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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

Heldmaschine - „Im Fadenkreuz"-Tour - Circus Probst, Gelsenkirchen - 17.09.2021


Veranstaltungsort:

Stadt: Gelsenkirchen, Deutschland


Location: Circus Probst


Kapazität: ca. 300


Stehplätze: Nein


Sitzplätze: Ja


Homepage: https://www.circus-probst.de


Einleitung:


Achtung: Alle, welche die jüngsten Konzertberichte zu „Faderhead“ und „Combichrist“ in Gelsenkirchen schon gelesen haben, dürfen den ersten Teil der Einleitung jetzt gerne überspringen, da dieser zwecks der umfassenden Erklärung des neuen Hygiene-Konzepts, all seiner zugehörigen Hintergründe und des Aufrufes zur initiativen Unterstützung der Veranstaltungsbranche hier fast ausschließlich übernommen wird. Alle anderen können selbstverständlich bedenkenlos weiterlesen: Es ist kaum zu glauben, aber nach einer sehr langen, ja, gefühlt ewig währenden Durststrecke gibt es sie jetzt endlich doch wieder: Konzerte! Wenn auch deutlich unregelmäßiger, weniger und vor allem anders, als zuvor. Wobei dieses „zuvor“ in Wirklichkeit aber eigentlich noch gar nicht so lange her ist, wie es vielleicht zunächst den Anschein hat, denn noch im Februar letzten Jahres war Live-Musik vor Publikum in großen Arenen oder kleinen Clubs definitiv nichts Außergewöhnliches oder gar Unvorstellbares. Nahezu an jedem einzelnen Tag gab es in so ziemlich jeder größeren und kleineren Stadt irgendein Kulturangebot oder gleich mehrere davon, sodass die Auswahl ob der etwaigen Überschneidungen manches Mal durchaus schwer fiel. Hätte mir zu diesem Zeitpunkt jemand erzählt, dass es schon bald eine weltweite Pandemie geben würde, man zukünftig Sicherheitsabstand voneinander halten und Schutzmasken tragen müssen, so hätte ich diesen jemand sehr wahrscheinlich für völlig verrückt erklärt und für seine apokalyptische Science-Fiction-Vision ausgelacht... Dass aber letzten Endes doch alles ganz anders kam und die eben erwähnte Pandemie leider doch keine versponnene Fiktion ist, ist ja mittlerweile hinlänglich bekannt und wurde im letzten Jahr schon zu Genüge diskutiert, weswegen ich hier jetzt kurz einhake. Nein, um weitere Negativmeldungen und das omnipräsente Corona-Virus soll es in diesem Beitrag und auch allen in Zukunft Folgenden nun wirklich nicht gehen, sondern dafür viel mehr um das, was uns so viel bedeutet und wofür ihr ja eigentlich hier seid: Musik... Und ja, auch wieder um Konzerte! Bereit? Na, dann mal los!


