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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

Eisbrecher - „Liebe Macht Monstour"-Tour - RuhrCongress, Bochum - 30.06.2023


Veranstaltungsort:

Stadt: Bochum, Deutschland Location: RuhrCongress


Kapazität: ca. 5.000


Stehplätze: Ja


Sitzplätze: Nein


Homepage: https://www.ruhrcongress-bochum.de


Einleitung:

13.11.2020. 05.11.2021. 14.10.2022: Aller guten Dinge sind drei… Oder? Wie bei so ziemlich allen anderen Musikern, hat es auch in diesem speziellen Fall doch erst so einige Anläufe gebraucht, bis man sich endlich wieder live und von Angesicht zu Angesicht begegnen konnte, um die neu zu betourenden Studioalben „Schicksalsmelodien“ und „Liebe Macht Monster“ zusammen zu feiern. Tatsächlich ist der heutige Freitag Abend, der 30.06.2023, der mittlerweile vierte Versuch, der endlich gelingen soll. Es ist der Ersatz für den ursprünglichen Herbst-Termin aus dem Vorjahr, welcher überraschend aus präventiver Vorsicht vor weiteren undurchsichtigen Spontan-Auflagen hinsichtlich der weltweiten Pandemie festgelegt wurde, da ein unvorhergesehener Abbruch inmitten der laufenden Tournee ein dermaßen großes Loch an Kosten in der gesamten Produktion nach sich gezogen hätte, dass ein Erholen davon nahezu unmöglich gewesen wäre. Man sieht, die Spätfolgen reichen noch immer weit ins aktuell laufende Jahr hinein und werden selbst in naher und ferner Zukunft noch ihre Spuren hinterlassen haben, an denen die gebeutelte Veranstaltungsbranche weiterhin schwer zu knabbern hat. Als „Corona-Wahnsinn von O bis O“ hatten „Eisbrecher“ die glücklicherweise zurückliegende Lage in ihrem ausführlichen Statement zur erneuten Verlegung betitelt. Für Live-Konzerte, wie wir alle sie kennen, bliebe nur der „schmale Rest des Jahres von Ende April bis Ende September“ übrig, was auch der Grund dafür ist, dass man die Termine ungewöhnlicherweise allesamt in den scheinbar abgesicherten Sommer legte. Und so geht es an diesem lauen Freitagabend, dem 30.06.2023, direkt nach der Arbeit mit zwei Begleitungen zur drittletzten Station der eisbrecher‘schen Reise, danach folgen für die Band nur noch Hannover und Fürth. Als wir gegen 19.00 Uhr am RuhrCongress ankommen, hat der Einlass schon längst begonnen, sodass wir auch nicht besonders lange warten müssen, denn viele Fans tummeln sich schon im riesigen Foyer. Es ist schon immens beeindruckend: Zur „Eiszeit“-Ära 2010 habe ich die Münchner zum ersten Mal live gesehen, da allerdings noch im deutlich kleineren FZW in Dortmund, wohin es sie auch zwei Jahre später mit der großen „Höllen“-Tour wieder verschlagen sollte. Noch im Herbst desselben Jahres forcierte man aufgrund der großen Nachfrage dann die wesentlich größere Turbinenhalle Oberhausen, welche dem „Eisbrecher“ für die NRW-Gigs zum 2013er Jubiläum, den gefeierten Alben „Schock“ und „Sturmfahrt“, dem obligatorischen Jahresabschluss, kurz „JAK“ 2017, sowie der Best-Of-Show „Ewiges Eis“ in 2018 für die nächsten Jahre ein sicherer Hafen sein würde. Einer, der für die vielen treuen Gäste jedoch zunehmend enger wurde. Der eiskalte Siegeszug von Alexander Wesselsky und seinen Mannen kennt anscheinend keine Grenzen und so finden wir uns jetzt knapp zehn Jahre später also in meiner Heimat Bochum mit fast doppelt so viel Platz für über 3.000 Musikbegeisterte wieder - Schön! Eine sehr weise Entscheidung und gute Wahl der Band. Übrigens nicht nur durch die räumliche Nähe für unsere kleine Gruppe heute Abend, denn die schiere Menge an Fans hätte wohl nie und nimmer in den ursprünglichen Oberhausener Stammplatz gepasst! So ist es auch erfreulich, dass im Inneren gleich mehrere Theken für den Getränkeausschank geöffnet sind, die übrigens allesamt vom immer freundlichen und schnellen Team des Turock Essen betreut werden - Kompliment! Weiter hinten im Foyer ist der große Merchandising-Stand von „Schattenmann“ und natürlich auch „Eisbrecher“ aufgebaut, der momentan die einzige Shopping-Möglichkeit für Fans darstellt, denn bis auf wenige Restposten ist der eigene Online-Store seit langer Zeit verdächtig leer. Hier gibt es ausnahmslos neue T-Shirts mit Band-Foto und Tour-Daten oder eines zu „This Is Deutsch“, das aktuelle Album in der Box-Variante, Caps, Gymbags, Buttons und auch Plüsch-Eisbären in zwei Versionen. Neuauflagen von beliebten Motiven aus der Vergangenheit bleiben leider aus. Übrigens: Laut den kleinen Flyern, die nach dem Konzert verteilt wurden, kehren die fünf Eis-Boys bereits am 03.10.2024 in den RuhrCongress zurück. Der Ruhrpott darf also gespannt sein! Aber nun erstmal weiter zum heutigen Abend…

