Rroyce - Welle:Erdball - Solitary Experiments (2022)
Rroyce - Rroarr (2022)
Genre: Electro / Alternative
Release: 19.08.2022
Label: RecordJet (House-Of-Audio Hofa)
Spielzeit: 64 Minuten
Fazit:
RROARR! Mit lautstarkem Gebrüll veröffentlichen die drei Electro-Popper von „Rroyce“ knapp drei Jahre nach dem direkten Vorgänger namens „Patience“ ihr mittlerweile viertes Studioalbum… Und das kann sich wirklich hören lassen! Denn was das sympathische Trio aus Dortmund, welches in vielen Köpfen leider noch unberechtigten Newcomer-Status genießt, aber im kommenden Jahr bereits sein zehnjähriges Jubiläum begehen darf, mit den fünfzehn neuen Songs für ein Hit-Feuerwerk im elektronischen Sektor abfackelt, ist selbst mit Blick auf den bisherigen Backkatalog schier unglaublich und dürfte, ja, muss dem umtriebigen Dreigespann sogar dabei helfen, vom kleinen Szene-Geheimtipp zu einem viel beachteten Act neueren Datums zu werden. Die Weichen sind jedenfalls schon lange gestellt… Am 19.08.2022 erscheint der vierte Longplayer „Rroarr“, der dieses Mal komplett ganz ohne Label eigens publiziert wird, in verschiedenen Konfigurationen: Als digitaler Download, im klassischen Digipak, als Doppel-LP oder auch als streng auf nur zweihundert Einheiten limitierte Fan-Box in quadratischer Dose aus weißem Blech mit farbigem Digitaldruck des aktuellen Cover-Artworks. Diese enthält neben der neuen CD im erwähnten Digipak zusätzlich die interessante Bonus-Disc „Rroarr - Raw“ im Jewelcase, auf der die Demo-Versionen vor dem finalen Mix verewigt sind. Ferner sind eine Autogrammkarte mit allen originalen Unterschriften, ein Aufkleber, ein Nadelbutton und ein beidseitig bedruckter Fan-Schal enthalten. Exklusiv im Online-Shop der Band sind zudem verschiedene Bundles mit einem neuen T-Shirt erhältlich.
Getreu der vor dem Release von Sänger Casi getätigten Aussage, dieses Mal „Only killer, no filler“ bieten zu wollen, beginnt der etwas andere Einstieg mit dem atmosphärisch-intensiven „Venom“ immerhin schon mal ziemlich stark und lässt dabei ordentlich aufhorchen: Kaputt röhnende Synthie-Sounds treffen hier auf eine gespenstisch-nebulöse E-Gitarre und erschaffen so schnell eine bedrückend düstere Wave-Stimmung, die sich mit der Bridge kurzerhand in epische Gefilde aufschwingt, nur im darauffolgenden Refrain dann von den baldig einsetzenden Beats angetrieben zu werden. Dass „Rroyce“ sich laut eigener Homepage als musikalische Kinder der Achtzigerjahre ganz dem klassischen Synthie-Pop verschrieben haben, dessen Geist sie rettend in die Neuzeit überführen wollen, und damit stilprägende Bands wie „Camouflage“ oder „Depeche Mode“ als ihre direkten Vorbilder für ihr Tun ansehen, hört man sofort. So auch bei der ersten Vorab-Single „Paranoiac SL“, das nicht viel weniger zu überraschen weiß, als der gerade verklungene Opener. Beginnend mit verzerrten Shouts, offenbart sich dem Hörer hier nämlich ein extrem tanzbares Stück, jedoch in einem ungewohnt kühlen und harschen Rhythmus, der anfangs gar modernen EBM streift. Weiterhin reichern die Drei den eindringlichen Sound mit elektronischem Pulsieren, schrillem Flirren, nuancierter Arbeit an den Saiten und einem wahrlich aufpeitschenden Refrain an - Top! Zusätzliches Glanzlicht ist wie immer die charismatische Stimme von Casi, die, wie auch in der zweiten Single, der unheimlichen Stalker-Innenansicht „Another“, ein beachtlich weites Spektrum an intonierten Emotionen abdeckt. "Das Dasein in der modernen Gesellschaft steckt voller Widersprüche. Man sehnt sich nach Rückzugsorten, sucht Privatsphäre und im nächsten Augenblick gibt man in den sozialen Netzwerken alles von sich preis. Jeder will schnell sein. Jeder will Erster sein. Man stellt sich dem Wettbewerb. Im Job und im Privaten. Man wird misstrauisch, krankhaft misstrauisch. Man schaut in den Spiegel. Kann man trauen, was man da sieht? Erkenne ich mich noch selbst? Wem kann ich überhaupt noch trauen? Überall Neid, Missgunst und übertriebene Eitelkeiten.", erklärt die Band selbst den Hintergrund zum Song. Sehr interessant dann auch die Thematik des nachdenklichen Mid-Tempo-Songs „FoxP2“, das sich einem speziellen Gen annimmt, welches beim Erwerb der Sprache und dem Ausbau grammatikalischer Fähigkeiten von besonderer Relevanz ist. Nach diesem kleinen Quasi-Ruhepol geht es mit „Pause For Thought“ und „Rebuilt.Reborn“ erst so richtig in die Vollen: Ersteres verblüfft erneut mit seiner doch recht dominanten Gangart im wild zuckenden Club-Industrial-Gewand mit starken Future-Pop-Zügen in enger Verflechtung mit dem typischen „Rroyce“-Sound, wohingegen das Zweite wieder mehr auf einen organischen Klang mit der Gitarre im verschärften Fokus setzt, was in dieser hervorragend