Inmitten des letztjährigen, ungewöhnlichen Sommers, nämlich etwa Anfang des Monats Juli, lud eine mysteriöse und zunächst nur mit spärlichen Informationen ausgestattete Facebook-Seite die interessierten Nutzer der Social-Media-Plattform zum „Gefällt mir“ drücken ein: „Konzertsommer im Revier“. Wie sich schon sehr bald darauf herausstellen sollte, verbarg sich hinter diesem eher schlichten, doch umso aussagekräftigeren Aufhänger das gemeinsam ins Leben gerufene Projekt des Hamburger Bookers Pluswelt Promotion und der nordrhein-westfälischen Club-Institution Kulttempel Oberhausen. Zwei ungemein starke Instanzen, welche es sich hiermit zur Aufgabe gemacht haben, die derzeit nahezu komplett stillgelegte Kultur der Live-Konzerte und das Zusammentreffen der Fans unter den aktuell geltenden Auflagen bestmöglich wiederaufleben zu lassen. Stattfinden sollen all diese Veranstaltungen in der eigenen Lokalität des dritten Partners, im großen Zelt des bekannten Zirkus Probst, der seine vorzeitig erzwungene Winterresidenz momentan in einem Stadtteil von Gelsenkirchen aufgeschlagen hat. Dieses bietet viel Platz für insgesamt über dreihundert Gäste. Die Tickets für Gruppen von zwei bis maximal sechs Personen können vorab unter Angabe der jeweiligen Kontaktdaten online gebucht werden, eine örtliche Abendkasse wird es aufgrund der strengen Maßnahmen jedoch nicht geben. Der Einlass, bei dem die von den Besuchern via E-Mail angegebenen Personalien auf den Tickets mit den Ausweisen abgeglichen werden, erfolgt weitestgehend kontaktlos. Auf dem gesamten Gelände ist ein Mund-Nasen-Schutz verpflichtend zu tragen, ausgenommen davon sind nur die Sitzbänke im Freiluftbereich nahe des Gastronomie-Vorzelts und der eigene Platz im Inneren. Im Hauptzelt selbst gibt es ausschließlich Sitzplätze, welche sich auf die rundherum umliegenden Tribünen und kleine Stuhlgruppen direkt vor der Bühne verteilen. Zwischen den Gruppen, die zusammen gebucht worden sind, besteht jeweils der vorgeschriebene Mindestabstand von anderthalb Metern zur nächsten Sitzgruppe. Die Bands, die bei dieser neuen Event-Reihe zumeist im stilistisch passenden Doppelpack zusammengelegt werden, treten natürlich im Zentrum des Zelts, also in der Manege, auf. Ganz so, wie in einem echten Zirkus eben. Das Line-Up der beworbenen Sommer-Verlängerung kann sich wahrlich sehen lassen: Natürlich waren in der Vergangenheit mit „Sono“ und „Empathy Test“, „Zoodrake“ und „Solitary Experiments“, „T.O.Y.“ und „De/Vision“, „In Strict Confidence“ und „Suicide Commando“, „Beborn Beton“ und „Covenant“, „Rotersand“ und „Noyce™“, „Frozen Plasma“ und „Future Lied To Us“ oder „[:SITD:]“ und „ES23“ vornehmlich zahlreiche, namhafte Vertreter elektronischer Musik von Synthie- und Future-Pop, über Dark Wave und Industrial, bis hin zu Aggrotech und EBM vertreten, aber auch ganz viel dunkle Melancholie mit den Szene-Veteranen „Diary Of Dreams“, Billy „The Dark Tenor“ Andrews oder Joachim Witt mit klassisch-akustischem Kammer-Ensemble oder gar harte Gitarrenmusik von „Wisborg“ und den Dark Rockern „Unzucht“ oder hämmernde NDH mit „Schlagwetter“ und „Heldmaschine“. Bei dieser schwarz-bunten Mischung dürfte wohl für jeden etwas dabei gewesen sein! Bei der Edition in 2021 sind wieder viele der Bands aus dem Vorjahr wieder mit an Bord, wie zum Beispiel Ex-„Wolfsheim“ Peter Heppner oder der absolute Garant für ausverkaufte Häuser „VNV Nation“, während es etwa mit den viel nachgefragten Synthie-Poppern „Rroyce“, dem NDH-Nachwuchs „Schattenmann“, den Gothic-Rockern „She Past Away“, den Horror-Punkern „The Other“, dem furiosen Szene-Duo „L’Âme Immortelle“, der Jubiläumsshow von „Faderhead“ oder den Industrial-Berserkern „Combichrist“ auch so einige namhafte Neuzugänge in der Manege gibt.


