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BEITRÄGE:

  • AutorenbildChristoph Lorenz

Marilyn Manson - „The Heaven Upside Down"-Tour - Mitsubishi Electric Halle, Düsseldorf - 29.11.2017


Veranstaltungsort:

Stadt: Düsseldorf, Deutschland

Location: Mitsubishi Electric Halle

Kapazität: ca. 5.000

Stehplätze: Ja

Sitzplätze: Ja

Homepage: www.mitsubishi-electric-halle.de

Einleitung:

Es ist Donnerstag, der 29.11.2017. Langsam aber sicher hält die Festtagsstimmung auch in Nordrhein-Westfalen ihren Einzug, wie sich unschwer anhand des ganzen Trubels inmitten der Innenstadt und an den zugehörigen Bahnhöfen erkennen lässt, an denen ich nun in regelmäßigen Abständen nacheinander vorbeirausche. Ich sitze in der S1 in Richtung Düsseldorf und bin wider Erwarten etwas spät dran. Die gesamte Fahrt zieht sich ob der vielen Zwischenstopps noch mehr hin, als zunächst angenommen und auch hier ist das vorweihnachtliche Chaos untrüglich zu spüren. Obwohl es ein Donnerstag und somit ein Abend unter der Woche ist, könnte die Bahn wohl nicht voller sein. Zahllose Menschen drängen sich dicht in den Zwischengängen und an den Türen, die Meisten von ihnen haben große Einkaufstaschen dabei und wirken gestresst. Zurecht. Freie Sitzplätze gibt es praktisch keine mehr und so verbringe ich einen Großteil der rund neunzigminütigen Reise damit, zu stehen. Sicher, es gibt deutlich Angenehmeres, aber die Vorfreude auf die kommenden Ereignisse überwiegt deutlich. Nach etwas mehr als anderthalb Stunden steige ich noch einigermaßen pünktlich an der Haltestelle Oberbilk aus, von welcher man das leuchtende Logo der Mitsubishi Electric Halle schon sehen kann. Obgleich der offizielle Einlass bereits seit rund dreißig begonnen hat, herrscht hier noch ungewöhnlich viel Trubel. Überraschend viele Personen bieten mir schon beim Ausstieg ihr Ticket zum Verkauf an, was sich auf dem Weg zur Location durchzieht. Endlich vor ebendieser angekommen, eile ich zur Abendkasse und erfrage, ob es so kurzfristig überhaupt noch Karten gibt. Gibt es. Für einen nur unwesentlich höheren Aufpreis schiebt mir die freundliche Mitarbeiterin schließlich einen Ausdruck durch die Luke hindurch und ich reihe mich vor dem Haupteingang ein. Wie üblich, öffne meine kleine Umhängetasche schon einmal vorsorglich, entleere deren Inhalt und lasse mich danach seelenruhig abtasten. Alles geht gut und so stehe ich dann mitten Foyer, in welchem auch der Merchandising-Stand aufgebaut ist. Noch ist genügend Zeit und so schaue ich mich kurz um, zumindest ein kleines Andenken soll es heute werden. Die Preise sind, wie eigentlich vorab zu erwarten war, im gehobenen Segment angesiedelt. Fünf der verfügbaren T-Shirts gehen für rund fünfunddreißig Euro über die Ladentheke, ein Weiteres mit dem Profil von Manson gar für einen Zehner mehr, der Hoodie hingegen kostet mit achtzig Euro doppelt so viel. Selbst bei den üblichen Kleinigkeiten wird hier kostentechnisch deutlich überzogen: Ein Rosenkranz mit Double Cross-Motiv ist für fünfundzwanzig Euro zu haben, eine Cap beträgt gar das Gleiche, wie eines der Kleidungsstücke. Trotzdem reißen sich Fans sprichwörtlich um die Artikel und auch ich kann mich dieser Faszination einmal mehr nicht erwehren. Mit einem T-Shirt und Schlüsselanhänger in der Tasche, verlasse ich den Stand nach einigen Minuten wieder und betrete das Innere der Halle, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal halb voll ist. Umso besser, denke ich mir und suche mir einen Sitzplatz auf der linken Tribüne mit voller Sicht auf die Bühne. Die Jacke werfe ich auf den Stuhl, die Tasche schiebe ich direkt darunter. Alles läuft entspannt, so kann‘s gerne weitergehen...

