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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

In Extremo - „Carpe Noctem“-Tour - Burg Satzvey, Mechernich - 29.07.2023


Veranstaltungsort:

Stadt: Mechernich, Deutschland


Location: Burg Satzvey


Kapazität: ca. 6.000


Stehplätze: Ja


Sitzplätze: Nein


Homepage: https://www.burgsatzvey.de/ Einleitung:


Es regnet. Viel. Sehr viel. Sogar verdammt viel. Ja, an diesem grauen Samstag, den 29.07.2023, könnte es wohl blumigere Aussichten für ein großes Konzert vor mehreren tausend Menschen unter freiem Himmel geben, aber der diesjährige Sommer zeigt sich bislang äußerst wankelmütig… Schon seit einigen Stunden wollen sich die dicken, dunklen Wolken über dem Ruhrgebiet einfach nicht mehr verziehen und so gießt es literweise in dichten Strömen. Schade, zumal die Burgen-Show von „In Extremo“ auf Satzvey bereits im vergangenen Jahr teilweise ins Wasser gefallen ist. Zum Glück aber nur sprichwörtlich, denn gespielt wurde der traditionelle Gig natürlich trotzdem! Zurecht noch ein wenig unsicher, welche Kleidung angesichts der unregelmäßig-unfreiwilligen Duschen von oben denn nun richtig ist, steigen wir mit Fan-Klamottage ins Auto und lassen die Jacken vorsichtshalber erst einmal auf der Rückbank. Die rund anderthalbstündige Anfahrt führt uns am heutigen Tag in die Eifel. Um genau zu sein, in die kleine Stadt Mechernich im Kreis Euskirchen, nahe Brühl. Erstmals urkundlich erwähnt wurde die ehemalige Bergbaustadt, die heute knapp unter dreißigtausend Einwohner zählt, im Jahr 1308 unter dem Namen „Megchernich“ im Werte-Buch der Kirchen der Diözese Köln sowie später auch der Bergbau auf dem Bleiberg. Dieser soll bis in die römische und sogar keltische Zeit zurückreichen, ausreichende Belege dafür fehlen jedoch bislang. Auch gibt es hier allerlei spannende Sehenswürdigkeiten, welche den idyllisch gelegenen Ort besonders für Tagesausflüge interessant machen und teilweise auf die lange Historie der Stadt verweisen. So finden sich hier neben einer Kapelle, dem Hochwildpark Rheinland und der Erlebniswelt Eifeltor etwa auch die Kakushöhlen, einer der längsten Aquädukte des römischen Reiches im südlichen Ortsteil oder eine der besterhaltenen Wasserburgen der Eifel. Nämlich die legendäre Burg Satzvey, die an diesem Samstag Nachmittag unser angepeiltes Ziel und damit Grund unserer kleinen Reise ist!

Je näher wir der Eifel kommen, desto versöhnlicher zeigt sich auch der Himmel über uns, der mit zunehmender Fahrtzeit nun immer weiter ins Bläuliche aufklart - Glück gehabt! Als wir das Ortsschild endlich passieren, verweist direkt ein großes Banner rechter Hand auf die nahegelegenen Parkplätze für alle Gäste der Burg. Diese befinden sich auf einer angrenzenden Wiese, auf der zahlreiche Autos stehen. Anscheinend hat es in Mechernich vor gar nicht allzu langer Zeit ebenfalls geregnet, denn die Erde ist noch erheblich nass. Wir hoffen inständig, vor weiteren Schauern verschont zu bleiben, um uns später nicht auf dem Feld festzufahren. Immerhin lacht derweil die Sonne, als wir aus dem Auto aussteigen und uns in Richtung Ortskern aufmachen. Lauschig ist es hier in Mechernich und auch ein bisschen wie ausgestorben. Gemeinsam mit einer guten Handvoll anderer Fans laufen wir jetzt die lange Straße an einigen alten Fachwerkhäusern entlang vorbei. Unseren Weg kreuzen dabei weder Autos, noch Bewohner. Überall ist es still. Suchend blicken wir uns um. Ausgeschildert ist hier leider nichts. An einer Weggabelung sitzt eine Person in farbiger Warnweste am Rand eines kleinen Brunnens und schaut gelangweilt auf ihr Handy. Irgendwo aus der Ferne schallt laute Musik zu uns herüber… Da müssen wir anscheinend hin! Instinktiv trabt die kleine Gruppe nun weiter die Straße hoch, immer dem vibrierenden Bass nach. Auf einem Plakat wird für die örtlichen Ritterfestspiele geworben. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Nur wenige Minuten später erhebt sich vor unseren Augen dann die malerische Kulisse der von einem großen Wassergraben umgebenen Burg Satzvey. Auf einem kleinen Kiesplatz steht eine kleine Hütte, vermutlich für die Abendkasse. Hier werden auch unsere Taschen und Eintrittskarten kontrolliert, bevor wir gegen 19.00 Uhr über einen langen, gepflasterten Weg durch das Burgtor hindurch dürfen. Der offizielle Einlass war bereits für 15.30 Uhr anberaumt, die zwei Support-Acts für 17.00 Uhr und 18.15 Uhr. Leider haben wir somit gleich beide Bands verpasst. Da ich jedoch sowohl die Newcomer von „Rauhbein“ als auch die Irish-Folk-Punker „The O‘Reillys And The Paddyhats“ für sehr hörenswert erachte und natürlich auch gerne die tollen Impressionen meines Kooperationspartners Ingo Buerfeind in den Bericht einbinden möchte, gibt es im direkten Anschluss an diese Einleitung für alle Interessierten auch zwei kleine Band-Vorstellungen.