So sehr ich die normalen Club-Shows auch vermisse, aber solche kreativ gelösten Alternativen sind dieser Tage gerade für den passionierten Konzertbesucher schon wirklich ein riesiger Luxus und erst recht kein Vergleich zu den doch eher trostlosen Autokino-Konzerten mit blinkender Lichthupe anstelle von echtem Applaus! Das gesamte Konzept kann also vollkommen zurecht als eine Art wunderbar entspannter, enorm bereichernder und perfekt organisierter Kultur-Kurzurlaub angesehen werden... Ein kleines Stück von Freiheit und Normalität in diesen schwierigen Zeiten, herzlichen Dank dafür an alle Beteiligten! Zugunsten der örtlichen Veranstalter, Crews und Bands haben wir unsere Tickets, wie bereits im vergangenen Jahr, für alle (stattfindenden) Konzerte in 2021 selbstverständlich ganz normal gekauft und demnach schon auf die bloße Anfrage einer Akkreditierung verzichtet. Das ist vermutlich auch so ziemlich das Mindeste, was man als Musikliebhaber derzeit tun kann, wenn man sich in Zukunft nicht plötzlich vor den zahlreichen Trümmern jener Branche stehen sehen will. Wer momentan nicht die Möglichkeit dazu hat oder aus Vorsicht präventiv keine größeren Veranstaltungen besuchen möchte, kann dennoch helfen, denn die Fans mancher Künstler haben auf eigene Faust engagierte Spenden-Aktionen ins Leben gerufen und die Acts selber haben in ihren Online-Shops nun oft spezielle Angebote mit besonderen, exklusiven Artikeln. Kauft mehr CDs, anstatt Musik nur im Abonnement zu streamen oder Merchandise, um den Musikern zu helfen und das weitere Fortbestehen der Kulturlandschaft zu sichern - Danke!


Am Freitagabend des 17.09.2021 machen meine Begleitung und ich uns mittlerweile schon zum dritten Mal in diesem Sommer nach Gelsenkirchen Katernberg auf, wo der Zirkus Probst, wie auch schon im letzten Jahr, in der Feldmarkstraße auf einem kleinen Platz seine Zelte für die kommende Wintersaison aufgeschlagen und darüber hinaus eingewilligt hat, das weiter oben beschriebene Konzert-Konzept gemeinsam mit Pluswelt Promotion und dem Kulttempel Oberhausen in die livehaftige Tat umzusetzen. Kaum auf dem gut ausgelasteten Parkplatz zum Stehen gekommen, geht es für uns dann auch schon ohne viel Zeit zu verlieren zielstrebig zur Abendkasse. In der Hoffnung, dass sich noch ein paar wenige Restkarten im laufenden Verkauf befinden, denn unsere Entscheidung, das heutige Konzert zu besuchen, fiel relativ spontan und der Online-Presale für das entsprechende Event schloss wie immer bereits am Donnerstag. Und siehe da: Wir haben Glück, es gibt noch Tickets! Gegen die kurze Vorlage unserer 3-G-Nachweise und Personalausweise erhalten wir direkt die Zuweisung für unsere beiden Plätze. Maske auf und dann geht es auch schon weiter. Da wir heute berufsbedingt leider etwas später angekommen sind und der Support „Vlad In Tears“ deshalb schon bei hörbar guter Stimmung auf der Bühne steht, müssen wir auch gar nicht allzu vielen anderen Fans auf dem Weg ins Innere ausweichen oder uns am Ausschank gar in eine lange Schlange einreihen. Durften wir den medizinischen Mund-Nasen-Schutz aufgrund der niedrigen Inzidenz am Einlass, in sämtlichen Warteschlangen und auf dem Gelände selbst beim Jubiläum von „Faderhead“ vor wenigen Wochen noch weglassen, so muss dieser bei steigenden Corona-Zahlen nun wieder ordnungsgemäß getragen werden. Aufgrund der positiven Erfahrungen aus 2020 und um den Gästen mehr Komfort anbieten zu können, wurden auch die Kapazitäten der Sitzplätze im Zirkuszelt erheblich aufgestockt. So winken anstelle von wackeligen Holzbänken jetzt fast doppelt so viele Sitzschalen mit Lehne und auch die interne Gastronomie erfreut sich an vielen tollen Ergänzungen im Speiseplan mit Pommes, Brat- und Currywurst, sowie einer spürbaren Erweiterung des Teams. Hier wurde an den richtigen Stellschrauben gedreht - Toll! Mit ausreichend Getränkenachschub in unseren Händen suchen wir brav unsere Sitze auf. Im vorderen Bereich des großen Hauptzelts ist ebenfalls wieder der stark frequentierte Merchandising-Stand aufgebaut worden, der dieses Mal wirklich sehr ausladend ausfällt und nahezu alles bietet, was das Fan-Herz so begehrt: Neben hübschen Kleinigkeiten, wie Stickern, Buttons, Lanyards, Ketten und Mützen gibt es natürlich auch viele T-Shirts und Zip-Kapuzenjacken in verschiedenen Designs. Auch alle Studioalben auf CD sind hier in der breiten Auslage zu sehen und als wäre das noch nicht genug, locken zudem sogar einige besondere Schmankerl, wie die „Volles Brett“-EP oder „Live + Laut“-Fan-Box... Wow. Wer hier nichts findet, der ist selber schuld! Die nächsten erfreulichen Überraschungen folgen gleich auf dem Fuße, denn einerseits haben wir trotz unseres verspäteten Ticketkaufs wirklich ziemlich tolle Plätze genau gegenüber der Bühne ohne Sichteinschränkung zugewiesen bekommen und andererseits sitzen nur zwei Reihen vor uns ganz liebe Menschen, die wir bereits von vielen anderen Konzerten kennen und erst in der Vorwoche bei der Strandkorb-Open-Air-Edition des Zeltfestivals Bochum zu „Völkerball - A Tribute To Rammstein“ gesehen haben. Ein sehr, sehr schöner Zufall. Also: Los geht’s!