Dinos Chapman:


Gegen 20.00 Uhr ist es an der Zeit für den Support-Act. Die große Ehre, den heutigen Abend zu eröffnen, gebührt „Dinos Chapman“, welcher von Manson höchstpersönlich mit dieser wichtigen Aufgabe betraut wurde. Der kreative Brite, der üblicherweise gemeinsam mit seinem Bruder Jake als Künstler-Duo in Erscheinung tritt und insbesondere für seine Ausstellungen extravaganter Kunststoffmodelle und Skulpturen mit kritischem Ansatz bekannt ist, wandelt seit einigen Jahren auch auf Solo-Pfaden. Als sich der hagere Mann im schwarzen Hemd wortlos an das schlichte Pult begibt, weiß hier noch niemand so recht, was genau ihn nun erwarten wird. Ähnlich wie der Schock-Rocker selbst, waren auch seine Special Guests schon immer höchst umstritten. So stellten sich in der Vergangenheit etwa „Peaches“ oder „Cobra Killer“ in den schwierigen Dienst des Anheizers und sorgten für erhebliche Negativ-Reaktionem unter den Besuchern. Bereits nach wenigen Sekunden wird klar, dass sich diese unliebsame Tradition auch heute wahrscheinlich wieder fortsetzen wird. Zwischen den trüben Lichtkegeln einiger gedimmter Scheinwerfer präsentiert Chapman fortan eine eigenwillige Collage aus Ambient und Noise, die Basis dazu bietet sein 2013 veröffentlichtes Album „Luftbobler“ mit Tracks wie „Whatever Works“, „Smeyes“, „Sputnik“ und „Alltid“. Die insgesamt rund dreißigminütige Performance ist rein instrumental und kommt somit gänzlich ohne Gesang oder überladene Samples aus. Die Ansätze sind zumindest teilweise gut und wissen vor allem anfangs noch zu fesseln, sofern man sich einigermaßen für experimentellen Electro erwärmen kann. Um längerfristig interessant zu bleiben, fehlt es dem gleichförmigen Sound aber doch zu sehr an Struktur, Tempo und Abwechslung. Dazu kommt, dass die musikalische Spanne zwischen dem Künstler und Publikum, was sich großteilig aus Anhängern der Metal- und Gothic-Szene zusammensetzt, einfach zu groß ist, weswegen ein artverwandter Act vermutlich die bessere Wahl gewesen wäre. Dennoch zeigen sich die Fans verhältnismäßig geduldig und es dauert tatsächlich erstaunlich lange, bis einige Pfiffe den Unmut der ungeduldigen Menge offenbaren. „Dinos Chapman“ wäre in der Playlist alternativer Clubs oder Galerien definitiv besser aufgehoben, als auf den großen Bühnen dieser Welt. Dass das der extravagante Kreativkopf jedoch nicht zwingend genauso sieht, zeigen seine teils grenzwertigen Reaktionen auf so manch unliebsamen Facebook-Kommentar. Der Applaus fällt dafür jedenfalls umso größer aus, als der wortkarge DJ nach einer halben Stunde demonstrativ seinen USB-Stick aus dem MacBook herauslöst und zum Abschied die Hand hebt. Ist das Kunst oder...?

Marilyn Manson:

