann doch etwas ausufernder ausfielen, aber das durfte dann auch so sein! Hierauf hatte ich die Möglichkeit, noch etwas mehr von der Geschichte zu erzählen und preiszugeben, als ich es ursprünglich vorgehabt hatte. Und seien wir mal ehrlich: Wenn ein Song ohnehin schon über zehn Minuten geht, so kommt es auf zwei bis drei weitere Minuten auch nicht mehr an. Gerade dort entstanden dann auch Dinge, die vorher in dieser Form bei "ASP" noch nicht stattgefunden haben. Glücklicherweise hat das alles super funktioniert und so landeten Passagen darauf, die eigentlich erst für die nachfolgende Veröffentlichung vorgesehen waren.
Roggenfaenger: Die ersten Zeilen auf dem neuen Studioalbum überhaupt lauten: „Zurück zum Start, zurück zum Start, zurück zum Start..." in einer sich fortwährend wiederholenden Schleife. Es sind nur wenige und zugleich doch sehr gewichtige Worte, die darüber hinaus auch eine große Bedeutung inne haben können. Ein kompletter Neubeginn, eine tiefgreifende Rückbesinnung oder sogar der Anfang von etwas ganz Großem. Welche spezielle Bedeutung haben sie für dich im direkten Bezug auf den aktuellen Zyklus-Abschnitt? Immerhin endete der direkte Vorgänger im spektakulären Finale "Sog" mit exakt jenem Mantra. So, wie ich dich kenne, ist das doch mit Sicherheit kein Zufall, oder?
Asp: Diese Idee stand schon zu Beginn, denn so endete das Vorgängeralbum „zutiefst“, und genau dort wollte ich anknüpfen. Das erste Stück heißt „Rückfall“, und eben dieser bezieht sich auf die Entwicklung, die wir auf „zutiefst“ vollzogen haben, einem Album, das gezielt auf einen Höhepunkt zusteuert, ehe es in sich zusammenfällt und von ganz unten wieder neu beginnt. Aus diesem Grund sind diese Alben so eng miteinander verknüpft. Ich wollte das Gefühl vermitteln, das jeder von uns kennt, wenn all unsere Bemühungen auf einen Schlag in sich zusammenfallen. Oder wenn wir in alte Muster zurückfallen, obwohl wir uns in gewissen Dingen sehr viel Mühe geben, sei es eine Sucht zu überwinden oder Menschen aus unserem Leben zu bekommen, die uns nicht guttun. Es gibt die unterschiedlichsten Möglichkeiten, wie man auf den Nullpunkt zurückfallen kann und dann wieder von ganz vorne beginnt. Auf diesem Null-Niveau wollte ich das nächste Album beginnen und eine neue Entwicklung auslösen. Der Song nimmt über seine Spielzeit hinweg enorm an Energie zu und stellt für mich einen unglaublich intensiven Moment dar, weil ich über dieses sich aufbauende Energie-Level die Hörer zu mir holen und in die Erzählung zurückführen möchte. Im Grunde ist es der Auftakt einer Fortsetzung, und ich versuche die Leute durch diesen Song wieder einzubinden.
Roggenfaenger: Hast du die entsprechende Thematik oder zumindest gewisse Passagen des jeweiligen Songs bereits persönlich durchlebt, den „SOS-Ruf, der nur ins Leere funkt“ selbst schon abgegeben?
Asp: Ja, denn das Autobiographische ist natürlich immer mit dem verwoben, was man erzählt. Aber wenn ich als Erzähler „denke“, dann denke ich nicht nur daran, was ich erlebt habe, sondern auch daran, was mich mit dem Hörer verbindet. Das sind oftmals allgemeine Situationen, die jeder von uns erleben kann. Es ist bekannt, dass bei "ASP" sehr vieles kryptisch und rätselhaft ist. Umso entscheidender ist es, auf emotionaler Ebene eine Bindung zum Hörer herzustellen. Das ist mir unheimlich wichtig, denn ich glaube fest daran, dass nur mit dem Hörer das Werk komplett ist. Was den „Fremder“-Zyklus so stark ausmacht, ist, dass er immer emotional nachvollziehbar ist, ganz gleich wie rätselhaft alles scheint. Ich glaube auch, dass ich über die emotionale Ebene den Hörer viel eher erreiche, als über das anspruchsvolle Lyrische oder Musikalische. Es öffnet die Türen. Letztendlich ist es immer eine Frage der Perspektive. Für Leute, die sehr viel Prog-Metal hören, sind "ASP" vermutlich nicht so verquer. Aber für Leute, die aus der anderen Richtung kommen und viel Gothic hören, sind wir schon ganz weit über das hinaus, was sie gewohnt sind zu hören. Wir haben diese düsteren Welten zwar schon ein wenig miteinander verbunden, dadurch dass wir nicht zu platt und unbedingt eingängig sind. Es gibt immer wieder Leute, die fragen, wie "ASP" erfolgreich sein kann, obwohl es doch so verkopfte Musik ist. Irgendwann stellte dann jemand fest, dass es wohl genau deswegen so ist. Vielleicht ist das unsere Nische.