Im Innenhof angelangt, kommen wir zuerst an einem Getränkewagen vorbei, dem unter leisem Protest der zahlungswilligen Kundschaft schon das Bier ausgegangen ist. Ferner wird hier in einem der Gebäude sogar hauseigenes Brot gebacken! Wir gehen durch ein schweres Tor aus massivem Holz und staunen dann nicht schlecht, denn dahinter erwartet die Gäste doch tatsächlich ein schöner Mittelaltermarkt, welcher mit seiner reichhaltigen Auswahl an Verkaufsständen sogleich zum längeren Verweilen einlädt! Für das leibliche Wohl der Besucher ist definitiv mehr als nur gesorgt: Neben Wasser, Kaffee und Limonade wird hier auch gezapftes Bier und Met ausgeschenkt, zudem gibt es frische Waffeln, Süßigkeiten, Bratwurst und Spieße vom Grill oder leckeren Flammlachs. An anderen Ständen wiederum wird das Handwerk feilgeboten, es gibt Skulpturen, Lederwaren, Gewandungen und Schmuck zu erstehen - Wow! Besonders schön: Auch nach der eigentlichen Show dürfen sich die Konzertbesucher hier noch völlig ohne Zeitdruck bis in die Nacht aufhalten und nach Herzenslust schlemmen, zudem wird der Markt dann mit Lichterketten und Feuerschalen hübsch illuminiert. Eine ganz tolle Idee des Veranstalters und ein großes Lob an das gesamte Team von Burg Satzvey für diese gelungene Organisation und den überall sehr freundlichen Service! Das Konzert findet allerdings weder im Burghof noch auf dem Mittelaltermarkt statt, sondern auf einer großen Festwiese gleich dahinter, wie wir bemerken, als wir der Masse folgen. Mitten im Grünen wurde die überraschend große Bühne vor der malerischen Kulisse der Burg aufgebaut, vor welcher sich jetzt schätzungsweise ein paar tausend Fans gespannt tummeln. Hier gibt es nicht nur für alle ausreichend viel Platz, um die Live-Musik über den Tag hinweg zu genießen, sondern weiter hinten auch ein kleines Zelt mit dem Merchandise der entsprechenden Künstler und einen weiteren Getränkewagen für kühlen Nachschub. Anscheinend ist dieser nur leider bei weitem zu wenig, denn das arme Personal rotiert ohne Pause mächtig, um dem riesigen Ansturm irgendwie gerecht werden zu können. Trotz unserer arg verspäteten Ankunft bekommen wir noch einen unerwartet guten Platz recht weit vorne mit guter Sicht auf das baldige Geschehen und auch die wärmende Sonne scheint weiterhin fröhlich vom Himmel… Na dann, los geht’s!