Vlad In Tears:


Als Erstes steht für den heutigen Abend aber nicht etwa schon die volle Dröhnung NDH auf dem Programm, sondern moderner Dark Rock mit einem charmanten Oldschool-Gothic-Touch versehen. Dafür stehen die 2007 gegründeten „Vlad In Tears“ seit jeher mit ihrem klangvollen Namen, die in den letzten Jahren unter anderem als Support für „Rabbit At War“, „Unzucht“ oder „Mono Inc.“ fungierten und sich dabei schon eine beachtliche Anzahl an eigenen Anhängern erspielen konnten. Jetzt haben auch alle Fans der „Heldmaschine“ die Möglichkeit, sich mit den vier Berlinern vertraut zu machen, denn für die verschobenen Frühjahrskonzerte der „Im Fadenkreuz“-Tour 2022 sind die Hauptstädter nämlich wieder gleich mit an Bord, die gegen 19.30 Uhr mit dem Trio aus „Run Or Fight“, „Die Today“ und „Kiss My Soul“ vom selbstbetitelten Album aus 2014 voll durchstarten. Mit „Lies“ vom direkten Nachfolger „Unbroken“ und „Bleed Me Dry“ von „Souls On Sale“ geht es danach weiter. Der dunkle Goth-Rock mit leichten Metal-Anleihen weiß zu gefallen und erinnert zuweilen etwas an „H.I.M.“, verzeichnet allerdings mehr metallische Ausbrüche. Weiterhin fällt das hohe Charisma von Sänger Kris Vlad auf und dürfte neben dem mit allerhand Totenschädeln verzierten Mikrofonstativ insbesondere einigen weiblichen Fans im Publikum verstärkt ins Auge stechen, die während der rund dreißig Minuten Spielzeit unübersehbar textsicher mitgehen. „The Devil Won’t Take Me Home“ und „Feed On Me“ beschließen dann das recht kurze Set, welches seinen Fokus überraschend auf die starke Mitte der eigenen Schaffensphase legte und sowohl kleine Ausflüge zu den Anfangstagen als auch Stücke des letzten Albums „Dead Stories Of Forsaken Lovers“ aus 2020 komplett ausließ. Nichtsdestotrotz punkteten „Vlad In Tears“ mit viel Spielfreude und einer gewohnt soliden Gesamtleistung, die, trotz einer differenzierten Zielgruppe, dennoch wohlwollend angenommen und beklatscht wurde. Ein gelungener Vorgeschmack auf 2022, oder?