Roggenfaenger: Grundsätzlich besitzt „Kosmonautilus“ wieder einen übergeordneten, roten Faden und dennoch steht jeder einzelne Song ebenso wieder ganz eigenständig für sich alleine. Das ist ein Kunstgriff, der dir inzwischen sehr gut gelingt. Dein erklärtes, übergeordnetes Ziel war es jedoch, den vierten Teil des „Fremder“-Zyklus und damit die direkte Fortsetzung von „zutiefst“ zu kreieren?
Asp: Das ist richtig, und das für mich sehr Komfortable am „Fremder“-Zyklus ist dieses kaleidoskopartige Erzählen. Das heißt, alles, was ich erzähle, muss nicht in einer logischen Abfolge stattfinden, wie es zum Beispiel bei einem Roman oder einem Film der Fall wäre. Nun nähern wir uns allmählich dem Punkt, an dem sämtliche Fäden, die ich gesponnen habe, für den aufmerksamen Hörer so langsam zusammenlaufen. Das macht es für mich in der Erzählung zwar nicht unbedingt leichter, wenn ich mich später in Interviews um die berühmte Frage „Worum geht es denn auf dem Album?“ herumdrücken muss. Nun tauchen Dinge auf, welche die "ASP"-Fans, die uns schon lange begleiten, wiedererkennen werden. Gewisse Motive tauchen auf, finden ihre Fortsetzung sowie auch Endpunkte und geben dem Hörer dieses gewisse "Kurz-vor-dem-Höhepunkt-Gefühl", da sie erkennen, dass nun gleich etwas geschieht. Deshalb wird das nächste Album den „Fremder“-Zyklus abschließen, wodurch sich sehr vieles von den Dingen, die jetzt erzählt werden, auflösen wird. Dann kommt zum ersten Mal der Moment, in dem vieles konkreter wird, und dennoch muss mir dabei abermals die Gratwanderung gelingen, dass viele Songs erneut für sich alleine stehen können. Das wird nicht einfacher, wenn man auf das Ende einer Geschichte zusteuert, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass das hinhaut.
Roggenfaenger: Es scheint, als würde dich der „Fremder“-Zyklus keinesfalls in ein Konzept-Korsett zwingen lassen und dass du darüber hinaus auch eine dynamische Thematik gefunden hast, in der du dich vollkommen befreit auslassen kannst.
Asp: Vielleicht liegt das daran, dass der „Fremder“-Zyklus konkreter mit mir selbst zu tun hat als beispielsweise der „Schmetterlings“-Zyklus. Das Gefühl, in dieser Welt fremd zu sein, ist ein zentraler Punkt in meinem Leben und stellt etwas dar, das sich nicht eben löst. Natürlich hofft man immer, dass man sich irgendwann einfügt und anpasst, doch bei mir hat sich das nie wirklich eingestellt. Ich fühle mich selbst als Fremder, weshalb mir diese Erzählung wohl so leichtfällt. Ich brauche nur ein Blinzeln, um wieder in meiner eigenen Erzählwelt drin zu sein. Das hilft, und das Thema verliert dadurch auch nie an Dringlichkeit. Würde ich mich plötzlich in dieser Welt wohlfühlen, könnte ich die Geschichte unter Umständen gar nicht mehr weiter bzw. zu Ende erzählen... Es ist sowohl eine Angst als auch eine Hoffnung. Natürlich möchte man sich nicht als Außenseiter fühlen, denn das ist im Endeffekt nichts Schönes. Wir alle suchen Anschluss und in irgendeiner Form Akzeptanz in der Gesellschaft. Oder auch einfach diese Gleichvibration, die man mit dem Universum, in dem man sich befindet, braucht. Wenn man das nicht hat, fühlt man sich so, als stünde man weder mit sich selbst noch mit der Welt im Einklang. Ich selbst habe mir eingestanden, dass es letztendlich diverse kleine Bereiche gibt, in denen ich mich zu Hause fühlen kann.