funktionierenden Stilmix-Konstellation irgendwo zwischen Electro und Rock zuweilen sogar an „Apoptygma Berzerk“ erinnert! Noch schwerere Kost gibt es dann sowohl in instrumentaler als auch lyrischer Hinsicht mit dem wütenden „Where The Morons Walk“ auf die Ohren, das sich musikalisch so weit vom Rest absetzt, wie wahrscheinlich nie zuvor: Hartes Drumming und eine sägende E-Gitarre lassen den lediglich grundierenden Electro vollkommen in den Hintergrund rücken, was zumindest für Abwechslung sorgt, ansonsten jedoch etwas beliebig verbleibt. Inhaltlich positioniert man sich hier klar gegen die Querdenker-Fraktion inklusive sämtlicher wilder Theorien der letzten Jahre, was dem Song einen aktuellen Stempel aufdrückt und definitiv Eindruck macht. Im Vergleich mit Sicherheit nicht unbedingt der stärkste Song auf „Rroarr“, aber sehr solide allemal. Wo es eben noch an elektronischer Grundnote fehlte, bringt das laszive „Whipping Boy“ diese ganz schnell zurück… Und wie! Die ekstatisch flackernden Beats schrammen dabei haarscharf an Techno vorbei, werden dann in den Strophen von der zusätzlichen Gitarre wieder aufgelöst. Lyrisch gibt’s praktisch gewohnte Szene-Kost mit reichlich Liebäugelei in Richtung SM-Praktiken und Co., was man mittlerweile schon zur Genüge anderweitig gehört hat, dafür ist die sonstige Umsetzung wirklich gelungen. Etwas langsamer, aber trotzdem gut tanzbar, wird es bei „My Head Is Full Of You“, das weichen Synthie-Pop in Kombination mit Streichern, sanfte Piano-Tupfer und viel Herz auffährt. Den ein oder anderen Kontrast konnte man sich jedoch auch hier nicht verkneifen, was die Halb-Ballade weiter spannend hält. Das minimalistisch gehaltene „Something Natural“ brilliert hingegen wieder mit einer gänzlich anderen Herangehensweise und trägt ebenfalls wieder einen betonten 80er-Einschlag und nostalgischen Disco-Touch inne. Mit „Answers & Questions“, zu welchem just auch ein sehr gelungenes Video erschienen ist, wartet ein weiteres Highlight im gewohnten „Rroyce“-Style auf, das genau wie „I Look Nicer With You“ mit seinem doppelbödigen Text gewaltig viel Spielraum zur eigenen Interpretation zulässt. Zum sinistren „Lifetime“ kickt nochmals kräftig der Bass rein, dazwischen lugen immer wieder elektrisierende Industrial-Elemente hervor und wahren den melodiösen Charakter vor Stagnation. Leider etwas zu vorhersehbar und damit eher einer der schwächeren Titel des neuen Albums, von denen es aber glücklicherweise kaum welche gibt! Viel besser kommt da der „Social Media Fake Friend“, eine deutliche Abrechnung mit all den seelenlosen Oberflächlichkeiten (a)sozialer Netzwerke, daher. Der sphärisch arrangierte Electro harmoniert ganz wunderbar mit der schwelgerischen Gitarre, wirkt nie zu überladen und lässt dem Song gerade deshalb ausreichend Platz zur wirksamen Entfaltung. „Call Of The Void“ beschließt die lange Tracklist dann ziemlich catchy und groovend im marschierenden Rhythmus samt eines sehr einprägsamen Mitsing-Refrains… Bleibt am Ende also die Frage: Wie ist „Rroarr“ denn jetzt geworden? Unzähmbare Bestie oder doch eher ein kuscheliges Kätzchen und wie ist es eigentlich um das große „All killer“-Versprechen bestellt? Nun, das alles möglichst auf den Punkt gebracht zu beantworten, fällt tatsächlich gar nicht so leicht, klar ist aber, dass dem Trio aus NRW hier wohl einer der größten Würfe innerhalb des elektronischen Genres der schwarzen Szene im Jahr 2022 gelungen ist! „Rroarr“ mag insbesondere auf eingeschworene Fans zunächst vielleicht etwas experimentell oder gar ungewohnt wirken, funktioniert im runden Endergebnis jedoch ganz besonders gut und bezieht gerade durch seine vergleichsweise Andersartigkeit seinen großen Reiz. So bleibt man dem typischen Stil zwar über weite Strecken treu, vollbringt aber gleichzeitig das große Kunststück, genug spannende Ideen innerhalb der abwechslungsreichen und vielschichtigen Songs einzubringen. „Rroyce“ sind auf ihrem vierten Album zudem sehr viel dunkler, härter, kompromissloser und unberechenbarer, als noch auf dem cleanen „Karoshi“ oder dem geradezu handzahmen „Patience“. So werden nun nicht nur Synthie-Pop-Liebhaber bedient, sondern auch benachbarte Spielarten wie Industrial, EBM, Synth-Rock gestreift, was wunderbar erfrischend ist und der weiteren Entwicklung der Band sehr gut zu Gesicht steht, um sich nicht irgendwann im Kreis zu drehen. So viel Variation, Innovation und Überraschung wünschte man sich in diesem Genre öfter und „Rroyce“ zeigen, wie es geht, womit sie sich deutlich im vorderen Segment der hiesigen Electro-Pop-Acts absetzen und beweisen, dass sie ihren ohnehin schon hohen Standard mühelos halten und sogar übertreffen können - Gut gebrüllt, Tiger!