Exakt um 21.00 Uhr erlischt die Beleuchtung innerhalb der gesamten Mitsubishi Electric Halle und hüllt sowohl die seitlichen Tribünen als auch auch den mittlerweile recht weit gefüllten Innenraum in nahezu komplette Dunkelheit. Euphorische Jubelstürme branden gelöst auf und hunderte Smartphone-Displays erstrecken sich jetzt Kollektiv in die Höhe, um dieses Ereignis bestmöglich einfangen zu können. Die Fans auf den Tribünen erheben sich nun ebenfalls alle nacheinander, in den Reihen darunter drängt man sich ebenfalls dicht an dicht. Alle wollen eine möglichst gute Sicht auf das Geschehen haben und blicken wie gebannt nach vorn. Düsseldorf ersehnt die baldige Ankunft des weltberühmten Antichristen mit deutlich spürbarer Spannung, welche spätestens ab dem jetzigen Zeitpunkt fast schon greifbar ist. Doch noch soll es nicht soweit sein, denn entgegen aller Erwartungen lässt der nahende Beginn zunächst noch einige Minuten auf sich warten, während aus den Boxen „The End“ von „The Doors“ erklingt und die Räumlichkeiten stimmungsvoll beschallt. Mit einem Mal wird es ganz und gar still, bis idyllisches Vogelzwitschern den erneuten Applaus schließlich ablöst. Wie aus dem Nichts hallen plötzlich ein gequältes Stöhnen und einige unverständlich Sätze durch die Finsternis, der aufschreckend gebrüllte Appell zur Begrüßung ist hingegen nicht falsch zu verstehen: „Deutschland!“. Die unverkennbare Stimme ist hier wohl ausschließlich allen Besuchern bekannt und zieht schnell weiteren Applaus nach sich. Unversehens erklingt mit „Requiem“ von Wolfgang Amadeus Mozart orchestraler Bombast und setzt bereits jetzt einen fast schon surreal anmutenden Kontrast zum folgenden Auftakt. Ein tiefes Dröhnen brodelt bedrohlich stark aus den Schatten hervor, gräbt sich immer weiter in den Magen und lässt den gesamten Boden erzittern. Die helle Sirene eines Fliegeralarms breitet sich über das Publikum aus, dann fällt der schwarze Vorhang endlich nieder und gibt den Blick auf das Geschehen frei. Blutrotes Licht flutet die gesamte Location, unterdessen ziehen grelle Scheinwerfer langsam kreisend ihre Bahnen durch die dichten Nebelwolken, welche vorerst nur die Silhouetten der einzelnen Akteure erkennen lassen. Auf der rechten Seite ist ein breites Podest für das wuchtige Schlagzeug errichtet, hinter dem Gil Sharone seinen angestammten Platz eingenommen hat. Am vordersten Rand befindet sich Bassist Juan Alderete mit seinem Instrument, zur Linken hingegen die beiden Gitarristen Paul Wiley und Tyler Bates als geschlossene Saitenfraktion. Die Bühne ist derzeit noch recht spartanisch gehalten und lediglich auf das Nötigste reduziert worden. Im Hintergrund hängt, eingegrenzt von jeweils einem Banner mit dem Doppelkreuz, roter Samt von der Decke herab und verleiht der Szenerie eine schlichte, aber dennoch edle Atmosphäre. Davor streckt sich eine durchaus imposante Stahlkonstruktion in die Höhe, von der aus zwei gespreizte Revolver zu den Seiten ragen. In ihrem Zentrum ruht ein gotisch anmutender Thron mit schwarzer Ledergarnitur und verschnörkelten Verzierungen. Darauf sitzt, wie an eine aufgerichtete Trage gefesselt, der Zeremonienmeister selbst. Fordernd lehnt sich Brian „Marilyn Manson“ Hugh Warner nach vorn und intoniert die ersten Zeilen des Openers „Revelation #12“, einer der Songs von seiner neuesten Veröffentlichung „Heaven Upside Down“.

