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BEITRÄGE:

  • AutorenbildChristoph Lorenz

Faderhead - „Asteria"-Tour - Circus Probst, Gelsenkirchen - 16.07.2021


Veranstaltungsort:

Stadt: Gelsenkirchen, Deutschland


Location: Circus Probst


Kapazität: ca. 300


Stehplätze: Nein


Sitzplätze: Ja


Homepage: https://www.circus-probst.de


Einleitung:


Es ist kaum zu glauben, aber nach einer sehr langen, ja, gefühlt ewig währenden Durststrecke gibt es sie jetzt endlich doch wieder: Konzerte! Wenn auch deutlich unregelmäßiger, weniger und vor allem anders, als zuvor. Wobei dieses „zuvor“ in Wirklichkeit aber eigentlich noch gar nicht so lange her ist, wie es vielleicht zunächst den Anschein hat, denn noch im Februar letzten Jahres war Live-Musik vor Publikum in großen Arenen oder kleinen Clubs definitiv nichts Außergewöhnliches oder gar Unvorstellbares. Nahezu an jedem einzelnen Tag gab es in so ziemlich jeder größeren und kleineren Stadt irgendein Kulturangebot oder gleich mehrere davon, sodass die Auswahl ob der etwaigen Überschneidungen manches Mal durchaus schwer fiel. Hätte mir zu diesem Zeitpunkt jemand erzählt, dass es schon bald eine weltweite Pandemie geben würde, man zukünftig Sicherheitsabstand voneinander halten und Schutzmasken tragen müssen, so hätte ich diesen jemand sehr wahrscheinlich für völlig verrückt erklärt und für seine apokalyptische Science-Fiction-Vision ausgelacht... Dass aber letzten Endes doch alles ganz anders kam und die eben erwähnte Pandemie leider doch keine versponnene Fiktion ist, ist ja mittlerweile hinlänglich bekannt und wurde im letzten Jahr schon zu Genüge diskutiert, weswegen ich hier jetzt kurz einhake. Nein, um weitere Negativmeldungen und das omnipräsente Corona-Virus soll es in diesem Beitrag und auch allen in Zukunft Folgenden nun wirklich nicht gehen, sondern dafür viel mehr um das, was uns so viel bedeutet und wofür ihr ja eigentlich hier seid: Musik... Und ja, auch wieder um Konzerte! Bereit? Na, dann mal los!