Informationen:
http://www.rroyce.de
https://www.facebook.com/RROYCE.official/
Welle:Erdball - Film, Funk & Fernsehen (2022)
Genre: Electro / Alternative
Release: 07.10.2022
Label: Nexilis (SPV)
Spielzeit: 177 Minuten
Fazit:
Schon lange vom Geheimtipp zur Kultformation avanciert, strahlen „Welle:Erdball“ mit der Sendung „Film, Funk & Fernsehen“ ihr Meisterwerk in den Äther... Und das auf allen Frequenzen: Wo andere Bands schon bei acht Tracks von einem Album sprechen, kann man sich hier auf über zwei Stunden Musik und mehr als dreißig (!) Titel (in der limitierten Fassung sogar über drei Stunden Audiomaterial, sprich vier Tonträger) freuen. Der Name ist Programm: Die Macht der Medien. Und sie ist nahezu allumfassend. Mit einer Thematik, die vor Pandemie, Gendern und weltweitem thermonuklearen Krieg keinen Halt mehr macht und sich in deutschen Texten, aber auch in Liedern in englischer, russischer und sogar schwedischer Sprache widerspiegelt. Bei solch einem Umfang liegt das Augenmerk auch auf einigen Coverversionen, denn wenn David Bowies „Space Oddity“ mit weiblicher Zweistimmigkeit zu sechs Stimmen des Commodore C=64 aus den Klangstrahlern tönt, fühlt man sich in Stereo an der richtigen Position, wenn Großes passiert. Außerdem enthalten: Eine komplette Hörspiel-CD mit vielen Gaststars! Dem diesjährigen Jubiläum des C=64, der im Januar 1982 der Welt präsentiert wurde, hat „Welle: Erdball“ einen weiteren kompletten Tonträger gewidmet, auf dem der C=64 mit Klang & Sprache das einzige Instrument ist. Die neue Sendung „Film, Funk & Fernsehen“ erscheint am 07.10.2022 über Nexilis (SPV) als digitaler Download, 3-CD in der Erstauflage im Schuber und streng auf 1.000 Exemplare limitierte Box-Version, welche neben der 3-CD-Edition im Schuber zusätzlich eine exklusive Mini-Disc mit sechs Bonus-Songs, eine handsignierte Autogrammkarte, eine Logo-Anstecknadel und eine 5,25-Zoll-Diskette mit dem eigens von der Band programmierten C=64-Spiel „Gehirn-Analyse 4“ enthält.
„Einschalten zum letzten Bild. Maschinen rasen, das Telefon schrillt. Alles jetzt zu seinem Ort… Hier ist „Welle:Erdball“, wer ist dort?“, entführen diese obligatorischen Worte den empfangsbereiten Hörer direkt in die neueste Version des seit jeher so ikonischen Intros, welches dieses Mal mit dem mystisch pulsierenden Sound der Synthesizer, einigen charmanten Referenzen und allerhand kleinen Spielereien sogleich eine ungemein dichte, spannungsgeladene Atmosphäre erzeugt, die daraufhin unverblümt in den eröffnenden Song „Drogenexzess Im Musikexpress“ katapultiert. Die bereits bekannte Vorab-Single trumpft dabei gleich mit vielen bekannten Stärken des Senders auf und präsentiert sich als stimmungsvoll energiegeladene Electro-Pop-Nummer im Geist der Achtzigerjahre mit einem gewissen Retro-Score-Charme. Im Refrain geht es hingegen eher beschwingt zu. Durch den dualen Gesang der beiden Moderatorinnen Lady Lila und M.A. Peel, die dieses Stück stimmlich ganz allein bestreiten, sind unweigerlich kleine Reminiszenzen an „ABBA“ zu vernehmen. Eskapismus durch Nostalgie - Eine Thematik wie gemacht für „Welle:Erdball“, oder? „Das Original“ kommt hingegen ganz anders daher, ist gleichsam auch viel weniger verspielt und lässt stattdessen den Oldschool-EBM mit stumpfer Rhythmik und bewusst kühler Attitüde wieder aufleben. Dafür wartet der Text herrlich selbstironisch und augenzwinkernd auf. Ein früher und doch nicht minder verheißungsvoller Ausblick auf die gar mannigfaltige Stil-Mixtur und den gewohnt hohen Facettenreichtum aller folgenden Songs. So steht beispielsweise „Das Tor Zur Wirklichkeit“, in welchem das lyrisch Ich in der Rolle von Commander Laserstrahl das endgültige Schicksal der zum Scheitern und Verenden verurteilten Menschheit verkündet, musikalisch ganz in der Tradition alter Klassiker von „Tanzpalast 2000“ oder „Der Sinn Des Lebens“: Elektronisch, melancholisch, kritisch, tanzbar. Ein wahrer Audio-Genuss für langjährige Fans! Nicht weniger kritisch geht es dann auch bei den folgenden Stücken zu, die, wieder einmal, unterschiedlicher kaum klingen könnten. Das von Lady Lila süffisant intonierte, scheinbar fröhlich fiepende „Liebe Gegen Leistung“ bewirbt Emotion und Körperlichkeit anhand plakativ lockender Slogans hier äußerst abgeklärt als käufliches Konsumprodukt für eine immer schnelllebigere Gesellschaft, die das Investieren von Zeit, Mühe und Gefühl scheut. Vor allem der einschneidende Kontrast zwischen dem beherzten Retro-Pop und der berechnend kalten Darbietung trägt schnell zur aufrüttelnden Untermauerung der ungemütlichen Thematik bei. „Ich habe nur einen Herren und Gebieter…“, tönt ein Sample jetzt immer und immer wieder, bevor rasend schriller, wütender Electro die bis dato gediegene BPM-Zahl überraschend in Windeseile in die Höhe