Schattenmann:


Bevor kurz gegen 20.00 Uhr die Support-Band die Bretter des RuhrCongress Bochum entert, betritt im unauffällig-auffälligen Sommer-Look aus Hemd, kurzer Hose und bunten Strümpfen aber erst jemand anderes die große Bühne: Alexander „Alexx“ Wesselsky. Natürlich sehr zur Freude der Fans. Zumindest derer, die jetzt schon im ausladenden und glücklicherweise vollständig klimatisierten Saal sind und nicht immer noch im Foyer in der Schlange für kühle Getränke stehen oder gleich ganz draußen im Raucherbereich geblieben sind. Es ist heiß und es wird in den nächsten Stunden noch viel heißer werden. „Guten Abend, Bochum! Na, geht’s euch gut?“, erkundigt sich der Sänger bei allen bereits eingetroffenen Gästen und deutet dann auf die kleine Box vor ihm, die den Musikern beim Konzert gerne mal als Erhöhung dient. „Diese Dinger hier heißen übrigens Ego Riser. Wir haben zwar kein Ego, aber ich stelle mich jetzt trotzdem einfach mal hier drauf… So. Das Motto ist so, wie schon gefühlt vor zehn Jahren. Das muss 2017 gewesen sein: „Rettet die Eisbären“. Habt ihr uns denn vermisst?“, erkundigt er sich schelmisch lächelnd beim Publikum, welches dies natürlich bejaht. „Das geben wir gerne genauso zurück… Das kann doch nicht wahr sein, oder? Was für ein Scheiß.“, kommentiert Wesselsky die letzten Jahre der Pandemie knapp und greift dann zur Bochumer Tageszeitung WAZ. „Geht’s euch wirklich gut? Hier steht nämlich, es ist zu viel Blei im Trinkwasser!“, überfliegt er einen der Artikel und witzelt anschließend, dass heute Abend vermutlich sowieso niemand der Anwesenden Wasser trinken würde. Damit auch alle schön gesund bleiben, werden jetzt kleine Mitbringsel wie Orangen, Birnen oder Clownsnasen von der Bühne in die ersten Reihen geworfen. Und eine Karotte. „So schnell ist sie zerbrochen, aber ihr teilt, oder? Bravo, das ist wahre Freundschaft! Zwei Mädels, eine Karotte…“, lacht der Frontmann und leitet dann zum Support über: „Ich bin hier ja auf der Bühne, die schon aufgebaut ist. „Schattenmann“, steht da…“, deutet er auf das hinter ihm befindliche Backdrop. „Also, wir haben Freunde dabei. Eine Band, die jetzt auch schon eine ganze Weile lang mit uns unterwegs ist und das funktioniert alles sehr, sehr gut. Sie sind sehr gut erzogen, sie sehen gut aus und sie sind jung. Ja, da tut sich noch was… Beneidenswert. Aber urteilt selbst und seid laut für „Schattenmann“, okay!?