Rauhbein:


Das frische Projekt um Sänger Henry M. Rauhbein, der hierfür nicht nur alleiniger Namensgeber, sondern gleichzeitig auch markantes Aushängeschild ist, wurde erst anno 2019 in Velmeden gegründet und vermengt seitdem deutschsprachigen Rock mit traditionellen Folk-Elementen zu kraftvoll-kernigen Hymnen über das Leben, Freundschaft, Zusammenhalt, Liebe, Mut und natürlich mächtig viel Feierei. Live wird der hünenhafte Hesse dabei zusätzlich von Schlagzeuger Dennis Poschwatta, Bassist Olli Schmidt, Geiger Justin Ciuché und Gitarrist Godi Hildmann unterstützt. Bisher sind mit dem Debüt „Steh Wieder Auf“, welches am 10.06.2022 erschien und sich direkt in den Top-20 behaupten konnte, und dem diesjährig veröffentlichten „Herz Eines Kriegers“ zwei Fulltime-Scheiben erschienen. Dabei ist Rauhbein selbst ein echter Vollblustmusiker und sammelte schon zuvor mit der Interpretation von Heimatliedern und sogar als King-Imitator von Elivis Presley so einiges an Live-Erfahrung auf den Bühnen, bis er seine bisherige Karriere dann durch einen Arbeitsunfall vorerst an den Nagel hängen musste.

Fortan ging er nur mit dem Motorrad auf Reisen durch Irland und musizierte vornehmlich in Pubs, um über die Runden zu kommen. Ein echtes Spielmannsleben, oder? Nach seiner Rückkehr nach Deutschland arbeitete der Sänger schließlich wieder an eigener Musik und rief letztlich „Rauhbein“ ins Leben. Die produzierten Demos wussten zu gefallen und brachten dem jungen Projekt einen Plattenvertrag ein, die Songs für den Erstling entstanden während der weltweiten Pandemie. Bisher waren „Rauhbein“ schon als Support von „dArtagnan“ oder auf dem Wacken Open Air Festival zu erleben. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wohin die Reise in Zukunft geht...

The O‘Reillys And The Paddyhats:


Irish Folk… Aus Gevelsberg!? Das Zweigespann „The O‘Reillys“, bestehend aus Tim „Dwight“ Herbrig und Franz „Sean O‘Reilly“ Wüstenberg, verdingte sich einst in den späten 2000ern noch hauptsächlich mit kleineren Gigs quer in Nordrhein-Westfalen, bis durch ein zufälliges Zusammentreffen mit Geigerin Emily O‘Farrell und dem Bassisten Paddy in einem lokalen Pub dann schließlich die ersten Pläne geschmiedet wurden, ein gemeinsames Projekt ins Leben zu rufen, welches die irische Folklore mit Elementen der Rock- und Punk-Musik eint. Mit der Zusage von Philip „Dr. Bones“ Meermann und Gitarrist Zack O‘Hara, zwei Musiker aus befreundeten Bands, war später im Jahr 2011 dann die anfangs noch sechsköpfige Formation „The O‘Reillys And The Paddyhats“ geboren, die man, so einiger späterer Besetzungswechsel zum Trotze, bis heute kennt. Noch im selben Jahr entstand ein eigenes Festival, in Oberhausen wurden derweil erste Demos zusammengestellt. Es folgten zunächst vornehmlich Live-Auftritte. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Spanien, Russland und Budapest oder sogar auf dem größten Metal-Festival überhaupt, dem Wacken Open Air, denn bis zum Erscheinen des Debüts namens „Seven Hearts One Soul“ in 2016 sollte erst noch einige Zeit ins Land ziehen.

Bis heute zählt der Backkatalog des illustren Oktetts ganze fünf Studioalben, zuletzt erschien mit „In Strange Waters“ in 2021 das vorerst letzte Werk. Im Sommer 2022 verließ dann der langjährige Sänger die Gruppe, seinen Platz nahm Patrick „Paddy Maguire“ Hagedorn ein, der zuvor schon manches Mal ausgeholfen hatte. Trotz so mancher Widrigkeit kommen mittlerweile ein ganzes Füllhorn aus diversen Gigs auf namhaften Festivals, wie beispielsweise dem Folk In A Field, AlpenFlair, Baltic Open Air oder Rockharz und Gastspiele bei befreundeten Bands, zu denen unter anderem „Kärbholz“, „Feuerschwanz“ und „Fiddler‘s Green“ zählen, dazu.