Inmitten des letztjährigen, ungewöhnlichen Sommers, nämlich etwa Anfang des Monats Juli, lud eine mysteriöse und zunächst nur mit spärlichen Informationen ausgestattete Facebook-Seite die interessierten Nutzer der Social-Media-Plattform zum „Gefällt mir“ drücken ein: „Konzertsommer im Revier“. Wie sich schon sehr bald darauf herausstellen sollte, verbarg sich hinter diesem eher schlichten, doch umso aussagekräftigeren Aufhänger das gemeinsam ins Leben gerufene Projekt des Hamburger Bookers Pluswelt Promotion und der nordrhein-westfälischen Club-Institution Kulttempel Oberhausen. Zwei ungemein starke Instanzen, welche es sich hiermit zur Aufgabe gemacht haben, die derzeit nahezu komplett stillgelegte Kultur der Live-Konzerte und das Zusammentreffen der Fans unter den aktuell geltenden Auflagen bestmöglich wiederaufleben zu lassen. Stattfinden sollen all diese Veranstaltungen in der eigenen Lokalität des dritten Partners, im großen Zelt des bekannten Circus Probst, der seine vorzeitig erzwungene Winterresidenz momentan in einem Stadtteil von Gelsenkirchen aufgeschlagen hat. Dieses bietet viel Platz für insgesamt über dreihundert Gäste. Die Tickets für Gruppen von zwei bis maximal sechs Personen können vorab unter Angabe der jeweiligen Kontaktdaten online gebucht werden, eine örtliche Abendkasse wird es aufgrund der strengen Maßnahmen jedoch nicht geben. Der Einlass, bei dem die von den Besuchern via E-Mail angegebenen Personalien auf den Tickets mit den Ausweisen abgeglichen werden, erfolgt weitestgehend kontaktlos. Auf dem gesamten Gelände ist ein Mund-Nasen-Schutz verpflichtend zu tragen, ausgenommen davon sind nur die Sitzbänke im Freiluftbereich nahe des Gastronomie-Vorzelts und der eigene Platz im Inneren. Im Hauptzelt selbst gibt es ausschließlich Sitzplätze, welche sich auf die rundherum umliegenden Tribünen und kleine Stuhlgruppen direkt vor der Bühne verteilen. Zwischen den Gruppen, die zusammen gebucht worden sind, besteht jeweils der vorgeschriebene Mindestabstand von anderthalb Metern zur nächsten Sitzgruppe. Die Bands, die bei dieser neuen Event-Reihe zumeist im stilistisch passenden Doppelpack zusammengelegt werden, treten natürlich im Zentrum des Zelts, also in der Manege, auf. Ganz so, wie in einem echten Zirkus eben. Das Line-Up der beworbenen Sommer-Verlängerung kann sich wahrlich sehen lassen: Natürlich waren in der Vergangenheit mit „Sono“ und „Empathy Test“, „Zoodrake“ und „Solitary Experiments“, „T.O.Y.“ und „De/Vision“, „In Strict Confidence“ und „Suicide Commando“, „Beborn Beton“ und „Covenant“, „Rotersand“ und „Noyce™“, „Frozen Plasma“ und „Future Lied To Us“ oder „[:SITD:]“ und „ES23“ vornehmlich zahlreiche, namhafte Vertreter elektronischer Musik von Synthie- und Future-Pop, über Dark Wave und Industrial, bis hin zu Aggrotech und EBM vertreten, aber auch ganz viel dunkle Melancholie mit den Szene-Veteranen „Diary Of Dreams“, Billy „The Dark Tenor“ Andrews oder Joachim Witt mit klassisch-akustischem Kammer-Ensemble oder gar harte Gitarrenmusik von „Wisborg“ und den Dark Rockern „Unzucht“ oder hämmernde NDH mit „Schlagwetter“ und „Heldmaschine“. Bei dieser schwarz-bunten Mischung dürfte wohl für jeden etwas dabei gewesen sein! Bei der Edition in 2021 sind wieder viele der Bands aus dem Vorjahr wieder mit an Bord, wie zum Beispiel Ex-„Wolfsheim“ Peter Heppner oder der absolute Garant für ausverkaufte Häuser „VNV Nation“, während es etwa mit den viel nachgefragten Synthie-Poppern „Rroyce“, dem NDH-Nachwuchs „Schattenmann“, den Gothic-Rockern „She Past Away“, den Horror-Punkern „The Other“, dem furiosen Szene-Duo „L’Âme Immortelle“ oder den Industrial-Berserkern „Combichrist“ auch so einige namhafte Neuzugänge in der Manege gibt.


So sehr ich die normalen Club-Shows auch vermisse, aber solche kreativ gelösten Alternativen sind dieser Tage gerade für den passionierten Konzertbesucher schon wirklich ein riesiger Luxus und erst recht kein Vergleich zu den doch eher trostlosen Autokino-Konzerten mit blinkender Lichthupe anstelle von echtem Applaus! Das gesamte Konzept kann also vollkommen zurecht als eine Art wunderbar entspannter, enorm bereichernder und perfekt organisierter Kultur-Kurzurlaub angesehen werden... Ein kleines Stück von Freiheit und Normalität in diesen schwierigen Zeiten, herzlichen Dank dafür an alle Beteiligten! Zugunsten der örtlichen Veranstalter, Crews und Bands haben wir unsere Tickets, wie bereits im vergangenen Jahr, für alle (stattfindenden) Konzerte in 2021 selbstverständlich ganz normal gekauft und demnach schon auf die bloße Anfrage einer Akkreditierung verzichtet. Das ist vermutlich auch so ziemlich das Mindeste, was man als Musikliebhaber derzeit tun kann, wenn man sich in Zukunft nicht plötzlich vor den zahlreichen Trümmern jener Branche stehen sehen will. Wer momentan nicht die Möglichkeit dazu hat oder aus Vorsicht präventiv keine größeren Veranstaltungen besuchen möchte, kann dennoch helfen, denn die Fans mancher Künstler haben auf eigene Faust engagierte Spenden-Aktionen ins Leben gerufen und die Acts selber haben in ihren Online-Shops nun oft spezielle Angebote mit besonderen, exklusiven Artikeln. Kauft mehr CDs, anstatt Musik nur im Abonnement zu streamen oder Merchandise, um den Musikern zu helfen und das weitere Fortbestehen der Kulturlandschaft zu sichern - Danke!