Er trägt einen langen Ledermantel, darunter ein transparentes Oberteil mit einer eng geschnürte Korsage. Das ganze Gesicht ist bleich geschminkt, sein rechtes Auge wird von einer klaffenden Wunde verdeckt, aus der Kunstblut rinnt. In seiner Hand hält er ein Mikrofon, dessen Griff zu einem silbernen Schlagring geformt ist. „Guten Abend. Schön, dass ihr alle gekommen seid und das meine ich zumindest jetzt noch nicht auf eine sexuelle Art und Weise...“, begrüßt Manson die begeisterte Anhängerschaft mit seinem gewohnt eigenwilligen Humor, was für einige Lacher sorgt. Ohne sich mit weiteren Phrasen aufhalten zu wollen, stimmt die Band nun die brachiale Hymne „This Is The New Shit“ vom gefeierten Erfolgsalbum „The Golden Age Of Grotesque“ an, welche für den passenden Einstieg in diesen Abend wie gemacht ist. So ist es wenig verwunderlich, dass die unbändige Energie des rauen Hits schnell wie ein Funke auf das Publikum überspringt und sich dort wie ein aggressives Lauffeuer ausbreitet. Die Fans zeigen sich nicht nur ausgelassen und textsicher, sondern sorgen mit vereinzelten Tänzen und einem kleinen Mosh-Pit auch für etwas Bewegung im Innenraum. Diesen Stimmungsanstieg scheint auch der Sänger selbst wahrzunehmen, was er mit einem kurzen Lächeln und sichtlichem Einsatz beim Gesang quittiert. Ein Konzert des polarisierenden Schock-Rockers ist bekanntermaßen schon immer eine schier unberechenbare Überraschung und von der temporären Verfassung des launigen Masterminds abhängig gewesen, doch um jene scheint sich Düsseldorf zumindest heute keine Sorgen machen zu müssen. Fast so stimmgewaltig wie in den alten Tagen, variiert der US-Amerikaner stimmlich scheinbar problemlos zwischen cleanen Parts, markerschütternden Screams und tiefen Growls, was den einzelnen Titeln insbesondere live seit jeher ihre ganz eigene Dynamik verleiht. Zu diesem Umstand trägt eventuell auch bei, dass Manson in seiner Agilität derzeit zwangsweise limitiert ist. Bei einem Gig in New York am 01.10.2017, stürzte eine übergroße Attrappe auf den Sänger herab und begrub ihn unter sich. Mehrere Crew-Mitglieder waren nötig, um das Objekt zu entfernen und den Frontmann von der Bühne abzutransportieren. Gleich neun gecancelte Termine und ein schwerer Wadenbeinbruch waren die Folge. Nach einiger Zeit der Erholung konnten die danach angesetzten Konzerte wieder wahrgenommen werden, wenn auch mit einigen Einschränkungen. Anstatt jedoch den sterbenden Schwan zu geben, entschied sich Manson dazu, aus der Not eine Tugend zu machen und das unglückliche Missgeschick fortan zu einem effektiven Teil seiner Show werden zu lassen. Mit sichtlicher Freude über sein neues Spielzeug, kostet der bekannte Schockrocker die Folgen seines Handicaps voll aus und dreht mithilfe der kleinen Steuereinheit auf der linken Armlehne einige Runden in seinem mobilen Hochsitz. Die abschließenden Zeilen „Stand up and admit. So, let us entertain you...“, erreichen somit gleich nochmal eine gänzlich andere Ebene und zeigen, dass der Unfall im Nachhinein auf eine absurde Art doch einen Glücksfall und Gewinn darstellt, wie im Folgenden immer wieder verdeutlicht werden soll.