In Extremo:


Es ist kurz vor 19.30 Uhr und noch wird die große Open-Air-Bühne nahezu vollständig von einem langen, dunklen Vorhang verhüllt. Auf diesem ist das in retro-futuristischer Steam-Punk-Optik gehaltene Band-Logo der aktuellen „Kompass Zur Sonne“-Ära zu sehen, äußerst stimmungsvoll in eine industrielle Kulisse aus allerhand metallischen Streben, Scharnieren, Zylindern und Zahnrädern eingebettet. Dem ein oder anderen aufmerksamen Fan wird unterdessen mit Sicherheit schon aufgefallen sein, dass es sich hierbei eigentlich um das finale der insgesamt drei verschiedenen Backdrops aus der vergangenen Headliner-Tournee handelt. Plötzlich erfüllen das vorüberziehende Geräusch einer sanft rauschenden Brise und helles Vogelgezwitscher die große Festwiese, bevor schließlich nur wenig später die lieblichen Klänge einer behände gezupften Harfe und eine gesummte Melodie aus den Boxen ertönen, in welche schon bald viele der Fans als gemeinsamer Chor voller Inbrunst einstimmen. Während die knisternde Spannung beständig ansteigt und zum Greifen nahe scheint, entzünden sich mehrere Rauchfackeln am vorderen Bühnenrand, welche nun lange Schlieren von dunkelrotem Qualm freisetzen, der sich zunehmend zu dicken Dampfwolken manifestiert und die Sicht beinahe unmöglich macht.

Die Spannung steigt knisternd an und verdichtet sich. Dann ein kurzer Moment der Stille. Alles ist schlagartig ruhig, wenngleich nur für den Hauch einer Sekunde… Mit dem jähen Einsatz des unvermittelt rasselnden Schlagzeugbeckens fällt der schwere Stoff, saust binnen nur eines kleinen Augenblicks zu Boden und gibt unter frenetischem Jubel den Blick auf die gesamte Szenerie frei: Vor dem imposanten Hintergrund des tiefblauen Backdrops, welches neben der malerischen Silhouette einer nächtlich daliegenden Burg mit zahllosen Zinnen und Türmen auch den Bandnamen in überdimensionierten Lettern zeigt, thront Schlagzeuger Florian „Specki T.D.“ Speckardt im Zentrum auf einer erhöhten Konstruktion. Die Podeste zu den Seiten, auf denen Bassist Kay „Die Lutter“ Lutter und Gitarrist Sebastian „Van Lange“ Lange stehen, wurden mit langen LED-Röhren und kleinen Stahlplatten ausgekleidet, auf denen sich braune Rostflecken abzeichnen. Ein aus den verschiedenen Elementen der vergangenen Tournee geschickt modifiziertes und damit irgendwie doch neue, ausreichend Interessantes Bühnenbild, also! Nur wenige Meter davor haben sich hingegen Marco „Flex der Biegsame“ Zorzytzky und André „Dr. Pymonte“ Strugala mit ihren geschulterten Dudelsäcken positioniert, die nun musizierend nach vorn treten, um sich dann genau in der Bühnenmitte zu treffen und zum Publikum zu richten. Unterdessen von nur wenigen Fans bemerkt, erscheint hinter ihnen Frontmann und Sänger Michael Robert „Das letzte Einhorn“ Rhein auf den Brettern. Ruhig wartet er ab, bis seine zwei Kollegen nun allmählich wieder auseinandertreten, geht einige Schritte nach vorne, hebt lächelnd die Hand zum kurzen Gruß und intoniert dann die letzten Zeilen von „Wintermärchen“: „Lass uns hier gemeinsam wohnen und ein Lied von Zeit zu Zeit. Singen wir von dürrem Aste jenem Glanz der Ewigkeit!“, singt er mit gewohnt markanter Stimme und überlässt danach wieder der ausklingenden Musik des oben erwähnten Stücks alle Aufmerksamkeit, welches in seiner stark gekürzten Version einmal mehr als atmosphärischer Auftakt fungiert. Der endgültige Einstieg erfolgt mit dem ersten Song des noch immer aktuellen Studioalbums: „Troja“.