Heldmaschine:


Um 20.15 Uhr fällt schließlich der von allen anwesenden Fans sehnsüchtig erwartete Startschuss für die diesjährige Zirkus-Show der fünf heroischen Maschinisten aus Koblenz. Dementsprechend groß fällt jetzt natürlich auch der lautstark tosende Beifall aus, als sowohl die dezente Begleitmusik vom Umbau als auch die gemütliche Beleuchtung im großen Zelt mit einem Mal ausgehen und so mit schnellen Schritten den nahenden Beginn der Show ankündigen. Das bohrende Vibrieren aus den Boxen lässt die Holzbänke erzittern und steigt schon bald darauf zu einem tiefen Dröhnen an, während ein undefinierbares Knistern und Knacken, kaltes Pfeifen und monoton getaktete Geräusche die endgültige Ankunft der „Heldmaschine“ verheißen. Die ohnehin schon extrem hohe Spannung im Zirkus steigt und steigt und steigt... Plötzlich wird das übergroße Backdrop mit dem Band-Logo, welches im ansonsten stockfinsteren Hintergrund fast den ganzen Artisteneingang verdeckt, in einen kühlen, eisig blauen Schimmer getaucht und immer mehr dichter Nebel zieht auf. Davor ragen sechs hohe Masten mit verschiedenen Scheinwerfern in die Luft. Unter maschinellem Ächzen und mindestens genauso viel Applaus zeigen sich nun Schlagzeuger Dirk Oechsle, Bassist Marco Schulte, sowie die beiden Gitarristen Eugen Leonhardt und Tobias Kaiser mit maskierten Gesichtern nacheinander in der Manege und verharren dann so regungslos, als befänden sie sich noch im Stand-By-Modus. Nur wenige Sekunden später folgt ihnen Frontmann und Sänger René Anlauff, ebenfalls von einer metallischen Maske verhüllt, die entfernt an den großen Roboter aus dem bekannten Zeichentrickfilm „Der Gigant Aus Dem All“ erinnert, der sich mit abgehackten Bewegungen dem Mikrofonstativ nähert und dabei auffordernd beide Arme zum Gruß hebt. Als dann noch die ersten, elektronisch zuckenden Klänge des eröffnenden „Luxus“ ertönen, gibt es im Publikum kein Halten mehr. „Gelsenkirchen!?“, verschafft sich Anlauff, der seinen Helm direkt nach dem Intro abgelegt hat, mit einem breiten Grinsen ausreichend Gehör und erhält ein gellendes Echo der puren Begeisterung als Antwort. Erst recht, als er gegen Ende des mitreißenden Openers, der die Menge direkt auf Betriebstemperatur gebracht hat, einige Runden in der Manege dreht und verschwenderisch „Heldmaschine“-Geldscheine in die umliegenden Logen wirft. Was kostet die Welt? Ganz egal, denn in jedem Fall gibt es ab jetzt „Kein Zurück“ mehr, in dessen melodischem Refrain sich der Zirkus in ein weites Meer aus wogenden Händen verwandelt. „Ihr seid der Hammer! Unfassbar... Vielen, vielen Dank!“, freut sich Anlauff sichtlich bewegt, doch der Jubel nimmt einfach nicht mehr ab und das gerade einmal nach dem zweiten Lied. Respekt! Mit dem verständlicherweise etwas angesäuerten Hinweis, gar nicht mehr so viel über „diese ganze Scheiße“ reden zu wollen, gibt es im Folgenden die Anti-Hymne auf ein spezielles Thema, welches seit Anfang 2020 wohl die gesamte Welt in Atem hält und damit nicht zuletzt auch die Kulturbranche und all ihre Mitstreiter bis zum heutigen Tag extrem in Mitleidenschaft zieht. Die neue Standalone-Single „Lockdown“ reißt natürlich insbesondere live vollkommen mit und lässt nur hoffen, dass uns ins Zukunft nicht wieder ein ebensolcher erwartet. „Es macht uns krank, was diese Zeit von uns verlangt...“ Word. „Vielen Dank, liebe Freunde! Es ist so schön, euch endlich wiederzuhaben.“, begrüßt der Sänger das Publikum herzlich und freut sich spürbar über die mittlerweile recht rar gewordene Möglichkeit eines echten Konzerts. Keine Aufzeichnung. Kein Stream. Live und in Farbe. Hautnah. Gemeinsam. „Danke, dass ihr hier seid. Ihr seid das Benzin, das wir brauchen und damit wir lebendig bleiben.“, unterstreicht er daher nochmals. „Unsere letzte Tankstelle ist schon verdammt lange her, in diesem Sinne... Prost!“, lautet dann die Ansage zum zynisch rockenden Klassiker „Schwerelos“ vom dritten Album „Lügen“.