Am Freitag, dem 16.07.2021, machen meine Begleitung und ich uns etwa gegen 18.00 Uhr auf den Weg nach Gelsenkirchen. Um genauer zu sein, zum Stadtteil Katernberg, denn in der dortigen Feldmarkstraße hat der Circus Probst wie auch schon im letzten Jahr auf einem kleinen Platz seine Zelte für die nahende Wintersaison aufgeschlagen und darüber hinaus eingewilligt, das hier weiter oben beschriebene Konzert-Konzept gemeinsam mit Pluswelt Promotion und dem Kulttempel Oberhausen in die livehaftige Tat umzusetzen. Die Fahrt verläuft zügig und geht ohne jegliche Probleme voran, sodass wir pünktlich am gewünschten Zielort eintreffen und sogleich auf dem kleinen Schotterplatz parken, auf welchem zu dieser verhältnismäßig frühen Uhrzeit glücklicherweise noch einige Plätze frei sind. Manche Fans sind aber auch schon vor Ort und stehen entweder vor ihren Fahrzeugen mit laut aufgedrehter Musik, auf dem großen Vorplatz des Kassenhäuschens oder direkt am Einlass, der schon in weniger als einer halben Stunde beginnt. Viele verkaufte Tickets und großartige Stimmung ist garantiert, denn für den heutigen Abend hat sich niemand Geringeres als der Hamburger Künstler Sami Mark Yahya, dem Szene-Publikum wohl besser als „Faderhead“ bekannt, mit einer ganz besonderen Show zu seinem fünfzehnjährigen Jubiläum angekündigt! Richtig gelesen: Fast auf den Tag genau hat das immer erfolgreicher werdende Projekt vor exakt fünfzehn Jahren seinen ersten Live-Gig auf dem Dark Dance Treffen in Lahr gegeben und das will natürlich gebührend gefeiert werden. Nachdem die Namen auf den zuhause ausgedruckten e-Tickets mit den Personalausweisen abgeglichen worden sind, geht es, natürlich stets mit genügend Abstand zu den anderen Gästen, auch direkt auf das eigentliche Veranstaltungsgelände. Aufgrund der momentan recht niedrigen Inzidenzwerte besteht hier, anders als noch im Vorjahr, fortan keine Maskenpflicht mehr und auch die sonst so strikte Platzwahl ist heute, bis auf die Logenplätze vorne an der Manege, frei. Sehr schön! Aufgrund der positiven Erfahrungen aus 2020 und um den Gästen mehr Komfort anbieten zu können, wurden auch die Kapazitäten der Sitzplätze im Zirkuszelt erheblich aufgestockt. So winken anstelle von wackeligen Holzbänken jetzt fast doppelt so viele Sitzschalen mit Lehne und auch die interne Gastronomie erfreut sich an vielen tollen Ergänzungen im Speiseplan mit Pommes, Brat- und Currywurst, sowie einer spürbaren Erweiterung des Teams. Hier wurde an den richtigen Stellschrauben gedreht - Toll! Nachdem wir ein paar bekannte Gesichter begrüßt und uns im Vorzelt mit vielen Getränken eingedeckt haben, die wir natürlich auch ins Hauptzelt mitnehmen dürfen, werden wir von einem freundlichen Mitarbeiter erwartet, der unsere nochmals Tickets kontrolliert, ehe wir uns einen Platz aussuchen dürfen. Kurz bevor wir das tun, schauen wir noch schnell am Merchandise-Stand vorbei, der von seinem einst etwas ungünstigen Standort direkt im Durchgang zwischen den beiden Zelten nun im vorderen Bereich des Hauptzelts platziert wurde. Hier gibt es neben den physikalischen Tonträgern natürlich auch die T-Shirts und Girlies der aktuellen „Asteria“-Ära zu erwerben, sowie auch einige schöne Kleinigkeiten, wie Buttons. Danach geht es dann aber wirklich zu unserem Platz, denn der Support wird schon in Kürze die Manege betreten. Es kann also endlich losgehen!

Scheuber:


Dirk Scheuber. Ein Name. Eine Institution. Freunden der elektronischen Szene-Musik dürfte das sympathische Urgestein als Gründungsmitglied und Mann hinter den Tasten bei den legendären „Project Pitchfork“ bekannt sein, bei welchen er zu Beginn diesen Jahres überraschend seinen Ausstieg verkündete. Seit 2016 wandelt der Hamburger allerdings auch auf eigenen Solo-Pfaden, brachte bisher ganze vier Fulltime-Longplayer auf den Markt, das Aktuellste namens „Numb“ erst im Februar 2021. Sieht man von den schier zahllosen Shows mit seiner einstigen Hauptband einmal ab, so konnte Scheuber mit seinem selbstbetitelten Projekt darüber hinaus auch schon so einige Live-Erfahrung sammeln, unter anderem auf dem Amphi Festival in Köln oder als Support auf der „Night Physics“-Tournee von „Faderhead“. Für Band und Fans ist der heutige Gig also längst kein ungewohntes Terrain mehr und so verwundert es auch nicht, dass Dirk Scheuber und seine zwei Mitmusiker, die unauffällig hinter den beiden Keyboards Platz nehmen, sich einem warmen Beifall entgegensehen, als sie das rund halbstündige Set schließlich mit dem melancholisch pumpenden „Mindflux“ vom neuen Album eröffnen. Auch das folgende „Helium“, welches für eingeschworene „Scheuber“-Fans mittlerweile schon fast ein kleiner Klassiker sein dürfte, wie auch das von energetischen Beats angetriebene „Tetatest“ und das sehr melodische „Tempting Fate“ wissen mit ihren belebenden Harmonien und Scheubers warmer Stimmfarbe schnell zu überzeugen. Dirk Scheuber, der auf der Bühne eher zu den angenehm unauffälligen und ruhigeren Naturen zählt, benötigt während der ersten Songs noch etwas Zeit, um sich in die Rolle des charismatischen Sängers zu fügen, wirkt gerade deswegen aber durchweg sympathisch, bescheiden und geerdet. Als sich die ersten Sitzgruppen dann nach und nach erheben, um sich zur Musik zu bewegen und nach jedem Lied kräftig Beifall zu klatschen, taut auch Scheuber selbst merklich auf, lächelt dankbar und wagt schon bald die ein oder andere Runde in der Manege. Der Fokus liegt heute klar und deutlich auf „Numb“, denn auch die zweite Hälfte des kurzen Sets besteht verständlicherweise ausschließlich aus Stücken des aktuellen Outputs. So darf zu poppigen Mid-Tempo-Nummern wie „Crystal Eyes“ nochmal leidenschaftlich getanzt werden, mit „Prediction“ gibt es danach auch etwas härtere Kost und schnellere Rhythmen, bis mit „Feed The Flames“ der Vorhang fällt. Zurück bleibt ein sichtlich erfreutes Trio und eine ziemlich gut aufgewärmte Crowd, die ihre Reserven aber größtenteils für den Top-Act zurückgehalten hat... Und die werden sie auch wahrhaft brauchen!

Faderhead:


Kurz nach 20.30 Uhr ist es endlich soweit und die ohnehin schon dämmrige Beleuchtung im großen Zelt des Zirkus erlischt gänzlich und hüllt die Manege für kurze Zeit in komplette Dunkelheit, bis eisblaues Licht, sanfte Nebelschwaden und ein unterschwellig pochender, langsam lauter werdender Bass den Raum allmählich ausfüllen. Der bereits jetzt voluminös tönende Sound wird immer drückender und fordernder, als sich der tiefrote Samtvorhang des Artisteneingangs unter dem „Circus Probst“-Logo plötzlich hebt und das Gelsenkirchener Duo der „Dancefloor Gladiatorz“, das „Faderhead“ heute erstmalig zusätzlich live unterstützt, unter viel Applaus in das weite Rund des großen Zeltes einmarschiert. Ihnen folgt die zweiköpfige Live-Stammbesetzung aus Joel Meyer und Jörg Lütkemeier, die nun, wie auch Raphael und Yannick, die ihnen zugewiesenen Plätze hinter den Synthesizern und aufgeklappten Laptops am beeindruckenden Set-Up einnehmen. Diese Konstruktion besteht aus vier aneinandergereihten Tables und gebündelten Scheinwerfern in ihrer Mitte, die so zusammengenommen eine große X-Form ergeben und dem vorausgegangenen Gedanken der Band entsprechen, das gesamte Publikum in 360 Grad bespielen zu können - Eine tolle Idee! Als dann der harsche Beat des Openers „Move Harder“ der neuen „2077 Cyberpunk“-EP aus den Boxen knallt, zeigt sich auch Sänger Sami Mark Yahya und wird von tosenden Jubelstürmen begrüßt. Schon jetzt gibt es absolut kein Halten mehr, alle Fans springen blitzartig und ohne jede Aufforderung von ihren Plätzen auf. Sitzen ist keine Option. Alles bewegt sich, tanzt und singt mit. Ob es den dröhnenden Bässen oder der ekstatischen Menge geschuldet ist, dass die Bänke und Zeltstreben hier nur so wackeln, scheint nicht klar. Die „Generation Black“ hat ordentlich Lust und feiert das Geburtstagskind auch zum stampfenden Takt eines „The Other Side Of Doom“ ausgiebig. Gelsenkirchen ist auf Betriebstemperatur, gar keine Frage! „Herzlich Willkommen zur Fünfzehn-Jahre-Jubiläumsfeier! Es ist sehr, sehr schön, euch heute hier zu sehen... So viele bekannte Gesichter.“, freut sich Yahya ehrlich mit einem breiten Lächeln im Gesicht und knüpft dann an. „Ja, gestern vor genau fünfzehn Jahren hatten wir unseren ersten Gig, die Wenigsten von euch werden damals wohl dabei gewesen sein. Das ist auch überhaupt nicht schlimm, es war nämlich sehr, sehr schlecht...“, lacht er selbstironisch und beschwichtigt dann einige Zurufer feixend: „Aber ihr wart gut! Naja, deswegen werden wir heute von jedem Album ein paar Songs spielen und versuchen, so eine kleine Mischung zu kriegen. Viel Spaß dabei!“. Gesagt, getan. Mit dem schwelgerischen „Escape Gravity“ vom 2016 erschienenen „FH-X“ und somit etwas gediegeneren Klängen geht es weiter, bevor sich zum elektrisierenden „Know Your Darkness“ wieder mehr bewegt werden darf... Und wie!