peitscht. Der Song, der seinen Titel von der durch die Filme von Edgar Wallace bekannt gewordenen Figur des unheimlichen „Dr. Mabuse“ bezieht, nimmt nicht etwa Bezug auf sein fiktives Vorbild, sondern setzt dessen hypnotische Fähigkeiten mit medialer Manipulation und der daraus resultierenden Massenpanik gleich. Es ist das altbekannte Geschäft mit der kollektiven Angst vor den im Diesseits wahr gewordenen Horror-Szenarien wie Pandemie, Krieg und Inflation, aus denen so manch im Hintergrund lauernde Trittbrettfahrer seinen ganz eigenen Nutzen zieht, wenn sich die Menschheit blind und ohne jede Reflexion immer mehr in eine gefährliche Abwärtsspirale steigert und die Grenzen zwischen Realität und Wahn allmählich verschwimmen. Wie würde Moderator Honey dazu sagen? Hundertprozentig, meine Damen und Herren! Pünktlich zur großen „Mumien, Monstren, Mutationen“-Tournee in 2019 wurde die Maxi „Die Unsichtbaren“ als Vorgeschmack auf transparenter 12-Zoll-Vinyl veröffentlicht, von welcher sich nun auch drei Titel auf der aktuellen Sendung wiederfinden: Das größte Highlight davon ist vermutlich die von M.A. Peel herausragend vorgetragene Power-Ballade „Mumien Im Autokino“, hier im leicht erweiterten Tax-5-Mix. Tatsächlich weist der unglaublich gelungene Song ziemlich authentische Soundtrack-Qualitäten mit einigen musikalischen Verweisen auf den unsterblichen Spirit filmischer Klassiker aus längst vergangenen Zeiten und eine wunderbar stringente Dramaturgie auf, die den Hörer einfach sofort packen muss und spätestens im fantastischen Refrain eine Gänsehaut nach der anderen beschert! Der einstige Titeltrack, „Die Unsichtbaren“, wandelt hingegen wieder mehr auf gewohnten Pfaden. Der analoge, minimalistische Synthie-Pop mit geheimnisvoller Atmosphäre trumpft hier vor allem durch seine verschwörerischen Lyrics in sehr kreativer Bildsprache auf, in denen der Wunsch nach Flucht aus der digitalen Welt, in der man seine persönlichen Daten und Rechte abtreten muss und somit unweigerlich zu einem Menschen aus Glas degradiert wird, romantisiert wird. Aktueller denn je! Das zunächst bedrohlich stampfende „Mama, Papa, Zombie“ wird von einem amüsanten Sample der gleichnamigen Kult-Dokumentation aus dem Jahr 1984 mit dem Zusatztitel „Horror für den Hausgebrauch“ eingeleitet, die es sich damals selbst zur Aufgabe gemacht hatte, den besorgten Erziehungsberechtigten mit viel unqualifizierten Untermauerungen auf unfreiwillig komische Art und Weise über Gruselfilme und deren mögliche Wirkung auf den Nachwuchs aufzuklären. Unreflektiertes Medien-Bashing und hinterwäldlerische Möchtegern-Zensur at it‘s best! „Horror-Show in meiner Hand, ist auf VHS gebannt!“, kündet Honey da etwa mit rollendem „R“ und überzogen tiefer Grabesstimme, immerzu von passenden Sound-Schnipseln aus dem so sehr verteufelten Material unterbrochen. Ein herrlich sarkastischer und schwarzhumoriger Spaß im abwechslungsreichen, verspielten Sound. Zu guter Letzt wäre da noch das aggressive „Re-Animierung“, das den meisten Hörern bereits von der 2016 erschienenen EP „1000 Engel“ bekannt sein dürfte. Zum Klang alarmierender Sirenen, maschineller Sounds und schroffer Synthies poltert und kracht es hier ganz gewaltig im bebenden Gebälk, ja, nimmt fast schon Aggrotech-Züge an, wenn Honey dem Hörer seine Botschaft wutentbrannt brüllend entgegen speit. Ebenfalls einer sehr aktuellen Debatte, nämlich der des Genderns, nimmt sich „Wendy, Walter & die Geschlechtsmaschine“ an, zu dem laut eigener Aussage im Vorfeld besonders viel recherchiert werden musste. Der Thematik liegt hier vordergründig die Geschlechtsumwandlung von Walter zu Wendy Carlos, welche unter anderem die legendären Soundtracks zu den Filmen „Clockwork Orange“ und „Tron“ erschuf, zugrunde. Insbesondere das sehr gekonnte Spiel mit allerlei Worten und Begriffen aus der Technik-Welt zur Identitätsfindung abseits der uns auferlegten Norm, lässt zum futuristisch angehauchten, etwas gewöhnungsbedürftigen Minimal-Electro gespannt aufhorchen. Ein weiterer Höhepunkt kündigt sich danach mit dem dystopisch warnenden „Ich Habe In Eine Zukunft Gesehen“ an, das musikalisch in wunderbar klassischer Sender-Ästhetik daherkommt und mit bissiger Kritik gehörige Schelte in Richtung System und Kapitalismus verteilt. Das eigentlich Erschreckende daran: Der vom lyrischen Ich predigend heraufbeschworene Kollaps innerhalb der Gesellschaft liegt schon lange nicht mehr in weiter Ferne, sondern ist bereits eingetreten. Tote Frauen sind nicht nur schön, man denke hier an die gleichnamige EP aus 2003, nein, „Tote Frauen Kommen Leise“… Auf doppelbödige Art und Weise vermischen sich hier plakativer Grusel und sinnlich-absurde Erotik zu einem verqueren Gesamtbild irgendwo zwischen Retro-Pop und stilisiertem Schlager in der Ästhetik