“, beendet er die kurze Vorstellung und gibt danach die Bühne für die vierköpfige Band aus Nürnberg frei, die heute auf den Tag genau übrigens ihr neues Studioalbum „Día De Muertos“ veröffentlicht. Unter düsterem Getöse kommen nun Schlagzeuger Nils Kinzig, Bassist Luke Shook, Gitarrist Jan Suk und Sänger Frank Herzig auf die Bühne, die neben bereits erwähntem Backdrop mit apokalyptischer Kulisse von zwei hohen und mit dem rostigen Band-Logo versehenen Zäunen gesäumt wird, auf denen zusätzliche Scheinwerfer drapiert wurden. Los geht’s mit dem Opener des gleichnamigen Debüts namens „Licht An“. Immer dann, wenn Herzig im Refrain „Licht aus!“ fordert, wird es für einen Sekundenbruchteil tatsächlich kurz dunkel im Saal, wodurch die grün schimmernde Neon-Schminke der Musiker zur Geltung kommt. Leider verläuft sich der nette Effekt aufgrund der schieren Größe der Location zwar etwas, aber nichtsdestotrotz legen „Schattenmann“ einen guten Start hin. Weiter im Set geht es mit „Brennendes Eis“, ebenfalls vom Erstlingswerk aus 2018, zu welchem sich Bassist Shook einen Applaus für sein Solo abholen darf. „Hallo, Bochum! So, ich rede jetzt am besten nicht so viel, oder? Habt ihr Bock auf Metal!?“, fragt Herzig. Natürlich ist der Ruhrpott am heutigen Abend der härteren Gitarrenmusik ganz besonders zugetan und so trifft das polternd-wütende „Jeder Ist Schlecht“ vom neuesten Album direkt einen Nerv bei den Bochumern. Wie bei „Schattenmann“ seit jeher üblich, wird auch die Visualisierung der Musik groß geschrieben und so wirbelt etwa bei „Chaos“ ein maskierter Horror-Clown mit Nebel-Kanone über die Bretter oder es wird zu „Amok“ eine röhrende Kettensäge geschwungen. Ein wenig ruhiger wird es in der knappen halben Stunde erst bei „Nadel Und Faden“, zu welchem der Frontmann sich ein Meer aus Taschenlampen wünscht. Doch schon mit dem ebenfalls neuen „Menschenhasser“ schnellt das Tempobarometer wieder direkt nach oben oder zu den plakativ betitelten „Spring“ oder „Hände Hoch“ soll eben dies getan werden. Besondere Erwähnung sollte neben den netten Show-Effekten allerdings auch die enorm ausgeklügelte Licht-Show finden, die für einen Support-Act absolut fantastisch ausfällt und fast schon Headliner-Qualitäten besitzt - Wow! Aber auch ganz ohne diese technischen Spielereien weiß die junge Band ihre bisherige Bühnenerfahrung auch in Lokalitäten dieser Größenordnung gut zu nutzen und die Anwesenden im sich stetig füllenden Saal zu überzeugen. Der Applaus wächst hörbar nach jedem einzelnen Song an und gipfelt nach „Dia De Muertos“, dem melodiösen Titeltrack der just erschienenen Veröffentlichung, in viel Wohlwollen und Begeisterung. Völlig klar, dass der kleine Hinweis auf die eigene Club-Tour in 2024 da auf aufmerksame Ohren stößt und so können sich „Schattenmann“ sehr sicher sein, den ein oder anderen eiskalten Fan ganz bestimmt bei ihrem Gig im Oberhausener Kulttempel wiedersehen zu dürfen.