Das enorm eindringliche „Them Skinny Witches“ vom erfolgreichen Vorgänger-Release „Night Physics“ markiert danach die erste, vollwertige Ballade des Abends, welche einzig von Lütkemeier an den Tasten und dem einfühlsamen Yahyas Gesang bestritten wird. Die reduzierte Lightshow tut mit ihren langsam kreisenden Lichtkegeln ihr Übriges. Mit dem ehrlichen Bekenntnis, im vergangenen Corona-Jahr auch aufgrund mangelnder Auftrittsmöglichkeiten viele Songs geschrieben zu haben, gibt es jetzt eine exklusive Live-Premiere: Im Original kommt die digitale Standalone-Single „I Did Not Know“ mit einem sehr gelungenen Feature von Sven Friedrich daher, welches so heute natürlich nicht umgesetzt werden kann, ist der „Solar Fake“-Kopf doch leider nicht persönlich anwesend. Kein Problem, denn das eigentliche Duett wird auch von Yahya allein nahezu perfekt rübergebracht und lässt keinen Zweifel daran, dass ein Gastsänger an diesem Abend absolut nicht notwendig ist, wenngleich es bestimmt eine sehr schöne Überraschung für viele der Anwesenden gewesen wäre. „So, dann werden wir jetzt mal ein kleines bisschen schneller...“, raunt der bestens aufgelegte Sänger mit dem ikonischen Irokesen augenzwinkernd und animiert alsbald zum kollektiven Ausrasten beim rasend schnellen „From His Broken Bones“ und der scheppernden Industrial-Peitsche „When The Freaks Come Out“. In solchen Momenten zeigt sich einmal mehr die schier unglaublich starke Wechselwirkung der Energien zwischen Band und Fans, die beinahe echte Workout-Qualitäten aufweist. Da rennen die Fünf gerne mal abwechselnd in der Manege umher oder springen wie wild zum donnernden Takt, was sich natürlich wiederum rasend schnell auf die Fans überträgt. Dass die Musik hier nahezu jeder komplett fühlen kann, ist nicht zu übersehen und treibt die Temperaturen im Zelt hoch und höher. Eine weitere Perle gibt es danach mit dem zarten „Vanish“ vom Debüt „FH1“ aus dem Jahr 2006, die beweist, dass „Faderhead“ der insbesondere in seinen Anfangstagen oftmals nur auf seine partytauglichen Nummern reduziert wurde, schon immer auch die ruhigeren und einfühlsamen Töne mit Bravour beherrschte. Dass die gegenseitige Wertschätzung und die Interaktion mit seinen Hörern dem sympathischen Hamburger besonders wichtig ist, zeigt sich jedoch nicht nur in seinen sehr menschlichen und reflektierten Ansagen oder den vielen Animationen während der Songs: So erzählt der Sänger im Folgenden beispielsweise eine kleine Geschichte von einem treuen, langjährigen Fan, der sich direkt nach seiner wichtigen Studienprüfung in den Zug zu einer weiter entfernten „Faderhead“-Show setzte. Zur Gratulation hatte Yahya der jungen Dame damals extra eine Flasche Champagner besorgt, die durch einen kleinen Fauxpas des Backliners beim Bühnenaufbau aber so dermaßen stark in der bestehenden Konstruktion verankert war, dass man sie schlicht nicht mehr zum Verschenken herauslösen konnte... Nach all den Corona-Strapazen bietet sich heute erstmals die Möglichkeit, die (gegenseitige) Beglückwünschung nachzuholen, denn natürlich ist entsprechende Person auch zum Jubiläum gekommen. „Vielen Dank dafür, dass du heute da bist und ihr alle da seid!“, freut er sich. Eine sehr schöne und aufrichtig herzliche Geste, die jetzt, wie sollte es auch anders sein, mit dem raubeinigen „Champagne And Real Pain“ gebührend begossen wird.