der goldenen Zwanzigerjahre, was dem Stück seine wundervoll entrückte Note verleiht. Dass das Arrangement und die generelle Machart des Songs natürlich gewisse Parallelen zu seinem Pendant aufweisen, jedoch ohne eine ideenlose 1:1-Kopie darzustellen und den Hörer damit zu langweilen, dürfte selbstverständlich sein. Viel mehr ist es im Sinne von „Welle:Erdball“, ihren umfangreichen Katalog aus verschiedenen Sendungen mit charmanten Selbstzitaten und sehr gut versteckten Easter Eggs, von denen es auch dieses Mal wieder so einige gibt, logisch und spannend miteinander zu verquicken. Seine Verbundenheit zu Schweden zelebriert der Sender mit dem nachfolgenden „Diamanter (är en flickas bästa vän)“, hierzulande wohl besser im Original als „Diamonds Are A Girl‘s Best Friend“ von Jule Styne aus dem 1949 aufgeführten Broadway-Musical „Blondinen bevorzugt“ bekannt, in der Version der schwedischen New-Wave-Formation „Lustans Lakejer“ aus den frühen Achtzigern. Das funktioniert nicht nur gut, sondern klingt dank der sehr geschmeidigen, eleganten Instrumentierung samt sprachlich tadelloser Umsetzung auch so! Ein wenig angenehmer Pathos darf zum Schluss natürlich nicht fehlen, wenn es „Der Letzte Mensch“ in dieser wunderschönen Minimal-Electro-Ballade dem beliebten Sender gleichtut und seine letzte Hoffnung in ein flehendes Signal kanalisiert, das es fortan als isoliertes S.O.S. mit Bitte um Antwort in die unendlichen Weiten des Äther zu senden gilt. Tickende Uhren und eindringliche Synthesizer leiten danach dramaturgisch perfekt zum endgültigen Klimax mit „Am Ende Der Zeit“ über, das in all seiner nachdenklichen Erhabenheit und epischen Inszenierung frappierend an den intensiven Closer „Die Computer Verlassen Diese Welt“ erinnert. Gegen Ende fliegen sogar „Kraftwerk“ noch kurz in ihrem „Space Lab“ zum geistigen Gruße vorbei. Wenn am Ende alle Fehler gemacht, jeder Gedanke ausgedacht, alle schönen Worte gesagt, alle Gefühle gefühlt und all unsere Ziele erreicht sind, ruft eine neue Ewigkeit… Zurück zum Anfang. Zurück zum Start. Alles auf Null für eine hoffentlich bessere Zukunft - Was für ein Abschluss! Doch wer jetzt vielleicht denkt, dass diese sage und schreibe sechzehn Songs alles waren, der irrt gewaltig, denn zum vierzigjährigen Jubiläum des beliebten Heimcomputers und gleichsam fünften Mitglieds, dem Commodore 64, haben sich seine Bandkollegen etwas ganz Besonderes ausgedacht und legen mit einer zweiten CD nach. Diese enthält wiederum ganze vierzehn Stücke, die allesamt einzig und allein mit dem C=64 instrumentiert sind! Auf das klassische Sender-Intro im besten Commodore-Style folgt quasi dessen erweiterte Fortsetzung „Wir Sind Elektronisch!“, einem wahrlich elektrisierenden Auftakt nach Maß mit absolutem Hymnen-Charakter. Der Rest ist vermutlich zu facettenreich, bunt und spannend, um ihn an dieser Stelle einzeln zu sezieren und den Rahmen dieser Kurz-Rezension damit endgültig zu sprengen. Nur so viel: In der folgenden Stunde reiht sich etwa das sehr charmante Bowie-Cover von „Space Oddity“ an sympathisch-romantischen Retrofuturismus wie „8BIT-Raumstation“ oder „Das Letzte Hemd“, gefolgt von bereits Bekanntem („Nerdfaktor 42 von der EP „1000 Engel“ oder „Nur In Meinem Traum“, welches bisher lediglich auf dem Orchester-Album „Engelstrompeten & Teufelsposaunen“ erschien), einem Remake zu „Tanz Dich In Mein Herz“ von der „W.O.L.F.“-EP aus 1995 mit der „Liebelei Im Diskolicht“, einer unerwarteten Fortsetzung zu „Mumien Im Autokino“ vom Hauptalbum mit dem sogenannten „Die Spätfolgen Im Autokino“ und ganz verrückten Ideen wie „D3r Tan2 d3s c0zmo5“. Als wäre all das nicht schon längst genug, spendiert das Moderatoren-Gespann seinen Hörern auf Disc Nummer Drei mit „Die Geistermönche Aus Dem Grusellabor“ die zweite Folge von Nick Semloh und damit Fortsetzung zum Hörspiel „Der Schatz Von Scaredale Manor“. Dazu konnte man erneut viele illustre Gäste für die einzelnen Sprechrollen verpflichten, sodass hier unter anderem Roman Harris („VNV Nation“), Steve Naghavi („And One“), Alexander Wesselsky („Eisbrecher“) und sogar Fräulein Plastique zu hören sind… Wow. Unnötig zu erwähnen, dass jeder Sympathisant und treue Fan des Senders hier zu 100% auf seine Kosten kommt, oder? Wer jetzt noch mehr befürwortende Gründe benötigt oder gar noch immer Zweifel am Kauf hegt, dem ist vermutlich sowieso nicht mehr zu helfen, denn mit „Film, Funk & Fernsehen“ gibt es die bis zum äußersten Rand gefüllte XXL-Dosis „Welle:Erdball“, die neben einem wirklich fantastischen, sehr runden und zudem extrem abwechslungsreichen Hauptalbum im Anschluss direkt noch viel mehr Musik, kreative Einfälle und allerhand Überraschungen für Puristen und Nostalgiker enthält… Und das zum Preis einer einfachen CD. Also: Kauft und hört das Original!