Roggenfaenger: „Morgengrauen Irgendwo“ ist die rein digitale, zweite Single und zugleich ein Stück, das abermals sehr viel Hoffnung versprüht. Deine Gedanken darin sind sehr tiefgründig, reflektiert und ehrlich. Du scheinst in jedem noch so tiefen Dunkel immer auch ein kleines Licht zu sehen.
Asp: Unbedingt. Ich möchte das nicht zu drastisch ausdrücken, aber würde ich dieses Licht im Dunkeln nicht sehen, dann wäre ich nicht Künstler, sondern tot. Dann hätte ich das Leben irgendwann losgelassen. Aber so ist es nicht, denn dieser tiefe Glaube, dass am Ende alles gut werden kann, ist tief in mir verankert. Ich glaube daran, dass man Schönheit finden kann, dass man Liebe finden kann - sie ist überall, man muss nur Zugang zu ihr finden. Dem einen fällt das leicht, dem anderen extrem schwer. Einer findet seine Erfüllung draußen in der Natur, der andere findet sie in der Beziehung oder gar in beidem. Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass man, wenn man selbst ein melancholischer Mensch ist, anderen Menschen keine Hoffnung geben wolle. Das ist für mich innerhalb der Musik allerdings ein Motor, denn ich glaube, dass nur derjenige, der weiß, wie sich Abgründe anfühlen, auch versteht, wie sich Menschen fühlen und wie man diesen ein gutes Gefühl geben kann. Vermutlich habe ich deshalb traurige Musik schon immer als etwas empfunden, das mich glücklich macht und mir wieder einen Zugang zur Welt gibt. Es macht mich nicht depressiv, sondern verschafft mir ein erhabenes Gefühl, mit dem ich gerne arbeite. Deshalb hoffe ich, dass dieses Gefühl der Hoffnung überall mitschwingt und sich mit dem Traurigen in Harmonie befindet.
Roggenfaenger: Es folgt die „Phragmokontrolle“. Bitte erkläre den Lesern diesen ungewöhnlichen Begriff doch etwas näher. Der Song selbst fordert dazu auf, endlich etwas zu ändern, eine Wendung herbeizuführen und dennoch lässt du gekonnt auch wieder alles offen...
Asp: Der Phragmokon ist der gekammerte Teil eines Nautilus-Gehäuses. Ich glaube, das ist der Punkt, an dem ich den Hörer ein wenig in die Irre geführt habe, als das Album angekündigt wurde. Das klang samt dem Albumtitel alles nach „outer space“, was es aber gar nicht ist. Es geht um den eigenen Kosmos. Das Kosmos-Ich, das jeder von uns mit sich herumschleppt. Das Thema "Schneckenhäuser" begleitet uns schon sehr lange und stellt ein zentrales Motiv dar: Die Gefahr und die Chance, sich auf sich selbst zu konzentrieren und sich darin zu verlieren. Der Phragmokon ist ein gutes Bild dafür und stellt für mich auch eine gewisse Treppe dar, die in sich selbst hineinführt und auch wieder hinaus. Zu kontrollieren, welchen Weg man geht, hinein oder wieder hinaus, ist ein Kernthema, das immer wieder mal hochkommt. Das Offenlassen ist deshalb so wichtig, weil es eigentlich der Schlüssel der unbeantworteten Frage ist. Der Hörer bekommt keine Antwort, diese wird er bei mir nicht finden, sondern nur bei sich selbst. Das ist für mich mittlerweile eine sehr bedeutende Erzählstruktur geworden, dass ich dem Hörer den Platz lasse, die Fragen am Ende selbst zu stellen und sich selbst zu beantworten. Vielleicht lässt sich das mit dem "Hilfe-zur-Selbsthilfe"-Prinzip erklären. Ich kann natürlich einzelne Leute versuchen hochzuziehen, aber noch viel besser ist es, wenn ich viele Leute dazu bringen kann, dass sie sich selbst aus einem festgefahrenen Muster oder einer schwierigen Situation befreien können. Das klingt nun, als würde ich mit einem medizinisch-therapeutischen Anspruch an diese Sache herangehen, aber so ist das natürlich nicht, denn dafür bin ich nicht ausgebildet. Das passiert automatisch, vielleicht sogar unterbewusst. Eine unbeantwortete Frage bildet eine Lücke, die man als Hörer gerne füllen möchte.