Eisbrecher:


Nachdem der viel beklatschte Support sein vierzigminütiges Set erfolgreich beendet hat, findet zunächst eine etwas längere Umbaupause von rund einer halben Stunde statt. Völlig verständlich, dass nicht gerade wenige Fans diese Zeitspanne aufgrund der relativ hohen Außentemperaturen, die sich allmählich auch auf den glücklicherweise vollklimatisierten Saal übertragen, nun dafür nutzen, nochmals kühlenden Getränkenachschub an den zahlreichen Theken im Foyer oder der kleinen Bar weiter hinten zu ordern. Und so strömen jetzt einige Besucher wuselig hinaus, andere wiederum hinein. Nach einer kurzen Pause an der frischen Luft im ebenfalls ordentlich ausgelasteten Raucherbereich, statten auch wir Drei uns mit ein paar gefüllten Bechern in den Händen aus und rücken im großflächigen Innenraum näher an die beachtlich breite Bühne rechter Seite heran, wo die Reihen zumindest momentan noch etwas luftiger sind, um eine gute Sicht auf das Geschehen zu haben. Die drei darüber liegenden Ränge mit zahlreichen Sitzplätzen, die normalerweise über die Treppenaufgänge im Foyer zu erreichen sind, bleiben heute Abend zwar geschlossen, dafür tummeln sich hier unten die Massen. Dafür ist, anders als noch bei einigen anderen Szene-Konzerten in der Vergangenheit, der eigentliche Saal mit seinen Stehplätzen nicht zur Hälfte abgehängt, um die Zuschauermenge mehr zusammenzutreiben und die Leere damit unauffällig zu kaschieren. Nein, heute wird tatsächlich die gesamte Fläche voll und ganz ausgenutzt… Und das ist auch bitter nötig! Es ist voll, wirklich voll, aber eben nicht überfüllt. Gerade richtig. Wenn man da an die zuletzt beinahe klaustrophobischen Zustände in der Turbinenhalle zurückdenkt, in der sogar Teile des Publikums nicht mal mehr durch die Türen passten und somit im Eingangsbereich verbleiben mussten… Puh! Die Expansion in Form dieses überlegten Lokalitäten-Wechsels für die Gastspiele in Nordrhein-Westfalen erweist sich also als logischer und gelungener Schritt, der vom Publikum mit zahlreichem Erscheinen belohnt wird. Um 21.15 Uhr ist es dann auch endlich an der Zeit, den vierten und letzten Anlauf für das Ruhrpott-Konzert vollauf glücken zu lassen und so erlischt die wärmende Deckenbeleuchtung im RuhrCongress plötzlich unter gar ohrenbetäubendem Dröhnen, welches nur kurz darauf einen noch viel lauteren Applaus nach sich zieht. Metallisches Knistern und Knacken ist zu vernehmen. Die mächtige Maschinerie kommt nach ihrem erzwungenen Schlaf von mehreren Jahren der Live-Pause erst hörbar schwerfällig in die Gänge, läuft sich langsam heiß und dann mit einem Schlag wie auf Hochtouren. Das eisige Monster ist wieder entfesselt und wird langsam zu Wasser gelassen. Anker lichten… Bereit zum Ablegen… Direkter Kurs auf Bochum! Bald paaren sich düstere Synthesizer-Sounds und ein abgrundtiefer Basslauf, erschaffen gemeinsam eine bedrohliche Atmosphäre. Dazwischen die kurzen Fetzen undeutlich verzerrter Funksprüche, in denen Koordinaten an einen unbekannten Empfänger durchgegeben werden. Durch die violett schimmernden, scharf gebündelten Lichtkegel, welche die aufziehenden Nebelschwaden förmlich zu zerschneiden scheinen, wird jetzt allmählich der Blick freigegeben. Im Vergleich zur imposanten Industrie- und Seefahrt-Romantik vorheriger Tourneen ist das Bühnenbild anno 2023 sehr clean und geradezu minimalistisch gehalten: Im wesentlichen besteht der Kern der Szenerie aus zwei übereinander gelagerten und mit hellen Metall-Platten verkleideten Podesten, welche allesamt durch ein paar niedrige Stufenaufgänge miteinander verbunden sind. Die oberen Kanten der Beschläge sind jeweils durch dünne Leuchtstoffröhren ergänzt worden, an der hinteren Hälfte wurde hingegen eine lange Reihe zusätzlicher Scheinwerfer installiert. Aus dem verschneiten Hintergrund heraus starrt eine mysteriöse Gestalt vom überdimensionalen Backdrop auf die gespannt wartende Menge herab. Das unkenntliche Gesicht von einer klobigen Atemschutzmaske bedeckt, auf dem geneigten Haupt eine weite Mütze mitsamt Schutzbrille und eine schwere Kapuze mit buschigem Fellkragen. Als die montierten Röhren blutrot aufzuleuchten beginnen, erscheint auf dem höchsten Podest zur linken Seite überraschend die Silhouette eines groß gewachsenen Mannes, der von vielen Fans in den ersten Reihen direkt erkannt wird. Es ist Frontmann Alexander „Alexx“ Wesselsky, der, stilecht in schwere Kapitänskluft gekleidet, seinen prüfenden Blick über die Menge schweifen lässt. In seinen beiden Händen ein Fernglas, aus dem lange, gleißende Lichtstrahlen herausbrechen. Unter viel Beifall nehmen unterdessen auch die übrigen Mitglieder aus Schlagzeuger Achim Färber, Bassist Rupert Keplinger und Gitarrist Jürgen Plangger ihre Positionen an Deck ein. Einzig Leadgitarrist Jochen „Noel Pix“ Seibert fehlt krankheitsbedingt weiterhin, er wird vom langjährigen Backliner Dominic „Dodo“ Lukaszewicz vertreten.