Wieder wird es dunkel und im nervösen Schimmer einiger Lichtkegel fahriger Taschenlampen, betreten nun zwei Stagehands die Bretter. Stilecht mit OP-Kittel, Haube und Mundschutz bekleidet, hieven die beiden Arzthelfer den Sänger aus seinem Thron heraus, nehmen ihm den schweren Mantel ab und geleiten ihn langsam zu seinem Mikrofonstativ am vorderen Bühnenrand. Um die Schmerzen in Schach zu halten und dadurch einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, trägt Manson am rechten Bein eine eiserne Schiene, welche er nun auf einer Krücke abstützt. Egal ob „Disposable Teens“ oder „mOBSCENE“, Manson gibt auch ohne viel Bewegung alles und rockt die Menge mit diesen beiden Klassikern. Zur aktuellen Single-Auskopplung „Kill4Me“, deren zugehöriges Musikvideo mit Johnny Depp erst jüngst für einige Furore in den Medien sorgte, kleiden die beiden Gehilfen Manson in einen roten Ledermantel, während der Vorhang im Hintergrund fällt und das Cover des neuen Albums enthüllt. Auch bei diesem melodischen Titel zeigt sich der selbsternannte Antichrist erstaunlich textsicher und gefestigt, spielt sein Können insbesondere im Refrain voll aus. Schön anzusehen und vor allem auch endlich wieder schön anzuhören. Genauso wie das energiegeladene „Deep Six“ vom blueslastigen und grandiosen Vorgängerwerk „The Pale Emperor“. Immer wieder scherzt der Frontmann gut gelaunt mit dem euphorischen Publikum und vor allem auch seiner Band, lächelt gelöst, zupft die Saiten vom Bass oder wirft großzügig einige Accessoires in die Reihen. Einen schwarzhumorigen Saitenhieb auf die scheinbar perfekte Glitzer- und Glamour-Welt bietet danach das zynische „The Dope Show“. Gerade auch weil der US-Amerikaner die Kehr- und Schattenseite des Ruhms nur zu gut selbst kennt, wirkt es zu jeder Zeit authentisch, wenn Manson im rabenschwarzen Federkleid den Zeigefinger erhebt und der vermeintlichen High Class-Gesellschaft den Spiegel vorhält. Erneut hält die Finsternis zu den Takten des instrumentalen „1°“ auf der Bühne ihren Einzug, während abermals dichter Nebel aufzieht und die Szenerie nahezu komplett vereinnahmt. Im fahlen Scheinwerferlicht verändert sich der Hintergrund erneut und zeigt nun einige kryptische Symbole auf weißer Wand, was den optischen Anschein einer Gefängniszelle aus der Nervenheilanstalt erweckt. Ein bestens bekanntes Gitarrenriff entlockt der gespannten Menge bereits ab der ersten Sekunde tosenden Beifall und wieder erheben sich zahlreiche Displays in die Luft. Kein Wunder, denn immerhin soll nun einer der größten Erfolge aus dem gesamten Repertoire der Schock-Rock-Koryphäe folgen: Das weltweit gefeierte Cover zum beliebten „Eurythmics“-Evergreen „Sweet Dreams“, zu dem Manson jetzt in einem Krankenbett auf die Bühne gefahren wird. Obwohl die Inszenierung im direkten Vergleich zu den vorherigen Tourneen deutlich reduzierter daherkommt, verfehlt sie ihre eindringliche Wirkung nicht und erweckt schnell eine beängstigende, fast schon bedrohliche Atmosphäre, welche den launigen 80er-Hits in ein groteskes Horror-Zerrbild seiner selbst verwandelt und dem ohnehin schon psychedelischen Text eine gänzlich andere Bedeutung verleiht. Der Frontmann erzeugt allein durch seine Mimik und Gestik für eine düstere Stimmung, setzt verhältnismäßig einfache Mittel effektiv ein. So schwenkt er eine kleine Lampe als nahezu einzige Lichtquelle hin und her, stranguliert sich mit ihrem Kabel immer wieder selbst und steckt sie sich anrüchig zwischen die Beine.

Der Mittvierziger genießt es, mit den Folgen seines Unfalls überspitzt zu kokettieren und den schwerverletzten Patienten zu mimen. Dazu wälzt er sich von links nach rechts, vergräbt sein Gesicht ins Kissen, wütet und schreit, was über die gesamte Spielzeit zur gehobenen Intensität der Performance beiträgt und die Illusion morbide abrundet. Selbst vor seinen beiden Pflegekräften macht Manson nicht Halt, drangsaliert und durchbohrt sie mit seinen eindringlichen Blicken, was sich auch durch das folgende „Tourniquet“ vom Meilenstein „Antichrist Superstar“ weiterhin durchzieht. Ein weiterer Umbau findet statt und wieder wird es für einige Zeit dunkel auf den Brettern. Dieses Prozedere ereignet sich so nicht zum ersten Mal an diesem Abend, sondern wiederholt sich jeweils nach mindestens zwei voll gespielten Songs. Das kann einerseits natürlich den erschwerten Bedingungen durch den Bruch geschuldeten sein, nimmt der ansonsten energetischen Show auf der anderen Seite allerdings aber auch stetig den Fluss, was sich, ebenso wie die teils arg verworrenen Ansagen, leider in einer rapiden Senkung der recht hohen Stimmungskurve niederschlägt. Dennoch bemüht man sich auf der Bühne redlich, diese unfreiwilligen Pausen sogleich wieder bestmöglich zu kaschieren, indem man weiterhin mit einer gelungenen Lieder-Wahl auftrumpft. Darunter auch die martialische Vorab-Auskopplung „We Know Where You Fucking Live“, in welcher Manson gewohnt angriffslustig mit allen Unkenrufen der Kritiker aufräumt. Dazu lässt sich der Sänger von einem seiner beiden gepeinigten Helfer in einem Rollstuhl umherfahren, nimmt die erste Reihe mit einer massigen OP-Leuchte aufs Korn und schüttelt einige Hände der Fans, was die Begeisterung in neue Höhen treibt. Der ursprünglich geplante Titeltrack „Say10“ schließt sich nahtlos an, zu dessen ersten Klängen jetzt Pentagramme auf dem Backdrop aufleuchten. Der in den einzelnen Strophen eher ruhig gehaltene Song hat es am Anfang noch recht schwer, sich ausreichend Gehör zu verschaffen, entfaltet dann im Refrain aber schnell sein volles Potential und verleitet die Fans nur zu gern zum mitsingen. Ohne auch nur ein weiteres Wort zu verlieren, verlassen der Sänger und seine Band danach die Bühne und lassen das Publikum unversehens und ratlos zurück. Merklich verunsichert, ob des plötzlichen Abgangs und dem Wissen, um das eigenwillige Verhalten des Musikers auf vorherigen Tourneen, lassen die ersten „Zugabe“-Rufe erst noch einige Sekunden auf sich warten, bevor sich allmählich zurückhaltende Chöre bilden.