Es genügt schon der tiefgestimmte Basslauf samt des kurz darauffolgenden Gitarrenriffs allein, damit sich fortan hunderte Hände euphorisch gen Himmel strecken, um rhythmisch im treibenden Takt der rough powernden Nummer zu klatschen. Als der erste Refrain einsetzt, entzündet sich plötzlich ein brandneuer Effekt, der nach einem mächtig lauten Knall seine von langen Rauchschwaden begleiteten Funken-Partikel in diverse Himmelsrichtungen über die Köpfe der begeistert staunenden Fans verschießt. Fast so, wie ein kometenhafter Einschlag. Zusätzlich lodern jetzt immerzu perfekt getimte, heiße Flammenschübe in die Höhe. Ein bisschen schade und dabei nicht weniger verwunderlich ist es trotzdem, dass das ursprüngliche Intro der diesjährigen Burgen-Tour, nämlich „Two Søstra“, und auch der folgende Opener „Erdbeermund“, welcher gleichsam den roten Rauch erklärt, bereits nach nur vier Shows scheinbar abgesetzt worden ist. „Einen wunderschönen guten Abend, Satzvey!“, begrüßt der Sänger das bereits jetzt ohrenbetäubend laut applaudierende Publikum und witzelt dann: „Na, kommt ihr auch alle von hier? Nee? Ist ja auch scheißegal… Wir haben euch ein bisschen Sonne mitgebracht, aber ihr seid sowieso hart im Nehmen, oder? Auf jeden Fall vielen Dank, dass ihr heute gekommen seid. Ein Stück aus dem hohen Norden…“, beginnt Rhein mit der Überleitung zum nächsten Song und stockt dann abrupt. Scheinbar bemerkend, sich voreilig in der Song-Reihenfolge geirrt zu haben, lenkt er schnell ein: „Ähm, ein Stück Mensch!“, lacht er herzlich und stellt anschließend Dr. Pymonte unter lautem Applaus vor. Natürlich folgt nun das obligatorische „Vollmond“ und eben noch nicht „Störtebeker“, wie alle treuen Fans direkt am typischen Harfen-Solo erkennen. Lange soll es nicht dauern, bis alle Gäste auf Burg Satzvey diesen Klassiker lauthals mitsingen. Jede Zeile sitzt...

Auch das schon viele Jahre nicht mehr gespielte „Omnia Sol Temperat“ kündigt sich anfangs mit einem lauten Donnerschlag an und wird insbesondere von den langjährigen Fans frenetisch abgefeiert. Weitere begleitende Feuerstöße, wie es sie sonst immer gegen Ende dieses alten Gassenhauers gab und die überdies nicht nur musikalisch, sondern auch thematisch sehr gut zum entsprechenden Song passen, bleiben jedoch leider aus, wodurch sich die Inszenierung etwas stiefmütterlich anfühlt. Nichtsdestotrotz ist es ungemein schön, diese vermisste Perle endlich einmal wiederhören zu dürfen. „Das macht jetzt schon Spaß bei euch! Leider bleibt es heute an diesem Sommerabend hell und außerdem gibt es einen strengen Curfew, wie man so schön sagt, weil hier ja auch überall Leute wohnen… Trotzdem sind wir froh, dass es geklappt hat und alles wie geplant stattfinden kann!“, bedankt sich der Frontmann und erklärt noch einmal, warum das heutige Konzert deutlich eher als an anderen Spielorten der Tour beginnen musste. Um die Wirkung der extrem ausgeklügelten Licht-Show ist es selbstverständlich etwas schade, im Hellen nicht ihre volle Pracht entfalten zu können, doch aus Anwohnersicht ist die Einhaltung der Ruhezeit hingegen mehr als nur verständlich, liegt Burg Satzvey doch recht nahe zum Stadtkern. Zu „Ai Vis Lo Lop“, welches nie so wirklich von den Setlisten der letzten Jahre verschwunden ist, wird nochmal in Erinnerungen geschwelgt, bevor es mit „Kompass Zur Sonne“ dann zurück in die Gegenwart geht.