Als eine elektronisch surrende Melodie ertönt, brechen prompt weitere Jubelstürme los und es sind gar keine weiteren Takte notwendig, damit sich tausende Arme zum Klatschen in die Luft erheben. Jeder weiß, was nun folgt: „Volle Kraft Voraus“! Auf der einen Seite ein altbekannter und wirklich schöner Einstieg nach der viel zu langen Zwangspause, der durch seine große Beliebtheit und mittlerweile feste Verankerung in der Setlist natürlich sofort bei allen Fans zündet. Auf der anderen Seite jedoch auch ein bisschen schade, dass man sich dazu entschieden hat, das Intro-Instrumental samt Opener der „Schock“-Tour 2015 einfach komplett zu recyceln und damit die schöne Möglichkeit verpasst, die Spannung zu schüren und stattdessen mit einem komplett neuen Song zu eröffnen. Beispielsweise mit der brachialen ersten Nummer „Es Lohnt Sich Nicht Ein Mensch Zu Sein“ des aktuellen Albums, welches auf dieser Tour leider gar nicht gespielt wird. Schade. „Wow, ja Wahnsinn! Und vielen Dank für das Durchhalten und Behalten der Tickets. Wir sind noch da und wie… Habt ihr Bock!?“, begrüßt Wesselsky die tobende Menge. „Na, dann tun wir das, was wir am liebsten tun und lassen gepflegt die Sau raus!“, verkündet er und weiter geht es mit der stampfenden, klassischen NDH-Nummer „Frommer Mann“ von „Liebe Macht Monster“. Das etwas sterile Stück macht live eine deutlich bessere Figur und regt ordentlich zum headbangen an. Ebenso das wuchtig hämmernde „Fehler Machen Leute“. Alle aufgetaut? Scheinbar ja! „All right… Ich bin mir nicht ganz sicher, waren es zwanzig Jahre „Eisbrecher“?“, beginnt er und stockt dann kurz. „Stimmt, wir sind ja gar nicht in Oberhausen, sondern in Bochum. Scheiße!“, lacht er. „Hier waren wir das letzte Mal 2008 irgendwo ums Eck.“, überlegt er und meint damit die Matrix. „Nein, eine schöne Halle hier und sogar so viele Leute drin. Das gibt’s doch gar nicht… Dankeschön für die Party! Wir machen jetzt zur Feier des Tages mal ein Foto. Also, alle Handys raus und alle Lichter an. Alle Raucher haben Feuerzeuge dafür und danach steckt ihr die Dinger aber wieder ein, ja? Denn wie schon der kleine Prinz sagte: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“… Ihr seid heute dabei und nicht morgen auf YouTube!“, bekräftigt er unter viel Zustimmung und schießt anschließend ein Polaroid aus der kleinen Sofortbildkamera, bevor die Band für einige Sekunden in jeweils drei verschiedenen, amüsanten Posen verharrt, damit jeder noch sein ganz eigenes Erinnerungsfoto mit den mobilen Endgeräten festhalten kann. Für alle Veteranen gibt es mit dem schon lange nicht mehr gespielten „Heilig“ danach ein rares Bonbon. Ein Song von „Sünde“ aus dem Jahr 2008 und damit eben lustigerweise aus genau der Zeit, als die Band das letzte Mal in Bochum gastierte. Mit dem melancholischen „Augen Unter Null“ von „Die Hölle Muss Warten“ aus 2012 wird es danach wieder ein wenig ruhiger. Es ist die sprichwörtliche Ruhe vor dem Eissturm, denn nur wenige Minuten später versinkt die Bühne erneut in tiefer Finsternis, während bruchstückhafte Samples verschiedener Nachrichtenmeldungen aus den Boxen zu Gehör dringen und sich dabei zu überschlagen