Informationen:
https://www.welle-erdball.info
https://www.facebook.com/WelleErdball
Solitary Experiments - Transcendent (2022)
Genre: Electro / Alternative
Release: 28.10.2022
Label: Out Of Line Music (rough trade)
Spielzeit: 54 Minuten Fazit:
Vertraut und dabei doch so anders – das ist die Herausforderung, der sich die Berliner Electro-Helden „Solitary Experiments“ einmal mehr gestellt haben. Vielleicht sogar mehr denn je. Denn ihr achtes Album „Transcendent“ lebt natürlich wieder mit jeder Pore das Bandmotto „Solid, catchy, high quality electro sounds with attitude“, gleichzeitig empfängt Frontmann Dennis Schober aber erstmals in der fast dreißigjährigen Bandgeschichte auch Gastsänger. Namhafte und nicht wenige. Schon das Duett mit „Kirlian Camera“-Chanteuse Elena Alice Fossi bei „The Great Unknown“ ist zum Niederknien, während Analog-Raubein Dirk Ivens aus „Zeitgeist“ gewiss die untypischste, aber dabei eben auch eine der intensivsten SE-Nummern ever macht… Vertraut und dabei doch so anders! CD2 treibt es auf die Spitze und hat bei vier weiteren neuen Songs auch vier weitere Gäste am Mikro, wobei vor allem „In Strict Confidence“-Sängerin Nina De Lianin bei „Träumen“ ein amtliches Maß an Romantik in die elektronische Waagschale wirft. Getreu dem Albumtitel ist „Transcendent“ somit eine äußerst sinnliche Veranstaltung, bei der die beiden SE-Gründer Michael Thielemann und Dennis Schober zu keinem Zeitpunkt ihren elektronisch-melodischen Kern aus den Augen verlieren und mit jedem Akkord auszudrücken scheinen: „Now We’re Dancing In Delight“! Das neue Studioalbum „Transcendent“ wird am 28.10.2022 via Out Of Line Music als Download, auf nur fünfzig Einheiten limitierte MC, 2-CD im Digibook mit der umfangreichen Bonus-Disc „Enlightenment“ und auf fünfhundert Exemplare begrenzte Box aus Holz inklusive des Digibooks zusammen mit der nur hier erhältlichen, dritten CD „La Voix De La Femme“, auf welcher verschiedene Gastsängerinnen beliebte „Solitary Experiments“-Klassiker vertonen, zwei Aufklebern, einem Echtheitszertifikat, einem Schnapsglas mit Band-Logo und einer Gummi-Ente im ikonischen SE-Look.