Das einzige Überbleibsel aus der „Sterneneisen“-Zeit ist der brachial donnernde Mid-Tempo-Stampfer „Unsichtbar“, der sich entgegen einstiger Live-Kracher wie „Zigeunerskat“, „Viva La Vida“ oder „Siehst Du Das Licht“ langanhaltend durchsetzen konnte und mittlerweile einen festen Platz bei so ziemlich allen Konzerten bis zum heutigen Tag innehat. Das liegt mitunter auch an der spektakulären Pyrotechnik, wenn während des rasenden Gitarren-Solos von Van Lange meterhohe Funkenfontänen kreuz und quer über die Bühne schießen. Mit Sicherheit immer wieder ein großes Highlight jeder Show, welches heute Abend jedoch überraschend fehlt. Erst als Rhein zum finalen Refrain wieder einsteigt, sprühen hier gleich mehrere gebündelte, gleißend funkelnde Schübe in die Luft. Doch kein Grund zur Sorge, denn was die beim Publikum so beliebten Spezialeffekte angeht, halten sich „In Extremo“ auf den diesjährigen Sommer-Gigs keinesfalls zurück - Im absoluten Gegenteil! So halten für die Burgen-Tour 2023 nämlich erstmals nicht nur einige komplett neue Pyro-Wunder ihren Einzug in die Show der sechs Spielmänner, auch wurde der Einsatz manch eines Effekts geschickt umverteilt, sodass vor allem langjährige Fans an altbekannten Stellen vergeblich auf den nächsten Knall warten, dafür bei anderen Songs das Erstaunen aber plötzlich umso größer ist. Zusätzlich kann beispielsweise das Feuer durch den Fakt, das alle Shows der „Carpe Noctem“-Reihe unter freiem Himmel stattfinden, weitaus großflächiger und vor allem höher als sonst in den Hallen eingesetzt werden. Gar keine Frage, in dieser Sache haben sich die sympathischen Vagabunden und ihre Crew selbst übertroffen, denn die aktuellen Konzerte machen vor allem optisch wieder ordentlich etwas her und setzen neue Standards im Genre!

„Gestern war schön, heute wird schöner!“, schmunzelt der Sänger, der sich jetzt kurzerhand seine Cister umbindet, und gibt damit schon mal einen optimistisch gestimmten Ausblick auf den weiteren Verlauf des noch jungen Abends. Als Zorzytzky dann mit seinen Uilleann Pipes nach vorne tritt, ist wohl allen Gästen klar, dass nun nur „Liam“ folgen kann. Burg Satzvey feiert natürlich auch diesen ewigen Favoriten und macht von der ersten Sekunde an kräftig mit. Lautes Singen in den nach dem typischen Call-and-response-Prinzip gehaltenen Strophen und sogar noch mehr Durchhaltevermögen beim rhythmischen Klatschen sind auch danach bei einem der absoluten Urväter in-extremo‘scher Rock-Shows gefragt, denn das legendäre „Villeman Og Magnhild“ ist zurück! Also jener Song, der lange Jahre immer den furiosen Abschluss der Konzerte bildete und seit dem 2016er Release „Quid Pro Quo“ durch das ähnlich geartete und ebenfalls sehr beliebte „Pikse Palve“ abgelöst wurde. Als bedrohlich grollendes Gewitter und peitschend prasselnder Regen atmosphärisch aus den Lautsprecherboxen hallen, bläst Rhein mehrmals tief in ein opulentes Horn, während dichter Nebel die Bühne einhüllt und Speckhardt den treibenden Takt angibt. Auch ganz ohne sich entzündende Drumsticks, Feuerschalen hinter dem Schlagzeug oder emporschießende Flammen im Schlussakt hat dieses Stück fraglos noch immer eine magische Sogwirkung, der man sich einfach nicht entziehen kann. In Zukunft gerne wieder öfter!

„Dankeschön! Ja, auf dieser Burgen-Tour wollten wir ja auch gerne wieder ein paar Sachen zurückholen, die wir schon lange nicht mehr gespielt haben. Dieses Ding hier haben wir auch bestimmt so sieben, acht Jahre nicht mehr gemacht… Aber jetzt ist es wieder da, es ist eben doch noch nicht alles weg im Kopf!“, lacht Rhein. Zum sakral-balladesken „Ave Maria“, welches nun ebenfalls seine Rückkehr feiert, findet sich Burg Satzvey kurzerhand in einem wunderschönen Meer aus wogenden Armen wieder. Einfach nur schön! Auf die Frage hin, wie viele Frauen denn heute Abend eigentlich anwesend seien, wird aus Gründen der Gleichberechtigung spaßend angemerkt, dass der nächste Song nicht alleine ihnen gilt: „Küss Mich“. „Es ist schon wirklich der Wahnsinn, wie viele Eltern heute mit ihren Kindern da sind!“, bemerkt der Frontmann und lobt anschließend einen Vater, der seinem Spross die sogenannten „Micky Mäuse“, also einen Gehörschutz speziell für Kinder, aufgesetzt hat und revidiert dann scherzend: „Nee, ist mir eigentlich völlig egal! Aber ich wollt‘s mal erwähnt haben. Das nächste Lied haben wir übrigens auch für genau diese Generation geschrieben, damit niemand mehr in Schützengräben verrecken muss…“, wird er danach ernster. Auf diese Ansage kann selbstredend nur „Lieb Vaterland, Magst Ruhig Sein“ folgen, dessen tragische Botschaft leider niemals alt wird. Nach „Rasend Herz“ darf sich dann zum „Sängerkrieg“ mit lauten Schlachtrufen im Schein heißer Feuer-Salven der leidige Frust des Alltags von der Seele geschrien werden.