scheinen. Im schummrig fahlen Licht ist wieder viel Bewegung auf den Brettern zu erkennen, es wird erneut umgebaut. Und plötzlich erklingen wohlbekannte, fordernde Trommelschläge irgendwo aus dem Off: „Amok“! Traditionell positionieren sich Färber, Keplinger, Plangger und Dodo dazu hinter den vier soeben aufgestellten Fässern, auf welche sie nun rhythmisch im Takt einprügeln, sodass das kurz zuvor darauf ausgegossene Wasser anschaulich in die Höhe spritzt. Wie immer ein opulentes Bild! Nur wenige Monate vor „Liebe Macht Monster“ erschien mit dem Tribute-Album „Schicksalsmelodien“ mehr neuer Stoff für die Fans. Darauf enthalten: Insgesamt dreizehn Cover ausgewählter Stücke aus den verschiedensten Genres von illustren, szene-übergreifenden Acts wie Joachim Witt, Doro Pesch, „Powerwolf“, „Spider Murphy Gang“, „Die Toten Hosen“ oder „Die Ärzte“. Drei Songs davon bereits durch diverses Bonus- und B-Seiten-Material vorausgegangener Releases bekannt, der Rest brandneu. Ein unerwartet bunter und gerade deswegen umso unterhaltsamerer Mix, aus dem es mit dem NDW-Klassiker „Anna (Lassmichreinlassmichraus)“ jetzt eine spaßige Live-Kostprobe gibt. Wie schon auf dem Silberling selbst, knallt die herrlich spaßig-minimalistische Nummer überraschend derbe aus den Lautsprechern und mach trotz oder gerade wegen der stupiden Mitgröhl-Lyrics mächtig Laune. Das findet anscheinend auch Bochum und macht sofort mit. „Ach ja, die guten alten „Trio“, oder?“, lacht Wesselsky herzlich und berichtet danach, dass man als deutsche Band ja viel in Europa herumkommt, dabei noch mehr verschiedene Sprachen aller Herren Länder kennenlernt und diesen wiederum im Gegenzug ein wichtiges deutsches Wort beibringen kann, welches da kurz und knapp „Nein Danke“ lautet. Auch dieser Neuzugang wird extrem gut vom Publikum angenommen, wie sich bereits kurz nach seiner charmanten Ankündigung beweist. Der krachend walzende Up-Tempo mit der typischen „Eisbrecher“-DNA hat wahrlich alles, was es für einen ausgelassenen NDH-Abriss braucht und so ist es nicht verwunderlich, dass spätestens ab dem ersten Refrain alles aus voller Kehle mitsingt. Danach wird der RuhrCongress in blaues Licht gehüllt. Mechanisches Ächzen, das wie warnende Sirenen tönt, und eine brausende Geräuschkulisse, die einen unbändigen Sturm zu simulieren scheint, erfüllen bald den gesamten Raum. Klirrend kühler Wind zieht auf und langsam rieseln kleine Schneeflocken von der Hallendecke auf die dichten Reiben unter ihr hinab: Die „Eiszeit“ ist angebrochen! Zu den ersten Klängen des lieb gewonnenen Klassikers kehren die fünf Musiker jetzt mit schweren Winterjacken, Schutzmasken und Fellmützen zurück und legen los. Wesselsky hält die zwei ikonischen Eispickel in den Händen, mit denen er in Strophen und Refrain ausgiebig gestikuliert, während sich die weiße Decke zunehmend sanft über die Fans legt. Immer wieder eindrucksvoll! „Im Guten Im Bösen“ schlägt danach wieder die Brücke zurück zu taufrischem Material. Ein typischer „Eisbrecher“-Song der neueren Generation im mittleren Tempo und damit auch im besten Stil von „1000 Narben“ und Co., der seine Auskopplung als Single verdient hat.