Mystische, hauchfein perlende Synthies verzaubern den Hörer schon gleich zum Einstieg mit ihrem dunkelschönen Charme, dicht gefolgt von einem dezent drückenden Beat im angenehmen Mid-Tempo und entführen ihn somit ins elektronische „Wonderland“: Melancholisch, nachdenklich und ernst, doch dabei nicht zu aufgesetzt dramatisch oder getragen schwer in bodenlose Schwärze absinkend, hält der als zweite Single auserwählte Song stetig die Waage zwischen einer beobachtend kühlen Distanz und wärmender Zuversicht im perfekt abgerundeten Sound-Design. Klar, dass hier entfernt lyrische Bezüge zum literarischen Klassiker von Lewis Carroll gezogen werden, deren in die Realität umgelegter Wirkung man sich nur schwer entziehen kann. Insbesondere dann, wenn schließlich der future-poppige Refrain in typischer Reinkultur einsetzt. „Heart Of Stone“ kommt getreu seines Titels wiederum um einiges sinistrer daher und zieht sowohl das vorgelegte Tempo als auch den generellen Drive leicht an, ohne in ein Extrem auszubrechen, womit kurzzeitig Erinnerungen an das großartige „Point Of View“ wachgerufen werden. Insbesondere der klug eingewobene Echo-Effekt im Chorus weiß neben dem sich zunehmend steigernden Instrumental schnell zu gefallen. Der erste Apetizer, „Every Now And Then“, aus April diesen Jahres, birgt ganz den Spirit der alten Schule und bietet damit vor allem viel vertraute Qualitäten, die man sofort mit dem Genre des Future Pop, allen voran aber dem Frankfurter Quintett selbst, verbindet. Zwischendrin verdichten sich zudem die hauptsächlich schwelgerischen Klänge zu einem etwas knackigeren Grundtenor, verlassen jedoch wie schon zuvor die gewohnten Pfade nicht zu sehr, was aber keinesfalls negativ auszulegen ist. Dafür geht „Head Over Heels“ dann wieder merklich nach vorne. Ein schneller Beat, der die Spannung schürt, schwingt sich in fester Fusion mit dem emotional hörbar aufgeladenen, knisternden Kern gemeinsam in höhere Sphären auf, um von echten Gefühlen, deren Risiko und quälenden Zweifeln zu künden. „Zeitgeist“ kommt, wie man anhand des Feature-Partners vielleicht schon erahnen könnte, um ein Vielfaches düsterer daher. Für den ersten Gastbeitrag auf dem aktuellen Album und in der Geschichte von „Solitary Experiments“ überhaupt, hat man sich nämlich niemand Geringeren als die belgische Industrial-Koryphäe Dirk Ivens, bekannt durch „Klinik“ und sein Solo-Projekt „Dive“, an Bord geholt. Zu „Zeitgeist“ fügen sich nach dem fies wabernden Industrial-Intro zornige Shout-Vocals in das ohnehin recht aggressiv prügelnde, englischsprachige Grundgerüst der Strophen, die mit all ihrer schroffen Dringlichkeit schnell in Richtung Aggrotech und Co. driften, bis der deutschsprachige und von Schober intonierte Refrain etwas Anspannung herausnimmt. Auch textlich hält man, was man verspricht: Egoismus, Narzissmus, Kapitalismus und die generelle Rücksichtslosigkeit im automatischen Hamsterrad, welches mittlerweile fest als neue Normalität gilt und unser aller Leben darstellt. Es ist die altbekannte und dabei natürlich keinesfalls unberechtigte Wut auf die Welt, ihre treibenden Kräfte und kaputten Mechanismen, die lyrisch allerdings so dermaßen offen, schwammig und neutral gehalten ist, sodass die beabsichtigte Kritik etwas ins Leere läuft und viel von ihrem Biss verliert, da man nicht konkret genug wird. Auch „Discipline“ steht weitestgehend in dieser Tradition und konzentriert sich eher auf die härtere Gangart elektronischer Musik. Der stoisch marschierende und von stark verzerrten Vocals untermauerte Rhythmus hat in seiner gestrengen Präsenz etwas von klassischem EBM in Verbindung mit tanzbaren Industrial-Anleihen, im Chorus blitzt hingegen wieder der typische Charakter der Frankfurter auf. Der Titeltrack, „Transcendent“, überrascht als reines Instrumentalstück. Poppig, sehnsüchtig und mit einem Hauch von schwermütig sanfter Melancholie, schwelgt man allmählich in den himmlischen Synthies, die sich mehr und mehr zu einem unglaublich dichten, vollen Klangteppich verweben. Das gesamte Arrangement kommt in seinem durchaus klassischen Aufbau sogar so dermaßen ausgefeilt daher, dass es ein wenig so wirkt, als hätte es hier eigentlich noch einen Text für Strophe und Refrain geben sollen, welchen man hier tatsächlich vermisst. Das ebenfalls schon bekannte „The Great Unknown“ beherbergt Elena Fossi von „Kirlian Camera“ als zweiten Gast für ein wirklich fulminantes Duett der absoluten Extraklasse! Hier darf erneut losgelöst getanzt werden, während sich die großartige, erstaunlich vielschichtige Melodie in ihrer schieren Erhabenheit immer weiter aufzubäumen scheint. Deren durch und durch wirksamer Bombast ist permanent bis in jede einzelne Zelle spürbar und hält den ohnehin schon hohen Level an ausgeklügelter Sound-Inszenierung gekonnt aufrecht. Ein überwältigend brachiales Beat-Gewitter oder eine dröhnende Materialschlacht steht trotzdem nicht zu erwarten, dafür wandelt die gewählte Ausrichtung doch nur zu gerne zwischen einer angenehm gediegenen Clubtauglichkeit im mittleren Tempo und powernder Halb-Ballade, der Fossi mit ihrer enorm charismatischen Stimme die so prägnante Eleganz verleiht. Elektronische Schönheit und auditive Anmut! Leider wird der bis hierhin quasi rundum tadellose Gesamteindruck und somit erzeugte Flow mit „End Of Story“ ein wenig getrübt. Zu optimistisch blubberndem