Allzu lange muss Düsseldorf jedoch nicht auf die Rückkehr des illustren Quintetts warten, denn nur wenige Minuten später geht es schon weiter. Ungeachtet jeglicher Zurufe legt der Schock-Rocker mit „Cruci-Fiction In Space“ von seinem Erfolgswerk „Holy Wood“ aus dem Jahr 2000 nach, bei dem er abermals beweist, seine alten Qualitäten nicht verlernt zu haben. Die Entscheidung, diese rare Perle ins Set aufzunehmen, entfaltet sich als absoluter Glücksgriff und deckt mit ihren wechselhaften Parts das gesamte Spektrum Mansons einzigartiger Stimme ab. Ein voller Erfolg auf ganzer Linie, der mit verdientem Applaus honoriert wird, wenngleich auch scheinbar nicht bei allen Besuchern bekannt. Ganz im Gegenteil zum nächsten und gleichsam auch letzten Song der kurzweiligen Show: Mit einer kurzen Geste winkt der Sänger einen seiner Gitarristen zu sich heran und bedient sich freimütig an dessen Instrument. Während Bates ihm den Klangkörper hinhält, klopft Manson den prägnanten Takt einer seiner berühmtesten Nummern darauf und blickt anschließend in die Menge. Stille. Ein unverkennbares Riff später gibt es die Auflösung: „The Beautiful People“! In eine angedeutete SS-Uniform gehüllt, holt der Antichrist nochmal alles aus seiner Stimme heraus und erreicht dabei erfreulicherweise einmal mehr das Können vergangener Tage. Eine schöne Liebesbekundung an seine treuen Fans. Nach rund achtzig Minuten endet der Auftritt wie gewohnt ohne ausufernde Abschiedsritualien: Lustlos wirft der Frontmann sein Mikrofon auf den Boden und dreht sich ohne einen einzigen Blick zurück um. Die Band spielt die letzten Takte, bevor auch sie die Bühne verlässt und das Hallenlicht schließlich wieder angeht, um dem perplexen Publikum, welches nun zu „God‘s Gonna Cut You Down“ von Johnny Cash geordnet die Halle verlässt, das Ende der schwarzen Messe zu signalisieren. Ein sowohl show- als auch gesangstechnisch überraschend einwandfreier Auftritt, der über weite Strecken ansatzweise den Charme alter Tage aufkommen ließ und dessen guter Gesamteindruck lediglich durch die gewohnt kurze Spielzeit geschmälert wird. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die einst so schockierende und polarisierende Kunstfigur „Marilyn Manson“ sich stark verändert hat und weder medial, noch musikalisch oder gar live jemals wieder an die ausufernden Erfolge von einst wird anknüpfen können. Dazu ist in der Vergangenheit zu viel passiert, dazu hat sich die weltliche Wahrnehmung zu sehr verschoben. Brian Hugh Warner, der in den letzten zehn Jahren stets neue Krisen durchlitt, kann und wird nie wieder vollständig derjenige sein, der er einmal war... Doch wenn man die Weiterentwicklung und gesteigerte Kreativität der aktuellen Schaffensphase betrachtet, ist das vielleicht auch gut so.

Setlist:

01. Intro

02. Revelation #12

03. This Is The New Shit

04. Disposable Teens

05. mOBSCENE

06. Kill4Me

07. Deep Six

08. The Dope Show

09. 1°

10. Sweet Dreams („Eurythmics“ Cover)

11. Tourniquet

12. We Know Where You Fucking Live

13. Say10

14. Cruci-Fiction In Space

15. The Beautiful People

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