Roggenfaenger: Das ebenfalls vorab veröffentlichte „Abyssus 2“, zu welchem es übrigens auch ein aufwändiges Musik-Video gibt, ist eine der direktesten Nummern auf dem neuen Release und dazu noch ein echter Ohrwurm. Ist einem selbst das eigentlich direkt bewusst, dass hier ein zukünftiger Live-Klassiker gelungen ist und man zeitgleich eine großartige Single komponiert hat, während man ein solches Stück schreibt?
Asp: Ich bin im Laufe der Jahre unglaublich zurückhaltend geworden, denn ich lag mit einer solchen Einschätzung sehr oft daneben. Der Untertitel von „Abyssus 2“ lautet „Musik“, und eine der Erzählebenen ist, was Musik in einem berührt. Ich wollte dieser Nummer eine Form verpassen, die einen absolut mitreißt! Mitreißen heißt für mich, dass ich vor allem auch an Live-Situationen denke. Daher muss ich zugeben, dass der Track schon sehr stark geplant war, aber auch vermitteln soll, worum es mir geht. Dieser Satz „Musik, hörst du nicht dein Kinderweinen?“ ist für mich ein Schlüssel zum Album und zu allem, was "ASP" ausmacht. Deswegen muss es auch ein Song sein, den ich live spielen und mit einem Hinweis ansagen kann, worum es dabei geht. Was passiert in uns, was stellt Musik mit uns an? Wir sind berührt, sie trägt einen weg, spendet Trost und verschafft einem emotionalen Zugang zu einer ganz anderen Welt. Mit diesem 13. Album habe ich einen Punkt erreicht, an dem ich reflektiert habe, dass ich gar nicht daran geglaubt habe, dass man mich diese Sache so lange machen lässt. Dass ich mich so lange durchmogle und keiner bemerkt, was ich da eigentlich treibe. Dass mich überhaupt jemand hören möchte. Irgendwann muss doch jemand bemerken, dass das gar nicht funktionieren kann. Ich musste mir früher immer anhören, dass das nichts wird, und bekam von außen das Gefühl vermittelt: Das ist alles ein großer Irrtum. Eine Illusion, die ich lebe. Ein Traum, bevor ich aufwache. Daher formuliere ich in dieser Nummer, was mich bewegt, Musik zu machen: Selbst berührt zu werden. Ich habe nie aufgehört, mich für Musik zu interessieren, ich kaufe CDs und Schallplatten wie ein Bekloppter, weil es mich einfach interessiert und ich wissen möchte, wie andere Leute versuchen, wieder andere Leute zu bewegen. Es gibt Lieder, da bin ich oft schon in Tränen ausgebrochen, als ich sie hören durfte, und ich bin unheimlich dankbar dafür, dass mich etwas so zum Schwingen bringt und was es auslösen kann. Musik ist für mich der Beweis, dass es in dieser Welt so etwas wie Magie gibt.
Roggenfaenger: Das ist sicherlich der Grund dafür, warum du abermals auf den letzten Seiten des umfassenden Booklets darum bittest, die Musik nicht über soziale Netzwerke zu teilen, sondern die Künstler durch den Kauf eines Tonträgers, eines Konzerttickets und von Merchandise zu unterstützen. Oder wie du live gerne drauf hinweist, das Konzert ohne Handy zu genießen. Wann überlegst du dir bei einem Titel mit einer derart wichtigen Kernaussage, was genau du deinem Publikum sagen wirst?