Anschließend darf auch ein Lob an die Vorband des Abends nicht fehlen: „Das sind schon echte Leckerchen, oder? Nicht so wie wir alte Säcke... Aber wir geben mit viel Schminke alles!“, witzelt Anlauff sympathisch. Mit einer Ode an die raue See, nämlich „Die Braut, Das Meer“, geht es anschließend erstmals etwas ruhiger und melancholischer zu, was der grandiosen Stimmung aber keinen Abbruch tut. Bei seinem ausladenden Solo wird Gitarrist Tobias sogar kurzerhand vom Frontmann auf die Schultern genommen und, weiterhin die Saiten bearbeitend, huckepack quer durch die ganze Manege getragen. Die Band hat sichtlich viel Spaß und legt eine enorme Spielfreude an den Tag, was sich immer wieder rasch auf das Publikum überträgt. Nach einem kräftigen Schluck stilecht aus dem großen Kanister, um die Kehle ordentlich zu ölen, darf zu „Die Maschine Spricht“ dann zusammen traditionell im Viervierteltakt auf den Boden gestampft werden, sodass das Zelt nur so wackelt und bebt. „So Leute, die nächste Nummer haben wir auch schon sehr lange nicht mehr gespielt. Ja, auch die „Heldmaschine“ beachtet eure Wünsche!“, heißt es dann vor dem dystopischen Up-Tempo-Rocker „Zwei Sekunden“ vom aktuellen Longyplayer „Im Fadenkreuz“, welches erwartungsgemäß wieder großen Anklang im Publikum findet. Als Anlauff auch bei Leonhardt einen Huckepack-Versuch startet, lehnt dieser jedoch dankend ab. Dennoch: Sehr schön, wenn eine Band eigenständig für viel Abwechslung im Set sorgt und sich dabei so manches Mal sogar noch an Fan-Favoriten orientiert, wie sich auch später noch zeigen wird. Mit dem dunkel-mystischen Titeltrack des dritten Albums, „Himmelskörper“, und dem frivol-sozialkritischen „Sexschuss“, ihrer Zeit die erste Vorab-Single des oben genannten Werks, geht es druckvoll rockend weiter voran. Zu letzterem Song setzen sich die Musiker allesamt die aus dem zugehörigen Video bekannten VR-Brillen auf, die fortan durch die einsetzende Dunkelheit im Zelt leuchten. Ein sehr cooler Effekt! „Bei mir lief da gerade ein anderer Film... Bonanza. Und bei euch so?“, witzelt der Sänger unter lautem Gelächter. „Jetzt kommt eine Nummer, die wir beim letzten Mal leider nicht gespielt haben. Sind die Wikinger da? Es ist jetzt doch fast ein Jahr her, dass wir hier gespielt haben und damals mussten wir sie leider enttäuschen...“, berichtet er und meint damit eine kleine Gruppe treuer Fans, die sich lustige Wikingerhelme aufgesetzt haben und die, siehe da, zur hellen Freude der Musiker auch heute wieder laut grölend in einer der Logen anwesend sind. „Ah, da seid ihr ja. Extra für euch!“, kündigt Anlauff lachend den stimmungsvollen Düster-Shanty „Die Geister, Die Ich Rief“ an, in dessen interaktivem Mittelteil nun in gemeinsamen „Nanana“-Chören gesungen werden darf. Ein großer Spaß für alle, der einmal mehr veranschaulicht, wie stimmgewaltig Gelsenkirchen sein kann!