„Das macht ja immer mehr Spaß hier… Danke. Wobei Dr. Pymonte mir gerade eben geflüstert hat, dass er es gar nicht gut findet, dass hier zu wenige „In Extremo“-Shirts zu sehen sind… Ich gebe das nur so weiter. Arrogante Typen, oder? Habt Spaß beim nächsten Stück!“, witzelt Rhein in augenzwinkernder Manier mit seinen Kollegen und hat die Lacher damit auf seiner Seite. Mit der sanften Ballade „Moonshiner“ geht es nun etwas ruhiger zu, auch wenn es sich das Publikum natürlich nicht nehmen lässt, im Refrain wieder aus voller Kehle mitzusingen. „Wir haben ja vor kurzem eine Single veröffentlicht, denn seit einiger Zeit sind wir wieder im Studio und arbeiten an einem neuen Album. Ich glaube, das wird gut! So, wir spielen diesen Song heute zum dritten Mal. Also quasi eine kleine Premiere.“, verkündet das letzte Einhorn freudig strahlend und bittet die Fans zum erneuten Mitmachen. Der sehr charmant nach dem ersten Rock-Album aus dem Jahr 1998 benannte Song „Weckt Die Toten“ lädt mit seiner kernigen Melodieführung, dem enorm eingängigen Chorus und so einigen Selbstreferenzen auch tatsächlich direkt dazu ein, sodass sich niemand mehr zurückhalten kann. Leider verschiebt sich die ursprünglich für den Winter 2023 anberaumte Tour überraschend um ein ganzes Jahr nach hinten und die Veröffentlichung neuer Musik anscheinend ebenso, wie kürzlich über die sozialen Medien der Band bekanntgegeben wurde. Man wolle lieber noch weiter an den entsprechenden Songs feilen, um das beste Ergebnis zu erzielen, heißt es. Schade, aber durchaus verständlich. Nun ja, „Geduld ist eine Tugend“, wie man so schön im Volksmund sagt und immerhin ist Vorfreude ja auch die schönste aller Freuden...

Wer „In Extremo“ in den kalten Tagen trotzdem gerne live erleben möchte, hat übrigens am 01.12.2023 im Fredenbaumpark Dortmund nochmals die Gelegenheit dazu, wenn sie gemeinsam mit ihren Freunden von „Rauhbein“ und „Finntroll“ den phantastischen Lichterweihnachtsmarkt bespielen. Und wer dabei schon mit zittrigem Frösteln ans vergangene Jahr zurückdenkt, darf beruhigt aufatmen, denn diesen Dezember finden alle Shows erstmalig in einem großen, beheizten Zelt statt! Eine lang gehegte und immer wieder hochsympathische Tradition der Spielleute darf auch am heutigen Abend nicht fehlen, wenn die Band ihre Fans um einen „lauten Applaus für unsere gesamte, geile Crew“ bittet. „Ohne diese Jungs sind wir nix, das ist mehr als die halbe Miete!“, unterstreicht der Sänger mit ehrlichen Worten. Eine wirklich schöne Geste der gegenseitigen Wertschätzung und Dankbarkeit, welche Satzvey jetzt nur allzu gerne mit mächtig viel Beifall quittiert. So allmählich geht es dann leider doch auf die Zielgerade zu, wie nicht einzig die Dämmerung und der damit drohende Curfew, sondern auch die Auswahl der Songs verheißt. Hier jagt jetzt ein Hit den nächsten! Das wie eh und je beliebte „Frei Zu Sein“ lässt die ohnehin ausgelassenen Konzertgäste sangesfreudig ordentlich aufdrehen, mit dem schon viel zu lange nicht mehr gespielten Oldschool-Klassiker „Wind“ geht mein ganz persönlicher Song-Wunsch nach fast zehn Jahren endlich in Erfüllung und zur launigen Schunkel-Eskapade „Sternhagelvoll“ bedarf es dann sowieso keiner vielen Worte mehr. Burg Satzvey schwebt auf den besungenen Schaukelschuhen, wogt (bier-)selig von links nach rechts und singt, was das Zeug hält - Es kann ja so schön sein!