Eigentlich würde an dieser Stelle das in 2016 etablierte Battle zwischen Achim Färber am Schlagzeug und Pix an seinem Synthesizer folgen, kurz „Drums Vs. Machine“ genannt, doch durch den krankheitsbedingten Ausfall des Gründungsmitglieds musste eine Alternative her… Und was für eine! Wer schon längere Jahre mit an Bord ist, der kennt natürlich auch „Jürgen & Ich“. Ein kleines, spaßiges Akustik-Intermezzo mitten im Set, lediglich bestritten von Jürgen Plangger an der Akustikgitarre und Wesselskys Stimme. Um laut eigener Aussage die „Schlager-Herzen höher schlagen zu lassen“, gibt es mit dem lange bewährten Cover von Michael Holms „Tränen Lügen Nicht“ zunächst eine kurze Zeitreise in die Siebzigerjahre, bei der sich die Fans erstaunlich textsicher zeigen, woraufhin man sich mit der gekürzten Unplugged-Version zu „Schwarze Witwe“ dann wieder ins ureigene Territorium des Debüts begibt… Doch damit nicht genug! Direkt im nahtlosen Anschluss gibt es noch eine richtig große Überraschung, denn exakt jener Song, mit dem die Band Anfang der Zweitausender in der schwarzen Szene erstmals von sich reden machte, wird nun mithilfe der übrigen Mitglieder an Schlagzeug, Bass und Gitarre ganz von vorne begonnen und schließlich in seiner Ursprungsversion gespielt. Quasi fast eine echte Tour-Premiere, denn der entsprechende Titel fehlte bislang und wurde erst am Vortag in Wiesbaden wieder ins Set aufgenommen! „Das Jahr 2003… Da hat sich die Witwe als eine unserer ersten Singles heimlich durch die Szene gekrabbelt und ihr und natürlich auch euch haben wir es mitunter zu verdanken, dass wir heute hier sind. Schön, dass ihr dabei wart!“, bedankt sich der Sänger, bevor es dann mit Volldampf auf brachiale „Sturmfahrt“ geht. Mit der sympathischen Anekdote, dass man Europa nicht nur oben bereits erwähntes „Nein Danke“ beigebracht, sondern im Gegenzug auch ein sehr wichtiges Wort gelernt habe, das universal anwendbar und verständlich ist, gibt es die herrlich exzentrische Vorab-Single des neuen Albums auf die Ohren: „FAKK“! „Hands up!“, lautet das Kommando von der Bühne aus und so groovt das Bochumer Hände-Meer hier zum kernigen Rhythmus in bester Hip-Hop-Manier, bevor die langen Mähnen mit Einsatz der grollenden Riff-Fraktion wieder beherzt kreisen dürfen. Das macht mächtig Spaß und funktioniert wahnsinnig gut. Definitiv ein heißer Anwärter mit Klassiker-Potential für die Setlisten der Zukunft. Leider soll es schon die letzte Nummer von „Liebe Macht Monster“ sein, denn weder wird aus unerfindlichen Gründen der anzügliche Titeltrack gespielt, noch die herzzerreißende Ballade „Himmel“ oder Kracher wie „Kontrollverlust“ oder „Leiserdrehen“, die live mit Sicherheit hervorragend gezündet hätten - Sehr schade! Doch das eisbrecher‘sche Portfolio ist groß und die Zeit leider begrenzt. „1000 Narben“ und „Himmel, Arsch Und Zwirn“, die sich seit Veröffentlichung ihren festen Stand bei den Fans verdient haben, dürfen da natürlich nicht fehlen. Als bayerische Kulturbotschafter möchten die Musiker dem Ruhrgebiet selbstverständlich auch einige landestypische Traditionen näherbringen, natürlich nicht ohne das gewohnte Augenzwinkern. Und so wird Wesselsky nun von einem herannahenden Crew-Mitglied kurzerhand eine zünftige Kluft aus Janker und zugehörigem Hut gereicht, die er sich sogleich überstreift. Auf das bekannte Mundharmonika-Solo muss Bochum zwar verzichten, dafür wird ordentlich gejodelt. Alle langjährigen Fans wissen natürlich schon ganz genau, welcher Song jetzt folgen muss: Das sarkastische „This Is Deutsch“ spielt lyrisch mit den typisch deutschen Klischees im donnernd treibenden Marschrhythmus, im Refrain schießen dann regelmäßig fünf meterhohe Nebelfontänen aus den vor der Bühne dafür installierten CO2-Kanonen empor, die zum Ende des Songs den ganzen Saal kräftig zu nebeln, bis man die eigene Hand vor Augen kaum noch erkennen kann. Damit endet das Haupt-Set nach rund neunzig Minuten. „Bochum, das war längst überfällig!“, freuen sich Alexander Wesselsky und seine Besatzung strahlend über den lautstarken Beifall und verabschieden sich kurz, ehe sie die Bretter für wenige Minuten verlassen.