„Ich weiß ja nicht, wie es euch so geht, aber wir haben richtig Bock! Ihr auch?“, fragt Anlauff schelmisch und kann sich reichlichem Zuspruch sicher sein. „Na, dann... Der Abend ist unser!“, grinst er und beginnt zur Überraschung einiger Fans eigenhändig damit, die Saiten einer Akustikgitarre zu stimmen, auf welcher es anschließend sogar noch ein kleines, improvisiertes Solo zu hören gibt. „Klingt gut, oder? Das wird ein Hit. Wir schreiben ja nur Hits... Vielleicht noch eine Trompete dazu?“, witzelt er und beginnt daraufhin die ersten Akkorde der sympathischen Halb-Ballade „Gottverdammter Mensch“ zu spielen. Die ruhigen, aber umso authentischeren Strophen kommen mit ihrem Sprechgesang insbesondere live sehr gut zur Geltung und kühlen die aufgeheizte Stimmung in den nachfolgenden Minuten wieder angenehm runter, im schmissigen Refrain darf dann natürlich trotzdem aus voller Kehle mitgegrölt werden. Zeit zum Verschnaufen gibt es nicht, denn die Uhr tickt erbarmungslos und der nächste Höhepunkt steht schon an der Schwelle: Während sich René Anlauff im Hintergrund bereits auf den nächsten Song vorbereitet, gibt der in der Manege zurückgebliebene Rest der Band die „Maschinenliebe“, ein extrem tanzbares Instrumentalstück und zudem Closer des aktuellen Albums, zum Besten. Der catchy Industrial-Electro stampft mit seinen zuckenden Beats und dem punktgenauen Drumming als treibenden Motoren unaufhaltsam voran, Bass und Gitarren vereinen sich derweil als geschlossenes Trio Infernale auf den Podesten an der Frontseite der Bühne. Dazu gibt es einmal mehr perfekt abgestimmte Lichttechnik: So formen die quadratischen LED-Flächen an den hinteren Pfosten beispielsweise Worte wie „Titan“ oder „Liebe“ passend zu den roboterartigen Sample-Vocals. Verdammt gelungen! Zum bekannten Hit „Radioaktiv“ vom Debüt „Weichen + Zunder“ aus 2013 betritt der Sänger dann wieder die Manege, die nun extra abgedunkelt wurde. Auf seinen Schultern eine schwere Apparatur, welche fortan giftgrüne Laserstrahlen in das weite Zelt projiziert. Nach wie vor ein sehr beeindruckender und optisch wirkungsvoller Effekt! „Einen riesigen Applaus für unseren Wayne! Wir haben echt gute Leute am Licht dabei.“, lobt Anlauff den jungen Mann an der Technik im Namen der Band und stellt daraufhin auch die übrigen Mitglieder der Crew unter viel Applaus des Publikums vor. „Springt!“ lautet danach die klare Ansage für die nächsten Minuten und mit dem geballten Einsatz der wuchtig bretternden Instrumente machen jetzt alle so energisch mit, dass das große Zelt des Circus Probst nur so wackelt.