Asp: Das ist das Allerwichtigste, denn wenn man schon die Gelegenheit hat, etwas Großartiges zu erleben, dann muss man sich drauf einlassen. Ich bin ja kein Feind von Smartphones, aber ich glaube, dass sich unsere Welt unter anderem auch deshalb nicht zum Guten wendet, weil wir immer versuchen, alles gleichzeitig zu erleben und zu benutzen. Das wird uns allerdings kein tiefgründigeres Erlebnis verschaffen. Man sollte die Dinge auskosten, wenn sie da sind, und ich glaube vor allem, dass ein Live-Konzert etwas Besonderes ist. Ich mache selbst schon auch mal ein Erinnerungsfoto, aber dieses ständige "Mit-dem-Handy-Beschäftigen" lenkt nur davon ab, was wirklich zählt. Deswegen ist es mir so wichtig, diese Ansprache immer wieder zu halten. Das funktioniert zwar nur bei einem Teil der Leute, aber ich habe so viele großartige Fans, und diese sagen dann auch zu anderen: „Hey, lass das doch. Das stört doch nur“. Und auf einmal herrscht eine ganz andere Atmosphäre auf dem Konzert, und es entpuppt sich als etwas Großes, Spannendes und Schönes. Das Gemeinschaftsgefühl wird dadurch wieder stärker, und das macht einen riesigen Spaß. Ich fühle mich auf eine gewisse Art gesegnet, dass die Leute das so annehmen und mitmachen, als hätten sie die ganze Zeit darauf gewartet, dass jemand das sagt. Viele freuen sich darüber und empfinden das als positiv, stecken ihre Handys weg und erfahren dadurch tatsächlich ein viel größeres Gemeinschaftsgefühl. Ich glaube an viele Dinge, aber an zwei Sachen nicht: Gott und Multitasking. Man macht eine Sache und konzentriert sich darauf und danach macht man die nächste Sache. Ansonsten hätte ich nicht gerade das 13. Studioalbum geschafft. So weit bin ich in diesem Moment noch gar nicht. Aber ich bin tatsächlich jemand, der seine Ansagen immer plant. Ich improvisiere auch und bin spontan, aber ich habe auf jeder Konzertreise immer eine Liste mit Kernbotschaften. Einfach, weil es Dinge gibt, die ich sagen möchte und von denen ich will, dass sie jeder hört. Ich halte das nicht nur für eine super Gelegenheit, sondern auch für meine Pflicht. Vieles bei uns ist kryptisch und rätselhaft, deshalb finde ich, dass man live ein paar klare Worte finden kann. Wir Künstler sollten doch auf emotionaler Ebene versuchen etwas zu vermitteln, denn die Politik schafft das ja viel zu selten. Im Gegenteil, da gibt es eher eine Anti-Reaktion darauf. Ich finde, es ist unser Job, Sachlichkeit und Emotionalität zu verbinden. Deshalb muss ich zu manchen Themen etwas sagen.
Roggenfaenger: An diesem Punkt muss man einmal mehr die bemerkenswerte Leistung deiner Kollegen, allen voran von Lutz Demmler, würdigend erwähnen, dessen äußerst prägnante Gitarren-Leads stets auf den Punkt zu bringen scheinen, was dir inhaltlich so vorschwebt. Versteht ihr beide euch tatsächlich derart blind?
Asp: Nein, blind sicherlich nicht. Aber wir kennen uns schon sehr lange, und die Trefferquote wird immer besser. Dass wir eine Kommunikationsform finden, wie wir uns gegenseitig Dinge erklären und auch wie ich meine Ideen vermittele, verbessert sich immer mehr. Es ist eine große Bereitschaft, wenn sich jemand auf das einlässt, was ich mir in meinem stillen Kämmerlein so ausdenke. Dass jemand versucht, das so nahe wie möglich an meine Vision heranzubringen, obwohl ich Gitarren schreibe, ohne zu wissen, wie sie zu greifen sind. Lutz Demmler ist ein unglaublicher Perfektionist, und ich glaube, er würde nun auch lachen, wenn ich verrate, dass wir in etwa eine 99%-ige Trefferquote haben. In neunundneunzig von einhundert Fällen sage ich: "Wow, das ist genauso wie ich mir das vorgestellt habe!". Bei dem einen Mal, wenn ich noch skeptisch bin, herrscht dann aber auch Alarm, und das wiegt dann unheimlich schwer. Da wird dann nochmals richtig drüber diskutiert. Das zeigt dann aber auch, was wir für eine Art Mensch sind und wie wichtig es uns im Endeffekt ist, diese 100% zu erreichen.