Das Ruhrgebiet will mehr und fordert dies auch hörbar ein. Allzu lange müssen sich die Fans aber glücklicherweise nicht gedulden, denn schon bald rumort es wieder basslastig aus den Boxen. Das Licht geht für einen Sekundenbruchteil aus, um nur kurz darauf in roten Farben zu erstrahlen. Ein bekanntes Riff erklingt. Die Menge tobt. Zum absoluten Fan-Favoriten „Verrückt“ kehren die Musiker kurzerhand zurück, Wesselsky sogar mit irrwitziger Safari-Kopfbedeckung, die an das diesjährige Logo des eigenen „Volle Kraft Voraus“-Festivals in Neu-Ulm erinnert. „So, meine Damen und Herren… Jetzt kommen die richtig rockigen Dinger!“, grinst der Sänger und so erübrigt sich schnell die Frage „Was Ist Hier Los?“. Party pur! Bochum kennt ohnehin kein Halten mehr und dreht jetzt nochmal vollends auf. „Ausziehen!“, tönt es vorwitzig aus dem aufgeheizten Publikum. „Wirklich? Ich traue mich nicht!“, schmunzelt Wesselsky. „Na gut, machen wir’s uns nicht so schwer…“, scherzt er und öffnet als Kompromiss unter lautem Johlen einen weiteren Knopf an seinem Hemd, bevor er die Anwesenden über das Fehlen seines langjährigen Partners in Crime aufklärt: „Hier auf der Bühne steht normalerweise seit zwanzig Jahren der Pix. Der ist leider krank, der hat’s im Kreuz… Scheiße! Gute Besserung an dieser Stelle, oder?“, führt er aus und erhält prompt massig Genesungswünsche in Form von ganz viel herzlichem Applaus. „Dieser Mann hat uns gerettet. Gute Leute braucht man… Dodo-Zilla!“, stellt er Lukaszewicz vor, der an der Gitarre einen wirklich ganz hervorragenden Job macht und sich mittlerweile nicht nur hinter uns neben, sondern auch auf der Bühne sichtlich gut eingelebt hat. Großen Respekt dafür! „Ist heute Abend auch Weibsvolk anwesend!?“, vergewissert sich Wesselsky. „Okay, dann hört ihr jetzt ein Lied aus der Zeit, als Frauen noch Frauen, Männer noch Männer und Fahrräder noch Fahrräder waren!“, witzelt er schelmisch und was könnte da wohl besser als das legendäre „Miststück“ passen? Richtig: Nichts! Und so rockt sich der Ruhrpott mit dem unsterblichen Klassiker aus „Megaherz“-Zeiten allmählich in Richtung Finale. Selbstredend nicht ohne dabei erst noch die ein oder andere Stimme aus den ersten Reihen auf den Prüfstand zu stellen. Traditionen wollen immerhin gepflegt werden. Als Set-Closer hat man sich für einen letzten neuen Song entschieden: Das epochale Cover zum Über-Hit „Out Of The Dark“ der österreichischen Koryphäe Johann „Falco“ Hölzel zaubert im Handumdrehen wohlige Schauer auf die Rücken der Fans und steht gleichwohl für den so langersehnten Kultur-Neustart, auf welchen wir alle so unfassbar lange warten mussten: Aus den dunkelsten Schatten zurück ins Licht… Und hoffentlich nie wieder zurück. „Ein Leben ohne das alles!? Das lassen wir uns nicht mehr nehmen! Wir sagen Danke, Bochum. Vielen Dank!“, verabschiedet sich Alexander Wesselsky nach rund zwei Stunden purer Energie vor einem begeisterten, fast restlos ausverkauften RuhrCongress und stellt anschließend seine Band-Kollegen vor, die sich nun nochmals alle ihren wohlverdienten Jubel abholen, dann einzeln nach vorne treten und je einen süßen Plüsch-Eisbären in die Menge werfen, bis das Licht im Saal langsam wieder angeht… Es ist so, wie es vorher immer war. Und so ist es gut. Das nächste Wiedersehen lässt hoffentlich nicht wieder so dermaßen lange auf sich warten, da sind sich beim Verlassen der Halle alle einig. In diesem Sinne: „Auf Kalt!“.

Setlist:


01. Maschine (Intro)

02. Volle Kraft Voraus

03. Frommer Mann

04. Fehler Machen Leute

05. Heilig

06. Augen Unter Null

07. Amok

08. Anna (Lassmichreinlassmichraus)

09. Nein Danke

10. Eiszeit

11. Im Guten Im Bösen

12. Tränen Lügen Nicht (Michael Holms Cover) 13. Schwarze Witwe

14. Sturmfahrt

15. FAKK

16. 1000 Narben

17. Himmel, Arsch Und Zwirn

18. This Is Deutsch

19. Verrückt

20. Was Ist Hier Los?

21. Miststück 22. Out Of The Dark

Impressionen:


Elisa Cutullé - ViViSaar


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