Es ist schon wirklich ziemlich eindrucksvoll, wie verhältnismäßig schnell es der sympathischen Koblenzer „Heldmaschine“ in den letzten acht Jahren gelungen ist, aus dem Schatten der eigenen Tribute-Aktivitäten herauszutreten und sich von einem zunächst noch eher unscheinbaren Zweitprojekt zu einem dermaßen erfolgreichen und vor allem eigenständigen Act zu mausern. Setzten die Live-Shows durch die Cover-Band-Erfahrung schon anfangs auf ein kreatives und durchdachtes Set-Up, so konnte mit der Zeit auch der eigentliche Kern, also die Musik, immer mehr durch viel Witz, Charme und für das Genre innovative Ideen punkten. Das Ergebnis ist insbesondere ab „Himmelskörper“ eine interessante Band, die sowohl auf den Alben als auch live einfach nur Spaß macht und ihre Zuschauer zurecht mitreißt. Na, wenn das mal keine erfolgreiche Entwicklung ist! „So, schnell jetzt! Wir haben nicht mehr ganz so viel Zeit. Wir machen direkt weiter mit der Zugabe, okay?“, hetzt der Sänger mit einem panischen Blick auf die Uhr. Also gibt es sofort und ohne Pause die knallharte Dominanz-Hymne „Auf Allen Vieren“ voll auf die Zwölf, die wie immer mit vereinten Chören der beiden Gitarristen und natürlich des Publikums ausklingt. Direkt im Anschluss folgt ein weiteres Highlight auf der endgültigen Zielgeraden: Jeder der fünf Musiker steht nun in völliger Dunkelheit hinter einer großen Trommel und drischt als perfekt getaktete Einheit zum treibenden Electro-Beat mit kleinen Lichtpunkten besetzten Drumsticks rhythmisch auf die vor ihm stehenden Fässer ein. Ein paar Sekunden der Stille und dann die absolute Eruption mit der zynischen Dampfwalze „Ich, Ich, Ich“ und einer Übermacht an wild blitzenden Scheinwerfern und aufblinkenden LEDs. Zum Abschluss rollt die „Heldmaschine“ das berüchtigte „®“ dann gleich hinterher und alles dreht frei. Die Gitarristen sprinten durchs Rund der Manege und alle machen mit - Wow, was für eine Energie! Mit einem gemeinsamen Foto mit „Vlad In Tears“ und natürlich den jubelnden Fans im Hintergrund endet die gelungene Show ziemlich abrupt und ohne eine weitere Zugabe, sodass der Klassiker „Weiter!“ leider fehlt. Ansonsten war es ein typisch fantastisches Konzert der heldenhaften Maschinisten mit einer großartigen Lightshow, druckvollem Sound, ausgelassener Stimmung und abwechslungsreicher Setlist, die zwar den ein oder anderen Favoriten ausließ, sich dafür aber deutlich vom Gig in 2020 unterschied und somit einen hohen Mehrwert für die treuen Fans lieferte. Wer in der kommenden Monaten die Gelegenheit hat, „Völkerball“ oder die „Heldmaschine“ im nächsten Jahr auf ausgedehnter Tournee zu besuchen, sollte diese unbedingt wahrnehmen und Live-Musik genießen, wann immer es nur geht!

Setlist:


01. Intro

02. Luxus

03. Kein Zurück

04. Lockdown

05. Schwerelos

06. Die Braut, Das Meer

07. Die Maschine Spricht

08. Himmelskörper

09. Sexschuss

10. Die Geister, Die sich Rief

11. Gottverdammter Mensch

12. Maschinenliebe

13. Radioaktiv

14. Springt!

15. Auf Allen Vieren

16. Drum-Solo

17. Ich, Ich, Ich

18. ®


Impressionen:

Jens Lachmann - Jelapics.de

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