Roggenfaenger: „Tritons Fall“ ist die obligatorische Doom-Nummer, der schleppende Melancholiker mit leichten Einflüssen von "Type-O-Negative" und einer unglaublich mächtigen Erhabenheit. Wie empfindest du den Track selbst?
Asp: "Obligatorische Doom-Nummer" finde ich sehr schön ausgedrückt, denn ich versuche tatsächlich, auf jedem Album eine Nische für eben solche Songs zu finden. Das ist mir total wichtig, und das empfinde ich als eine schöne Facette, die man nicht bei vielen Bands aus unserem Genre hört. Aber es ist natürlich auch so, dass es diese schweren Nummern für entsprechend schwere Themen braucht. Auf „zutiefst“ hatten wir dieses super schwere Stück namens „Leviathan“, das sich mit dem sehr schwierigen Thema Depression beschäftigt. Bei „Tritons Fall“ ist die zentrale Frage die, wie wir mit unserer Welt umgehen. Das Ganze besitzt ein minimales Augenzwinkern, Ironie und Sarkasmus. Es geht darum, wie schnell sich die Welt mittlerweile verändert und wir, die wir hauptsächlich dafür verantwortlich sind, überhaupt nicht mehr hinterherkommen und die Folgen nicht absehen können. Für mich war es sehr faszinierend, mich in ein Wesen hineinzudenken, das sehr lange schläft und heute die Welt betrachtet, um zu sehen, was in der Zwischenzeit passiert ist. Die Schwere des Songs sollte vor allem das Unterwassergefühl und dieses verlangsamte Schweben in der Dunkelheit untermauern. Die Gitarrenharmonien sind nicht disharmonisch, aber deutlich ungewöhnlich, wodurch meine Vorliebe für Doom-Metal zum Ausdruck kommt.
Roggenfaenger: Gab es denn Musik, Künstler oder Alben, die dich direkt oder indirekt während dem Entstehungsprozess von „Kosmonautilus“ ganz besonders beeinflusst haben?
Asp: Eigentlich nicht. Es war eher so, dass viele Sachen, die ich in meiner Jugend gehört habe, auf diesem Album wieder eine größere Rolle gespielt haben. Damit meine ich zum Beispiel die ganz frühen "Paradise Lost", deren erste zwei Alben ich damals hoch und runter gehört habe. Es kann sein, dass sich davon etwas in den Nummern wiederfindet, aber auch andere Dinge, die man bei "ASP" vermutlich nicht erwartet. Es gibt in einem der späteren „Abyssus“-Teile einen Part, da hört man ein wenig "Black Sabbath" raus. Das ist eine Band, die mich immer begleitet und lange in mir geschlummert hat und jetzt eben ausgebrochen ist. Das alles war jedoch nie eine bewusste Entscheidung, sondern kam in manch speziellem Moment wieder hervor, als mich die Themen beschäftigt haben, die in diesen Kapiteln vorkommen sollten. Ein interessanter Aspekt, dass man in vollkommen unterschiedlichen Lebensabschnitten Dinge hervorholen kann, die einen irgendwann einmal beschäftigt hatten. Es ist, als hätte man die rezipierte Musik in die eigene DNS aufgenommen.
Roggenfaenger: Holst du diese Elemente dann bewusst aus deinem Unterbewusstsein hervor?
Asp: Ich nehme das wahr und versuche dann aber gezielt, sie nicht anzuhören, denn dann würde es passieren, dass man sich in seiner musikalischen Arbeit zu sehr beeinflussen lassen würde. Ich hole mir die Stimmung eher vor dem inneren Auge beziehungsweise dem inneren Ohr zurück. Ich versuche dann nicht, an ein bestimmtes Stück zu denken, sondern daran, was die Band insgesamt für mich ausmacht. Sonst würde das zu weit führen, da würde man sich zu sehr vom eigenen Pfad weglocken lassen, aber so hat das eine innere Ebene, die man mit eigenen Mitteln umzusetzen versucht.