Auch die übrigen Fans im Publikum lassen es sich selbstverständlich nicht nehmen, fünfzehn Jahre großartige Musik von „Faderhead“ kräftig zu begießen und so werden zu echten Beat-Monstern, wie der finsteren „Acid Witch“, dem sich von allen Konventionen befreienden „No Gods, No Flags, No Bullshit“ oder dem aggressiven „Fistful Of Fuck You“, zu dem sich eifrig viele Mittelfinger in die Höhe erstrecken, gemeinsam die Gläser gehoben. Auf das extrem tanzbare „Someone Else‘s Dream“ folgt mit dem balladesken „Better“, im Original ein Duett mit Chris Harms von „Lord Of The Lost“, danach ein weiterer neuer Song, den Yahya gesanglich ganz allein bestreitet. Das exzessive „Swedish Models And Cocaine“ und der brutal scheppernde Industrial-Stampfer „Houston“ jagen das Tempo anschließend zügig in die höheren Regionen, darauf folgt der viel erwartete und unverzichtbare Club-Hit „TZDV“. Und wie sollte es auch anders sein? Alles auf und vor der Manege feiert, tanzt und singt, dass der Boden nur so bebt. Dermaßen viel Energie bei allen Anwesenden freizusetzen, schaffen nur ganz wenige Acts, doch „Faderhead“ können es und stellen diese Kunst in den rund neunzig Minuten nur zu gerne unter Beweis. Abschließend stellt der mittlerweile sichtlich ausgepowerte Frontmann seine Partner in Crime namentlich vor und verabschiedet sich mit einem knappen „Kommt gut nachhause, Danke!“. Dass es das noch nicht ganz gewesen sein kann, ist hier aber allen klar und so werden schnell einige Zurufe laut, um die Band schnellstmöglich zurück in das weite Rund des Zeltes zu bitten... Mit Erfolg! Zum sehr spaßigen, wie erfrischend selbstironischen „Dancers“ zeigen jetzt auch die fünf Musiker lachend ihre vermeintlich besten Tanzkünste und ermutigen auch die Fans zu mehr Bewegung - Immer wieder lustig mit anzusehen und einfach ein absoluter Gute-Laune-Garant, der niemals im Set fehlen sollte. Mit einer weiteren Danksagung und der kurzen Ankündigung, dass jetzt aber wirklich das letzte Lied des Abends folgt, wird zu „Destroy Improve Rebuild“ nochmal wirklich alles gegeben, bevor dieses grandiose Jubiläum nach anderthalb Stunden bester Unterhaltung der elektronischen Musik leider enden muss. Was bleibt, ist neben einem völlig aufgeheizten Zirkuszelt und nass geschwitzten Textilien allerorts, ein wirklich rundes Set, das vermutlich keinerlei Wünsche offengelassen haben dürfte und die Gewissheit, dass uns dieser Ausnahmekünstler mit Sicherheit noch lange erhalten bleiben wird. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, „Faderhead“ und auf die nächsten fünfzehn Jahre!

Setlist:


01. Intro

02. Move Harder

03. Generation Black

04. The Other Side Of Doom

05. Escape Gravity

06. Know Your Darkness

07. Them Skinny Witches

08. I Did Not Know

09. From His Broken Bones

10. When The Freaks Come Out

11. Vanish

12. Champagne And Real Pain

13. The Acid Witch

14. No Gods, No Flags, No Bullshit

15. Fistful Of Fuck You

16. Someone Else‘s Dream

17. Better

18. Swedish Models And Cocaine

19. Houston

20. TZDV

21. Dancers

22. Destroy Improve Rebuild


Impressionen:


Carsten Zerbe - Pixel.Ruhr / Schwarzpixel







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