Das eingangs versehentlich viel zu früh angekündigte Stück aus dem hohen Norden, nämlich der punkige Up-Tempo-Banger „Störtebeker“, an dessen Ende unter lautem Johlen meterhoher Funkenflug in die Höhe steigt, facht die Feierlaune mühelos weiterhin an, doch der sofortige Dämpfer ist nicht fern. „So, wir spielen jetzt das letzte Lied!“, verkündet Rhein und fängt sich natürlich direkt lautstarken Protest aus dem Publikum ein. „Oh, das erinnert mich jetzt an 1997… „Verehrt und angespien“, so fühle ich mich gerade!“, lacht er feixend in Richtung seiner Mitmusiker. Daraufhin macht die abendliche „Feuertaufe“ ihrem Titel wahrlich alle Ehre und beendet das bis dato sehr gelungene Set „im hellen Schein der Flammen“. Dass die restlos begeisterten Fans auf Burg Satzvey jedoch noch lange nicht genug haben, wird bereits klar, als der erste Musiker den Fuß von der Bühne setzt. Sofort wird aus tausenden Kehlen nach einer Zugabe gefordert und das tatsächlich bemerkenswert ausdauernd zu so später Stunde. Dr. Pymonte ist dann der Erste, der mit einem kühlen Getränk in der Hand auf die Bretter zurückkehrt, dicht gefolgt von den übrigen Spielmännern. „Vielen Dank, wir machen ja sofort weiter!“, lächelt der Sänger beschwichtigend. Pünktlich zur guten Nacht bringt man mit „Rotes Haar“, bei welchem nun nochmals passend roter Dampf aus dem Boden aufsteigt, einen weiteren Oldie zu Gehör. Es soll leider das letzte alte Lied an diesem Abend sein, das zuvor eigentlich im Set enthaltene „Die Gier“ wurde zugunsten der neuen Single ersetzt. Schade!

Und so muss an dieser Stelle aus der, zugegeben etwas subjektiven, Sicht eines langjährigen Fans doch einmal kurz festgehalten werden, dass es wirklich extrem guttat, an diesem Abend so viele Klassiker, die vor gefühlt gar nicht allzu langer Zeit noch fest dazugehörten, endlich einmal wieder live erleben zu dürfen. Den teilweise doch sehr positiven und überschwänglichen Reaktionen des Publikums nach, stehe ich mit dieser Meinung wohl auch nicht ganz alleine da, sodass der kleine Hoffnungsschimmer bleibt, auch auf kommenden Konzerten ab und an Mal mit einer kleinen, variierenden Auswahl in die musikalische Vergangenheit dieser Band abtauchen zu dürfen. „Wir spielen jetzt noch genau zwei Stück und dann feiern wir! Wir bedanken uns von ganzem Herzen bei euch allen… Kommt gut nachhause und erzählt jedem, was ihr heute für einen schönen Abend hattet. Lasst euch nicht unterkriegen und bleibt gesund. Dankeschön!“, verabschiedet sich Rhein im Namen der gesamten Band herzlich von Burg Satzvey, bevor es mit dem berüchtigten „Spielmannsfluch“ und dem altestnischen Donnergebet „Pikse Palve“ ins große Finale übergeht. Natürlich schießen hier jetzt auch wieder allerhand lodernde Flammen empor, es sprüht gleißende Funken in meterhohen Fontänen und zum endgültigen Abschluss steigt dann sogar noch ein kleines, knisterndes Feuerwerk über der Bühne in den nächtlichen Himmel von Mechernich… Wow. In diesem Sinne: „Carpe Noctem“ und bis bald!

Setlist:


01. Wintermärchen (Intro)

02. Troja

03. Vollmond

04. Omnia Sol Temperat

05. Ai Vis Lo Lop

06. Kompass Zur Sonne

07. Unsichtbar

08. Liam

09. Villeman Og Magnhild

10. Ave Maria

11. Küss Mich

12. Lieb Vaterland, Magst Ruhig Sein

13. Rasend Herz

14. Sängerkrieg

15. Moonshiner

16. Weckt Die Toten

17. Frei Zu Sein

18. Wind

19. Sternhagelvoll

20. Störtebeker

21. Feuertaufe

22. Rotes Haar

23. Spielmannsfluch

24. Pikse Palve Impressionen:


Ingo Buerfeind - Buerfeind.de


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