Synthie-Pop nach der absoluten Standardformel, erwartet den Hörer hier ein schon oft gehörter, solider und damit auch ziemlich unauffälliger Mutmacher-Titel: So soll man die Tür endgültig hinter sich schließen, fortan nicht mehr schmerzerfüllt zurückblicken, die eigene Vergangenheit als gegeben annehmen und aus alten Fehlern lernen, um dann mit neuer Hoffnung und frohen Mutes wieder nach vorne zu schauen… Viele lange schon abgedroschenen Durchhalteparolen also, die zwar durchaus gut gemeint sind und instrumental nett dargeboten werden, in ihrer unaufgeregten Unauffälligkeit aber doch nichts Neues aussagen. Das größte Manko dieses Songs ist seine Gleichförmigkeit, denn hier gibt es über die fast fünf Minuten keinen einzigen Twist, keine Überraschung und keinen Höhepunkt, sodass man nach den ersten dreißig Sekunden eigentlich schon alles gehört hat. Ganz anders hallt „Self-Fulfilling Prophecy“ nach, der seinen bitterböse brodelnden Energieschub gleich zu Beginn durch den auffordernd stampfenden Bass aufnimmt. Der klar vorgegebene Rhythmus vereint sich schnell mit dem finster kriselnden Club-Industrial und trägt jene Ausrichtung so durch die gesamte Spieldauer fort. Derweil raunt und faucht Schober die Zeilen mit stark verzerrter Stimme als keifende Appell-Salven über die Strophen, der Refrain nimmt die anfangs eingeführte Melodie dann als Leitmotiv wieder auf. Trotz seiner schwierigen Thematik wirkt der Song nie zu klobig oder schwer, sondern erweist sich als sehr tanzbar. Der Abschluss der Tracklist kommt mit „In Agony“ danach gefühlt zu früh, was immer ein Zeichen für ein gutes Album ist. Der in seiner gesamten Nachwirkung erstaunlich bedrückend, ja, fast bedrohlich geratene Closer ist enorm atmosphärisch gearbeitet und nimmt sich insbesondere durch den lauernden Auf- und Ausbau viel Zeit für sein stimmungsvolles Finale, das eben deshalb relativ untypisch daherkommt, dafür aber umso besser im Gedächtnis bleibt… Die zweite CD trägt den Titel „Enlightenment“ und enthält allen voran vier zusätzliche und brandneue Tracks als Highlight, die sich alle die Besonderheit teilen, jeweils einen anderen Duettpartner einzubinden. Als da wären „Träumen“ mit Nina De Lianin von „In Strict Confidence“, „Sea Of Love“ mit Patrik Hansson von „Vanguard“, „Anyone Out There“ mit Gabriella Åström von „Me The Tiger“ und „So Bizarre“ mit Nils Upahl von „Beyond Obsession“. Diese Non-Album-Tracks glänzen allesamt mit einer gewohnt hohen Qualität und nutzen den individuellen Feature-Aspekt in sofern sehr gut aus, als das sie den erstmals auf „Transcendence“ aufgenommenen Grundgedanken weitertragen und die verschiedenen Charakteristika der Gäste so äußerst schlüssig in den ausgezeichneten Solitary-Sound einbetten. Ferner gibt es anschließend noch eine gute Handvoll Remixe dreier Songs des Hauptalbums von Rob Dust, „Grendel“, „In Strict Confidence“, „Run Level Zero“ und „Supreme Court“. Das letzte Drittel der Bonus-Disc läuft dann unter dem Titel „Lost Tapes“ und präsentiert drei bisher unveröffentlichte Remixe aus der „In The Eye Of The Beholder“-Ära aus 2009. Hier legen „MC1R“, Steffen Schuhrke und „Massiv In Mensch“ ihre Hand jeweils an die Songs „Darkness Falls“, „Road To Horizon“ und „Immortal“ an. Wer hingegen zur streng limitierten Holz-Box greift, bekommt sogar noch mehr Musik in Form von „La Voix De La Femme“: Hier werden bereits bekannte und beliebte Songs aus dem Backkatalog wie „Achromatic“, „Delight“, „Epiphany“ oder „Shelter“ ausschließlich von Gastsängerinnen interpretiert. Unter anderem verleihen Mari Kattman und Julia Beyer und Bands wie „Adam Is A Girl“, „Schmoun“, „Omnimar“ oder „Distorted Reality“ den SE-Klassikern ihre ganz eigene Note. Abschließend bleibt zu sagen: „Solitary Experiments“ bleiben sich treu und damit ganz sie selbst! „Transcendent“ offeriert den Fans der Band nämlich genau das, was sie erwarten: Future- und Electro-Pop in bewährter Form. Geschliffen, rund, ohne auffallend viele Ecken und Kanten, clean und voll. Kurzum: Melodiös und tanzbar. Trotzdem erlauben sich die Frankfurter, etwas aus dem gewohnten Umfeld auszubrechen. Einerseits tun sie dies mit den beiden Features, die sich keineswegs wie ein unpassender Fremdkörper anfühlen und damit auch nicht stören oder gar die eigene Einfallslosigkeit mit erzwungener Quasi-Innovation kaschieren wollen. Viel mehr befruchten diese Einflüsse das bereits Bekannte und fügen sich als zusätzlicher Kick sanft in den breiten Sound ein. Zudem haftet vielen Songs deutlich hörbar der aktuelle Zeitgeist an, was teils zu einer gewissen Schwere und einem flächendeckenden Bombast führt, die man in diesem Kontext so bisher nicht oft gehört hat. So pendeln die meisten Tracks gut ausgewogen zwischen orientierter Clubtauglichkeit und zarter Verträumtheit, progressiver Härte und introvertierter Nachdenklichkeit in einem hochklassig produzierten Klangbild, wodurch sie stets modern und aktuell sind. „Transcendent“ ist also nicht mehr oder weniger, als die logische Konsequenz seiner Vorgänger und die stilvolle Erweiterung des eigenen Repertoires, welche sich in keinem Moment zu weit von der eigenen DNA entfernt, dieser aber viele schöne Nuancen für genug frischen Wind bietet.
Informationen:
https://www.solitaryexperiments.de https://www.facebook.com/solitaryexperiments/
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